Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Flüchtlinge
Flüchtlinge,unscharfer Sammelbegriff für Personen, die durch polit. (Zwangs-)Maßnahmen, Kriege und existenzgefährdende Notlagen veranlasst wurden, ihre Heimat vorübergehend oder auf Dauer zu verlassen. Dieser Begriff schließt neben Emigranten auch Vertriebene, Zwangsumgesiedelte, Deportierte und in fremde Gebiete verschleppte Zwangsarbeiter ein. Das Genfer F.-Abkommen vom 28. 7. 1951, das Grundlage des internat. F.-Rechts ist, benutzt den engeren Begriff des »polit. F.«: Als F. gilt demnach nur eine Person, die sich »aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftl. Gruppe oder der polit. Meinung außerhalb des Landes ihrer Nationalität befindet ...«. Diese Definition setzt die Furcht vor Verfolgung als Fluchtmotiv und den Grenzübertritt als Fluchtfolge voraus. Sie ist nur auf internat. F. anwendbar, die sich außerhalb ihres Heimatstaates befinden und in einem anderen Staat polit. Asyl suchen. Von ihnen zu unterscheiden sind nat. F. (wie die dt. »Heimatvertriebenen« oder Aussiedler), die als konationale F. in Gebieten ihrer eigenen Nationalität, Sprache und Kultur verbleiben. De-facto-F. sind Asylbewerber, deren Asylanträge zwar abgelehnt wurden, die jedoch aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden. Die Genfer F.-Konvention klammert auch die »Quasi-F.« aus: Binnen-F., die sich in einer »flüchtlingsähnl. Situation« befinden, obwohl sie keine Staatsgrenzen überschritten haben, außerdem die wachsende Zahl von so genannten Wirtschafts-F. aus Gebieten, in denen Massenelend herrscht, ferner die Umwelt-F., die aufgrund von Umweltzerstörungen ihre Heimat verlassen müssen. Von versch. Institutionen wird gefordert, einen weiter gefassten F.-Begriff praktisch wirksam werden zu lassen. Es liegt aber weiterhin im Ermessen der Staaten, wen sie als F. aufnehmen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde innerhalb der UN die Internat. Flüchtlingsorganisation gegründet; seit 1951 nimmt die Betreuung der F. der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) wahr. Anfang 1998 betreute UNHCR weltweit rd. 22 Mio. F. (einschl. Rückkehrer und Binnen-F.), die sich auf Afrika (rd. 7,4 Mio.), Asien (7,5 Mio.) und Europa (6,1 Mio.) konzentrierten. Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der F. weltweit jedoch auf fast 50 Mio. Obwohl die Zahl der F., die in den europ. Ländern Zuflucht suchen, gewachsen ist, ist ihr Anteil an der Gesamt-Bev. i. d. R. geringer als in den Entwicklungsländern. Die Länder, aus denen zu Beginn 1998 die meisten F. stammten, sind Afghanistan (rd. 2,7 Mio.; Hauptasylländer: Iran, Pakistan, Indien, W-Europa), Irak (630 000; Iran, Syrien, Saudi-Arabien, Westeuropa), Bosnien und Herzegowina (620 000; Jugoslawien, Dtl., Kroatien, Österreich, Schweden, Schweiz) und Somalia (524 000; Äthiopien, Kenia, Jemen, Djibouti, W-Europa).
Literatur:
W. Pohl F. in Asien u. Australien, Ozeanien. Eine Bibliographie, bearb. v. u. a., hg. vom Berliner Inst. für Vergleichende Sozialforschung. Berlin 1992.
Steinacker, S.: Flüchtlingskrisen. Möglichkeiten u. Grenzen von Entwicklungszusammenarbeit. München u. a. 1992.
Weltflüchtlingsbericht. Ein Handbuch zu Fluchtursachen u. Asyl, Bevölkerungsbewegungen u. Entwicklungspolitik, hg. vom Berliner Inst. für Vergleichende Sozialforschung u. Netzwerk Menschenrechte, Loseblatt-Ausg. Berlin 1992 ff.
Wöhlcke, M.: Umweltflüchtlinge. Ursachen u. Folgen. München 1992.
Europa gegen den Rest der Welt? Flüchtlingsbewegungen, Einwanderung, Asylpolitik, hg. v. C. Butterwegge u. S. Jäger. Köln 1993.
Nuscheler, F.: Internat. Migration - Flucht u. Asyl. Opladen 1995.
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