Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Exilliteratur
Exilliteratur(Emigrantenliteratur), Literatur, die während eines (meist aus polit., rass. oder religiösen Gründen) erzwungenen oder freiwilligen Exils entstand. I. w. S. werden auch Werke nicht exilierter Autoren, die nur im Ausland publizieren können, als Teil der E. betrachtet. E. gibt es seit frühesten Zeiten, wenn staatl. Unterdrückung, Zensur, Schreibverbot oder Verbannung Schriftsteller u. a. zur Emigration zwangen (z. B. Hipponax und Ovid in der Antike, Dante im MA.). Bed. moderne E. ist ein großer Teil der Werke G. Büchners, H. Heines und L. Börnes, ebenso Werke des poln. Dichters A. Mickiewicz.Eine große Gruppe bilden die Werke der während des Nationalsozialismus aus rass. oder polit. Gründen im Exil lebenden v. a. dt. und österr. Schriftsteller (T. W. Adorno, W. Benjamin, E. Bloch, B. Brecht, H. Broch, A. Döblin, L. Feuchtwanger, Else Lasker-Schüler, Heinrich, Klaus und Thomas Mann, R. Musil, E. M. Remarque, J. Roth, Anna Seghers, Nelly Sachs, F. Werfel, E. Canetti, P. Zech, A. Zweig, S. Zweig, C. Zuckmayer u. a.). In den Zentren Paris, Amsterdam, Stockholm, Zürich, Prag und Moskau (nach Ausbruch des Krieges in den USA, Mexiko, Argentinien und Palästina) entstanden neue Verlage, Emigrantenvereinigungen und v. a. Emigrantenzeitungen und -zeitschriften. Die veröffentlichte E. ist künstlerisch, inhaltlich und formal uneinheitlich; häufig gewinnt die Idee der Humanität und die entschiedene Opposition gegen den Nationalsozialismus Gewicht.
Die E. kann als die repräsentative dt. Lit. der Jahre 1933-45 angesehen werden, da im Heimatland fast ausschließlich nat.-soz. Literatur Anerkennung fand und auch die Werke der Schriftsteller der inneren Emigration (u. a. E. Wiechert, R. Schneider, W. Bergengruen, E. Kästner) unterdrückt wurden. Eine neue Emigrationsbewegung entstand innerhalb Dtl.s, als sich viele Schriftsteller von der DDR distanzierten und deshalb in ihren Publikationsmöglichkeiten beschränkt wurden; diese Autoren siedelten in die Bundesrepublik Dtl. über oder wurden ausgebürgert (P. Huchel, W. Biermann, R. Kunze, Sarah Kirsch u. a.).Die längste Exilgeschichte des 20. Jh. hat die russ. Literatur (u. a. M. Gorki, I. A. Bunin, A. A. Amalrik, I. A. Brodski, A. I. Solschenizyn). Bed. Autoren der poln. E. sind A. Mickiewicz und C. Miłosz, der tschech. P. Kohout und M. Kundera, der slowak. L. Mňačko, der ungar. E. G. Lukács und der rumän. E. M. Eliade. Gegenwärtig ist v. a. die regimekrit. Lit. vieler Länder der Dritten Welt E.Eine besondere Stellung nimmt die E. der jüd. Autoren (jiddische Literatur) ein. Zu einer einmaligen Form der Emigration mit geheimen, wechselnden Orten führte der 1989 gegen den brit. Schriftsteller S. Rushdie gerichtete Mordaufruf des Ayatollah Khomeini.
Literatur:
Walter, H.-A.: Deutsche E. 1933-1945, auf mehrere Bde. ber. Neuausg. Stuttgart 1978 ff.
Strelka, J.: E. Grundprobleme der Theorie, Aspekte der Geschichte u. Kritik. Bern u. a. 1983.
E. 1933-1945, hg. v. W. Koepke u. M. Winkler. Darmstadt 1989.
Kasack, W.: Die russ. Schriftsteller-Emigration im 20. Jh. Beiträge zur Geschichte, den Autoren u. ihren Werken. München 1996.
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