Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Frieden
Frieden[ahd. fridu »Schutz«, »Sicherheit«, »Freundschaft«], Zustand eines verträgl. und gesicherten Zusammenlebens von Menschen auf versch. Ebenen. Da F. ohne ein Minimum an Ordnung und Einvernehmen nicht lange bestehen kann, ist der Begriff des F. eng mit dem des Rechts verknüpft, der seinerseits Freiheit voraussetzt. Strittig ist, ob F. nur das äußere, vor willkürl. Gewalteinwirkung geschützte Verhältnis bezeichnet oder auch eine über die Friedfertigkeit hinausgehende innere Anteilnahme meint. F. ist in keiner historisch bezeugten Gesellschaft von Natur aus gegeben. Stets ist er ein geschaffener Zustand, der mehr oder weniger ausdrückl. Sicherungen durch Macht und Vereinbarung bedarf. Bereits in den ältesten polit. Zeugnissen der Kulturen spiegeln sich die Gefährdungen und Kämpfe, die mit der Durchsetzung eigener Lebensvorstellungen verbunden sind. Entsprechend groß ist die Betonung krieger. Selbstbehauptung nach außen. Im Innenverhältnis aber wird von den herrschenden göttl. und menschl. Mächten die Sicherung der Ordnung, also F., erwartet. In diesem Sinne sind auch die großen Religionen, v. a. dort, wo sie sich mit der polit. Herrschaft verbunden haben, kriegsbereit nach außen, aber friedfertig nach innen. Der F. im A. T. (schalom) meint das heilsame Intaktsein einer Gemeinschaft, das als Gabe der Gerechtigkeit ihres gnädigen Schöpfers erfahren wird. F. ist göttl. Geschenk, kaum menschl. Aufgabe. Das N. T. verstärkt diese Auffassung, da seine gesamte Heilsbotschaft als Verkündigung des F. verstanden wird. In Jesus Christus ist der F. der ganzen Welt beschlossen, wer ihm folgt, wird zum F.-Stifter. Augustinus hat im 19. Buch von »De civitate Dei« streng unterschieden zw. dem innerweltl. Bereich, in dem der F. mit Macht und Herrschaft und notfalls auch durch »gerechten Krieg« (bellum iustum) gesichert wird, und dem Bereich eschatolog. F.-Erwartung, der den Möglichkeiten ird. Politik entzogen ist. Trotz dieser Trennung von Welt-F. und Gottes-F. war im MA. das Streben unübersehbar, christl. Ordnungsvorstellungen der Welt des Politischen aufzuprägen. »Pax et Justitia« (F. und Recht) lautete über Jh. die Zielbestimmung der öffentl. Ordnung: Das Recht diente dem F. und war selbst Ausdruck des Friedens. In der Epoche des Gottes- und Land-F. entwickelten sich die Herrschaftsinstanzen zu Trägern der Rechts- und F.-Idee. Im Ewigen Landfrieden von 1495 erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt.Globale Bedeutung gewannen die Prinzipien einer rechtlich verfassten F.-Ordnung im Zeitalter von Renaissance und Humanismus. Erasmus von Rotterdam verwarf den Krieg als naturwidrig und forderte zwischenstaatl. Garantieerklärungen und Schiedsgerichte. Die Zweifel an der Unvermeidbarkeit von Kriegen wuchsen bes. seit der Zeit der Aufklärung. I. Kant umriss in seinem Entwurf »Zum ewigen F.« (1795) die Bedingungen einer globalen Rechtsordnung als F.-Ordnung und postulierte eine unbedingte sittl. F.-Pflicht, die eine Rechtfertigung des Krieges als »Ultima Ratio« ausschloss. In der Folge ging jedoch aus der Euphorie der Befreiungskriege und dem Nationalismus der europ. Völker eine neue Kriegsbereitschaft hervor.
Im 20. Jh., insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, wuchs die Einsicht, dass sich Kriege in der Konsequenz gegen die Menschheit als Ganzes richten. Daraufhin engagierten sich die Friedensbewegung und die Friedensforschung in verstärktem Maße. Auch nach Auflösung des östl. Militärbündnisses drohen weiterhin um wirtsch. und polit. Interessen geführte Kriege sowie Nationalitäten- und Glaubenskonflikte.Das Völkerrecht definiert F. als Zustand nichtkrieger. Beziehungen zw. Staaten (»äußerer F.«). Im internat. Leben ist F. der Normalzustand, der seinen Ausdruck in gegenseitigen diplomat. Beziehungen, im Abschluss und der Durchführung von Staatsverträgen, in Handels-, Kultur- und Rechtsbeziehungen und im gegenseitigen Schutz der Staatsangehörigen findet. Der F. wird durch Krieg unterbrochen und klassischerweise durch einen F.-Vertrag wiederhergestellt, i. d. R. bereits durch ausdrückl. Erklärungen oder die Aufnahme diplomat. Beziehungen oder des Handelsverkehrs (»F.-Zustand de facto«). Der Gedanke eines »dauernden F.« ist die treibende Kraft in der Friedenssicherung. Nach der UN-Satzung ist jede Verletzung des F. untersagt. Bereits die Gefahr einer krieger. Auseinandersetzung oder sonstiger Gewalthandlungen löst als F.-Bedrohung die in der Charta vorgesehenen Maßnahmen aus (Abwehr einer Gewaltmaßnahme nur in begrenztem Umfang, Sanktionen).
Literatur:
T. Hoppe. Auf dem Weg zu einer europ. Friedensordnung. Perspektiven u. Probleme nach dem Ende des Kalten Krieges, hg. v. Mainz 1994.
Weizsäcker, C. F. von: Der bedrohte Friede - heute. Neuausg. München u. a. 1994.
Friedl. Konfliktbearbeitung in der Staaten- u. Gesellschaftswelt, hg. v. N. Ropers u. T. Debiel. Bonn 1995.
Vom Krieg zum F., hg. v. V. Matthies. Bremen 1995.
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