Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
französische Literatur
französische Literatur,die Literatur Frankreichs und die frz.-sprachige Literatur Belgiens. Vgl. auch schweizerische Literatur, kanadische Literatur.
⃟ Mittelalter (Alt- und mittelfrz. Literatur): Die ältesten Zeugnisse einer Literatur in frz. Sprache stammen aus dem kirchlich-religiösen Bereich; neben Übersetzungen aus dem Lateinischen stehen erste Neuschöpfungen in der Volkssprache: die »Eulaliasequenz« (881), die »Passion Christi« (10. Jh.), das »Alexiuslied« (Mitte des 11. Jh.). Sehr früh entstand in Frankreich die Großform der mittelalterl. weltl. Dichtung, das Heldenepos (Chanson de Geste; Geste). Die Chansons de Geste spiegeln durch ihre Behandlung histor. Themen (Karlszyklus um Karl den Gr., u. a. mit dem »Rolandslied«, dem Wilhelmszyklus um Wilhelm von Orange, dem Kreuzzugszyklus um Gottfried von Bouillon u. a.) die großen Probleme der Zeit, die Kreuzzüge und Auseinandersetzungen zw. Zentral- und Territorialgewalten.Um die Mitte des 12. Jh. brachte die höf. Kultur als neue Gattungen den Versroman bzw. die Verserzählung hervor. Bevorzugt waren nun die aus der Antike überlieferten Stoffe (»Alexanderroman«, »Trojaroman«) und die Sagen um König Artus. Vorbildhaft, nicht nur für Frankreich, wirkte auf dem Gebiet des höf. Romans Chrétien de Troyes. Um die Wende vom 11. zum 12. Jh. entwickelte sich in S-Frankreich die Troubadour-Dichtung, die in strengen Formen die Liebe zu einer unerreichbaren Dame pries (u. a. Marcabru, Wilhelm IX. von Aquitanien, Bernart de Ventadorn). Im N Frankreichs nahmen die Trouvères diese Tradition auf (u. a. Chrétien de Troyes, Thibaut IV de Champagne, Gace Brulé, später Guillaume de Machault). Höf. Ursprungs ist auch der allegorisch verschlüsselte Rosenroman, der von Guillaume de Lorris um 1236 verfasste »Roman de la rose«, dessen einige Jahrzehnte später entstandene Fortsetzung (von Jean de Meung) den Verfall der höf. Ideale bezeugt. In den Städten blühte die Dichtung im 13. Jh. auf; neben Balladen und Tanzliedern (Virelai, Rondel) entstanden v. a. die satir. Fabliaux und die ersten dramat. Werke, geistl. Mirakel-, Passions- und Mysterienspiele (Rutebeuf, »Das Mirakelspiel von Theophilus«), auch schon weltl. Stücke (Adam de la Halle, »Le jeu de Robin et de Marion«). Im 14./15. Jh. waren bes. allegor. Spiele beliebt (Moralités), die derb-kom. Soties und die satir. Farces (»Maistre Pierre Pathelin«). Die Literatur dieser Zeit litt unter dem Hundertjährigen Krieg; viele Dichter waren in die Parteienkämpfe einbezogen (A. Chartier, Charles d'Orléans, Christine de Pisan). Zu einem kulturellen Zentrum wurde der Hof von Burgund (Schule der Rhétoriqueurs, die besonderen Wert auf dichter. Virtuosität legte). Überragende Bedeutung erlangte der außerhalb aller gesellschaftl. Bindungen lebende F. Villon, dessen Lyrik aus unmittelbarer persönl. Erfahrung schöpft.
⃟ 16. Jahrhundert (Renaissance): Durch das Eingreifen der frz. Könige in die Machtkämpfe in Oberitalien seit dem Ende des 15. Jh. wurde die Kultur der italien. Renaissance in Frankreich bekannt, die frz. Dichtung folgte nun italien. Vorbildern; die Humanisten (G. Budaeus, J. Amyot) übersetzten Werke der Antike. Die konfessionellen Auseinandersetzungen, die in der 2. Hälfte des 16. Jh. in die Religionskriege mündeten, beeinflussten schon Jahrzehnte vorher das literar. Leben: Margarete von Navarra, Schwester Franz' I., (bekannt v. a. durch die Novellensammlung »Das Heptameron«, hg. 1559; nach dem Vorbild des »Decamerone« von Boccaccio) sympathisierte mit den Hugenotten; der Lyriker C. Marot, der in ihrem Dienst stand, musste, als Anhänger der Reformation verdächtigt, das Land verlassen. An Marot knüpften die Dichter der Pléiade an, die erstmals die frz. Sprache und Dichtung als der antiken ebenbürtig betrachteten (P. de Ronsard, J. Du Bellay u. a.). Neben Paris war Lyon Zentrum der Literatur (Lyoner Dichterschule mit Louise Labé). Keinerlei Schule gehörte F. Rabelais an, dessen satirisch-fantast. Romanfolge »Gargantua und Pantagruel« (1532-52) humanist. Gelehrsamkeit mit unbegrenzter Fabulierfreude verbindet. Inhaltl. und formale Neuerungen brachte M. Eyquem de Montaigne mit seinen »Essays« (1580-95), die bes. in der Moralistik des 17. Jh. nachwirkten.
⃟ 17. Jahrhundert (Klassik): Mit der Berufung F. de Malherbes an den Hof (1605) begann eine neue Periode der frz. Literatur. Er forderte jene Klarheit der Sprache und Strenge der Form, die für die frz. Klassik kennzeichnend werden sollten. Richelieu, seit 1624 Erster Min. Ludwigs XIII., setzte auf dieser Grundlage Sprache und Literatur bewusst ein, um die absolute Monarchie zu stärken. Er förderte die Gründung der Académie française (1635) als Instrument zu ihrer Normierung. Die Literatur sollte den Verhaltenskodex (»bienséance«) der absolutist. Gesellschaft propagieren. Gefordert waren dabei Wahrscheinlichkeit (»vraisemblance«) der Handlung sowie die Einhaltung der drei Einheiten (Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung). Der Académie française wurde die Rolle des Kunstrichters übertragen. In den Jahrzehnten 1640-80 erreichte die frz. Klassik ihre höchste Blüte in den Tragödien von P. Corneille und J. Racine, in den Komödien von Molière, in den Fabeln von J. de La Fontaine; die Regeln der Poetik wurden von N. Boileau-Despréaux 1674 zusammengefasst. Eine wichtige Rolle bei der Formulierung der moral. und ästhet. Normen spielten die Pariser Salons, bes. die der Marquise de Rambouillet und der Mademoiselle de Scudéry. Lyrik und Roman hatten nur untergeordnete Bedeutung. Dennoch waren Romane zur Unterhaltung sehr beliebt: die Schäferromane (H. d'Urfé, Madeleine de Scudéry), die fantast. Reiseromane Cyrano de Bergeracs und Marie-Madeleine de La Fayettes »Prinzessin von Clèves« (1678), der erste psycholog. Roman. Ein scharfer Kritiker der Salongesellschaft war F. de La Rochefoucauld mit seinen brillanten Aphorismen (»Maximen und Reflexionen«, 1665), die mit den Betrachtungen von J. de La Bruyère, J. F. P. de Retz und L. de Saint-Simon Höhepunkte der moralist. Literatur darstellen. Die Sprache der Prosa prägten wesentlich auch die Philosophen R. Descartes und B. Pascal.
Bis zum Ende des 17. Jh. hatte die antike Literatur unbestrittene Vorbildfunktion. Die Behauptung C. Perraults (heute bes. bekannt durch seine Märchensammlung), dass die moderne Kultur der antiken ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen sei, rief deshalb 1687 eine große Auseinandersetzung (»Querelle des anciens et des modernes«) hervor, die die Intellektuellen in zwei Lager spaltete und das Aufklärungszeitalter ankündigte.
⃟ 18. Jahrhundert (Aufklärung): Die ersten Werke mit aufklärer. Gedankengut erschienen vor dem Hintergrund absolutist. Willkürherrschaft und scheiternder innenpolit. Reformansätze (die für die letzten Reg.jahre Ludwigs XIV. kennzeichnend waren), die bedeutendsten schon Ende des 17. Jh. (P. Bayle, F. Fénelon, B. de Fontenelle). Gemeinsam war diesen belletrist. und philosoph. Werken die Kritik an religiösen Dogmen und kirchl. Institutionen, an den Rechtspraktiken, an den Missständen des höf. Lebens. Das tradierte Wertesystem wurde mit dem Maßstab der Vernunft infrage gestellt. Der Kanon der klass. f. L. galt nicht mehr. Zwar schrieb Voltaire noch Tragödien nach dem formalen Muster des 17. Jh., doch verherrlichten sie den Gedanken der Toleranz, v. a. aber hielten bürgerl. Helden ihren Einzug auf der Bühne, nicht - wie bei Molière - um lächerlich gemacht zu werden, sondern um die bürgerl. Tugenden zu würdigen und bürgerl. Leben realistisch zu schildern (Schauspiele von D. Diderot). Die Komödien P. C. de Marivaux' lebten aus der Analyse psychologisch nuanciert angelegter Figuren. Immer wichtiger wurde der Roman, so in der Frühaufklärung die Werke von A.-R. Lesage, Marivaux, A.-F. Prévost d'Exiles. Auch der Staatstheoretiker Montesquieu wurde mit einem Roman berühmt, mit den »Pers. Briefen« (1721), in denen er polit., moral. und philosoph. Kritik artikuliert. Voltaire, der für seine philosoph. Essays ebenfalls die beliebte Briefform nutzte, schuf Romane und Erzählungen, die in unterhaltsam-satir. Art die absolutist. Gesellschaft kritisieren (berühmt bes. »Candide oder Die beste Welt«, 1759). Um die Mitte des 18. Jh. gewann diese Kritik an Schärfe. Das Erscheinen des 1. Bandes der »Encyclopédie« (Enzyklopädisten) leitete den Höhepunkt der Aufklärung ein. Das literar. Leben in Frankreich war nun bestimmt von Zensur, Verboten, auch Verfolgungen (verstärkt ab 1757 nach einem Attentat auf Ludwig XV.). Die meisten Werke erschienen anonym, mit fingiertem Verlagsort oder im Ausland. Die Autoren waren vielseitig: Philosophie, Kunstkritik, Naturwissenschaften wurden in unterhaltsamer Art, oft in belletrist. Werke eingestreut, geboten (bes. ausgeprägt bei D. Diderot). Folgenreich bis weit ins 19. Jh. war das Werk J.-J. Rousseaus, das der Fortschrittsgläubigkeit der Aufklärung widersprach und im »Gesellschaftsvertrag« (1762) das Ideal einer bürgerlich-demokrat. Gesellschaft darstellte. Für das Theater hatte Diderot die Theorie des bürgerl. Trauerspiels entwickelt, an die G. E. Lessing anknüpfte. Wenige Jahre vor der Revolution kündigte sich in P. A. C. de Beaumarchais' »Die Hochzeit des Figaro« (1785) das Ende des Ancien Régime auf der Bühne an. Der Roman erschloss in der 2. Hälfte des Jh. neue Dimensionen lyr. Natur- und Gefühlsdarstellung (Rousseau, »Die neue Heloise«, 1761; J. H. Bernardin de Saint-Pierre, »Paul und Virginie«, 1788); andererseits konnte er auch die Praktiken der (korrumpierten) Gesellschaft des Ancien Régime (P. A. F. Choderlos de Laclos) und eine Psychopathologie des Bösen nachzeichnen (Marquis de Sade). Während der Revolution bis in die ersten Jahre des Kaiserreichs dominierten Publizistik und an röm. Vorbild geschulte Rhetorik. Die Lyrik, in der Aufklärung bedeutungslos, gestaltete nun patriot. Themen in klassizist. Formen (A.-M. Chénier).
⃟ 19. Jahrhundert: In den Werken der Madame de Staël, die erstmals versuchte, die dt. Kultur den Franzosen nahe zu bringen, und in denen F. R. de Chateaubriands wurde zu Beginn des 19. Jh. das neue Lebensgefühl sichtbar, das die nächsten Jahrzehnte der f. L. bestimmte: Subjektivismus, gefühlsbetontes Naturerleben, Kulturmüdigkeit; der Klassik (»Classicisme«) wurde die Romantik (»Romantisme«) gegenübergestellt. Sammelpunkt der Romantiker war der Kreis (»Cénacle«) um C. Nodier, später um V. Hugo, in Paris. Die Lyrik wurde jetzt zum wichtigen Medium, um das neue Weltverständnis zu artikulieren (A. de Lamartine, A. de Vigny, V. Hugo, A. de Musset). Eine Neuorientierung vollzog sich auch auf der Bühne. Nach Hugos Grundlegungen (Vorrede zum Drama »Cromwell«, 1827) wurden die Regeln der frz. Klassik für nichtig erklärt; u. a. war nicht mehr das Idealtypische, sondern das Individuelle gefordert. Daneben eroberte nach 1830 das Boulevardtheater die Bühnen (erfolgreiche Autoren u. a.: E. Scribe, E. Labiche, A. Dumas d. J., später G. Feydeau). Dramen, Romane und Novellen griffen oft histor., vielfach nat. Stoffe auf (Vigny, P. Merimée, Hugo), der histor. Abenteuerroman in der Nachfolge Sir W. Scotts hatte seine ersten Erfolge (E. Sue, A. Dumas d. Ä.). Die unteren Volksschichten wurden für die Literatur entdeckt (Hugo, George Sand). In den 1840er-Jahren ging der literar. Einfluss der Romantik zurück. Eine Sonderstellung nahm schon ein Jahrzehnt früher Stendhal ein, dessen Romane (»Rot und Schwarz«, 1830; »Die Kartause von Parma«, 1839) chronikartig außergewöhnl. Charaktere mit größter psycholog. Genauigkeit schildern. In H. de Balzacs Zyklus »Die menschl. Komödie« (1829-54) erreichte die kritische realist. f. L. ihren Höhepunkt. Die objektivierende Darstellung G. Flauberts (»Madame Bovary«, 1857) war von großer Bedeutung für die Moderne.Seit der Julirevolution 1830, verstärkt seit dem Staatsstreich Napoleons III., als sich viele Schriftsteller vom öffentl. Leben zurückzogen, wurde dem sozialen Engagement das Prinzip des L'art pour l'art entgegengesetzt. Das Prinzip der zweckfreien Schönheit verfolgten in ihrer Lyrik u. a. T. Gautier, C. M.-R. Leconte de Lisle, T. de Banville. Die Anhänger dieser Richtung sammelten sich in der Gruppe der Parnassiens. Die Kunstauffassung des »L'art pour l'art« vertrat auch C. Baudelaire, der mit den formstrengen Gedichten »Die Blumen des Bösen« (1857) der Kunst eine neue Welt erschloss und zum Vorläufer des Symbolismus wurde. In der Prosa setzten sich dagegen - anknüpfend an Flaubert und beeinflusst vom Positivismus - Detailgenauigkeit und Orientierung an der sozialen Wirklichkeit durch. É. Zola verwirklichte dieses Konzept des Naturalismus in seinem Zyklus »Die Rougon-Macquart« (1871-93). G. de Maupassants Novellen verbinden höchste psycholog. Einfühlung mit naturalist. Genauigkeit.Gegen Ende des 19. Jh. wurde die Lyrik der Parnassiens vom Symbolismus abgelöst: freier Vers, assoziative Klangwirkungen und die Evozierung zeichenhaft verborgener Seins- und Bewusstseinsschichten bestimmen die Dichtungen P. Verlaines, A. Rimbauds, S. Mallarmés und des jungen P. Valéry. Das Lebensgefühl war von Dekadenz gekennzeichnet. M. Maeterlinck schrieb symbolistisch inspirierte Dramen; auch in der Prosa wurde die Wendung ins Innere des Bewusstseins vollzogen (J. K. Huysmans), daneben auch die Welt des Exotisch-Fantastischen erschlossen (P. A. de Villiers de l'Isle-Adam, P. Loti). Die realist. Erzähltradition führten A. France und R. Rolland fort. Die polit. Polarisierung am Ende des 19. Jh. (Dreyfusaffäre) ergriff auch die Schriftsteller. É. Zola trug mit seinem offenen Brief »Ich klage an« (1898) entscheidend zur Wiederaufnahme des Prozesses bei, ihn unterstützten u. a. A. France, A. Gide, R. Rolland; die klerikal-nationalist. Bewegung wurde u. a. von C. Mauras und M. Barrès angeführt.
⃟ 20. Jahrhundert: Mit der Gründung der »Nouvelle Revue Française« (1909) erhielt die zeitgenöss. f. L. ein wichtiges Forum jenseits ideolog. Bindungen. Hier erschienen die Werke von P. Claudel, A. Gide, M. Proust, P. Valéry, später die von A. Malraux und Saint-John Perse. Der 1. Weltkrieg führte in der Literatur zum Bruch mit den gesellschaftl. und künstler. Traditionen. Die unmittelbare Erfahrung des Krieges schilderte H. Barbusse in »Das Feuer« (1916), in vielfältiger Brechung spiegeln sich u. a. Kriegs- und Nachkriegswirklichkeit auch im Surrealismus. Schon 1896 war mit A. Jarrys »König Ubu« ein Stück uraufgeführt worden, das die herkömml. dramat. Strukturen sprengte. Seine Techniken nahm G. Apollinaire auf, die Leitfigur der künstler. Avantgarde der 20er-Jahre (u. a. mit A. Breton, P. Éluard, L. Aragon). Neben den surrealistisch inspirierten Werken erschienen zw. den Weltkriegen z. T. sehr umfangreich angelegte, traditionell erzählte Romane oder Romanzyklen, u. a. von J. Romains, R. Martin du Gard, R. Rolland, Sidonie-Gabrielle Colette. Am folgenreichsten war M. Prousts Romanzyklus »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« (1913-27), dessen neuartige Struktur und Erzähltechniken dem Roman weltliterarisch neue Perspektiven eröffneten. Seit dem Ende des 19. Jh. hatten sich kath. Schriftsteller um eine humanist. Erneuerung der Literatur bemüht (P. Claudel); diesen Renouveau catholique führten im 20. Jh. G. Bernanos, J. Green, F. Mauriac in psycholog. Romanen fort. Betonter Individualismus kommt in den Romanen von A. Gide, A. Malraux und H. de Montherlant zum Ausdruck, die Prosa von E. Bove nimmt existenzialist. Lebensgefühl vorweg. Die Dramatik dieser Zeit vertraten u. a. J. Giraudoux und J. Anouilh mit konventionell gebauten Stücken sowie J. Cocteau, der eine Synthese vieler Stilformen versuchte.Der aufkommende Faschismus und der span. Bürgerkrieg spiegelten sich in der f. L. seit Mitte der 30er-Jahre. Z. Z. der dt. Besetzung schlossen sich viele Autoren der Résistance an (u. a. Éluard, Aragon, J.-P. Sartre, A. Camus). In der Literatur der Résistance waren v. a. publizist. Lyrik, Essay und Drama (Sartre, »Die Fliegen«, 1943) wichtig. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg beherrschte das Konzept der Existenzphilosophie die Literatur. Verwirklicht wurde es u. a. in den Romanen, Essays und Dramen von Sartre, Camus und Simone de Beauvoir, auch die Romane der Françoise Sagan sind davon beeinflusst. Bed. formale Neuerungen gingen in den 50er-Jahren von der f. L. aus: in der Dramatik u. a. durch E. Ionesco, S. Beckett (absurdes Theater) und J. Genet, in der Prosa durch den Nouveau Roman. Dessen Vertreter stellten in unterschiedl. Weise die überkommenen Elemente des Romans infrage (M. Butor, A. Robbe-Grillet, Nathalie Sarraute, C. Simon, z. T. Marguerite Duras u. a.); die Technik des Nouveau Roman nutzten J. Le Clézio und G. Perec für ihre zivilisationskrit. Anliegen. Das breite Spektrum der Lyrik wurde u. a. von H. Michaux, R. Char, F. Ponge, Y. Bonnefoy, M. Deguy, D. Roche und J. Roubaud geprägt. Im Allg. verstärkten sich nach den Ereignissen vom Mai 1968 wieder die gesellschaftskrit. Züge der f. L., v. a. auf dem Theater (A. Gatti, z. T. F. Arrabal), das sich in den 80er-Jahren durch Autoren wie M. Vinaver und B.-M. Koltès sowie dank der innovativen Inszenierungen von Regisseuren wie P. Chéreau, Ariane Mnouchkine (»Théâtre du Soleil«) und R. Planchon weiterentwickelte. Auch entstand eine spezif. Frauenliteratur (u. a. Monique Wittig, Christiane Rochefort, Chantal Chawaf, Marie Cardinal, Hélène Cixous). Sprachspiele und -experimente und die Problematisierung des Zusammenhangs zw. Sprache und Realität kennzeichnen u. a. die Werke von Ponge und R. Queneau. Parallel dazu wird die große erzähler. Tradition der f. L. fortgeführt, oft mit autobiograph. oder histor. Hintergrund, so bei Marguerite Yourcenar, M. Tournier, P. Modiano. - Die f. L. der Gegenwart begleitet eine bed. Literaturkritik. Sie setzt sich, angeregt u. a. von G. Bataille, M. Blanchot und G. Bachelard, mit der Reflexion über Sprache auseinander. In den 60er-Jahren beherrschte der Strukturalismus die literaturwiss. Analyse (»Nouvelle Critique«: R. Barthes, T. Todorov u. a.). Im Zeichen der Postmoderne durchdrangen theoret. Reflexion über das Schreiben und fiktionale Literatur einander (J. Derrida, P. Sollers, Julia Kristeva, H. Cixous). Die theoret. Reflexion über das Schreiben prägt auch die fiktionale Literatur der 80er-Jahre (F. Bon, J.-P. Toussaint, J. Échenoz u. a.), die mit stilist. Kunstfertigkeit Zeitphänomene wie etwa die multikulturelle Gesellschaft oder den beherrschenden Einfluss der Medien verarbeitet und mit der Wirklichkeit ebenso spielt wie mit überkommenen literar. Formen. Seit Beginn der 90er-Jahre sind in der Romanliteratur einige neue Tendenzen zu erkennen: Man wendet sich wieder dem Leser zu, erzählt überschaubare Geschichten, deren Botschaft eine »Moral« enthält: so bei Le Clézio, H. Guibert, D. Fernandez, Sylvie Germain und Marie N'Diaye; auch international sehr erfolgreich sind die melanchol. Komödien von Yasmina Reza.In den ehem. frz. Besitzungen entwickelte sich seit dem Ende der Kolonialherrschaft im Spannungsfeld zw. Zugehörigkeit zur frz. Kultur und Suche nach eigener Identität eine Literatur in frz. Sprache: in Algerien (Kateb Yacine, M. Dib, M. Mammeri, M. Feraoun, Assia Djebar, R. Boudjedra u. a.), in Tunesien (A. Memmi u. a.) und in Marokko (D. Chraibi, T. Ben Jelloun u. a.). Eine bed. frz.sprachige Literatur entstand in Schwarzafrika und in der Karibik unter dem Einfluss der Négritude. (schwarzafrikanische Literaturen, karibische Literatur)
⃟ Französische Literatur in Belgien: Die belg. Literatur frz. Sprache gehört - unabhängig von der Gründung des selbstständigen Staates Belgien (1830) - bis in die Gegenwart zum Bestand der f. L. Zwar waren und sind Schriftsteller aus Belgien in der Wahl ihrer Stoffe oft heim. Traditionen verpflichtet (C. de Coster), doch folgen sie den großen literar. Strömungen Frankreichs. Bekannte belg. Autoren des Symbolismus sind A. Mockel, É. Verhaeren, M. Maeterlinck und G. Rodenbach, den Naturalismus vertrat C. Lemonnier, zu den Surrealisten gehörte F. Hellens. Erfolgreiche Dramatiker waren (im Umkreis des Expressionismus) F. Crommelynck und M. de Ghelderode. In viele Sprachen übersetzt wurden die psychologisch fundierten Kriminalromane von G. Simenon. Die Vielseitigkeit der neueren belg. Literatur mit ihren Widersprüchen und ihrer Infragestellung der eigenen Identität zeigt sich im Roman u. a. bei A. Bosquet de Thoran, C. Detrez, P. Mertens, J.-P. Otte und F. Weyergans, in der Lyrik u. a. bei J. Crickillon, C. Hubin und J.-P. Verheggen, im Drama u. a. bei J. de Decker, P. Willems und J. Louvet.
▣ Literatur:
J. von Stackelberg, Das frz. Theater vom Barock bis zur Gegenwart, hg. v. 2 Bde. Düsseldorf 1968.
⃟ Kukenheim, L. u. Roussel, H.: Führer durch die f. L. des Mittelalters. A. d. Frz. Berlin 1969.
⃟ Schoell, K.: Das frz. Drama seit dem Zweiten Weltkrieg, 2 Bde. Göttingen 1970.
⃟ Die frz. Lyrik von Villon bis zur Gegenwart, hg. v. H. Hinterhäuser, 2 Bde. Düsseldorf 1975.
⃟ Der frz. Roman vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. K. Heitmann, 2 Bde. Düsseldorf 1975.
⃟ F. L. des 19. Jh., hg. v. W.-D. Lange, 3 Bde. Heidelberg 1979-80.
⃟ F. L. in Einzeldarstellungen, hg. v. P. Brockmeier u. a., 3 Bde. Stuttgart 1981-82.
⃟ Engler, W.: Geschichte des frz. Romans von den Anfängen bis Marcel Proust. Stuttgart 1982.
⃟ Grimm, J.: Das avantgardist. Theater Frankreichs 1895-1930. München 1982.
⃟ Pabst, W.: Frz. Lyrik des 20. Jh. Theorie u. Dichtung der Avantgarden. Berlin 1983.
⃟ Pollmann, L.: Gesch. der f. L. der Gegenwart (1880-1980). Darmstadt 1984.
⃟ Blüher, K. A.: Die frz. Novelle. Tübingen 1985.
⃟ Kirsch, F. P.: Epochen des frz. Romans. Darmstadt 1986.
⃟ Die frz. Lyrik, hg. v. D. Janik. Darmstadt 1987.
⃟ Lope, H.-J.: Frz. Literaturgeschichte. Heidelberg u. a. 31990.
⃟ Stackelberg, J. von: Kleine Geschichte der f. L. München 1990.
⃟ Literatur u. Theater im gegenwärtigen Frankreich, hg. v. K. Schoell. Tübingen 1991.
⃟ Engler, W.: F. L. im 20. Jh. Tübingen u. a. 1993.
⃟ Engler, W.: Lexikon der f. L. Stuttgart 31994.
⃟ Frz. Literaturgeschichte, hg. v. J. Grimm. Stuttgart u. a. 31994.
⃟ Französische Literatur in Belgien: Bibliographie des écrivains français de Belgique 1881-1960, bearb. v. J.-M. Culot, auf mehrere Bde. ber. Brüssel 1958 ff.
⃟ Burniaux, R. u. Frickx, R.: La littérature belge d'expression française. Paris 21980.
⃟ Lettres françaises de Belgique. Dictionnaire des œuvres, hg. v. R. Frickx u. R. Trousson, auf mehrere Bde. berechnet. Paris 1988 ff.
⃟ Mittelalter (Alt- und mittelfrz. Literatur): Die ältesten Zeugnisse einer Literatur in frz. Sprache stammen aus dem kirchlich-religiösen Bereich; neben Übersetzungen aus dem Lateinischen stehen erste Neuschöpfungen in der Volkssprache: die »Eulaliasequenz« (881), die »Passion Christi« (10. Jh.), das »Alexiuslied« (Mitte des 11. Jh.). Sehr früh entstand in Frankreich die Großform der mittelalterl. weltl. Dichtung, das Heldenepos (Chanson de Geste; Geste). Die Chansons de Geste spiegeln durch ihre Behandlung histor. Themen (Karlszyklus um Karl den Gr., u. a. mit dem »Rolandslied«, dem Wilhelmszyklus um Wilhelm von Orange, dem Kreuzzugszyklus um Gottfried von Bouillon u. a.) die großen Probleme der Zeit, die Kreuzzüge und Auseinandersetzungen zw. Zentral- und Territorialgewalten.Um die Mitte des 12. Jh. brachte die höf. Kultur als neue Gattungen den Versroman bzw. die Verserzählung hervor. Bevorzugt waren nun die aus der Antike überlieferten Stoffe (»Alexanderroman«, »Trojaroman«) und die Sagen um König Artus. Vorbildhaft, nicht nur für Frankreich, wirkte auf dem Gebiet des höf. Romans Chrétien de Troyes. Um die Wende vom 11. zum 12. Jh. entwickelte sich in S-Frankreich die Troubadour-Dichtung, die in strengen Formen die Liebe zu einer unerreichbaren Dame pries (u. a. Marcabru, Wilhelm IX. von Aquitanien, Bernart de Ventadorn). Im N Frankreichs nahmen die Trouvères diese Tradition auf (u. a. Chrétien de Troyes, Thibaut IV de Champagne, Gace Brulé, später Guillaume de Machault). Höf. Ursprungs ist auch der allegorisch verschlüsselte Rosenroman, der von Guillaume de Lorris um 1236 verfasste »Roman de la rose«, dessen einige Jahrzehnte später entstandene Fortsetzung (von Jean de Meung) den Verfall der höf. Ideale bezeugt. In den Städten blühte die Dichtung im 13. Jh. auf; neben Balladen und Tanzliedern (Virelai, Rondel) entstanden v. a. die satir. Fabliaux und die ersten dramat. Werke, geistl. Mirakel-, Passions- und Mysterienspiele (Rutebeuf, »Das Mirakelspiel von Theophilus«), auch schon weltl. Stücke (Adam de la Halle, »Le jeu de Robin et de Marion«). Im 14./15. Jh. waren bes. allegor. Spiele beliebt (Moralités), die derb-kom. Soties und die satir. Farces (»Maistre Pierre Pathelin«). Die Literatur dieser Zeit litt unter dem Hundertjährigen Krieg; viele Dichter waren in die Parteienkämpfe einbezogen (A. Chartier, Charles d'Orléans, Christine de Pisan). Zu einem kulturellen Zentrum wurde der Hof von Burgund (Schule der Rhétoriqueurs, die besonderen Wert auf dichter. Virtuosität legte). Überragende Bedeutung erlangte der außerhalb aller gesellschaftl. Bindungen lebende F. Villon, dessen Lyrik aus unmittelbarer persönl. Erfahrung schöpft.
⃟ 16. Jahrhundert (Renaissance): Durch das Eingreifen der frz. Könige in die Machtkämpfe in Oberitalien seit dem Ende des 15. Jh. wurde die Kultur der italien. Renaissance in Frankreich bekannt, die frz. Dichtung folgte nun italien. Vorbildern; die Humanisten (G. Budaeus, J. Amyot) übersetzten Werke der Antike. Die konfessionellen Auseinandersetzungen, die in der 2. Hälfte des 16. Jh. in die Religionskriege mündeten, beeinflussten schon Jahrzehnte vorher das literar. Leben: Margarete von Navarra, Schwester Franz' I., (bekannt v. a. durch die Novellensammlung »Das Heptameron«, hg. 1559; nach dem Vorbild des »Decamerone« von Boccaccio) sympathisierte mit den Hugenotten; der Lyriker C. Marot, der in ihrem Dienst stand, musste, als Anhänger der Reformation verdächtigt, das Land verlassen. An Marot knüpften die Dichter der Pléiade an, die erstmals die frz. Sprache und Dichtung als der antiken ebenbürtig betrachteten (P. de Ronsard, J. Du Bellay u. a.). Neben Paris war Lyon Zentrum der Literatur (Lyoner Dichterschule mit Louise Labé). Keinerlei Schule gehörte F. Rabelais an, dessen satirisch-fantast. Romanfolge »Gargantua und Pantagruel« (1532-52) humanist. Gelehrsamkeit mit unbegrenzter Fabulierfreude verbindet. Inhaltl. und formale Neuerungen brachte M. Eyquem de Montaigne mit seinen »Essays« (1580-95), die bes. in der Moralistik des 17. Jh. nachwirkten.
⃟ 17. Jahrhundert (Klassik): Mit der Berufung F. de Malherbes an den Hof (1605) begann eine neue Periode der frz. Literatur. Er forderte jene Klarheit der Sprache und Strenge der Form, die für die frz. Klassik kennzeichnend werden sollten. Richelieu, seit 1624 Erster Min. Ludwigs XIII., setzte auf dieser Grundlage Sprache und Literatur bewusst ein, um die absolute Monarchie zu stärken. Er förderte die Gründung der Académie française (1635) als Instrument zu ihrer Normierung. Die Literatur sollte den Verhaltenskodex (»bienséance«) der absolutist. Gesellschaft propagieren. Gefordert waren dabei Wahrscheinlichkeit (»vraisemblance«) der Handlung sowie die Einhaltung der drei Einheiten (Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung). Der Académie française wurde die Rolle des Kunstrichters übertragen. In den Jahrzehnten 1640-80 erreichte die frz. Klassik ihre höchste Blüte in den Tragödien von P. Corneille und J. Racine, in den Komödien von Molière, in den Fabeln von J. de La Fontaine; die Regeln der Poetik wurden von N. Boileau-Despréaux 1674 zusammengefasst. Eine wichtige Rolle bei der Formulierung der moral. und ästhet. Normen spielten die Pariser Salons, bes. die der Marquise de Rambouillet und der Mademoiselle de Scudéry. Lyrik und Roman hatten nur untergeordnete Bedeutung. Dennoch waren Romane zur Unterhaltung sehr beliebt: die Schäferromane (H. d'Urfé, Madeleine de Scudéry), die fantast. Reiseromane Cyrano de Bergeracs und Marie-Madeleine de La Fayettes »Prinzessin von Clèves« (1678), der erste psycholog. Roman. Ein scharfer Kritiker der Salongesellschaft war F. de La Rochefoucauld mit seinen brillanten Aphorismen (»Maximen und Reflexionen«, 1665), die mit den Betrachtungen von J. de La Bruyère, J. F. P. de Retz und L. de Saint-Simon Höhepunkte der moralist. Literatur darstellen. Die Sprache der Prosa prägten wesentlich auch die Philosophen R. Descartes und B. Pascal.
Bis zum Ende des 17. Jh. hatte die antike Literatur unbestrittene Vorbildfunktion. Die Behauptung C. Perraults (heute bes. bekannt durch seine Märchensammlung), dass die moderne Kultur der antiken ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen sei, rief deshalb 1687 eine große Auseinandersetzung (»Querelle des anciens et des modernes«) hervor, die die Intellektuellen in zwei Lager spaltete und das Aufklärungszeitalter ankündigte.
⃟ 18. Jahrhundert (Aufklärung): Die ersten Werke mit aufklärer. Gedankengut erschienen vor dem Hintergrund absolutist. Willkürherrschaft und scheiternder innenpolit. Reformansätze (die für die letzten Reg.jahre Ludwigs XIV. kennzeichnend waren), die bedeutendsten schon Ende des 17. Jh. (P. Bayle, F. Fénelon, B. de Fontenelle). Gemeinsam war diesen belletrist. und philosoph. Werken die Kritik an religiösen Dogmen und kirchl. Institutionen, an den Rechtspraktiken, an den Missständen des höf. Lebens. Das tradierte Wertesystem wurde mit dem Maßstab der Vernunft infrage gestellt. Der Kanon der klass. f. L. galt nicht mehr. Zwar schrieb Voltaire noch Tragödien nach dem formalen Muster des 17. Jh., doch verherrlichten sie den Gedanken der Toleranz, v. a. aber hielten bürgerl. Helden ihren Einzug auf der Bühne, nicht - wie bei Molière - um lächerlich gemacht zu werden, sondern um die bürgerl. Tugenden zu würdigen und bürgerl. Leben realistisch zu schildern (Schauspiele von D. Diderot). Die Komödien P. C. de Marivaux' lebten aus der Analyse psychologisch nuanciert angelegter Figuren. Immer wichtiger wurde der Roman, so in der Frühaufklärung die Werke von A.-R. Lesage, Marivaux, A.-F. Prévost d'Exiles. Auch der Staatstheoretiker Montesquieu wurde mit einem Roman berühmt, mit den »Pers. Briefen« (1721), in denen er polit., moral. und philosoph. Kritik artikuliert. Voltaire, der für seine philosoph. Essays ebenfalls die beliebte Briefform nutzte, schuf Romane und Erzählungen, die in unterhaltsam-satir. Art die absolutist. Gesellschaft kritisieren (berühmt bes. »Candide oder Die beste Welt«, 1759). Um die Mitte des 18. Jh. gewann diese Kritik an Schärfe. Das Erscheinen des 1. Bandes der »Encyclopédie« (Enzyklopädisten) leitete den Höhepunkt der Aufklärung ein. Das literar. Leben in Frankreich war nun bestimmt von Zensur, Verboten, auch Verfolgungen (verstärkt ab 1757 nach einem Attentat auf Ludwig XV.). Die meisten Werke erschienen anonym, mit fingiertem Verlagsort oder im Ausland. Die Autoren waren vielseitig: Philosophie, Kunstkritik, Naturwissenschaften wurden in unterhaltsamer Art, oft in belletrist. Werke eingestreut, geboten (bes. ausgeprägt bei D. Diderot). Folgenreich bis weit ins 19. Jh. war das Werk J.-J. Rousseaus, das der Fortschrittsgläubigkeit der Aufklärung widersprach und im »Gesellschaftsvertrag« (1762) das Ideal einer bürgerlich-demokrat. Gesellschaft darstellte. Für das Theater hatte Diderot die Theorie des bürgerl. Trauerspiels entwickelt, an die G. E. Lessing anknüpfte. Wenige Jahre vor der Revolution kündigte sich in P. A. C. de Beaumarchais' »Die Hochzeit des Figaro« (1785) das Ende des Ancien Régime auf der Bühne an. Der Roman erschloss in der 2. Hälfte des Jh. neue Dimensionen lyr. Natur- und Gefühlsdarstellung (Rousseau, »Die neue Heloise«, 1761; J. H. Bernardin de Saint-Pierre, »Paul und Virginie«, 1788); andererseits konnte er auch die Praktiken der (korrumpierten) Gesellschaft des Ancien Régime (P. A. F. Choderlos de Laclos) und eine Psychopathologie des Bösen nachzeichnen (Marquis de Sade). Während der Revolution bis in die ersten Jahre des Kaiserreichs dominierten Publizistik und an röm. Vorbild geschulte Rhetorik. Die Lyrik, in der Aufklärung bedeutungslos, gestaltete nun patriot. Themen in klassizist. Formen (A.-M. Chénier).
⃟ 19. Jahrhundert: In den Werken der Madame de Staël, die erstmals versuchte, die dt. Kultur den Franzosen nahe zu bringen, und in denen F. R. de Chateaubriands wurde zu Beginn des 19. Jh. das neue Lebensgefühl sichtbar, das die nächsten Jahrzehnte der f. L. bestimmte: Subjektivismus, gefühlsbetontes Naturerleben, Kulturmüdigkeit; der Klassik (»Classicisme«) wurde die Romantik (»Romantisme«) gegenübergestellt. Sammelpunkt der Romantiker war der Kreis (»Cénacle«) um C. Nodier, später um V. Hugo, in Paris. Die Lyrik wurde jetzt zum wichtigen Medium, um das neue Weltverständnis zu artikulieren (A. de Lamartine, A. de Vigny, V. Hugo, A. de Musset). Eine Neuorientierung vollzog sich auch auf der Bühne. Nach Hugos Grundlegungen (Vorrede zum Drama »Cromwell«, 1827) wurden die Regeln der frz. Klassik für nichtig erklärt; u. a. war nicht mehr das Idealtypische, sondern das Individuelle gefordert. Daneben eroberte nach 1830 das Boulevardtheater die Bühnen (erfolgreiche Autoren u. a.: E. Scribe, E. Labiche, A. Dumas d. J., später G. Feydeau). Dramen, Romane und Novellen griffen oft histor., vielfach nat. Stoffe auf (Vigny, P. Merimée, Hugo), der histor. Abenteuerroman in der Nachfolge Sir W. Scotts hatte seine ersten Erfolge (E. Sue, A. Dumas d. Ä.). Die unteren Volksschichten wurden für die Literatur entdeckt (Hugo, George Sand). In den 1840er-Jahren ging der literar. Einfluss der Romantik zurück. Eine Sonderstellung nahm schon ein Jahrzehnt früher Stendhal ein, dessen Romane (»Rot und Schwarz«, 1830; »Die Kartause von Parma«, 1839) chronikartig außergewöhnl. Charaktere mit größter psycholog. Genauigkeit schildern. In H. de Balzacs Zyklus »Die menschl. Komödie« (1829-54) erreichte die kritische realist. f. L. ihren Höhepunkt. Die objektivierende Darstellung G. Flauberts (»Madame Bovary«, 1857) war von großer Bedeutung für die Moderne.Seit der Julirevolution 1830, verstärkt seit dem Staatsstreich Napoleons III., als sich viele Schriftsteller vom öffentl. Leben zurückzogen, wurde dem sozialen Engagement das Prinzip des L'art pour l'art entgegengesetzt. Das Prinzip der zweckfreien Schönheit verfolgten in ihrer Lyrik u. a. T. Gautier, C. M.-R. Leconte de Lisle, T. de Banville. Die Anhänger dieser Richtung sammelten sich in der Gruppe der Parnassiens. Die Kunstauffassung des »L'art pour l'art« vertrat auch C. Baudelaire, der mit den formstrengen Gedichten »Die Blumen des Bösen« (1857) der Kunst eine neue Welt erschloss und zum Vorläufer des Symbolismus wurde. In der Prosa setzten sich dagegen - anknüpfend an Flaubert und beeinflusst vom Positivismus - Detailgenauigkeit und Orientierung an der sozialen Wirklichkeit durch. É. Zola verwirklichte dieses Konzept des Naturalismus in seinem Zyklus »Die Rougon-Macquart« (1871-93). G. de Maupassants Novellen verbinden höchste psycholog. Einfühlung mit naturalist. Genauigkeit.Gegen Ende des 19. Jh. wurde die Lyrik der Parnassiens vom Symbolismus abgelöst: freier Vers, assoziative Klangwirkungen und die Evozierung zeichenhaft verborgener Seins- und Bewusstseinsschichten bestimmen die Dichtungen P. Verlaines, A. Rimbauds, S. Mallarmés und des jungen P. Valéry. Das Lebensgefühl war von Dekadenz gekennzeichnet. M. Maeterlinck schrieb symbolistisch inspirierte Dramen; auch in der Prosa wurde die Wendung ins Innere des Bewusstseins vollzogen (J. K. Huysmans), daneben auch die Welt des Exotisch-Fantastischen erschlossen (P. A. de Villiers de l'Isle-Adam, P. Loti). Die realist. Erzähltradition führten A. France und R. Rolland fort. Die polit. Polarisierung am Ende des 19. Jh. (Dreyfusaffäre) ergriff auch die Schriftsteller. É. Zola trug mit seinem offenen Brief »Ich klage an« (1898) entscheidend zur Wiederaufnahme des Prozesses bei, ihn unterstützten u. a. A. France, A. Gide, R. Rolland; die klerikal-nationalist. Bewegung wurde u. a. von C. Mauras und M. Barrès angeführt.
⃟ 20. Jahrhundert: Mit der Gründung der »Nouvelle Revue Française« (1909) erhielt die zeitgenöss. f. L. ein wichtiges Forum jenseits ideolog. Bindungen. Hier erschienen die Werke von P. Claudel, A. Gide, M. Proust, P. Valéry, später die von A. Malraux und Saint-John Perse. Der 1. Weltkrieg führte in der Literatur zum Bruch mit den gesellschaftl. und künstler. Traditionen. Die unmittelbare Erfahrung des Krieges schilderte H. Barbusse in »Das Feuer« (1916), in vielfältiger Brechung spiegeln sich u. a. Kriegs- und Nachkriegswirklichkeit auch im Surrealismus. Schon 1896 war mit A. Jarrys »König Ubu« ein Stück uraufgeführt worden, das die herkömml. dramat. Strukturen sprengte. Seine Techniken nahm G. Apollinaire auf, die Leitfigur der künstler. Avantgarde der 20er-Jahre (u. a. mit A. Breton, P. Éluard, L. Aragon). Neben den surrealistisch inspirierten Werken erschienen zw. den Weltkriegen z. T. sehr umfangreich angelegte, traditionell erzählte Romane oder Romanzyklen, u. a. von J. Romains, R. Martin du Gard, R. Rolland, Sidonie-Gabrielle Colette. Am folgenreichsten war M. Prousts Romanzyklus »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« (1913-27), dessen neuartige Struktur und Erzähltechniken dem Roman weltliterarisch neue Perspektiven eröffneten. Seit dem Ende des 19. Jh. hatten sich kath. Schriftsteller um eine humanist. Erneuerung der Literatur bemüht (P. Claudel); diesen Renouveau catholique führten im 20. Jh. G. Bernanos, J. Green, F. Mauriac in psycholog. Romanen fort. Betonter Individualismus kommt in den Romanen von A. Gide, A. Malraux und H. de Montherlant zum Ausdruck, die Prosa von E. Bove nimmt existenzialist. Lebensgefühl vorweg. Die Dramatik dieser Zeit vertraten u. a. J. Giraudoux und J. Anouilh mit konventionell gebauten Stücken sowie J. Cocteau, der eine Synthese vieler Stilformen versuchte.Der aufkommende Faschismus und der span. Bürgerkrieg spiegelten sich in der f. L. seit Mitte der 30er-Jahre. Z. Z. der dt. Besetzung schlossen sich viele Autoren der Résistance an (u. a. Éluard, Aragon, J.-P. Sartre, A. Camus). In der Literatur der Résistance waren v. a. publizist. Lyrik, Essay und Drama (Sartre, »Die Fliegen«, 1943) wichtig. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg beherrschte das Konzept der Existenzphilosophie die Literatur. Verwirklicht wurde es u. a. in den Romanen, Essays und Dramen von Sartre, Camus und Simone de Beauvoir, auch die Romane der Françoise Sagan sind davon beeinflusst. Bed. formale Neuerungen gingen in den 50er-Jahren von der f. L. aus: in der Dramatik u. a. durch E. Ionesco, S. Beckett (absurdes Theater) und J. Genet, in der Prosa durch den Nouveau Roman. Dessen Vertreter stellten in unterschiedl. Weise die überkommenen Elemente des Romans infrage (M. Butor, A. Robbe-Grillet, Nathalie Sarraute, C. Simon, z. T. Marguerite Duras u. a.); die Technik des Nouveau Roman nutzten J. Le Clézio und G. Perec für ihre zivilisationskrit. Anliegen. Das breite Spektrum der Lyrik wurde u. a. von H. Michaux, R. Char, F. Ponge, Y. Bonnefoy, M. Deguy, D. Roche und J. Roubaud geprägt. Im Allg. verstärkten sich nach den Ereignissen vom Mai 1968 wieder die gesellschaftskrit. Züge der f. L., v. a. auf dem Theater (A. Gatti, z. T. F. Arrabal), das sich in den 80er-Jahren durch Autoren wie M. Vinaver und B.-M. Koltès sowie dank der innovativen Inszenierungen von Regisseuren wie P. Chéreau, Ariane Mnouchkine (»Théâtre du Soleil«) und R. Planchon weiterentwickelte. Auch entstand eine spezif. Frauenliteratur (u. a. Monique Wittig, Christiane Rochefort, Chantal Chawaf, Marie Cardinal, Hélène Cixous). Sprachspiele und -experimente und die Problematisierung des Zusammenhangs zw. Sprache und Realität kennzeichnen u. a. die Werke von Ponge und R. Queneau. Parallel dazu wird die große erzähler. Tradition der f. L. fortgeführt, oft mit autobiograph. oder histor. Hintergrund, so bei Marguerite Yourcenar, M. Tournier, P. Modiano. - Die f. L. der Gegenwart begleitet eine bed. Literaturkritik. Sie setzt sich, angeregt u. a. von G. Bataille, M. Blanchot und G. Bachelard, mit der Reflexion über Sprache auseinander. In den 60er-Jahren beherrschte der Strukturalismus die literaturwiss. Analyse (»Nouvelle Critique«: R. Barthes, T. Todorov u. a.). Im Zeichen der Postmoderne durchdrangen theoret. Reflexion über das Schreiben und fiktionale Literatur einander (J. Derrida, P. Sollers, Julia Kristeva, H. Cixous). Die theoret. Reflexion über das Schreiben prägt auch die fiktionale Literatur der 80er-Jahre (F. Bon, J.-P. Toussaint, J. Échenoz u. a.), die mit stilist. Kunstfertigkeit Zeitphänomene wie etwa die multikulturelle Gesellschaft oder den beherrschenden Einfluss der Medien verarbeitet und mit der Wirklichkeit ebenso spielt wie mit überkommenen literar. Formen. Seit Beginn der 90er-Jahre sind in der Romanliteratur einige neue Tendenzen zu erkennen: Man wendet sich wieder dem Leser zu, erzählt überschaubare Geschichten, deren Botschaft eine »Moral« enthält: so bei Le Clézio, H. Guibert, D. Fernandez, Sylvie Germain und Marie N'Diaye; auch international sehr erfolgreich sind die melanchol. Komödien von Yasmina Reza.In den ehem. frz. Besitzungen entwickelte sich seit dem Ende der Kolonialherrschaft im Spannungsfeld zw. Zugehörigkeit zur frz. Kultur und Suche nach eigener Identität eine Literatur in frz. Sprache: in Algerien (Kateb Yacine, M. Dib, M. Mammeri, M. Feraoun, Assia Djebar, R. Boudjedra u. a.), in Tunesien (A. Memmi u. a.) und in Marokko (D. Chraibi, T. Ben Jelloun u. a.). Eine bed. frz.sprachige Literatur entstand in Schwarzafrika und in der Karibik unter dem Einfluss der Négritude. (schwarzafrikanische Literaturen, karibische Literatur)
⃟ Französische Literatur in Belgien: Die belg. Literatur frz. Sprache gehört - unabhängig von der Gründung des selbstständigen Staates Belgien (1830) - bis in die Gegenwart zum Bestand der f. L. Zwar waren und sind Schriftsteller aus Belgien in der Wahl ihrer Stoffe oft heim. Traditionen verpflichtet (C. de Coster), doch folgen sie den großen literar. Strömungen Frankreichs. Bekannte belg. Autoren des Symbolismus sind A. Mockel, É. Verhaeren, M. Maeterlinck und G. Rodenbach, den Naturalismus vertrat C. Lemonnier, zu den Surrealisten gehörte F. Hellens. Erfolgreiche Dramatiker waren (im Umkreis des Expressionismus) F. Crommelynck und M. de Ghelderode. In viele Sprachen übersetzt wurden die psychologisch fundierten Kriminalromane von G. Simenon. Die Vielseitigkeit der neueren belg. Literatur mit ihren Widersprüchen und ihrer Infragestellung der eigenen Identität zeigt sich im Roman u. a. bei A. Bosquet de Thoran, C. Detrez, P. Mertens, J.-P. Otte und F. Weyergans, in der Lyrik u. a. bei J. Crickillon, C. Hubin und J.-P. Verheggen, im Drama u. a. bei J. de Decker, P. Willems und J. Louvet.
▣ Literatur:
J. von Stackelberg, Das frz. Theater vom Barock bis zur Gegenwart, hg. v. 2 Bde. Düsseldorf 1968.
⃟ Kukenheim, L. u. Roussel, H.: Führer durch die f. L. des Mittelalters. A. d. Frz. Berlin 1969.
⃟ Schoell, K.: Das frz. Drama seit dem Zweiten Weltkrieg, 2 Bde. Göttingen 1970.
⃟ Die frz. Lyrik von Villon bis zur Gegenwart, hg. v. H. Hinterhäuser, 2 Bde. Düsseldorf 1975.
⃟ Der frz. Roman vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. K. Heitmann, 2 Bde. Düsseldorf 1975.
⃟ F. L. des 19. Jh., hg. v. W.-D. Lange, 3 Bde. Heidelberg 1979-80.
⃟ F. L. in Einzeldarstellungen, hg. v. P. Brockmeier u. a., 3 Bde. Stuttgart 1981-82.
⃟ Engler, W.: Geschichte des frz. Romans von den Anfängen bis Marcel Proust. Stuttgart 1982.
⃟ Grimm, J.: Das avantgardist. Theater Frankreichs 1895-1930. München 1982.
⃟ Pabst, W.: Frz. Lyrik des 20. Jh. Theorie u. Dichtung der Avantgarden. Berlin 1983.
⃟ Pollmann, L.: Gesch. der f. L. der Gegenwart (1880-1980). Darmstadt 1984.
⃟ Blüher, K. A.: Die frz. Novelle. Tübingen 1985.
⃟ Kirsch, F. P.: Epochen des frz. Romans. Darmstadt 1986.
⃟ Die frz. Lyrik, hg. v. D. Janik. Darmstadt 1987.
⃟ Lope, H.-J.: Frz. Literaturgeschichte. Heidelberg u. a. 31990.
⃟ Stackelberg, J. von: Kleine Geschichte der f. L. München 1990.
⃟ Literatur u. Theater im gegenwärtigen Frankreich, hg. v. K. Schoell. Tübingen 1991.
⃟ Engler, W.: F. L. im 20. Jh. Tübingen u. a. 1993.
⃟ Engler, W.: Lexikon der f. L. Stuttgart 31994.
⃟ Frz. Literaturgeschichte, hg. v. J. Grimm. Stuttgart u. a. 31994.
⃟ Französische Literatur in Belgien: Bibliographie des écrivains français de Belgique 1881-1960, bearb. v. J.-M. Culot, auf mehrere Bde. ber. Brüssel 1958 ff.
⃟ Burniaux, R. u. Frickx, R.: La littérature belge d'expression française. Paris 21980.
⃟ Lettres françaises de Belgique. Dictionnaire des œuvres, hg. v. R. Frickx u. R. Trousson, auf mehrere Bde. berechnet. Paris 1988 ff.