Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Familie
Famili|e[lat. familia »Hausstand«],
1) biolog. Systematik: (Familia) systemat. Kategorie, in der näher verwandte Gattungen zusammengefasst werden; in der Zoologie gekennzeichnet durch die Endung -idae, in der Botanik durch -aceae.
2) Recht: a) als Groß-F. der Kreis der durch Ehe und Verwandtschaft miteinander verbundenen Personen, hat z. B. bei der gesetzl. Erbfolge Bedeutung; b) i. e. S. die Ehegatten und deren Kinder (nicht die Partner einer eheähnl. Gemeinschaft).
3) Sozialgeschichte, Soziologie: soziale Gruppe, die in der heutigen Ind.gesellschaft i. d. R. aus den Eltern und ihren (unselbstständigen) Kindern besteht (Kern-F. oder Klein-F.). Im allg. Sprachgebrauch wird oft auch die Verwandtschaft als F. bezeichnet; zur besseren Abgrenzung des Begriffes ist in der F.-Soziologie deshalb der gemeinsame Haushalt für eine F. konstitutiv. Beschränkt sich die F. allein auf die Ehepartner, spricht man von Gatten-F., fehlt ein Elternteil, von unvollständiger F., leben über die Kern-F. hinaus noch (verwandte) Personen im Haushalt, von erweiterter F. Die F.-Formen sind abhängig von der jeweiligen Wirtschafts- und Sozialstruktur. Neben der Regelung der Geschlechtsbeziehung ist heute die primäre Sozialisation der Kinder die wichtigste soziale Funktion der modernen Familie. In früheren Gesellschaften hatte die F. dagegen zusätzlich häufig Kult-, Gerichts-, Schutzfunktionen (auch Altersversorgung durch hohe Kinderzahl) und wirtsch. Funktionen. Aufgrund zunehmender berufl. Tätigkeit der Frau wird heute immer mehr die strikte Arbeitsteilung durch partnerschaftl. Erledigung der zu bewältigenden Aufgaben ersetzt (Gefährten-F.). Obwohl die Zahl der nichtehel. Lebensgemeinschaften und Alleinerziehenden zugenommen hat, ist die F. die häufigste Lebensform geblieben, wobei aber Veränderungen zu beobachten sind: späterer Zeitpunkt der Eheschließung, niedrigere Kinderzahl sowie eine stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern.Geschichte:Die histor. F.-Forschung hat gezeigt, dass frühere Auffassungen von der sich über Stamm, Sippe, Groß-F. und schließlich Klein-F. verkleinernden F.-Form wohl falsch sind und auch in der Antike sowie im MA. die Klein-F. vermutlich die verbreitetste F.-Form war. Durch zahlr. Analysen gesellschaftl. Feinstrukturen ist auch anerkannt, dass die Entwicklung der vorindustriellen patriarchalen Hauswirtschaft sowie die mehrdimensionale Komplexität des histor. Strukurwandels der F. seit dem 18. Jh. auf der Grundlage von Urbanisierung und Industrialisierung sowohl Abbrüche, Verwerfungen als auch Gleichzeitigkeit und Vielfalt unterschiedl. Entwicklungsverläufe nicht ausschließt. Schon vor dem MA. besaß die Sippe bzw. die F. Bedeutung für Wirtschaftsleben, Volkskultur und Recht; ihrer Sicherung wurde im Erb- und Eherecht des Feudal- wie auch später des bürgerlich geprägten Staates große Bedeutung beigemessen. - In der Agrargesellschaft waren v. a. Formen der erweiterten F. vorherrschend: 1. die generationale F., in der Söhne mit Frauen und Kindern unter der Herrschaft des Vaters verblieben; 2. die Gemeinschaft mehrerer Kern-F., die Groß-F., die dadurch entstand, dass die Söhne nach dem Tod des Vaters nicht auseinander gingen, sondern mit ihren Frauen und Kindern gemeinsam Grund und Boden des Vaters bewirtschafteten. - Die fortschreitende Ausbildung des Lehnswesens und des Feudalsystems führte zu unterschiedl. F.-Formen im bäuerl., grundherrschaftl. und im adlig-feudalen Bereich. Mit der Entstehung der Städte seit dem 12. Jh. entwickelten sich neue, stärker von Beruf und Stand geprägte F.-Formen (Handwerker- und Kaufmanns-F.). Der seit dem 11. Jh. sich allmählich durchsetzende Sakramentscharakter der Ehe führte zur christlich geprägten Hausgenossenschaft bzw. Haushalts-F., bei der alle zum Haus (deshalb gleichbedeutend mit F. gebraucht) gehörenden Personen (Hausgenossen, z. B. unmündige und mündige Kinder, Alte, Verwandte, Gesinde, Gesellen) unter dem Mundium (Munt; »Schutz«) des F.-Vaters zur F. zählten. Der Zerfall der Hausgenossenschaft durch die zunehmende Ausprägung der bürgerl. F., endgültig durchgesetzt im 18. Jh., sowie der Übergang zur Ind.gesellschaft im 19. Jh. führten zur seitdem dominierenden Rolle der Kern- oder Klein-F. mit ihrer strikten Rollen- und Arbeitsteilung, wonach der Vater durch seine Arbeit außer Haus den Lebensunterhalt sicherte und die Mutter für Haushalt und Kindererziehung verantwortlich war. Häufig war aber die Mitarbeit von Frau und Kindern nötig, um in Bauern- und Handwerker-F. den F.-Betrieb aufrechtzuerhalten oder, bes. im 19. Jh., in Landarbeiter- und Proletarier-F. (seit etwa 1850 bevölkerungsstatistisch größte Sozialgruppe) den kärgl. Lebensunterhalt zu sichern. - In Adels-F. waren F.-Verbände lange Zeit vorherrschend (bes. F.-Fideikommisse). Seit Beginn des 20. Jh. haben sich die Arbeits-, Wohn- und allgemeinen Lebensbedingungen in den versch. F.-Formen und Sozialschichten stärker angeglichen, als dies je zuvor der Fall war.
▣ Literatur:
Beuys, B.: Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der dt. Vergangenheit. Reinbek 25.-28. Tsd. 1990.
⃟ Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der F., Beiträge v. M. Mitterauer u. R. Sieder. München 41991.
⃟ Hettlage, R.: Familienreport. Eine Lebensform im Umbruch. München 1992.
⃟ Sieder, R.: Sozialgesch. der F. Frankfurt am Main 41995.
⃟ Gesch. der F., hg. v. A. Burguière u. a., 4 Bde. A. d. Frz. Frankfurt am Main 1996-98.
⃟ Weber-Kellermann, I.: Die dt. F. Versuch einer Sozialgesch. Neuausg. Frankfurt am Main 1996.
⃟ Familien in verschiedenen Kulturen, hg. v. B. Nauck u.U. Schönpflug. Stuttgart 1997.
⃟ Gestrich, A.: Gesch. der F. im 19. u. 20. Jh.München 1999.
1) biolog. Systematik: (Familia) systemat. Kategorie, in der näher verwandte Gattungen zusammengefasst werden; in der Zoologie gekennzeichnet durch die Endung -idae, in der Botanik durch -aceae.
2) Recht: a) als Groß-F. der Kreis der durch Ehe und Verwandtschaft miteinander verbundenen Personen, hat z. B. bei der gesetzl. Erbfolge Bedeutung; b) i. e. S. die Ehegatten und deren Kinder (nicht die Partner einer eheähnl. Gemeinschaft).
3) Sozialgeschichte, Soziologie: soziale Gruppe, die in der heutigen Ind.gesellschaft i. d. R. aus den Eltern und ihren (unselbstständigen) Kindern besteht (Kern-F. oder Klein-F.). Im allg. Sprachgebrauch wird oft auch die Verwandtschaft als F. bezeichnet; zur besseren Abgrenzung des Begriffes ist in der F.-Soziologie deshalb der gemeinsame Haushalt für eine F. konstitutiv. Beschränkt sich die F. allein auf die Ehepartner, spricht man von Gatten-F., fehlt ein Elternteil, von unvollständiger F., leben über die Kern-F. hinaus noch (verwandte) Personen im Haushalt, von erweiterter F. Die F.-Formen sind abhängig von der jeweiligen Wirtschafts- und Sozialstruktur. Neben der Regelung der Geschlechtsbeziehung ist heute die primäre Sozialisation der Kinder die wichtigste soziale Funktion der modernen Familie. In früheren Gesellschaften hatte die F. dagegen zusätzlich häufig Kult-, Gerichts-, Schutzfunktionen (auch Altersversorgung durch hohe Kinderzahl) und wirtsch. Funktionen. Aufgrund zunehmender berufl. Tätigkeit der Frau wird heute immer mehr die strikte Arbeitsteilung durch partnerschaftl. Erledigung der zu bewältigenden Aufgaben ersetzt (Gefährten-F.). Obwohl die Zahl der nichtehel. Lebensgemeinschaften und Alleinerziehenden zugenommen hat, ist die F. die häufigste Lebensform geblieben, wobei aber Veränderungen zu beobachten sind: späterer Zeitpunkt der Eheschließung, niedrigere Kinderzahl sowie eine stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern.Geschichte:Die histor. F.-Forschung hat gezeigt, dass frühere Auffassungen von der sich über Stamm, Sippe, Groß-F. und schließlich Klein-F. verkleinernden F.-Form wohl falsch sind und auch in der Antike sowie im MA. die Klein-F. vermutlich die verbreitetste F.-Form war. Durch zahlr. Analysen gesellschaftl. Feinstrukturen ist auch anerkannt, dass die Entwicklung der vorindustriellen patriarchalen Hauswirtschaft sowie die mehrdimensionale Komplexität des histor. Strukurwandels der F. seit dem 18. Jh. auf der Grundlage von Urbanisierung und Industrialisierung sowohl Abbrüche, Verwerfungen als auch Gleichzeitigkeit und Vielfalt unterschiedl. Entwicklungsverläufe nicht ausschließt. Schon vor dem MA. besaß die Sippe bzw. die F. Bedeutung für Wirtschaftsleben, Volkskultur und Recht; ihrer Sicherung wurde im Erb- und Eherecht des Feudal- wie auch später des bürgerlich geprägten Staates große Bedeutung beigemessen. - In der Agrargesellschaft waren v. a. Formen der erweiterten F. vorherrschend: 1. die generationale F., in der Söhne mit Frauen und Kindern unter der Herrschaft des Vaters verblieben; 2. die Gemeinschaft mehrerer Kern-F., die Groß-F., die dadurch entstand, dass die Söhne nach dem Tod des Vaters nicht auseinander gingen, sondern mit ihren Frauen und Kindern gemeinsam Grund und Boden des Vaters bewirtschafteten. - Die fortschreitende Ausbildung des Lehnswesens und des Feudalsystems führte zu unterschiedl. F.-Formen im bäuerl., grundherrschaftl. und im adlig-feudalen Bereich. Mit der Entstehung der Städte seit dem 12. Jh. entwickelten sich neue, stärker von Beruf und Stand geprägte F.-Formen (Handwerker- und Kaufmanns-F.). Der seit dem 11. Jh. sich allmählich durchsetzende Sakramentscharakter der Ehe führte zur christlich geprägten Hausgenossenschaft bzw. Haushalts-F., bei der alle zum Haus (deshalb gleichbedeutend mit F. gebraucht) gehörenden Personen (Hausgenossen, z. B. unmündige und mündige Kinder, Alte, Verwandte, Gesinde, Gesellen) unter dem Mundium (Munt; »Schutz«) des F.-Vaters zur F. zählten. Der Zerfall der Hausgenossenschaft durch die zunehmende Ausprägung der bürgerl. F., endgültig durchgesetzt im 18. Jh., sowie der Übergang zur Ind.gesellschaft im 19. Jh. führten zur seitdem dominierenden Rolle der Kern- oder Klein-F. mit ihrer strikten Rollen- und Arbeitsteilung, wonach der Vater durch seine Arbeit außer Haus den Lebensunterhalt sicherte und die Mutter für Haushalt und Kindererziehung verantwortlich war. Häufig war aber die Mitarbeit von Frau und Kindern nötig, um in Bauern- und Handwerker-F. den F.-Betrieb aufrechtzuerhalten oder, bes. im 19. Jh., in Landarbeiter- und Proletarier-F. (seit etwa 1850 bevölkerungsstatistisch größte Sozialgruppe) den kärgl. Lebensunterhalt zu sichern. - In Adels-F. waren F.-Verbände lange Zeit vorherrschend (bes. F.-Fideikommisse). Seit Beginn des 20. Jh. haben sich die Arbeits-, Wohn- und allgemeinen Lebensbedingungen in den versch. F.-Formen und Sozialschichten stärker angeglichen, als dies je zuvor der Fall war.
▣ Literatur:
Beuys, B.: Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der dt. Vergangenheit. Reinbek 25.-28. Tsd. 1990.
⃟ Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der F., Beiträge v. M. Mitterauer u. R. Sieder. München 41991.
⃟ Hettlage, R.: Familienreport. Eine Lebensform im Umbruch. München 1992.
⃟ Sieder, R.: Sozialgesch. der F. Frankfurt am Main 41995.
⃟ Gesch. der F., hg. v. A. Burguière u. a., 4 Bde. A. d. Frz. Frankfurt am Main 1996-98.
⃟ Weber-Kellermann, I.: Die dt. F. Versuch einer Sozialgesch. Neuausg. Frankfurt am Main 1996.
⃟ Familien in verschiedenen Kulturen, hg. v. B. Nauck u.U. Schönpflug. Stuttgart 1997.
⃟ Gestrich, A.: Gesch. der F. im 19. u. 20. Jh.München 1999.