Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Ethik
Ethik[zu grch. éthos »Sitte«, »Brauch«] die, philosoph. Wiss. vom Sittlichen (Sittlichkeit); sie sucht auf die Frage: »Was sollen wir tun?« zu antworten. Gegenstände ihrer Betrachtung sind die menschl. Handlungen, die Gesinnung, aus der diese hervorgehen (Gesinnungs-E.), die von ihnen erzeugten Wirkungen (Erfolgs-E.) und die Werte und Normen selbst (Wertethik). Von dieser Individual-E. wird eine Sozialethik unterschieden. Ein besonderer Ausgangspunkt des eth. Denkens ist die Frage, ob die sittl. Willensantriebe und Wertschätzungen angeboren, also in gewissem Ausmaß allen Menschen gemeinsam sind, oder ob sie aus der Erfahrung gewonnen werden und daher nach Völkern und Zeitaltern wechseln. Das Wesen des Sittlichen kann in einer Form gefunden werden, die allen sittl. Handlungen gemeinsam ist, so bes. die Vernünftigkeit der Intention (formale E.), aber auch in bestimmten Wertinhalten, in die sich die Welt der sittl. Erscheinungen gliedert (materiale E.). Einige Richtungen der E. ergeben sich aus dem Versuch, die sittl. Erscheinungen auf einen einheitl., an sich außersittl. Wert zurückzuführen, etwa die Glückseligkeit (Eudämonismus), die Lust (Hedonismus), den eigenen oder den allgemeinen Nutzen (Utilitarismus). Moralphilosophie, Moraltheologie, theologische EthikGeschichte: Als Wiss. ist E. zuerst von Aristoteles entwickelt worden (Tugendlehre; Tugend). Die Stoa betonte dann die sittl. Forderung eines von der Natur gegebenen Gesetzes. Dieser Gedanke verband sich im Christentum mit dem des geoffenbarten Gesetzes Gottes. Erst bei Thomas von Aquin entstand daraus eine umfassende philosophisch-theolog. Synthese, deren Grundbegriffe bis in die Aufklärung erhalten blieben. In der Neuzeit wurde die Forderung erhoben, jede faktisch allgemein befolgte sittl. Norm als vernünftige Vereinbarung zu begründen; Begründungsregel bei Kant ist der kategorische Imperativ. In Abkehr von Kants Formalismus entstand im 20. Jh. in Dtl. u. a. eine phänomenolog. materiale Wert-E. (M. Scheler, N. Hartmann u. a.); in Anlehnung an Kant in neuerer Zeit die normativ-krit. konstruktive E. der »Erlanger Schule« (P. Lorenzen). - In Frankreich deckte die existenzialist. E. der Nachkriegszeit (J.-P. Sartre, A. Camus) bes. die anthropolog. Voraussetzungen der E. auf, ließ allerdings die eth. Sinnfrage zurücktreten. Über Großbritannien hinaus hat sich in der neuesten Zeit die sprachanalyt. Metaethik ausgebreitet, die unter dem Einfluss der Gedanken G. E. Moores (Principia ethica) und L. Wittgensteins steht.
Literatur:
A. Pieper, Gesch. der neueren E., hg. v. 2 Bde. Tübingen 1992.
Habermas, J.: Faktizität u. Geltung. Frankfurt am Main 41994.
Pieper, A.: Einführung in die E. Tübingen u. a. 31994.
Singer, P.: Prakt. E. A. d. Engl. Stuttgart 21994.
E. u. wiss. Fortschritt, hg. v. P. Mittelstaedt. Bonn 1995.
Irrgang, B.: Grundriß der medizin. E. München 1995.
MacIntyre, A.: Geschichte der E. Weinheim 31995.
Lexikon der E., hg. v. O. Höffe. München 51997.
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