Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Freiheit
Freiheit,1) allg.: Unabhängigkeit von äußerem, innerem oder durch Menschen oder Institutionen (Staat, Gesellschaft, Kirche usw.) bedingtem Zwang.
2) Philosophie: die Entscheidungs- oder Willensfreiheit. Definition und prakt. Auswirkungen der Idee der F. sind seit der Antike sehr unterschiedlich, je nachdem, ob der Gedanke der Befreiung des Individuums aus institutionellen Bindungen und Bevormundungen (»F. wovon«) oder der Aufruf zur selbstverantwortl. Stellungnahme (»F. wozu«) überwiegt. Das philosoph. Denken stellt sowohl die Frage nach der Möglichkeit von F. als auch nach dem Inhalt des F.-Begriffs. Die Ethik steckt die Grenzen der F. gegenüber der Willkür ab; insbesondere für den dt. Idealismus und die Aufklärung ist F. die Grundlage der Humanität. - Platon war Anhänger der Willensfreiheit; der Mensch wähle sich sein Lebensmuster selbst, das dann für sein Handeln Notwendigkeit besitze. Nach Aristoteles heißt frei handeln, vernunftgeleitet zu handeln. Im stoischen Denken bewahrt der Mensch gegenüber dem unabwendbaren Schicksal seine innere F., indem er Herr über seine Vorstellungen ist, seine äußere F., indem er sein Schicksal bejaht (Seneca). Gegenüber der Kausalität und dem Zwang des Fatums ist für Epikur ein Handeln aus F. ursachenloses, eigenschöpferisches Tun.
Im MA. wird der Widerspruch zwischen Gesetz und Vorsehung Gottes und der menschl. Freiheit dadurch gelöst, dass das ewige Gesetz dem Menschen gegenüber den Charakter eines Gebotes annimmt, das bei unbedingter Geltung doch keine phys. Nötigung mit sich führt. - Von dem verbindl. mittelalterl. Weltbild hebt sich die freie, unabhängige Persönlichkeit der Renaissance ab. Die Aufklärung fasste F. als Naturrecht auf, das es gegen vernunftwidrige Herrschaft zu verwirklichen gilt. Für Kant ist die F. ein Faktum der prakt. Vernunft: Sie bestehe darin, dass der reine Wille unabhängig von den sinnl. Trieben einzig von der Vernunft bestimmt werde. Dieser Wille folge dem Sittengesetz, das er als empir. Wille als kategor. Imperativ, als Forderung sittl. Handelns, erfahre. Da der Mensch der körperl. und der geistigen Welt angehöre, unterliege er sowohl dem Gesetz der F. als dem der Naturnotwendigkeit. Für Fichte ist die Willens-F. absolut: die spontane Tathandlung des Ich schaffe die gesamte Wirklichkeit. Hegel zufolge ist F. ein Attribut des absoluten Geistes, weshalb er die Weltgeschichte als »Fortschritt im Bewusstsein der F.« interpretiert. Die F. als Bedingung der Sittlichkeit betont v. a. N. Hartmann. Sie müsse gegenüber dem Natur- wie dem Sittengesetz als Selbstbestimmung der Person bestehen. Die Existenzphilosophie sieht den Menschen als zur F. verurteilt und damit als in »absolute Verantwortlichkeit« für die Welt und sich selbst gestellt an (Sartre). Die analyt. Philosophie äußerte dagegen vielfach den Verdacht, F. gehöre zu den Illusionen des Menschen. Für den Marxismus ist F. durch soziale Emanzipation, durch bewusste, selbstbestimmte Kontrolle über die materiellen Existenzbedingungen zu erlangen; sie bedarf dabei der Einsicht in die gesellschaftl. Gesetzmäßigkeiten. - In den gegenwärtigen westl. Ind.gesellschaften sind die existenznotwendigen Bedürfnisse als Voraussetzung realer F. für die überwiegende Mehrheit der Bev. im Wesentlichen befriedigt.
Literatur:
Hegge, H.: F., Individualität u. Gesellschaft. Eine philosoph. Studie zur menschl. Existenz. A. d. Norweg. Stuttgart 1992.
F., Verantwortung u. Folgen in der Wissenschaft, hg. v. H. J. Sandkühler. Frankfurt am Main u. a. 1994.
Steinvorth, U.: Freiheitstheorien in der Philosophie der Neuzeit. Darmstadt 21994.
Berlin, I.: F. Vier Versuche. A. d. Engl. Frankfurt am Main 1995.
F.: Die unbequeme Idee. Argumente zur Trennung von Staat u. Gesellschaft, hg. v. D. Doering u. a. Stuttgart 1995.
Wolf, J.-C.: F. - Analyse u. Bewertung. Wien 1995.
3) Politik: F. bedeutet hier die äußere Unabhängigkeit und die unter das Völkerrecht gestellte Souveränität eines Staates wie das Recht eines Volkes, über seine staatl. Ordnung selbst zu entscheiden (Selbstbestimmungsrecht), auch das Recht der Staatsbürger, an der Ausübung der Staatsgewalt teilzuhaben (Demokratie) sowie die Sicherung bestimmter Rechte des Einzelnen (Grundrechte). - Die bürgerlich-liberale Bewegung hat in lang dauernden Verfassungskämpfen die Sicherung der individuellen Freiheiten im Staat, Gewaltenteilung, Grundrechte und unabhängige Gerichtsbarkeit als institutionelle Garantie der F. erreicht.
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