Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
englische Kunst
ẹnglische Kunst, die Kunst Großbritanniens (ausgenommen die keltische Kunst). Die spezielle geograph. Lage hat eine Kunst von besonderer Eigenart gefördert, die ihrerseits immer wieder Anregungen vom Festland übernommen, aber auch zahlr. Einflüsse an das westl. Europa vermittelt hat.Anglonormannische Kunst: Sie umfasst die angelsächs. Frühzeit mit ihrer Synthese von keltischer Kunst und röm. Überlieferung und die Epoche der Normannen (1066 ff.), die Elemente der nordfrz. Romanik mitbrachten. In der Baukunst übernahm der Kirchenbau der angelsächs. Epoche das Vorbild der röm. Basilika und führte diese noch zu Beginn des 11. Jh. z. T. in Holzbauweise aus (Greensted, Essex; um 1013). Die Steinbaukirche setzte sich nach der Christianisierung Ende des 6. Jh. durch (Kirche von Escomb, Durham; 7. Jh.). In der normann. Zeit begann der Bau der großen Kathedralen, die roman. und anglisierte Formen miteinander verbanden; Basiliken mit zweitürmigen Westfassaden, Vierungsturm über einem weit vorspringenden Querhaus, Chöre von ungewöhnl. Ausdehnung. Die Hauptschiffe wurden flach gedeckt (Ely, Norwich, Peterborough, Winchester), doch die großen Bogen- und Fensteröffnungen zielten bereits auf die Rippenwölbung, die sich in der Kathedrale von Durham (1093 ff.) als einem der frühesten europ. Beispiele verwirklicht fand. In der Profanbaukunst erhielt der Festungsbau vorrangige Bedeutung (Blütezeit in der 2. Hälfte des 12. Jh.). Die Plastik der angelsächs. Zeit setzte gegen Ende des 7. Jh. mit monumentalen Hochkreuzen einen eigenständigen Akzent. Die Bauplastik entwickelte eine reichhaltige ornamentale Bildsprache. Eine bedeutende Kunstleistung stellt die Buchmalerei dar. Sie griff im 7. Jh. von Irland auf die brit. Hauptinsel über (Schreib- und Malschulen in den Klöstern). Die Wandmalereien der Romanik sind bis auf wenige Reste verloren gegangen.Gotik: Sie wurde zum bedeutendsten engl. Nationalstil, der bis ins 19. Jh. wirkte. Obwohl die Baukunst von der frz. Kathedralgotik ausging, war das Early English (1175 bis um 1250) bereits durch Betonung der Horizontalen gekennzeichnet: Breitenausdehnung der Fassaden, Verlängerung des Chores durch die »Lady Chapel« (Marienkapelle), die Türme blieben niedriger und gedrungener als etwa in Frankreich und Dtl.; Hauptwerke u. a. Neubau des Chores von Canterbury (1175 ff.), Kathedralen von Wells (um 1180 ff.), Lincoln (1192 ff.), Salisbury (1220 ff.), York (südl. Querhaus, 1230 ff.). Im Decorated Style (bis um 1350) wuchs die Tendenz zu dekorativen Schmuckformen. Im Perpendicular Style (bis um 1520) wurden senkrechtes Stabwerk als Gliederungsordnung für hohe und breite Fenster, Fächergewölbe und in Flammenform aufgelöstes Maßwerk (Flamboyantstil) charakteristisch. Neben Umbauten von Kathedralen (Winchester, Gloucester, Canterbury) wurden auch Profanbauten (Colleges in Oxford und Cambridge) in diesem Stil errichtet. Die got. Plastik bestimmten Kathedralskulptur (Wells) und Grabfiguren. In der Malerei dominierte bis zum Ende des 15. Jh. die Buchmalerei, nun von frz. Vorbildern beeinflusst. Bedeutsam wurde gegen Ende des 14. Jh. die Glasmalerei (wichtige Meister: Thomas von Oxford und John Thronton aus Coventry), während Wand- und Tafelmalerei sich nur vereinzelt nachweisen lassen.Renaissance: Die Aufnahme von Elementen der festländ. Renaissance setzte bereits im Perpendicular Style ein. Der nachfolgende Tudorstil (1520-58) nahm noch bewusster Formen der europ. Renaissance in die Baukunst auf, doch erst im Queen Elizabeth Style des 16. Jh. wurden die Neuerungen der Renaissance mit der eigenen Tradition zu einer typisch engl. Ausdrucksart verschmolzen (Schlösser und Landsitze des Hofadels). Hier setzten sich bes. frz. Vorbilder durch. Frz. und italien. Einflüsse wurden auch für die Entwicklung der nachmittelalterl. Plastik in England entscheidend. Heinrich VIII. verpflichtete auswärtige Künstler. Neben italien. Meistern war es v. a. der 1536 zum Hofmaler ernannte Hans Holbein d. J., der die Malerei in England nachhaltig beeinflusste, obwohl er nicht i. e. S. schulbildend wirkte.Klassizismus und Neugotik: Die engl. Baukunst des 17. und 18. Jh. wurde von dem von I. Jones eingeführten palladian. Klassizismus beherrscht (Schloss Whitehall, 1619-22), seit etwa 1750 breitete sich daneben die Neugotik aus. Jones' Schüler C. Wren und J. Webb entwickelten die Architektur Palladios in England weiter. Wrens Hauptwerk, der Neubau von Saint Paul's Cathedral in London (1675-1711) bot nach dem Vorbild des Petersdomes in Rom eine Synthese zw. traditionellem Langhaus, Zentralbauweise und palladian. Klassizismus. Barocke Stilelemente wurden durch klassizist. Grundhaltung überlagert (Queen Anne Style). Der Klassizismus wirkte bis ins 19. Jh. (Brit. Museum, 1823 ff.); seit 1750 entstanden aber auch zahlr. neugot. Bauten. Eine bis heute weiterwirkende Entwicklung nahm der engl. Garten bzw. Park seit den 30er-Jahren des 18. Jh. als natürl. Landschaftspark. In der Malerei des 17. Jh. wurde am engl. Hof der Flame A. van Dyck prägend, bis sein Stil im 18. Jh. von der Porträtkunst J. Reynolds und T. Gainsboroughs abgelöst wurde. W. Hogarth leitete die Bewegung der politisch-satir. Illustrationsgrafik ein. Möbel (Chippendale), Keramik (Wedgwood) und Tafelsilber erlebten im 18. Jh. eine Blüte.19. und 20. Jahrhundert: In der viktorian. Epoche (1837-1901) dominierte in der Baukunst die Neugotik (»Gothic Revival«); u. a. Parlamentsgebäude (1837 ff.). Den neuen Eisenskelettbau zeigte der Kristallpalast in London (1851). Einen eigenständigen Beitrag zu städtebaul. Reformbestrebungen stellte um 1900 die Idee der Gartenstadt dar, die noch im Plan von Groß-London (1945) nachwirkte (sieben Satellitenstädte, 1956). 1960 wurde das Programm der New Cities (u. a. Milton Keyes) entwickelt. Neue Wege suchten u. a. A. und P. Smithson und J. Stirling (nach seinen Plänen entstand der Erweiterungsbau der Tate Gallery in London, 1982-87), J. Gowan. Die Malerei wirkte mit der neuen Freilichtkunst des frühen 19. Jh. (W. Turner und J. Constable) auf Frankreich (Schule von Barbizon, Impressionismus). Die Bilder der Präraffaeliten zeigten ein neues Interesse an religiösen und sozialen Themen. Die vereinfachende Malweise im Spätwerk von D. G. Rossetti und E. Burne-Jones, die z. T. auf den eigenartig abstrahierenden Zeichnungen W. Blakes vom Anfang des 19. Jh. beruhte, gab starke Anregungen für den Symbolismus und den Jugendstil. Der in London lebende Amerikaner J. A. M. Whistler trat als Verfechter der modernen Kunst und als Wortführer der L'art-pour-l'art-Bewegung auf, aus der A. Beardsley, der Hauptvertreter des Art nouveau, hervorging. Die Erneuerung des Kunsthandwerks (W. Morris, J. Ruskin, Arts and Crafts Movement) strahlte wieder auf die europ. Entwicklung aus (Jugendstil). Im 20. Jh. brachte die engl. Plastik in H. Moore einen ihrer bedeutendsten Vertreter hervor, neben ihm arbeiteten u. a. L. Chadwick, E. Paolozzi, R. Butler, J. Davies, B. Hepworth. Den akademisch empfundenen abstrakten Plastiken von A. Caro, P. King u. a. begegneten B. Flanagan, T. Cragg oder B. Woodrow mit organ. Plastik und Rauminstallationen. R. Long gilt als bedeutendster europ. Vertreter der plastiknahen Land-Art. Internat. Anerkennung fanden auch A. Gormley, J. Opie und R. Deacon. In der Malerei traten u. a. B. Nicholson, G. Sutherland, F. Bacon, V. Pasmore hervor. Die Malerin B. Riley zeigte in der Op-Art, R. Hamilton, D. Hockney, P. Blake und A. Jones leisteten in der engl. Pop-Art einen eigenständigen Beitrag. Neben abstrakten Malern unterschiedl. Intention, wie R. Danny, H. Hodgkin, A. Charlton, A. Green, behaupteten sich Vertreter einer expressiven, figurativen und pastosen Malerei, so F. Auerbach, L. Freud, L. Kossof. In der Conceptart trat die Gruppe »Art & Language« hervor, auf dem Gebiet von Performance, Foto- und Videokunst machten B. McLean, Latham, S. Brisley, M. Boyle, J. Hills, Gilbert & George und D. Graham auf sich aufmerksam.
Im Zuge des Baubooms der 1980er-Jahre konnten zahlreiche Architekten aufwendige Bürohochhäuser entwerfen. Bekannt wurde M. Hopkins (Shad Thames, London 1990-91, Neubau des Opernhauses von Glyndebourne, 1993/94). T. Farrell trat in London mit postmodernen Lösungen urbanen Zuschnitts hervor (AM-TV-Hauptgebäude; Midland Bank, Filiale Fenchurch Street, u. a.). An öffentlichen Bauten sind der Erweiterungsbau für das Royal Opera House von J. Dixon und v. a. N. Grimshaws neue Bahnhofshalle für die Londoner Waterloo Station (1994) hervorzuheben. Eine ökolog. Orientierung zeigt R. Erskine in seinem Bürohaus »The Arch« (1992). Sir N. Foster steuerte konsquente Hightecharchitektur bei. Im gleichen Stil besticht die Londoner Sendezentrale Channel Four (1994) von R. Rogers.
▣ Literatur:
T. S. R. Boase The Oxford history of English art, hg. v. u. a., auf mehrere Bde. ber. Oxford 1949 ff.
⃟ Pevsner, N.: The buildings of England, auf mehrere Bde. ber. Harmondsworth 1951.
⃟ Sunderland, J.: Painting in Britain, 1525 to 1975. Oxford 1976.
⃟ Engl. Landschaftsmalerei, bearb. v. M. Schwarz. A. d. Engl. Ausst.-Kat. Badischer Kunstverein, Karlsruhe. 1977.
⃟ Marks, R. u. Morgan, N.: Engl. Buchmalerei der Gotik. München 1980.
⃟ Denvir, B.: The late Victorians. Art, design and society, 1852-1910. London u. a. 1986.
⃟ Jacob, J.: Die Entwicklung der Pop-art in England ... von ihren Anfängen bis 1957. Frankfurt am Main 1986.
⃟ E. K. im 20. Jh. Malerei u. Plastik, hg. v. S. Compton. Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart. München 1987.
⃟ Schäfke, W.: Engl. Kathedralen. Eine Reise zu den Höhepunkten engl. Architektur von 1966 bis heute. Köln 31989.
⃟ Technique Anglaise. Current trends in British art, hg. v. A. Renton. London 1991.
⃟ The Thames and Hudson encyclopedia of British art, hg. v. D. Bindman. Neuausg. London 1992.
⃟ Gaunt, W.: English painting. A concise history. Neuausg. London 1993.
⃟ Contemporary British architects. Recent projects from the architecture room of the Royal Academy summer exhibition, Beiträge v. P. Murray u. a. München 1994.
⃟ Spalding, F.: British art since 1900. Neuausg. London 1994.
⃟ Laing, L. R. u. Laing, J.: Early English art and architecture. Dover 1996.
Im Zuge des Baubooms der 1980er-Jahre konnten zahlreiche Architekten aufwendige Bürohochhäuser entwerfen. Bekannt wurde M. Hopkins (Shad Thames, London 1990-91, Neubau des Opernhauses von Glyndebourne, 1993/94). T. Farrell trat in London mit postmodernen Lösungen urbanen Zuschnitts hervor (AM-TV-Hauptgebäude; Midland Bank, Filiale Fenchurch Street, u. a.). An öffentlichen Bauten sind der Erweiterungsbau für das Royal Opera House von J. Dixon und v. a. N. Grimshaws neue Bahnhofshalle für die Londoner Waterloo Station (1994) hervorzuheben. Eine ökolog. Orientierung zeigt R. Erskine in seinem Bürohaus »The Arch« (1992). Sir N. Foster steuerte konsquente Hightecharchitektur bei. Im gleichen Stil besticht die Londoner Sendezentrale Channel Four (1994) von R. Rogers.
▣ Literatur:
T. S. R. Boase The Oxford history of English art, hg. v. u. a., auf mehrere Bde. ber. Oxford 1949 ff.
⃟ Pevsner, N.: The buildings of England, auf mehrere Bde. ber. Harmondsworth 1951.
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⃟ E. K. im 20. Jh. Malerei u. Plastik, hg. v. S. Compton. Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart. München 1987.
⃟ Schäfke, W.: Engl. Kathedralen. Eine Reise zu den Höhepunkten engl. Architektur von 1966 bis heute. Köln 31989.
⃟ Technique Anglaise. Current trends in British art, hg. v. A. Renton. London 1991.
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⃟ Gaunt, W.: English painting. A concise history. Neuausg. London 1993.
⃟ Contemporary British architects. Recent projects from the architecture room of the Royal Academy summer exhibition, Beiträge v. P. Murray u. a. München 1994.
⃟ Spalding, F.: British art since 1900. Neuausg. London 1994.
⃟ Laing, L. R. u. Laing, J.: Early English art and architecture. Dover 1996.