Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
französische Musik.
französische Musik.Die Kunstmusik entwickelte sich in Frankreich auf der Grundlage der christl. liturg. Gesänge (gallikan. Liturgie). Die ältesten Lehrwerke einer geregelten Mehrstimmigkeit stammen aus dem 9. Jh.; älteste Musikdenkmäler sind die Organa der Schule von Saint-Martial in Limoges (12. Jh.). Die Kunst der Organa erreichte um 1200 mit den Meistern Leoninus und Perotinus Magnus in Paris ihren Höhepunkt (Notre-Dame-Schule). Aus dem Organum entstand durch Unterlegung versch. Texte unter die einzelnen Stimmen die das 13. Jh. kennzeichnende Gattung der Motette. Die weltliche einstimmige Liedkunst der provenzal. Troubadours und der nordfrz. Trouvères gipfelt in den Singspielen des Adam de la Halle (✝ um 1306). Die freiere Mehrstimmigkeit der Ars nova griffen vor allem P. de Vitry (✝ 1361) und G. de Machault (✝ 1377) mit Motetten und Balladen auf. Im 15. Jh. verlagerte sich das Zentrum der f. M. nach Nordosten (Zeit der »Niederländer«). Eine wichtige Gattung der weltl. Musik des 15. und 16. Jh. ist das mehrstimmige Chanson. Die Messekomposition, die nun im Vordergrund stand, bediente sich häufig der Melodien volkstüml. Chansons, ebenso die nach wie vor gepflegte Motettenkomposition. Nach J. Ockeghem, der u. a. mit Messen hervortrat, galt Josquin Desprez mit seinen Messen und Motetten als bedeutendster Musiker seiner Zeit. Die frz. Josquin-Schüler J. Mouton und C. Janequin sowie C. Goudimel führten die Gattung der Chansons im 16. Jh. mit ihren A-cappella-Chansons auf den Höhepunkt. Eine hohe Blütezeit erlebte die f. M. im 17. Jh. v. a. unter Ludwig XIV. Es herrschten die weltl. Gatt. Ballett und Oper vor, deren erster Meister der aus Italien stammende J.-B. Lully war. Die Ouvertüren und Tanzstücke seiner Opern sind die ersten bed. Zeugnisse der Orchestermusik. Daneben entwickelte sich eine reich verzierte Klaviermusik, in der die Suite ausgebildet wurde, v. a. durch J. Chambonnières und F. Couperin. Der überragende Meister des 18. Jh. war J.-P. Rameau; er wies der Klaviermusik neue Wege und schuf die Grundlage der neuzeitl. Harmonielehre. Die frz. Oper führte er zu einem Höhepunkt. Sein Nachfolger war (mit seinen in frz. Sprache geschriebenen Opern) der Deutsche C. W. Gluck, dessen Opernerneuerung sich in Paris gegen die damals herrschenden Italiener durchsetzte. Angeregt von der italien. Opera buffa, entstand nach 1750 die frz. komische Oper (Opéra comique): J.-J. Rousseau, F. A. Philidor, P. A. Monsigny, v. a. A. E. M. Grétry. Der aus Florenz stammende L. Cherubini verschmolz Elemente der ernsten und der kom. Oper. An ihn schlossen sich als Komponisten von »Revolutions-« oder »Schreckensopern« F.-J. Gossec, J. F. Lesueur und É. N. Méhul an. Im 19. Jh. schuf H. Berlioz die Programmsinfonie und einen Orchesterklang mit reichen Klangschattierungen. Hauptvertreter der Instrumentalmusik des 19. Jh. sind C. Saint-Saëns, der Lütticher C. Franck, dessen Schüler V. d'Indy, ferner G. Fauré. Zu Weltgeltung gelangten die kom. Opern von F. A. Boieldieu, D. F. E. Auber, J. F. Halévy, F. Herold, A. Adam und die »großen« Opern von G. Rossini, Auber, Halévy, G. Meyerbeer, später Saint-Saëns. In der 2. Hälfte des 19. Jh. brachten C. Gounod, A. Thomas, dann bes. G. Bizet, später J. Massenet wieder eine Verschmelzung von heiterer, lyr. und ernster dramat. Oper. Daneben entfaltete sich die Operette: J. Offenbach, A. C. Lecocq. Ende des 19. Jh. entwickelte C. Debussy den Impressionismus mit einem vielfältigen Klangfarbenspektrum. Dem Impressionismus gehörten ferner P. Dukas, M. Ravel und A. Roussel an. Ravel bereitete (um 1920) auch den Neoklassizismus vor, dessen Hauptrepräsentant der damals in Frankreich lebende I. Strawinsky wurde. Die Groupe des Six (D. Milhaud, A. Honegger, F. Poulenc, G. Auric, L. E. Durey, Germaine Tailleferre) knüpfte an die leichte Musik der Music Hall, Jazz u. a. an, zerfiel aber bald wieder. In Abkehr von spätromant. Traditionen zeigen die Werke E. Saties eine klare, einfache Satztechnik. Seit der Mitte des 20. Jh. ging der Neoklassizismus zurück, während sich Einflüsse der Zwölftonmusik auszuwirken begannen (R. Leibowitz). O. Messiaen, der zus. mit A. Jolivet, Daniel-Lesur und Y. Baudrier 1936 die Gruppe »Jeune France« (Junges Frankreich) bildete, trat mit eigenwilligen, teils mystisch, teils exotisch geprägten Werken hervor. P. Schaeffer und P. Henry experimentierten, inspiriert von E. Varèse, mit Geräuschen und elektron. Klangerzeugung in der Musique concrète (konkrete Musik). I. Xenakis benutzte seit 1955 bevorzugt mathemat. Verfahren beim Komponieren (stochastische Musik). Wichtigster Vertreter der seriellen Musik ist P. Boulez, dessen gesamtes Musikschaffen richtungweisend wirkte; nach neuen Ausdrucksmitteln suchen auch die in seinem Umkreis experimentierenden Komponisten G. Amy, A. Louvier und P. Mestral. Vertreter der Aleatorik oder der improvisierten Realisation sind P. Capdenat, G. Grisey, P. Mariétan, J.-Y. Bosseur und L. Ferrari.
▣ Literatur:
Boyer, J.: Kurzgefaßte Geschichte der f. M. Wiesbaden 1953.
⃟ Eckart-Bäcker, U.: Frankreichs Musik zw. Romantik u. Moderne. Regensburg 1965.
⃟ Dufourcq, N.: La musique française. Paris 1970.
⃟ Rostand, C.: La musique française contemporaine. Paris 41971.
⃟ Paillard, J. F.: La musique française classique. Paris 31973.
⃟ Hirsbrunner, T.: Die Musik in Frankreich im 20. Jh. Laaber 1995.
⃟ Gervink, M.: Die musikalisch-poet. Renaissancebestrebungen in Frankreich u. ihre Bedeutung für die Entwicklung einer nationalen frz. Musiktradition. Frankfurt am Main u. a. 1996.
▣ Literatur:
Boyer, J.: Kurzgefaßte Geschichte der f. M. Wiesbaden 1953.
⃟ Eckart-Bäcker, U.: Frankreichs Musik zw. Romantik u. Moderne. Regensburg 1965.
⃟ Dufourcq, N.: La musique française. Paris 1970.
⃟ Rostand, C.: La musique française contemporaine. Paris 41971.
⃟ Paillard, J. F.: La musique française classique. Paris 31973.
⃟ Hirsbrunner, T.: Die Musik in Frankreich im 20. Jh. Laaber 1995.
⃟ Gervink, M.: Die musikalisch-poet. Renaissancebestrebungen in Frankreich u. ihre Bedeutung für die Entwicklung einer nationalen frz. Musiktradition. Frankfurt am Main u. a. 1996.