Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
französische Kunst.
französische Kunst.Die Geschichte der f. K. setzt um die Jahrtausendwende ein, als die Kunst des westfränk. Reiches im Ggs. zu den vorhergehenden, eher übernationalen Charakter aufweisenden künstler. Leistungen (merowingische Kunst, karolingische Kunst) mit spürbar eigenständigen Erscheinungsformen hervortrat. Die f. K. kam um 1100, zunächst bes. in der Architektur und der Plastik, zu ihrer vollen Entfaltung und bestimmte dann wesentlich die Entwicklung der Kunst in Europa mit.
⃟ Mittelalter Baukunst: Der roman. Kirchenbau entwickelte sich seit Beginn des 11. Jh. bei ausgeprägten regionalen Unterschieden stilbildend für die architekton. Prinzipien der Epoche: Doppelturmfassade, Staffelchor oder Chor mit Umgang und Kapellenkranz (z. B. Saint-Martin in Tours, 997-1015). Gewölbebauten, meist mit tonnengewölbtem Mittelschiff, traten in Süd- und Mittelfrankreich auf. Das Vorherrschen des Tonnengewölbes ging, wie viele dekorative Formen, auf spätantike Überlieferungen zurück, die in Aquitanien gebauten Kuppelkirchen (Saint-Front in Périgueux) auf byzantin. Vorbilder. Die in den roman. Kirchen der Normandie (Saint-Étienne in Caen) durchgebildete Gliederung der Innenwände in Emporen, Laufgänge vor den Obergaden und Dienste entsprach bereits got. Bauvorstellungen. In der Gotik übernahm die f. K. die führende Rolle innerhalb der europ. Kunst. Das Ursprungsland der Gotik war die Île-de-France, wo seit Mitte des 12. Jh. die Abteikirche in Saint-Denis, die Kathedralen in Sens, Senlis, Noyon, Laon und Paris richtungweisend wurden. Zur klass. Vollendung der Hochgotik reifte der Stil in der ersten Hälfte des 13. Jh. in den Kathedralen in Chartres, Soissons, Reims und Amiens. Bald setzte die Gotik sich auch in anderen Landschaften Frankreichs durch, meist in vereinfachten, regional abgewandelten Formen. Die Spätgotik lebte bis in das 16. Jh. fort (Flamboyantstil). Neben den sakralen traten die profanen Bauaufgaben seit dem 14. Jh. stärker hervor (Stadtbefestigungen, bes. von Carcassonne; Papstpalast in Avignon u. a.). Bildhauerkunst: Aus dem frühen MA. sind Goldschmiedearbeiten und Elfenbeinschnitzereien erhalten. Die frz. monumentale Bauplastik übernahm in der Romanik eine führende Rolle. Das Hauptwerk der nordfrz. Plastik der Zeit ist das um 1145 ausgeführte dreitorige Westportal der Kathedrale in Chartres. Aus der starren Gebundenheit der Gewände- und Tympanonfiguren lösten sich erstmals got. Skulpturen. Seit Beginn des 13. Jh. zeigte sich, obwohl idealisiert im Ausdruck, eine frische vollplast. Körpermodellierung bei zunehmend realistisch geprägten Proportionen und betont höf. Anmut: die Fassadenskulpturen von Notre-Dame in Paris, die Bildwerke der Querschiffportale der Kathedrale in Chartres und der Skulpturenschmuck der Kathedralen in Reims und Amiens. Die nach Lebenstreue strebende bildnishafte Grabplastik gewann im 14. Jh. an Bedeutung (Saint-Denis). Jenseits der internat. Gotik bildeten um 1400 die Skulpturen des in Burgund tätigen Niederländers C. Sluter einen Höhepunkt wirklichkeitsnaher und monumentaler Gestaltung. Kostbarste kleinplast. Werke schließlich schuf die zu neuer Blüte entwickelte Elfenbeinschnitzerei. Malerei: Nach der an spätantike Überlieferungen anknüpfenden Malerei der karoling. Zeit formte sich in der Romanik eine zunehmend eigenständige frz. Malerei. Die Wandmalerei zeichnete sich bes. im Poitou und in Burgund durch hervorragende Leistungen aus (Doppelkapelle in Berzé-la-Ville). Die Emailkunst erlangte v. a. im Limousin (Limoges) sowie im Gebiet von Maas und Mosel, wo Nikolaus von Verdun an der Wende zur Gotik entscheidenden Einfluss besaß, höchste Bedeutung. In der Gotik wies die Glasmalerei mit den Fenstern der Kathedralen in Chartres, Le Mans, Bourges und der Sainte-Chapelle in Paris Werke von ungewöhnl. künstler. Vollendung auf. Die got. Buchmalerei fand in Paris zu Zeiten der Hofkunst Ludwigs IX. ihren ersten Höhepunkt (Bible moralisée, Ludwigspsalter). Mit den Arbeiten von J. Pucelle in der ersten Hälfte des 14. Jh. (Brevier de Jeanne de Belleville) sowie von Jacquemart de Hesdin und der Brüder von Limburg um die Jahrhundertwende (Stundenbücher des Herzogs von Berry) entstanden weitere Meisterwerke. Das auf Seide in Grisaille gemalte Parament von Narbonne (Louvre), der von J. Bandol aus Brügge entworfene Bildteppich der Apokalypse (Angers, Museum) sowie andere in Arras (Arazzi) und Tournai gearbeitete Bildteppiche gehören ebenfalls zu den wichtigsten Zeugnissen der frz. got. Kunst. Als sich im 15. Jh. eine realist. Darstellungsweise ausbreitete, bestimmten S. Marmion, J. Fouquet und die Schule von Avignon mit N. Froment und E. Quarton die frz. Malerei.
⃟ Renaissance und Manierismus Baukunst: Die Architektur der seit der Wende zum 16. Jh. sich ausbreitenden Renaissance wandte sich bes. dem Schlossbau zu, urspr. unter starker Mitwirkung von italien. Künstlern (Leonardo da Vinci u. a.), bes. zu Zeiten Franz' I. (Loire-Schlösser Blois und Chambord sowie Fontainebleau u. a.). Mit P. Lescot (West- und Südflügel des Louvre) und mit P. Delorme (Tuilerien in Paris) fand um die Mitte des 16. Jh. die frz. Spielart der klass. Renaissance ihren reinsten Ausdruck. Im Kirchenbau wurden got. Formen mit Renaissanceelementen verbunden (Saint-Eustache in Paris).Bildhauerkunst: Wegbereiter zur Zeit der Renaissance wurden die Italiener F. Laurana, G. Mazzoni, A. und J. Juste (Grabmal Ludwigs XII. in Saint-Denis). Ein Zentrum italienisch-frühmanierist. Bildhauerei bildete Schloss Fontainebleau mit den richtungweisenden Stuckdekorationen F. Primaticcios. J. Goujon (»Fontaine des Innocents« in Paris) und G. Pilon (Grabmal Heinrichs II. in Saint-Denis) verarbeiteten den italien. Einfluss zu einem Stil frz. Prägung.Malerei: In der Renaissance verwarfen die durch Franz I. nach Fontainebleau berufenen italien. Maler (G. B. Rosso, F. Primaticcio) den nüchternen Realismus von F. Clouet und Corneille de Lyon; das manierist. Vokabular der Schule von Fontainebleau bestimmte dann jahrzehntelang den offiziellen Geschmack.
⃟ Barock, Rokoko und Klassizismus Baukunst: Das 17. Jh. brachte die Vollendung der klass. frz. Schlossbaukunst. Nachdem der von J. Lemercier, L. Le Vau und C. Perrault fortgeführte Bau des Louvre eingestellt worden war, beanspruchte zu Zeiten Ludwigs XIV. das unter der Leitung von L. Le Vau und J. Hardouin-Mansart entstehende Schloss von Versailles, Ausdruck höchster polit. Repräsentanz und Macht (Louis-quatorze-Stil), alle künstler. Kräfte. Repräsentative Wirkung erstrebten auch die Stadtpalais (Hôtels) und Schlösser des Adels (Maisons-Laffitte von F. Mansart, Vaux-le-Vicomte von L. Le Vau). Vom Geist einer erhabenen Tektonik erfüllt, nahm der Kirchenbau einen neuen Aufschwung (Kirche der Sorbonne, Invalidendom in Paris). Der dem Louis-quatorze-Stil folgende Régencestil lockerte die schweren Formen und leitete zum Louis-quinze-Stil, dem frz. Rokoko, über. Innenräume von heiter beschwingter Eleganz wurden eingerichtet (Ovaler Salon im Hôtel Soubise, Paris, von G. Boffrand); im Außenbau aber, auch dem der Kirchen, wurde eher ernste, strenge Haltung bewahrt. Der Klassizismus setzte nach der Mitte des 18. Jh. ein. Er reichte vom Louis-seize-Stil (Petit Trianon, Versailles; Panthéon, Paris) über den Sonderstil der Revolutionsarchitektur (C.-N. Ledoux, É.-L. Boullée) bis zum Empirestil unter Napoleon I. (C. Percier, P. F. L. Fontaine). Bildhauerkunst: Die Bildhauer des 17./18. Jh. bedienten sich sowohl der klassizist. als auch der barocken Formensprache. Zu den wichtigsten Aufgaben gehörten neben Porträtbüsten, Grabmonumenten und Denkmälern Figuren für die königl. Schlösser und Gärten (P. Puget, A. Coysevox, F. Girardon, die Brüder N. und G. Cousteau, E. Bouchardon). Der Klassizismus gelangte im Werk von J.-B. Pigalle und E.-M. Falconet zum Durchbruch, zu seiner reifen Form im Schaffen von J.-A. Houdon und P.-J. David d'Angers. Hervorragende Leistungen finden sich in Porträtbüsten.Malerei: Auf die frz. Malerei zu Beginn des 17. Jh. wirkte zunächst noch die Schule von Fontainebleau nach. Die frz. Grafik erreichte einen Höhepunkt mit dem Werk J. Callots. In der Malerei kamen verstärkt italien. Einflüsse zur Geltung (v. a. Caravaggio), die u. a. von dem lange Jahre in Italien tätigen S. Vouet nach Frankreich vermittelt wurden. Zu seinen Schülern gehörten E. Le Sueur und P. Mignard, ferner auch C. Le Brun (Apollogalerie im Louvre, Spiegelgalerie in Versailles), dessen Stil, wie ihn auch H. Rigaud und S. Vouet vertraten, die »Akademie« als verbindlich erklärte. Die Darstellungsmöglichkeiten reichten ferner in ihrer ganzen Breite von G. de La Tour über die Brüder Le Nain zu P. de Champaigne. Neben diesen Malern erschienen N. Poussin und Claude Lorrain mit klassisch-heroischen Landschaften sowie mytholog. und religiösen Motiven als hervorragende Meister ihrer Zeit. Im Rokoko entwickelte sich die frz. Malerei zu neuem Glanz. Vorbildlich für das 18. Jh. entwickelten bes. A. Watteau, J.-B. S. Chardin, F. Boucher und J. H. Fragonard im Spannungsfeld einer locker-anmutigen Formensprache und einer realistisch gestimmten Bildwelt die entscheidenden Stilelemente. J.-M. Vien wurde mit seinen Historienbildern richtungweisend für J.-L. David, der in seinen Werken den Klassizismus in ein polit. Programm umsetzte. Seine maßvolle, beherrschte Kunst charakterisierte das Bild der Revolutionszeit und des Ersten Kaiserreichs.
⃟ 19. und 20. Jahrhundert Baukunst: Restauration und Zweites Empire begünstigten den Historismus (städtebaul. Neugestaltung von Paris, Grand Opéra in Paris). Um die Mitte des 19. Jh. wurde Frankreich wegweisend in der Entwicklung von Eisen- und Stahlkonstruktionen (Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris, von H. Labrouste, 1843-50; Eiffelturm, Paris, 1889). Weitere architekton. Leistungen wurden um 1900 mit dem Beitrag zur Art nouveau (Jugendstil; H. Guimard) und mit der Einführung des Stahlbetonbaus (A. Perret) geschaffen. Nach T. Garnier und E. Freyssinet traten dann in der 1. Hälfte des 20. Jh. bes. R. Mallet-Stevens, A. Lurçat und, als der bedeutendste frz. Architekt seiner Zeit, der gebürtige Schweizer Le Corbusier hervor. Auf seinen Ideen aufbauend, hat die frz. moderne Architektur seit 1955 einen Stil ausgeprägt, an dem v. a. M. Lods, B.-L. Zehrfuss, J. Prouvé und D. Perrault beteiligt waren bzw. sind. Individuellere Gestaltungen u. a. bei E. Aillaud, F. Spoerry (* 1912, ✝ 1999), R. Simounet, R. Schweitzer und J. Nouvel. Viele bed. architekton. Leistungen der Gegenwart entstanden v. a. in Paris unter Mitwirkung international tätiger Architekten.Bildhauerkunst: Die Plastik tradierte im 19. Jh. das klassizistisch-realist. Formengut. Romant. Züge traten in den Werken von F. Rude, A.-L. Barye und J.-B. Carpeaux hervor. A. Rodin und A. Maillol führten bei gegensätzlicher Formensprache gemeinsam an der Schwelle zur Moderne die frz. Plastik auf einen neuen Höhepunkt. Anhaltend richtungweisend zeigten sich die plast. Ausdrucksmöglichkeiten im 20. Jh. v. a. in dem Werk von H. Matisse, R. Duchamp-Villon, H. Laurens und A. Beaudin sowie mit nach Paris gezogenen Künstlern wie P. Picasso, C. Brâncuşi, H. Arp, O. Zadkine, A. Giacometti. Bedeutend für die Entwicklung der kinet. Kunst wurde der »Groupe de Recherche d'Art Visuel«. Ferner sind G. Richier und H.-G. Adam sowie César, J. R. Ipoustéguy, A. und P. Poirier, J.-M. Bertholin zu erwähnen. Malerei: Deutlicher noch als die Bildhauerkunst stand die Malerei bis weit ins 19. Jh. hinein im Spannungsfeld zw. Klassizismus (J. A. Ingres), romant. Strömungen (E. Delacroix), Historienmalerei und Symbolismus (G. Moreau). Gesellschafts- und Sozialkritik trat v. a. in der Grafik zutage (G. Doré, H. Daumier). Landschaft wurde neu, realistisch, erfasst (G. Courbet; die Freilichtmaler der Schule von Barbizon). Die Freilichtmalerei, bes. das Werk C. Corots, bereitete den Impressionismus vor, für den Licht und Farbe eine besondere Bedeutung gewannen (C. Monet, A. Renoir, A. Sisley, C. Pissarro u. a.). Eine Verfestigung der Konturen trat wieder ein bei H. de Toulouse-Lautrec und der Schule von Pont-Aven (mit P. Gauguin). Grundlegende Erneuerungen der bildner. Mittel brachten zu Beginn des 20. Jh. der Fauvismus (Fauves) mit expressiv farbiger und bes. der Kubismus (der von P. Picasso in Anknüpfung an die Malerei P. Cézannes begründet wurde) mit formal zeichenhafter Gegenstandsdarstellung. Unter wachsender Beteiligung ausländ. Künstler wurde Paris zum Zentrum des Surrealismus. 1931 wurde dort die an den Konstruktivismus anschließende Gruppe »Abstraction Création« gegründet, die u. a. zur Op-Art überleitete. Die »Zweite Schule von Paris« (École de Paris) wurde um die Jahrhundertmitte zum Mittelpunkt der informellen Kunst, bes. des Tachismus, bis jüngst die »Schule von Nizza« mit dem v. a. Grenzbereiche der Malerei betretenden Nouveau Réalisme (Realismus) Beachtung fand. Vertreter der modernen Malerei in Frankreich waren u. a. neben G. Braque, F. Léger und H. Matisse, P. Picasso und J. Gris sowie A. Modigliani, M. Chagall, M. Ernst, J. Miró neben A. Masson, G. Rouault, R. Delaunay, M. Duchamp und J. Villon, ferner H. Hartung und Wols neben E. Lascaux, A. Beaudin, E. de Kermadec, J. Dubuffet, J. Bazaine, N. de Staël, Y. Klein, M. Raysse, S. Hadengue u. a. In den 70er-Jahren wirkte die »stille Avantgarde« der Spurensicherung und subjektiven Wiss. (C. Boltanski, A. und P. Poirier, Jean Le Gac), daneben eine theoretisierende Richtung der analyt. Malerei (L. Cane). In den 80er-Jahren überwiegt die Orientierung an der expressionist. Tradition der Fauves. Im Bereich der multimedialen Künsten arbeiten Paul-Armand Gette, Françoise Quardon und Catherine Beaugard. Daneben entstand Anfang der 1980er-Jahre eine »Straßenkunst«, die einige Parallelen zur amerikan. Graffiti-Art aufweist. Die »Pochoiristen« (Schablonenkünstler), die meist mit Pseudonymen signieren, eignen sich den öffentlichen Raum an; als Väter dieser Richtung gelten Ernest Pignon-Ernest und Gérard Zlotykamien.
▣ Literatur:
Oursel, R.: Reclams Kunstführer Frankreich, 5 Bde. Stuttgart 1-21975-87.
⃟ Romanisches Frankreich, 2 Bde. A. d. Frz. Würzburg 1991-93.
⃟ Millet, C.: L'art contemporain en France. Paris 31994.
⃟ Prinz, W. u. Kecks, R. G.: Das frz. Schloß der Renaissance. Form u. Bedeutung der Architektur, ihre geschichtl. u. gesellschaftl. Grundlagen. Berlin 21994.
⃟ Frz. Impressionismus 1860-1920, bearb. v. P. H. Feist. Köln 1995.
⃟ Die got. Architektur in Frankreich 1130-1270, bearb. v. D. Kimpel u. R. Suckale. Studienausg. München 1995.
⃟ Von Ingres bis Cézanne, bearb. v. M.-C. Boucher u. a., Ausst.-Kat. Musée de Petit Palais, Paris. Köln 1998.
⃟ Mittelalter Baukunst: Der roman. Kirchenbau entwickelte sich seit Beginn des 11. Jh. bei ausgeprägten regionalen Unterschieden stilbildend für die architekton. Prinzipien der Epoche: Doppelturmfassade, Staffelchor oder Chor mit Umgang und Kapellenkranz (z. B. Saint-Martin in Tours, 997-1015). Gewölbebauten, meist mit tonnengewölbtem Mittelschiff, traten in Süd- und Mittelfrankreich auf. Das Vorherrschen des Tonnengewölbes ging, wie viele dekorative Formen, auf spätantike Überlieferungen zurück, die in Aquitanien gebauten Kuppelkirchen (Saint-Front in Périgueux) auf byzantin. Vorbilder. Die in den roman. Kirchen der Normandie (Saint-Étienne in Caen) durchgebildete Gliederung der Innenwände in Emporen, Laufgänge vor den Obergaden und Dienste entsprach bereits got. Bauvorstellungen. In der Gotik übernahm die f. K. die führende Rolle innerhalb der europ. Kunst. Das Ursprungsland der Gotik war die Île-de-France, wo seit Mitte des 12. Jh. die Abteikirche in Saint-Denis, die Kathedralen in Sens, Senlis, Noyon, Laon und Paris richtungweisend wurden. Zur klass. Vollendung der Hochgotik reifte der Stil in der ersten Hälfte des 13. Jh. in den Kathedralen in Chartres, Soissons, Reims und Amiens. Bald setzte die Gotik sich auch in anderen Landschaften Frankreichs durch, meist in vereinfachten, regional abgewandelten Formen. Die Spätgotik lebte bis in das 16. Jh. fort (Flamboyantstil). Neben den sakralen traten die profanen Bauaufgaben seit dem 14. Jh. stärker hervor (Stadtbefestigungen, bes. von Carcassonne; Papstpalast in Avignon u. a.). Bildhauerkunst: Aus dem frühen MA. sind Goldschmiedearbeiten und Elfenbeinschnitzereien erhalten. Die frz. monumentale Bauplastik übernahm in der Romanik eine führende Rolle. Das Hauptwerk der nordfrz. Plastik der Zeit ist das um 1145 ausgeführte dreitorige Westportal der Kathedrale in Chartres. Aus der starren Gebundenheit der Gewände- und Tympanonfiguren lösten sich erstmals got. Skulpturen. Seit Beginn des 13. Jh. zeigte sich, obwohl idealisiert im Ausdruck, eine frische vollplast. Körpermodellierung bei zunehmend realistisch geprägten Proportionen und betont höf. Anmut: die Fassadenskulpturen von Notre-Dame in Paris, die Bildwerke der Querschiffportale der Kathedrale in Chartres und der Skulpturenschmuck der Kathedralen in Reims und Amiens. Die nach Lebenstreue strebende bildnishafte Grabplastik gewann im 14. Jh. an Bedeutung (Saint-Denis). Jenseits der internat. Gotik bildeten um 1400 die Skulpturen des in Burgund tätigen Niederländers C. Sluter einen Höhepunkt wirklichkeitsnaher und monumentaler Gestaltung. Kostbarste kleinplast. Werke schließlich schuf die zu neuer Blüte entwickelte Elfenbeinschnitzerei. Malerei: Nach der an spätantike Überlieferungen anknüpfenden Malerei der karoling. Zeit formte sich in der Romanik eine zunehmend eigenständige frz. Malerei. Die Wandmalerei zeichnete sich bes. im Poitou und in Burgund durch hervorragende Leistungen aus (Doppelkapelle in Berzé-la-Ville). Die Emailkunst erlangte v. a. im Limousin (Limoges) sowie im Gebiet von Maas und Mosel, wo Nikolaus von Verdun an der Wende zur Gotik entscheidenden Einfluss besaß, höchste Bedeutung. In der Gotik wies die Glasmalerei mit den Fenstern der Kathedralen in Chartres, Le Mans, Bourges und der Sainte-Chapelle in Paris Werke von ungewöhnl. künstler. Vollendung auf. Die got. Buchmalerei fand in Paris zu Zeiten der Hofkunst Ludwigs IX. ihren ersten Höhepunkt (Bible moralisée, Ludwigspsalter). Mit den Arbeiten von J. Pucelle in der ersten Hälfte des 14. Jh. (Brevier de Jeanne de Belleville) sowie von Jacquemart de Hesdin und der Brüder von Limburg um die Jahrhundertwende (Stundenbücher des Herzogs von Berry) entstanden weitere Meisterwerke. Das auf Seide in Grisaille gemalte Parament von Narbonne (Louvre), der von J. Bandol aus Brügge entworfene Bildteppich der Apokalypse (Angers, Museum) sowie andere in Arras (Arazzi) und Tournai gearbeitete Bildteppiche gehören ebenfalls zu den wichtigsten Zeugnissen der frz. got. Kunst. Als sich im 15. Jh. eine realist. Darstellungsweise ausbreitete, bestimmten S. Marmion, J. Fouquet und die Schule von Avignon mit N. Froment und E. Quarton die frz. Malerei.
⃟ Renaissance und Manierismus Baukunst: Die Architektur der seit der Wende zum 16. Jh. sich ausbreitenden Renaissance wandte sich bes. dem Schlossbau zu, urspr. unter starker Mitwirkung von italien. Künstlern (Leonardo da Vinci u. a.), bes. zu Zeiten Franz' I. (Loire-Schlösser Blois und Chambord sowie Fontainebleau u. a.). Mit P. Lescot (West- und Südflügel des Louvre) und mit P. Delorme (Tuilerien in Paris) fand um die Mitte des 16. Jh. die frz. Spielart der klass. Renaissance ihren reinsten Ausdruck. Im Kirchenbau wurden got. Formen mit Renaissanceelementen verbunden (Saint-Eustache in Paris).Bildhauerkunst: Wegbereiter zur Zeit der Renaissance wurden die Italiener F. Laurana, G. Mazzoni, A. und J. Juste (Grabmal Ludwigs XII. in Saint-Denis). Ein Zentrum italienisch-frühmanierist. Bildhauerei bildete Schloss Fontainebleau mit den richtungweisenden Stuckdekorationen F. Primaticcios. J. Goujon (»Fontaine des Innocents« in Paris) und G. Pilon (Grabmal Heinrichs II. in Saint-Denis) verarbeiteten den italien. Einfluss zu einem Stil frz. Prägung.Malerei: In der Renaissance verwarfen die durch Franz I. nach Fontainebleau berufenen italien. Maler (G. B. Rosso, F. Primaticcio) den nüchternen Realismus von F. Clouet und Corneille de Lyon; das manierist. Vokabular der Schule von Fontainebleau bestimmte dann jahrzehntelang den offiziellen Geschmack.
⃟ Barock, Rokoko und Klassizismus Baukunst: Das 17. Jh. brachte die Vollendung der klass. frz. Schlossbaukunst. Nachdem der von J. Lemercier, L. Le Vau und C. Perrault fortgeführte Bau des Louvre eingestellt worden war, beanspruchte zu Zeiten Ludwigs XIV. das unter der Leitung von L. Le Vau und J. Hardouin-Mansart entstehende Schloss von Versailles, Ausdruck höchster polit. Repräsentanz und Macht (Louis-quatorze-Stil), alle künstler. Kräfte. Repräsentative Wirkung erstrebten auch die Stadtpalais (Hôtels) und Schlösser des Adels (Maisons-Laffitte von F. Mansart, Vaux-le-Vicomte von L. Le Vau). Vom Geist einer erhabenen Tektonik erfüllt, nahm der Kirchenbau einen neuen Aufschwung (Kirche der Sorbonne, Invalidendom in Paris). Der dem Louis-quatorze-Stil folgende Régencestil lockerte die schweren Formen und leitete zum Louis-quinze-Stil, dem frz. Rokoko, über. Innenräume von heiter beschwingter Eleganz wurden eingerichtet (Ovaler Salon im Hôtel Soubise, Paris, von G. Boffrand); im Außenbau aber, auch dem der Kirchen, wurde eher ernste, strenge Haltung bewahrt. Der Klassizismus setzte nach der Mitte des 18. Jh. ein. Er reichte vom Louis-seize-Stil (Petit Trianon, Versailles; Panthéon, Paris) über den Sonderstil der Revolutionsarchitektur (C.-N. Ledoux, É.-L. Boullée) bis zum Empirestil unter Napoleon I. (C. Percier, P. F. L. Fontaine). Bildhauerkunst: Die Bildhauer des 17./18. Jh. bedienten sich sowohl der klassizist. als auch der barocken Formensprache. Zu den wichtigsten Aufgaben gehörten neben Porträtbüsten, Grabmonumenten und Denkmälern Figuren für die königl. Schlösser und Gärten (P. Puget, A. Coysevox, F. Girardon, die Brüder N. und G. Cousteau, E. Bouchardon). Der Klassizismus gelangte im Werk von J.-B. Pigalle und E.-M. Falconet zum Durchbruch, zu seiner reifen Form im Schaffen von J.-A. Houdon und P.-J. David d'Angers. Hervorragende Leistungen finden sich in Porträtbüsten.Malerei: Auf die frz. Malerei zu Beginn des 17. Jh. wirkte zunächst noch die Schule von Fontainebleau nach. Die frz. Grafik erreichte einen Höhepunkt mit dem Werk J. Callots. In der Malerei kamen verstärkt italien. Einflüsse zur Geltung (v. a. Caravaggio), die u. a. von dem lange Jahre in Italien tätigen S. Vouet nach Frankreich vermittelt wurden. Zu seinen Schülern gehörten E. Le Sueur und P. Mignard, ferner auch C. Le Brun (Apollogalerie im Louvre, Spiegelgalerie in Versailles), dessen Stil, wie ihn auch H. Rigaud und S. Vouet vertraten, die »Akademie« als verbindlich erklärte. Die Darstellungsmöglichkeiten reichten ferner in ihrer ganzen Breite von G. de La Tour über die Brüder Le Nain zu P. de Champaigne. Neben diesen Malern erschienen N. Poussin und Claude Lorrain mit klassisch-heroischen Landschaften sowie mytholog. und religiösen Motiven als hervorragende Meister ihrer Zeit. Im Rokoko entwickelte sich die frz. Malerei zu neuem Glanz. Vorbildlich für das 18. Jh. entwickelten bes. A. Watteau, J.-B. S. Chardin, F. Boucher und J. H. Fragonard im Spannungsfeld einer locker-anmutigen Formensprache und einer realistisch gestimmten Bildwelt die entscheidenden Stilelemente. J.-M. Vien wurde mit seinen Historienbildern richtungweisend für J.-L. David, der in seinen Werken den Klassizismus in ein polit. Programm umsetzte. Seine maßvolle, beherrschte Kunst charakterisierte das Bild der Revolutionszeit und des Ersten Kaiserreichs.
⃟ 19. und 20. Jahrhundert Baukunst: Restauration und Zweites Empire begünstigten den Historismus (städtebaul. Neugestaltung von Paris, Grand Opéra in Paris). Um die Mitte des 19. Jh. wurde Frankreich wegweisend in der Entwicklung von Eisen- und Stahlkonstruktionen (Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris, von H. Labrouste, 1843-50; Eiffelturm, Paris, 1889). Weitere architekton. Leistungen wurden um 1900 mit dem Beitrag zur Art nouveau (Jugendstil; H. Guimard) und mit der Einführung des Stahlbetonbaus (A. Perret) geschaffen. Nach T. Garnier und E. Freyssinet traten dann in der 1. Hälfte des 20. Jh. bes. R. Mallet-Stevens, A. Lurçat und, als der bedeutendste frz. Architekt seiner Zeit, der gebürtige Schweizer Le Corbusier hervor. Auf seinen Ideen aufbauend, hat die frz. moderne Architektur seit 1955 einen Stil ausgeprägt, an dem v. a. M. Lods, B.-L. Zehrfuss, J. Prouvé und D. Perrault beteiligt waren bzw. sind. Individuellere Gestaltungen u. a. bei E. Aillaud, F. Spoerry (* 1912, ✝ 1999), R. Simounet, R. Schweitzer und J. Nouvel. Viele bed. architekton. Leistungen der Gegenwart entstanden v. a. in Paris unter Mitwirkung international tätiger Architekten.Bildhauerkunst: Die Plastik tradierte im 19. Jh. das klassizistisch-realist. Formengut. Romant. Züge traten in den Werken von F. Rude, A.-L. Barye und J.-B. Carpeaux hervor. A. Rodin und A. Maillol führten bei gegensätzlicher Formensprache gemeinsam an der Schwelle zur Moderne die frz. Plastik auf einen neuen Höhepunkt. Anhaltend richtungweisend zeigten sich die plast. Ausdrucksmöglichkeiten im 20. Jh. v. a. in dem Werk von H. Matisse, R. Duchamp-Villon, H. Laurens und A. Beaudin sowie mit nach Paris gezogenen Künstlern wie P. Picasso, C. Brâncuşi, H. Arp, O. Zadkine, A. Giacometti. Bedeutend für die Entwicklung der kinet. Kunst wurde der »Groupe de Recherche d'Art Visuel«. Ferner sind G. Richier und H.-G. Adam sowie César, J. R. Ipoustéguy, A. und P. Poirier, J.-M. Bertholin zu erwähnen. Malerei: Deutlicher noch als die Bildhauerkunst stand die Malerei bis weit ins 19. Jh. hinein im Spannungsfeld zw. Klassizismus (J. A. Ingres), romant. Strömungen (E. Delacroix), Historienmalerei und Symbolismus (G. Moreau). Gesellschafts- und Sozialkritik trat v. a. in der Grafik zutage (G. Doré, H. Daumier). Landschaft wurde neu, realistisch, erfasst (G. Courbet; die Freilichtmaler der Schule von Barbizon). Die Freilichtmalerei, bes. das Werk C. Corots, bereitete den Impressionismus vor, für den Licht und Farbe eine besondere Bedeutung gewannen (C. Monet, A. Renoir, A. Sisley, C. Pissarro u. a.). Eine Verfestigung der Konturen trat wieder ein bei H. de Toulouse-Lautrec und der Schule von Pont-Aven (mit P. Gauguin). Grundlegende Erneuerungen der bildner. Mittel brachten zu Beginn des 20. Jh. der Fauvismus (Fauves) mit expressiv farbiger und bes. der Kubismus (der von P. Picasso in Anknüpfung an die Malerei P. Cézannes begründet wurde) mit formal zeichenhafter Gegenstandsdarstellung. Unter wachsender Beteiligung ausländ. Künstler wurde Paris zum Zentrum des Surrealismus. 1931 wurde dort die an den Konstruktivismus anschließende Gruppe »Abstraction Création« gegründet, die u. a. zur Op-Art überleitete. Die »Zweite Schule von Paris« (École de Paris) wurde um die Jahrhundertmitte zum Mittelpunkt der informellen Kunst, bes. des Tachismus, bis jüngst die »Schule von Nizza« mit dem v. a. Grenzbereiche der Malerei betretenden Nouveau Réalisme (Realismus) Beachtung fand. Vertreter der modernen Malerei in Frankreich waren u. a. neben G. Braque, F. Léger und H. Matisse, P. Picasso und J. Gris sowie A. Modigliani, M. Chagall, M. Ernst, J. Miró neben A. Masson, G. Rouault, R. Delaunay, M. Duchamp und J. Villon, ferner H. Hartung und Wols neben E. Lascaux, A. Beaudin, E. de Kermadec, J. Dubuffet, J. Bazaine, N. de Staël, Y. Klein, M. Raysse, S. Hadengue u. a. In den 70er-Jahren wirkte die »stille Avantgarde« der Spurensicherung und subjektiven Wiss. (C. Boltanski, A. und P. Poirier, Jean Le Gac), daneben eine theoretisierende Richtung der analyt. Malerei (L. Cane). In den 80er-Jahren überwiegt die Orientierung an der expressionist. Tradition der Fauves. Im Bereich der multimedialen Künsten arbeiten Paul-Armand Gette, Françoise Quardon und Catherine Beaugard. Daneben entstand Anfang der 1980er-Jahre eine »Straßenkunst«, die einige Parallelen zur amerikan. Graffiti-Art aufweist. Die »Pochoiristen« (Schablonenkünstler), die meist mit Pseudonymen signieren, eignen sich den öffentlichen Raum an; als Väter dieser Richtung gelten Ernest Pignon-Ernest und Gérard Zlotykamien.
▣ Literatur:
Oursel, R.: Reclams Kunstführer Frankreich, 5 Bde. Stuttgart 1-21975-87.
⃟ Romanisches Frankreich, 2 Bde. A. d. Frz. Würzburg 1991-93.
⃟ Millet, C.: L'art contemporain en France. Paris 31994.
⃟ Prinz, W. u. Kecks, R. G.: Das frz. Schloß der Renaissance. Form u. Bedeutung der Architektur, ihre geschichtl. u. gesellschaftl. Grundlagen. Berlin 21994.
⃟ Frz. Impressionismus 1860-1920, bearb. v. P. H. Feist. Köln 1995.
⃟ Die got. Architektur in Frankreich 1130-1270, bearb. v. D. Kimpel u. R. Suckale. Studienausg. München 1995.
⃟ Von Ingres bis Cézanne, bearb. v. M.-C. Boucher u. a., Ausst.-Kat. Musée de Petit Palais, Paris. Köln 1998.