Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Frankreich
Frạnkreich Fläche: 543 965 km2
Einwohner: (1997) 58,616 Mio.
Hauptstadt: Paris
Verwaltungsgliederung: 96 Dép. in 22 Regionen
Amtssprache: Französisch
Nationalfeiertag: 14. 7.
Währung: 1 Französischer Franc (FF) = 100 Centimes (c)
Zeitzone: MEZ
(frz. La France, amtlich République Française; dt. Französische Rep.), Staat in Europa, grenzt im W an den Atlantik, im NW an den Ärmelkanal, im NO an Belgien und Luxemburg, im O an Dtl., die Schweiz und Italien, im S an das Mittelmeer und Spanien. Zu F. gehört die Insel Korsika. Zum Hoheitsgebiet gehören außerdem die überseeischen Dép. Guadeloupe, Französisch-Guayana, Martinique und Réunion, die Überseegebiete mit beschränkter Selbstverwaltung Wallis-et-Futuna, Französisch-Polynesien und Neukaledonien sowie die Collectivités Territoriales Saint-Pierre-et-Miquelon und Mayotte. Einen Sonderstatus haben die Terres Australes et Antarctiques Françaises (Adélieland, Crozetinseln, Kerguelen, Saint-Paul, Neu-Amsterdam) sowie die als Îles Australes zusammengefassten, größtenteils unbewohnten Inseln Bassas da India, Europe, Juan da Nova, Tromelin und die Îles Glorieuses, die von Réunion aus verwaltet (und von Madagaskar beansprucht) werden.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 4. 10. 1958 (mehrfach, v. a. durch das Referendum vom 7. 11. 1962, geändert) ist F. eine Rep., die durch einen Dualismus von parlamentar. und präsidialem Prinzip geprägt ist. Staatsoberhaupt ist der mit weitgehenden Vollmachten ausgestattete Präs. der Rep. (für sieben Jahre direkt gewählt). Er benennt und entlässt den Premiermin. und auf dessen Vorschlag die übrigen Kabinettsmitgl., führt den Vorsitz im Min.rat, kann Gesetzesvorlagen oder die Ratifizierung von Verträgen einer Volksabstimmung unterziehen und die Nationalversammlung auflösen. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt mit Zustimmung der Reg. die höchsten Beamten. Die Exekutive liegt bei der Reg. mit dem Premiermin. an der Spitze. Sie ist dem Parlament verantwortlich und kann durch Misstrauensvotum zum Rücktritt gezwungen werden. Regierungsmitgl. dürfen dem Parlament nicht angehören. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, der Nationalversammlung und dem Senat. Die 577 Mitgl. der Nationalversammlung werden für fünf Jahre im modifiziertem Mehrheitswahlsystem gewählt. Der Senat vertritt die Interessen der Gebietskörperschaften, seine 321 Mitgl. werden in den Dép. indirekt durch Wahlmänner für neun Jahre gewählt, wobei alle drei Jahre jeweils ein Drittel neu gewählt wird. Dem Verf.rat (Conseil Constitutionnel) gehören neun Mitgl. (je drei durch den Staatspräs. sowie die Präs. von Senat und Nationalversammlung bestimmt), ferner die ehemaligen Präs. der Rep. auf Lebenszeit an; Grundgesetze müssen, sonstige Gesetze können ihm zur Prüfung auf ihre Verfassungsmäßigkeit vorgelegt werden. Zwei weitere wichtige Staatsorgane sind der Staatsrat (Conseil d'État) als Beratungsgremium für die Reg. und zugleich oberstes Verwaltungsgericht sowie der Wirtschafts- und Sozialrat.
Einflussreichste Parteien sind die gaullist. Sammlungsbewegung für die Rep. (RPR), die Union für die Demokratie (UDF), die Sozialist. Partei (PS), die Kommunist. Partei (PCF). Zunehmend an Bedeutung gewinnen versch. Umweltschutzparteien, aber auch die rechtsextreme Nat. Front (FN). - Der Verw.aufbau in F. ist auch nach dem Dezentralisierungsges. von 1982 zentralistisch geprägt. Die Spitze der Verw. bilden die Minister. Das frz. Mutterland ist in 22 Verw.regionen (gewählte autonome Gebietskörperschaften) und 96 Dép. (diese wiederum bestehen aus 324 Arrondissements, 3 530 Kantonen und rd. 36 000 Gemeinden) gegliedert. Als Vertreter der Zentralgewalt und Koordinator der verschiedenen nachgeordneten Behörden fungiert in den Dép. ein Präfekt.
Landesnatur: F. reicht vom Atlantik im NW und W bis zum Mittelmeer im S, im SW bis auf den Kamm der Pyrenäen (Pic de Vignemale 3 298 m ü. M.), im SO auf den der Westalpen (Montblanc 4 807 m ü. M.), im O bis in die Oberrhein. Tiefebene (Elsass), im NO bis zum Rhein. Schiefergebirge (Ardennen), im N bis zur Straße von Dover. Kernraum ist das Pariser Becken, ein Schichtstufenland, das sich zw. den alten Massiven der Ardennen und Vogesen im O, dem Zentralmassiv mit seinen Vulkankuppen im S und dem armorikan. Massiv im W erstreckt. Über die niedrige Schwelle von Poitou steht das Pariser Becken mit dem Aquitan. Becken (mit dem Sand- und Dünengebiet der Landes an der Küste des Golfs von Biscaya) in Verbindung. Der Mittelmeerküstensaum ist relativ schmal; von N her wird er über die Rhône-Saône-Furche, eine Senke zw. Zentralmassiv und Westalpen, erreicht. Diese Grabenzone, die durch die Burgund. Pforte mit dem Oberrheingraben verbunden ist, ist der südl. Teil der wichtigsten tekton. Leitlinie Europas (Mittelmeer-Mjösen-Zone) und bildet eine ausgezeichnete meridionale Verkehrsachse. Im O hat F. noch Anteil am Jura. Von den großen Strömen F.s münden die Seine in den Ärmelkanal, Loire und Garonne in den Atlant. Ozean, die Rhône ins Mittelmeer.
Die Reliefgestaltung macht das Land auf der W-Seite sehr offen, sodass sich der atlant. Klimatypus mit seinen Großwetterlagen weit nach O auswirken kann. Niederschläge fallen im W zu allen Jahreszeiten mit Maximum im Herbst und Winter, überwiegend in Form lang dauernder Nieselregen. Der Midi, Bereich des Mediterranklimas, weist Niederschlagsmaxima im Herbst und Frühjahr auf; der Sommer ist sehr trocken. Extremere Verhältnisse weisen Alpen und Pyrenäen, aber auch Jura, Zentralmassiv und Vogesen auf, in denen in über 1 000 m Höhe der Schnee mehr als 100 Tage liegen bleibt. - Die Pflanzenwelt weist atlant., mitteleurop. und mittelmeer. Züge auf. In den Küstengebieten des W sind Heide (atlant. Heiden in der Bretagne) und Moore verbreitet, im mittelmeer. Bereich immergrüner Buschwald aus Hartlaubgewächsen (Macchie), der weitgehend zur Garrigue degradiert ist.
Bevölkerung: 70 % der Bev. sind nach ihrer sprachl. Herkunft Franzosen; die frz. Sprache wird aber von fast allen Ew. als Muttersprache gesprochen, jedoch koexistieren in vielen Gebieten nicht frz. Sprachen mit dem Französischen. Die provenzal. Sprache (»Langue d'oc«), früher von der aquitan. Küste bis zur italien. Grenze verbreitet, wird nur noch von wenigen Menschen gesprochen. Weitere sprachl. Minderheiten sind die Bretonen (in der Bretagne westlich der Linie Vannes-Paimpol: knapp 1 Mio. Menschen), die Flamen (in Frz.-Flandern, um Dünkirchen, 400 000), die Katalanen im Roussillon (Dép. Pyrénées-Orientales, 200 000) sowie die Basken im äußersten SW (um Saint-Jean-de-Luz, 100 000). Etwa 1 Mio. Menschen leben im dt. Sprachbereich (Elsass, O-Lothringen), 1 Mio. im italien. (Korsika, Gebiet um Nizza). Amts-, Schul- und Bildungssprache ist das Französische. Trotz vieler Einbürgerungen ist die Zahl der Ausländer hoch (1994: 3,6 Mio., v. a. Portugiesen, Algerier, Marokkaner, Italiener und Spanier). Die Bev.dichte ist mit 108 Ew./km2 relativ gering. 73 % der Bev. wohnen in Städten. Neben den Millionenstädten Paris (in der Agglomeration Paris leben etwa 20 % aller Franzosen), Lyon und Marseille gibt es über 30 Großstädte.
Seit 1882 besteht die unentgeltl., bekenntnisfreie Volksschule; private kirchl. u. a. private Schulen sind zugelassen (überwiegend kath.), sie werden von rd. 17 % der Schüler besucht. Allg. Schulpflicht besteht vom 6. bis 16. Lebensjahr. Mit Ges. vom 11. 7. 1975 wurde das Schulwesen neu gestaltet: Vorschule (École maternelle) für Kinder von 2 bis 6 Jahren (nicht obligatorisch), sechsjährige Primarschule (École élémentaire), Sekundarschule I (Collège) als Gesamtschule für alle 12- bis 16-Jährigen, die in zwei Stufen untergliedert ist, Sekundarschule II mit zwei Typen, dem allgemein bildenden Lyzeum (Lycée; Schulzeit drei Jahre), das im Rahmen eines differenzierten Systems zum Reifezeugnis (Baccalauréat) oder (mit Berufsqualifikation) zum Technikerdiplom führt, und dem berufsbildenden Lyzeum (Lycée professionnelle; zwei Jahre). Das Hochschulwesen (Enseignement supérieur) setzt sich aus den Univ. (Universités), den Spezialhochschulen (Grandes Écoles) und den Technolog. Univ.instituten (Instituts Universitaires de Technologie - Abk. IUT) zusammen. Es bestehen 70 staatl. Univ. (die älteste ist die Sorbonne), ferner Univ.zentren, drei nat. polytechn. Institute sowie zahlr. andere Hochschulen.
Seit 1905 besteht eine strikte gesetzl. Trennung von Staat und Kirche. 76,3 % der Bev. sind Katholiken, daneben 1,4 % Protestanten sowie 4,5 % Muslime (v. a. um Marseille und Paris).
Wirtschaft, Verkehr: F. ist ein hoch entwickelter Ind.staat mit einem traditionell starken, an Bedeutung gewinnenden Dienstleistungssektor. Die Landwirtschaft hat eine führende Stellung im EU-Raum; rd. 60 % der Gesamtfläche werden landwirtsch. genutzt (58 % für Ackerbau, 37 % als Weideland und 5 % für Obst- und Weinbau). An der Spitze stehen die Erzeugung von Getreide, Zucker, Molkereiprodukten, Wein und Fleisch. Spezialkulturen umfassen Obst, Gemüse, Kräuter sowie Duftblumen (Provence). Bedeutende Weinbaugebiete sind Burgund, die Champagne, das Bordelais, das Tal der Loire, das Elsass und (v. a. für einfache Weine) das Languedoc. Wälder (27 % der Landesfläche) finden sich bes. in den Gebirgen (Vogesen u. a.) und den »Landes«. Der Holzeinschlag wird intensiviert, für Möbelfertigung und Papierproduktion werden zusätzlich Holz und Holzprodukte importiert. Der Fischfang ist bed.; die größten Fischereihäfen liegen in der Bretagne (Lorient, Concarneau) und am nördlichsten Küstenabschnitt (Boulogne-sur-Mer); von Bedeutung sind außerdem die Austernbänke an der Westküste.Der Bergbau fördert Eisenerz und Steinkohle (überwiegend aus Lothringen, mit rückläufiger Tendenz), Bauxit (Provence), Erdöl (um Parentis, südwestlich von Bordeaux), Erdgas (um Lacq), Kalisalze (bei Mülhausen), ferner Uran-, Blei- und Zinkerze sowie Steinsalz. Zu den führenden Industriebranchen zählt die Hüttenind., die neben Kupfer-, Blei-, Zink- und Aluminiumgewinnung v. a. auf die Eisen- und Stahlgewinnung ausgerichtet ist. Die wichtigsten Zweige der Investitionsgüterind. umfassen den Maschinen-, Fahrzeug- und Schiffbau, die Luft- und Raumfahrtind., die elektron. und elektrotechn. Ind. sowie die Rüstungsind., die Automobil- und Fahrradindustrie. Die wichtigsten Produktionsstätten liegen im Pariser Raum. Die bed. Flugzeugind. hat ihr Zentrum in Toulouse. Der Schiffbau (v. a. in Nantes und Saint-Nazaire) ist auf den Bau von Tankern und Containerschiffen spezialisiert. Zu den führenden Ind.zweigen zählt auch die chem. und kosmet. Industrie. Trotz struktureller Schwächen spielt die Textil- und Bekleidungsind. innerhalb Europas eine führende Rolle. Weitere wichtige Branchen sind die Nahrungs- und Genussmittelind., die Herstellung von Holz-, Leder- und Papierwaren. Von der in Kraftwerken installierten Leistung entfielen (1992) 55 % auf Kernkraftwerke, rd. 24 % auf Wasserkraftwerke und rd. 22 % auf Wärmekraftwerke. An der Rance arbeitet ein Gezeitenkraftwerk.
F. ist ein klass. Fremdenverkehrsland. Hauptreisegebiete sind Paris, die Mittelmeerküste, die Seebäder der Normandie und Bretagne, das Loiretal, die Atlantikküste, Burgund und die Provence; in den Alpen moderne Wintersportstationen.Außenhandel: Wichtigste Ausfuhrgüter sind Maschinen und Kraftfahrzeuge, Eisen und Stahl, chem. Produkte, Textilien, landwirtsch. Erzeugnisse, kosmet. Produkte, Waffen. Hauptimportwaren sind Maschinen und Fahrzeuge, mineral. Rohstoffe, elektrotechn. und elektron. Erzeugnisse sowie Konsumgüter. Die Haupthandelspartner sind die EU-Länder, die USA, die Schweiz, Japan und Schweden. Das Verkehrsnetz ist gut ausgebaut und auf Paris ausgerichtet. Von insgesamt 812 000 km Straßen (1993) sind 8 000 km Autobahnen (meist gebührenpflichtig) und 29 000 km Nationalstraßen. Die staatl. Eisenbahnges. SNCF (»Société Nationale des Chemins de Fer Français«) betreibt (1992) 32 731 km. Weiter ausgebaut wird das Streckennetz der Hochgeschwindigkeitszüge (TGV). F. verfügt über ein dichtes, aber teilweise veraltetes Netz von Binnenwasserstraßen. Von den rund 8 500 km Wasserwegen werden rd. 6 500 km genutzt (2 640 km natürl. Wasserwege; 3 880 km Kanäle). Die größte Bedeutung besitzen die Seine zw. Paris (größter Binnenhafen) und Le Havre, die Rhône (v. a. unterhalb von Lyon) und der elsäss. Teil der Rhein-Rhône-Verbindung. Wichtigste Seehäfen sind Marseille, Le Havre, Dünkirchen und Rouen. Die wichtigsten internat. Flughäfen liegen bei Paris (Orly, Le Bourget, »Charles-de-Gaulle« in Roissy-en-France) sowie bei Marseille. Führende nat. Luftverkehrsgesellschaft ist die »Air France«; den Binnenverkehr besorgt v. a. die »Air Inter«.
Geschichte: Vorgeschichte: Westeuropa.Mittelalter (843-1483): Durch die Teilung des Fränkischen Reiches im Vertrag von Verdun 843 erhielt Karl der Kahle das Westfränk. Reich, das bis zur Schelde, den Argonnen, der Saône, den Cevennen und der Rhônemündung reichte. Die westfränk. Karolinger verloren zwar an Macht, doch blieb die Monarchie als einheitl. politische Größe bestehen. Die Normanneneinfälle zu Beginn des 10. Jh. schwächten die Zentralgewalt (911 Verlust der Normandie), das umstrittene Lothringen ging 925 an das Dt. Reich über. Diese Ostgrenze blieb mit geringfügigen Änderungen das ganze MA. hindurch die dt.-frz. Grenze. Auch als 987 die Kapetinger auf den Thron gelangten, blieb die Königsmacht zunächst noch sehr gering, erst allmählich setzte sich die Erblichkeit der Krone durch. Mit Ludwig VI. erstarkte das Königtum, das sich auf die Kirche (sakrale Legitimation) und das neu entstandene Bürgertum stützte. 1154 vereinigte das Haus Anjou-Plantagenet durch Erbschaft und Heirat mehr als die Hälfte des Landes mit England. Aber Philipp II. August eroberte seit 1202 alle engl. Besitzungen mit Ausnahme der Guyenne und der Gascogne; er erweiterte das unmittelbare Kronland, das kapeting. Francia mit der Hptst. Paris, durch die Angliederung mehrerer Herzogtümer und Grafschaften. Als Bundesgenosse des Staufers Friedrich II. schlug er 1214 bei Bouvines den welf. Kaiser Otto IV. und die Engländer. Als er 1209 in den Kampf gegen die südfrz. Albigenser eingriff, sicherte er das Languedoc für die Krone (Eroberung 1229 rechtlich abgesichert). Mit dieser polit. Machtentfaltung verband sich die geistige Führerstellung der frz. Nation im Europa des 12./13. Jh.; die frz. Kultur wurde erstmals vorbildhaft für Europa. Einen Höhepunkt seiner Macht erreichte das frz. Königtum unter Philipp IV., dem Schönen, der 1303 seinen Streit mit Papst Bonifatius VIII. siegreich durchfocht; das Papsttum musste 1309 für längere Zeit in den frz. Machtbereich nach Avignon übersiedeln. Zugleich drang F. in das Gebiet des Königreichs Burgund vor (Lyon, Provence, Dauphiné). Im Innern entstanden feste Zentralbehörden; 1302 wurden erstmals die Generalstände (États généraux) berufen, in denen neben Geistlichkeit und Adel das Bürgertum als »dritter Stand« (Tiers État) vertreten war.Als 1328 die Hauptlinie der Kapetinger ausstarb, fiel die Krone an die Linie Valois (Philipp VI.), obwohl auch der engl. König Eduard III. Plantagenet Ansprüche hatte und sie durchsetzen wollte; damit begann 1337/39 der Hundertjährige Krieg; die Valois mussten im Frieden von Brétigny 1360 Calais und das ganze südwestl. F. abtreten. Sie konnten zwar den größten Teil der verlorenen Gebiete zurückerobern, doch brachen heftige innere Kämpfe aus, in denen sich soziale Gegensätze (Bauernaufstand der Jacquerie) mit dem Streit zw. zwei Nebenlinien des Königshauses, den Herzögen von Orléans und Burgund, verknüpften. Diese schufen sich ein mächtiges frz.-dt. Zwischenreich, das sich mit England verbündete; 1415 wurden die Franzosen in der Schlacht von Azincourt schwer geschlagen. Paris und der größte Teil F.s wurden von den Engländern besetzt und Heinrich V. als König von Frankreich anerkannt. Das Eingreifen der Jeanne d'Arc brachte zwar noch nicht die Wende (Belagerung von Orléans 1428/29; Krönung Karls VII. in Reims 1429), stärkte aber den frz. Abwehrwillen, der 1435 zur Rückeroberung von Paris führte. Gleichzeitig führte Karl VII. wichtige innere Reformen durch; so legte er 1438 gegenüber dem Papsttum die »Gallikan. Freiheiten« gesetzlich fest; er leitete mit Unterstützung der Stände 1445 eine Heeresreform ein und konnte die besetzten Gebiete (außer Calais) zurückerobern (1453 Ende des Hundertjährigen Krieges). Ludwig XI. bekämpfte erfolgreich die großen Vasallen, v. a. aber Karl den Kühnen von Burgund. Nach dessen Tod (1477) fielen das Herzogtum Burgund (Bourgogne) und die Picardie an die frz. Krone.Renaissance und Hugenottenkriege (1483-1598): Mit dem Eroberungszug Karls VIII. gegen Neapel 1494/95 griff F. in die europ. Machtkämpfe ein. Ludwig XII. verlor das Königreich Neapel 1503-05 an Spanien; dagegen eroberte er 1499 das Herzogtum Mailand. Franz I. bewarb sich 1519 um die dt. Krone, unterlag aber trotz päpstl. Unterstützung. Seine vier Kriege gegen die spanisch-habsburg. Übermacht führten schließlich zum Rückzug der frz. Politik aus Italien. Im Inneren bereitete Franz den Absolutismus vor; er erlangte durch das Konkordat von 1516 entscheidenden Einfluss auf die frz. Kirche und baute die Verwaltung aus. 1532 kam als Letztes der ehem. selbstständigen Fürstentümer die Bretagne zur frz. Krone. Heinrich II. konnte 1552 Metz, Toul und Verdun in Besitz nehmen und 1558 Calais erobern. Etwa ab 1560 kamen mit den Religionskriegen gegen die Hugenotten neue schwere Wirren über das Land. Die kath. Partei wurde dabei von Spanien, die prot. von England unterstützt. Die Hugenotten konnten, trotz des Massakers der Bartholomäusnacht (1572), die Stellung einer bewaffneten Minderheit behaupten. Nach dem Erlöschen des Hauses Valois bestieg 1589 ihr bisheriger Führer, der König von Navarra, als Heinrich IV. (aus der kapeting. Nebenlinie Bourbon) den Thron. Doch erlangte er erst 1593 durch seinen Übertritt zum Katholizismus die allg. Anerkennung; den Hugenotten gewährte er 1598 im Edikt von Nantes einen festen Rechtsstatus.Absolutismus (1598-1789): Die Regierung Heinrichs IV. legte den Grund zum Wiederaufstieg des zerrütteten Landes. Gegenüber dem Hochadel, der in den Hugenottenkriegen wieder erstarkt war, setzte Kardinal Richelieu als leitender Minister Ludwigs XIII. den Absolutismus durch; nach der Eroberung von La Rochelle 1628 beseitigte er auch die polit. Sonderstellung der Hugenotten. Gegen Habsburg griff er 1635 erfolgreich in den Dreißigjährigen Krieg ein. Sein Nachfolger Kardinal Mazarin bezwang die ständisch-aristokrat. Unruhen der »Fronde« (1648 bis 1653). Im Westfäl. Frieden von 1648 erhielt F. die habsburg. Besitzungen im Elsass, Spanien musste im Pyrenäenfrieden von 1659 Roussillon und Artois abtreten. Als nach Mazarins Tod 1661 Ludwig XIV. (1643-1715) selbst die Reg. übernahm, begann die Glanzzeit des frz. Absolutismus. Minister Colbert stärkte die finanziellen und wirtsch. Kräfte des Landes (Merkantilismus), schuf eine mächtige Kriegsflotte und baute das frz. Kolonialreich (Kanada, Louisiana, Westindien) aus; Louvois machte das frz. Heer zur stärksten Kriegsmacht Europas. Durch den Devolutionskrieg von 1667/68 und den Holländ. Krieg 1672-79 gewann Ludwig XIV. das südl. Flandern und die Freigrafschaft Burgund; durch die »Reunionen« (Annexion Straßburgs 1681) rundete er seine Eroberungen ab. Gegenüber dem Papsttum vertrat er 1682 die Selbstständigkeit der »gallikan. Kirche«, während er die Hugenotten verfolgte und 1685 das Edikt von Nantes aufhob. Sein Hof in Versailles wurde das Vorbild der höfisch-aristokrat. Gesellschaft Europas. Aber Ludwig XIV. konnte gegen das Bündnis Österreichs und der Seemächte England und Holland die europ. Vormachtstellung nicht behaupten; das zeigte sich schon im Pfälz. Erbfolgekrieg 1688-97. Im Spanischen Erbfolgekrieg setzten sich zwar die frz. Interessen durch, doch hatten die Kriege und die aufwendige Hofhaltung die Staatsfinanzen zerrüttet. Ludwig XV. setzte die kostspielige Kriegspolitik fort (Polnischer Thronfolgekrieg, Österreichischer Erbfolgekrieg); die schwersten Verluste, u. a. großer Teile der Kolonien, brachte die Teilnahme am Siebenjährigen Krieg auf österr. Seite. Im Innern führte Ludwig XV. eine Reg. der Willkür und Verschwendung, die zunehmend von seinen Mätressen (u. a. Marquise von Pompadour, Gräfin Dubarry) beeinflusst wurde. Nach 1750 wuchs die Kritik an den Missständen der absoluten Monarchie, bes. an der sie stützenden kath. Kirche. Sie wurde formuliert von den Vertretern der Aufklärung (Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Diderot u. a.), die jedoch kein einheitl. politisches Konzept vertraten. Bes. das wirtsch. aufstrebende Bürgertum (der dritte Stand) forderte Reformen, um - nach engl. Vorbild - an der polit. Macht teilzuhaben. Zur brennendsten Frage der Innenpolitik wurde die Zerrüttung der Staatsfinanzen, die durch die Teilnahme am nordamerikan. Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien (1778-83) noch gesteigert wurde. Die Reformversuche der Finanzminister Ludwigs XVI. (Turgot, Necker, Calonne) scheiterten. Nach dem Staatsbankrott 1788 sollten die Generalstände, die seit 1614 nicht mehr getagt hatten, eine Lösung vorschlagen; sie traten am 5. 5. 1789 zusammen. Damit war die Bewegung ausgelöst, die zur Beseitigung des »Ancien Régime« führte.Französische Revolution, Konsulat und Erstes Kaiserreich (1789-1815): Der dritte Stand erklärte sich am 17. 6. 1789 zur Nationalversammlung, Ludwig XVI. erkannte sie unter dem Druck der Pariser am 27. 6. an, am 9. 7. erklärte sie sich zur verfassunggebenden Nationalversammlung. Mit der Erstürmung der Bastille am 14. 7. begann der offene Aufstand. Die Nationalversammlung verkündete die »Menschenrechte«, schuf das neue Verwaltungssystem der Départements, beseitigte alle Standesvorrechte, zog das Kirchengut ein und gab dem Klerus eine Zivilverfassung. Der Fluchtversuch der königl. Familie am 21. 6. 1791 beschleunigte die Entwicklung. Zwar verkündete die Verf. vom 14. 9. 1791 die konstitutionelle Monarchie, doch strebten die polit. Klubs die Schaffung einer Rep. an. In der neu gewählten gesetzgebenden Nationalversammlung hatten die Girondisten die Führung. Sie setzten die Kriegserklärung an Österreich am 20. 4. 1792 durch, um der drohenden ausländ. Intervention zuvorzukommen. Damit begannen die Französischen Revolutionskriege, die mit den innenpolit. Ereignissen in enger Wechselwirkung standen. Der Sturm der Volksmassen auf das Tuilerienschloss am 10. 8. 1792 eröffnete den Sturz der Monarchie, die der anstelle der Nationalversammlung berufene, aus allg. Wahlen hervorgegangene Nationalkonvent am 21. 9. förmlich abschaffte. Am 21. 1. 1793 wurde Ludwig XVI. hingerichtet. Die innere und äußere Notlage (Unruhen u. a. in der Vendée, der Bretagne und in Süd-F., militär. Rückschläge) führten zur Ausschaltung und Hinrichtung der Girondisten durch die Bergpartei (31. 5.-2. 6. 1793) und zur Schreckensherrschaft (Terreur) der Jakobiner. Zentrales Exekutivorgan mit weit reichenden Vollmachten wurde der Wohlfahrtsausschuss (mit Danton, Saint-Just, Robespierre), gegen die äußere Bedrohung organisierte L. Carnot ein allg. Volksaufgebot (Levée en Masse). Mit Unterstützung der Sansculotten radikalisierte Robespierre die Revolution. Die Verwirklichung der demokrat. Verfassung vom 24. 6. 1793 wurde bis zu einem Friedensschluss ausgesetzt. Eine eigene Zeitrechnung wurde eingeführt, das Christentum durch einen Kult des »Höchsten Wesens« ersetzt. Nachdem Robespierre alle polit. Gegner liquidiert hatte (u. a. Danton und die Hébertisten), wurde er selbst gestürzt und hingerichtet (27. 7. 1794, nach dem Revolutionskalender 9. Thermidor). Damit war die Schreckensherrschaft zu Ende, und die gemäßigteren Republikaner hatten die Oberhand. Die Verf. vom 23. 9. 1795 übertrug die Reg. einem Direktorium von fünf Mitgliedern. Während die völlige Entwertung des Papiergeldes der Revolution, der Assignaten, zum Staatsbankrott führte, wurde der Krieg gegen die europ. Koalition siegreich beendet. F. behielt die österr. Niederlande und das linke Rheinufer, sein Einfluss erstreckte sich noch auf die in Holland, der Schweiz und Italien errichteten Tochterrepubliken. Eine 2. Koalition vertrieb jedoch im Feldzug von 1799 die Franzosen aus Italien. Napoléon Bonaparte stürzte durch den Staatsstreich vom 18. Brumaire (9. 11.) das Direktorium, die Konsulatsverfassung vom 13. 12. 1799 übertrug ihm die oberste Gewalt. Den Krieg brachte er durch die Friedensschlüsse von Lunéville (9. 2. 1801) und Amiens (27. 3. 1802) zum erfolgreichen Abschluss.Im Innern schuf Bonaparte als Erster Konsul wieder eine feste Ordnung. Mit der kath. Kirche verständigte er sich durch das Konkordat vom 15. 7. 1801, und das frz. Recht wurde im Code Napoléon zusammengefasst. Gestützt auf eine Volksabstimmung, machte sich Bonaparte am 4. 8. 1802 zum Konsul auf Lebenszeit. Ein Senatsbeschluss erklärte ihn am 18. 5. 1804 zum erbl. Kaiser der Franzosen; er krönte sich selbst am 2. 12. 1804 in Gegenwart des Papstes Pius VII. in Paris. Am 18. 3. 1805 wurde Napoleon I. auch König von Italien. Die Ergebnisse der Großen Revolution wie die straff zentralist. Verwaltung, die allg. Wehrpflicht, die durch den Verkauf der Güter der Kirche und der adligen Emigranten geförderte Bildung eines selbstständigen und wohlhabenden Bauernstands und die bürgerl. Gesellschaftsordnung wurden im napoleon. Kaiserreich konsequent umgesetzt. Der Interessenkonflikt mit Großbritannien, aber auch der übersteigerte Machtwille Napoleons I. entlud sich in einer fast ununterbrochenen Folge neuer Kriege (Napoleonische Kriege). 1805 besiegte Napoleon eine 3. europ. Koalition, 1806/07 Preußen und Russland, 1809 abermals Österreich. So konnte er seine Herrschaft immer weiter ausdehnen. Er gründete 1806, während das Dt. Reich sich auflöste, den von ihm abhängigen Rheinbund der dt. Mittel- und Kleinstaaten, 1807 das poln. Herzogtum Warschau und setzte in Holland, Neapel, dem neu geschaffenen Königreich Westfalen und in Spanien seine Brüder und Verwandten als Könige ein; der Papst wurde 1809 in frz. Gefangenschaft geführt; Piemont, Genua, Toskana und der Kirchenstaat, die Illyr. Provinzen, 1810 auch Holland und NW-Dtl. mit den Hansestädten wurden dem napoleon. Kaiserreich unmittelbar einverleibt. Nur Großbritannien behauptete nach der Vernichtung der frz. Flotte bei Trafalgar am 21. 10. 1805 die Seeherrschaft und unterstützte wirksam den großen span. Aufstand (seit 1808) gegen Napoleon; dieser suchte dagegen durch die Kontinentalsperre (seit 1806) den brit. Handel zu unterbinden. Den Wendepunkt der Laufbahn Napoleons bedeutete der Untergang seiner »Großen Armee« im russ. Feldzug 1812. Darauf erhob sich im Frühjahr 1813 Preußen und verbündete sich mit Russland und Großbritannien; auch Österreich schloss sich dieser 4. und größten Koalition gegen F. an. Die Befreiungskriege führten zur völligen Niederlage des Kaisers, der am 6. 4. 1814 abdankte und nach Elba verbannt wurde, sowie zur Wiederherstellung (Restauration) des Königtums. Der 1. Pariser Friede (30. 5. 1814) beschränkte F. auf die Grenzen von 1792. Im März 1815 bemächtigte sich Napoleon noch einmal der Herrschaft, aber die »Hundert Tage« endeten mit seiner Niederlage bei Waterloo (18. 6.); er wurde nach Sankt Helena verbannt. Der 2. Pariser Friede (20. 11. 1815) bestimmte für F. die Grenzen von 1790.Von der Restauration bis zum Zweiten Kaiserreich (1814/15-70): Der neue Bourbonenkönig Ludwig XVIII. erließ am 4. 6. 1814 eine Verfassung, die das Land in eine konstitutionelle Monarchie umwandelte, jedoch die gesellschaftspolit. Errungenschaften nicht rückgängig machte. Nach 1820, bes. aber ab 1824 unter Karl X., verstärkten sich restaurative Tendenzen. Umso entschiedener wurde die Gegnerschaft des bürgerl. Liberalismus. Die »Juliordonnanzen«, die das Industriebürgertum politisch entmachteten, gaben den Anlass zur Julirevolution von 1830, die Karl X. stürzte und den »Bürgerkönig« Louis Philippe von Orléans auf den Thron brachte. Herrschende Schicht wurde damit das Großbürgertum. Außenpolit. Erfolge (Eroberung Algeriens 1830-47) gingen einher mit der Verschärfung der sozialen Widersprüche im Inneren und der Unzufriedenheit der von der polit. Macht Ausgeschlossenen, die eine Rep. anstrebten. Die Februarrevolution 1848 stürzte das Bürgerkönigtum und proklamierte die »Zweite Republik«. Die radikalen Sozialisten konnten sich gegen die gemäßigten Republikaner nicht durchsetzen, ein Aufstand der Pariser Arbeiter wurde blutig niedergeschlagen. In direkter Wahl wurde im Dez. 1848 Louis Napoléon Bonaparte, Neffe Napoleons I., zum Präs. gewählt. Er geriet bald in Ggs. zum Parlament, erlangte nach dem Staatsstreich vom 2. 12. 1851 fast unbeschränkte Gewalt und wurde am 2. 12. 1852 als Napoleon III. zum Kaiser ausgerufen (durch Volksabstimmung bestätigt).
Das Zweite Kaiserreich stützte sich auf die Armee, begünstigte die kath. Kirche und betrieb eine aktive Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es errang bald die führende Stellung unter den europ. Großmächten; im Bunde mit Großbritannien führte es den Krimkrieg 1853-56 gegen Russland; durch den Sieg über Österreich 1859 ermöglichte es die nat. Einigung Italiens, das dafür 1860 Savoyen und Nizza abtrat. Aber die Unternehmung gegen Mexiko 1861-67 war ein schwerer Misserfolg. In seiner Politik gegenüber den dt. Staaten suchte Napoleon III. v. a. eine gesamtdt. Einigung zu verhindern. Nach dem preuß. Erfolg im Dt. Krieg 1866 nahm er eine gegen Preußen und die dt. Reichsgründung gerichtete Bündnispolitik in Angriff, doch scheiterte der Versuch eines frz.-österr.-italien. Bündnisses an der Römischen Frage. Inzwischen hatten die außenpolit. Fehlschläge die innere Gegnerschaft verstärkt, sodass der Kaiser schließlich am 8. 5. 1870 den förml. Übergang zur konstitutionellen Monarchie vollzog. Kurz danach führte die Frage der hohenzollernschen Thronkandidatur in Spanien den Deutsch-Französischen Krieg 1870-71 herbei; als Napoleon III. in Sedan in Gefangenschaft geriet, brach am 4. 9. 1870 in Paris die Revolution aus; L. Gambetta proklamierte die Republik.Dritte Republik (1870-1940) und État Français (1940-44): Die von den Republikanern gebildete »Regierung der nat. Verteidigung« verweigerte die von Bismarck geforderte Abtretung Elsass-Lothringens und setzte den Krieg fort. Aber alle Versuche, die belagerte Hptst. zu befreien, endeten mit neuen Niederlagen; am 28. 1. 1871 fiel Paris. Die im Febr. 1871 gewählte Nationalversammlung mit einer monarchistisch-bonapartist. Mehrheit (Präs. A. Thiers) musste in Bordeaux der Abtretung Elsass-Lothringens im Versailler Vorfrieden (26. 2.) und Frankfurter Frieden (10. 5.) zustimmen. Teils aus patriot. Protest dagegen, teils aus sozialem Widerstand kam es zum Aufstand der Pariser Kommune, deren radikal linke Führung ein sozialist. städt. Selbstverwaltungsmodell anstrebte. Ende Mai warfen Regierungstruppen den Aufstand nieder (»blutige Woche«).Wirtschaftlich und gesellschaftlich war die Dritte Republik eine Fortsetzung des Zweiten Kaiserreichs. Thiers' Nachfolger Mac-Mahon vertrat die monarchistisch-klerikalen Kreise, er versuchte sogar, die Monarchie wieder einzuführen. Die Verf.änderung von 1875 und der Wahlsieg der Republikaner 1876 festigten endgültig den Parlamentarismus. Durch eine expansive Kolonialpolitik in N-Afrika und Indochina gewann F. außenpolitisch seine Großmachtrolle und Bündnisfähigkeit zurück, geriet jedoch in offenen Gegensatz zu Großbritannien (Faschodakrise 1898/99). Die ökonom. Krise (»Große Depression«) Mitte der 1880er-Jahre schwächte die Republikaner und stärkte die Monarchisten und Bonapartisten. Bes. populär wurde General Boulanger, der als Wortführer einer antiparlamentarisch-nationalistischen Bewegung das Land an den Rand eines Staatsstreichs brachte. Weitere innenpolit. Erschütterungen riefen der Bestechungsskandal um den Bau des Panamakanals und die Dreyfusaffäre hervor.Gegen die nationalistisch-klerikalen Strömungen wandten sich v. a. die Radikalsozialisten als Vertreter des mittleren Bürgertums, die von den Sozialisten unter J. Jaurès unterstützt wurden. Eine Koalition aus diesen beiden Parteien stellte bis 1914 die Reg.: Die Kabinette Waldeck-Rousseau (1899-1902), Combes (1902-05) und Clemenceau (1906 bis 1909) setzten die »Laiengesetze« durch; die kirchl. Schulen wurden beseitigt, die Klöster aufgehoben und die Trennung von Staat und Kirche herbeigeführt. Die frz. Außenpolitik wurde zunehmend vom Gegensatz zu Dtl. geprägt. Die Marokkokrise 1905 hatte den Chauvinismus wieder belebt, er verbreitete sich nun von der äußersten Rechten (M. Barrès) aus auch unter den gemäßigten Republikanern. Poincaré, im Jan. 1912 zum MinPräs. berufen und als Symbolfigur des Revanchegedankens 1913 zum Staatspräs. gewählt, baute die gegen das Dt. Reich gerichtete Bündnis- und Rüstungspolitik noch weiter aus (frz.-russ. Bündnis und Entente cordiale). Im Sommer 1914 brach der Erste Weltkrieg aus.F. gewann im Versailler Vertrag 1918 Elsass-Lothringen. Es erhielt ferner als Mandatsgebiete Syrien und Libanon, von den dt. Schutzgebieten den überwiegenden Teil von Kamerun sowie Osttogo, außerdem die Saargruben und den Hauptanteil der dt. Reparationen zugesprochen. Dem frz. Sicherheitsbedürfnis dienten die militär. Bündnisse, die es mit Belgien, Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien abschloss (Kleine Entente). Dadurch wurde F. wieder zur stärksten Festlandsmacht und erlangte gleichzeitig eine starke Stellung im Völkerbund. Poincaré (1922-24 MinPräs.) nutzte die Nichterfüllung der Reparationsforderungen durch Dtl. als Vorwand zur Besetzung des Ruhrgebiets (1923). Im Mai 1924 kam das »Linkskartell« unter dem Radikalsozialisten Herriot zur Regierung. Er leitete eine Verständigungspolitik gegenüber dem Dt. Reich ein, die jedoch keinen vollständigen Ausgleich brachte, da die Politik der Weimarer Republik auf die Revision des Versailler Vertrags zielte. Durch die Weltwirtschaftskrise war F. 1932 gezwungen, der Einstellung der dt. Reparationen (Konferenz von Lausanne) und der prinzipiellen Gleichberechtigung des Dt. Reiches auf dem Rüstungssektor zuzustimmen. Im Inneren verschärften sich die sozialen Spannungen, die Kabinette wechselten häufig. Diese Krise des parlamentar. Systems begünstigte die Entwicklung des Links- und Rechtsradikalismus. V. a. die rechtsextremist. Bewegungen (u. a. Croix-de-feu) lösten Unruhen (Paris, Febr. 1934) und den Rücktritt des Kabinetts Daladier aus. Außenpolitisch suchte F. die Verständigung mit der Sowjetunion (Beistandspakt 1935), Italien und Großbritannien (Stresafront 1935). Zu einer Aktion gegen die dt. Wiederbesetzung des Rheinlandes (7. 3. 1936) war F. ebenso wenig bereit wie Großbritannien. Die innenpolit. Instabilität führte im Frühjahr 1936 zu einem Wahlerfolg der »Volksfront«, zu der sich Radikalsozialisten, Sozialisten und Kommunisten zusammengeschlossen hatten. Ihre von L. Blum geleitete Reg. beschloss weit reichende soziale Reformen; im span. Bürgerkrieg ließ sie sich vom Prinzip der Nichteinmischung leiten. Das im April 1938 unter Daladier gebildete bürgerl. Kabinett tolerierte den Anschluss Österreichs an Dtl. und beteiligte sich am Münchener Abkommen. Den Angriff Hitlers auf Polen beantwortete F. trotz ungenügender Rüstung zus. mit Großbritannien mit der Kriegserklärung an das Dt. Reich (3. 9. 1939). Der frz. Widerstand brach nach sechswöchigem Kampf zusammen (22. 6. 1940 Waffenstillstand Marschall Pétains, Zweiter Weltkrieg), der größere Teil F.s wurde von der dt. Wehrmacht besetzt; mit dem Rücktritt des Kabinetts Reynaud endete die Dritte Republik.Im unbesetzten F. wurde unter Pétain als Staatschef und Laval als leitendem Min. eine autoritäre Reg. gebildet (État Français, seit 1. 7. 1940 Sitz in Vichy), die nach der Begegnung Pétains mit Hitler (Montoire 24. 10. 1940) mit Dtl. zusammenzuarbeiten versuchte. In London bildete de Gaulle eine Exilreg., die bes. in N-Afrika Fuß fasste. Im Innern entfaltete sich eine Widerstandsbewegung (Résistance, Maquis), die bes. nach der Landung der Alliierten in N-Afrika (8. 11. 1942) an Schlagkraft gewann; am 11. 11. 1942 wurde die bisher freie Zone von dt. Truppen besetzt. Im Juni 1943 bildete de Gaulle in Algier das »Nat. Befreiungskomitee«, das sich unter seiner Führung am 3. 6. 1944 als »Provisor. Reg. der frz. Republik« etablierte. Die Invasion der Briten und Amerikaner in der Normandie (6. 6. 1944) und an der Mittelmeerküste führte zum Zusammenbruch des Vichy-Regimes und befreite F. von der dt. Besetzung (25. 8. Einzug de Gaulles und der Alliierten in Paris). Die provisor. Regierung musste den Mandatsgebieten Syrien und Libanon am 1. 1. 1944 ihre Unabhängigkeit zugestehen. 1945 nahm F. an der Besetzung Dtl.s und Österreichs teil, das Saargebiet gliederte es am 12. 2. 1946 aus seiner Besatzungszone als autonomes Gebiet aus.Vierte Republik (1944-58) und Fünfte Republik: Am 21. 10. 1945 wurde aufgrund einer Volksbefragung die 1. gesetzgebende Nationalversammlung, am 2. 6. 1946 die 2. gewählt. Chef der provisor. Regierung war Nov. 1945 bis Jan. 1946 General de Gaulle; er trat zurück, als er seine Vorstellungen von einer starken Exekutive in der neuen Verf. nicht durchsetzen konnte. Am 24. 12. 1946 trat die Verf. der Vierten Rep. offiziell in Kraft; gleichzeitig wurde das Kolonialreich zur Frz. Union (französische Kolonien) umgestaltet. Bis 1947 wurden die Reg. im Wesentlichen von Sozialisten, Kommunisten und Volksrepublikanern getragen (u. a. Verstaatlichungen, Modernisierungspläne für die Wirtschaft); Gegensätze u. a. in der Indochina- und der Finanzpolitik führten 1947 zum Ausschluss der Kommunisten durch MinPräs. Ramadier. Seit 1953 bildeten die Parteien der Mitte (Sozialisten, Volksrepublikaner, Radikalsoziale, Unabhängige) die Regierung. Die innenpolit. Auseinandersetzungen standen unter dem Eindruck der Spaltung der Kriegskoalition in ein westl. und ein östl. Lager und der Erstarkung der Bundesrep. Dtl. Außenpolitisch suchte F. als eine der Hauptmächte anerkannt zu werden und als Gründungsmitgl. der Vereinten Nationen (1945) eine vermittelnde Stellung zw. den Weltmächten einzunehmen. Unter Außenmin. Schuman (1948-52) und seinen Nachfolgern setzte sich F. für die Stärkung der Sicherheit W-Europas und für die europ. Zusammenarbeit ein: Gründungsmitgl. der OEEC (1948), des Europarats und der NATO (1949), der Montanunion (1951), WEU (1955), EWG und Euratom (1957). Seine ostasiat. Interessen vertrat F. ab 1954 in der SEATO. 1956 wurde die das frz.-dt. Verhältnis belastende Saarfrage gelöst. Die innenpolit. Zustände blieben weiterhin labil (bis 1958: 26 Kabinette), die Finanzkrise verschlimmerte sich durch den Misserfolg im Sueskanalkonflikt und die Kriege in Indochina und Algerien. Der vergebl. Versuch, Algerien als Teil F.s zu erhalten und den Aufstand der alger. nationalen Befreiungsfront (FLN) niederzuschlagen, löste dort den Putsch der frz. Streitkräfte und das Eingreifen General de Gaulles aus. Am 29. 5. 1958 beauftragte Staatspräs. Coty de Gaulle mit der Reg.bildung, die Nationalversammlung stimmte am 1. 6. seiner Reg.übernahme zu. Damit endete die Vierte Republik.Mit der Verf. der Fünften Rep. (in Kraft seit dem 4. 10. 1958) stärkte de Gaulle die Exekutivgewalt, bes. die des Präsidenten. Seine Persönlichkeit bestimmte die polit. Entwicklung F.s bis 1969. Nach scharfen Auseinandersetzungen mit den Anhängern eines »frz. Algerien« (OAS) wurde im Abkommen von Évian-les-Bains (18. 3. 1962) die alger. Unabhängigkeit anerkannt. Bereits 1958 war die Frz. Union in die Französische Gemeinschaft umgewandelt worden. Der angestrebten Rolle einer selbstständigen Großmacht F. diente die Entwicklung einer eigenen Atomstreitmacht (Force de frappe) und die Lösung aus der militär. Integration der NATO. Im Sinne eines »Europa der Vaterländer« suchte de Gaulle die europ. Integrationspolitik auf ihre wirtsch. Ziele zu reduzieren. 1963 schlossen de Gaulle und K. Adenauer den Deutsch-Französischen Vertrag. Seit Mitte der 1960er-Jahre bemühte sich die frz. Außenpolitik um eine Annäherung an die Ostblockstaaten. Im Inneren kulminierten im Mai 1968 soziale Unzufriedenheit, als Studentenunruhen und ein Generalstreik den Bestand der Fünften Rep. infrage stellten. Nach einer Abstimmungsniederlage bei einem Referendum trat de Gaulle am 28. 4. 1969 zurück.
Sein Nachfolger G. Pompidou leitete - unter Beibehaltung der Prinzipien des Gaullismus - eine Reformpolitik ein (nach außen durch Befürwortung des Beitritts Großbritanniens zu den EG, nach innen durch ein Regionalisierungsprogramm). Der Regierungsmehrheit (Gaullisten, unabhängige Republikaner und eine Fraktion der bürgerl. Mitte) stand 1972 die »Linksunion« (Sozialisten, linke Radikalsozialisten, Kommunisten) gegenüber, die von dem Sozialisten F. Mitterrand geführt wurde. Nach dem Tod Pompidous (1974) wurde V. Giscard d'Estaing, der Führer der Unabhängigen Republikaner, Staatspräsident. Er bemühte sich u. a. um eine Steuer- und Regionalreform und suchte Inflation und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Wirtschaft zu modernisieren.Die Präsidentschaftswahlen 1981 gewann F. Mitterrand; die folgenden Parlamentswahlen brachten gleichfalls einen Sieg der Linksparteien. Gestützt auf die Reg. Mauroy, der neben Sozialisten und Linksradikalen auch Kommunisten angehörten, suchte Mitterrand mit einem Verstaatlichungs- und Dezentralisierungsprogramm Staat und Gesellschaft neu zu formen. Der 1984-86 amtierenden Regierung des Sozialisten L. Fabius gehörten die Kommunisten nicht mehr an. In der Außenpolitik kooperierte Mitterrand wieder enger mit den USA, auch verbesserte er die Beziehungen zur Sowjetunion. Bei den Parlamentswahlen 1986 erreichten die Gaullisten (RPR) und die Parteien der bürgerl. Mitte (UDF) die Mehrheit, sodass der Präs. mit ihnen zusammenarbeiten musste (»Cohabitation«); Premiermin. wurde der Gaullist J. Chirac. Mit großer Mehrheit wählte die Bev. 1988 Mitterrand erneut zum Staatspräs., der zunächst M. Rocard (1988-91), später Edith Cresson (1991-92) und P. Bérégovoy (1992-93) zu Premiermin. berief. Bei einem Referendum im Sept. 1992 stimmte nur eine knappe Mehrheit der Bev. für die Ratifizierung des Vertrages von Maastricht. Nachdem die bürgerl. Parteien (RPR und UDF) bei den Wahlen von 1993 eine große Mehrheit errungen hatten, berief Mitterrand den Gaullisten É. Balladur zum Premierminister. Bei den Präsidentschaftswahlen von 1995 setzte sich J. Chirac als Kandidat der Rechten durch. Der von ihm eingesetzte Premiermin. A. Juppé und die hinter ihm stehenden Parteien verloren jedoch bei der Umsetzung des Regierungsprogramms schnell an Ansehen (bes. aufgrund des strengen Sparkurses), sodass bei vorgezogenen Neuwahlen 1997 nunmehr die Sozialisten eine starke Mehrheit in der Nationalversammlung erreichten. Premiermin. an der Spitze einer Koalitionsregierung aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen wurde der Sozialist L. Jospin. In der Folge gab es erhebl. Umbrüche bei den bürgerl. Parteien, Wahlbündnisse mit der rechtsextremen FN gaben im Frühjahr 1998 Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen; im Sept. 1998 formierte sich die UDF neu.
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