Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Entwicklung
Entwicklung,1) Biologie: der Werdegang der Lebewesen von der Eizelle bis zum Tod. Beim Menschen und bei mehrzelligen Tieren gliedert sich die Individual-E. (Ontogenese, Ontogenie) in vier Abschnitte: 1) Embryonal-E.; eine befruchtete Eizelle beginnt mit ihrer Furchung, d. h. einer schrittweise verlaufenden Teilung in 2, 4, 8, 16, 32 usw. Zellen, die Furchungszellen. Es entsteht zunächst ein Zellhaufen, der Maulbeerkeim (Morula), hieraus weiter die hohlkugelähnl. Keimblase (Blastula). Die einschichtige Wand nennt man Keimhaut (Blastoderm), den Raum im Innern Furchungshöhle (Blastozöl). Nun entwickelt sich die Körpergrundgestalt meist durch Eindellung der Keimhaut der Blastula (Gastrulation). Es entsteht der zweischichtige Becherkeim (Becherlarve, Gastrula) mit einer Öffnung, dem Urmund (Blastoporus), der Einstülpungshöhle (Urdarm) und den beiden Zellschichten, äußeres Keimblatt (Ektoderm, Ektoblast) und inneres Keimblatt (Entoderm, Entoblast), aus dem heraus sich später ein drittes, mittleres Keimblatt (Mesoderm, Mesoblast) bildet. Die Keimblätter enthalten die Anlagen der späteren Organe. In der Folge bildet sich eine Medullarplatte aus, aus der die Anlagen von Gehirn und Rückenmark entstehen (Medullarrohr, Neuralrohr). Dieses Stadium heißt Neurula. 2) Jugend-E. (postembryonale E., Juvenilstadium), dauert von der Geburt bzw. vom Schlüpfen aus dem Ei oder den Embryonalhüllen bis zum Erreichen der Geschlechtsreife; 3) Reifeperiode (adulte Periode), gekennzeichnet durch das geschlechtsreife Lebewesen, wobei zu Beginn dieser Phase die Körper-E. noch nicht endgültig abgeschlossen zu sein braucht; 4) Periode des Alterns, in ihr vollziehen sich im Körper Abbauprozesse, bis der natürl. Tod den Abschluss bringt. Über die Keimes-E. der Pflanzen Keimung, Embryo. Die Stammesentwicklung (Phylogenese) beschreibt die E. von niederen Organismen bis zu höchstentwickelten Lebewesen.
2) Wissenschaftsgeschichte: naturwiss. und philosoph. Begriff im Ggs. zur »Schöpfung«, dem Hervorbringen aus dem Nichts, oder zur spontanen »Gestaltung« aus einem Chaos oder einem Stoff. E. kennzeichnet den (gesetzmäßigen) Prozess der Veränderung von Dingen und Erscheinungen als Aufeinanderfolge versch. Formen oder Zustände; bes. die Entfaltung von Anlagen, die in den Anfangsstadien vorgegeben sind, zu ausgebildeten Formen (»Auswicklung« eines vorher »Eingewickelten«). Der Begriff enthält oft den Gedanken eines immanenten Ziels (Teleologie). Wird dieses Ziel oder die darauf gerichtete Bewegung als ein Wert (bes. sittlich oder religiös) bestimmt, so nimmt der E.-Begriff selbst einen Wertcharakter an (Höher-E., Vervollkommnung, Fortschritt). In dieser Fassung wurde er im dt. Idealismus (J. G. Herder, F. W. J. von Schelling, G. W. F. Hegel) zu einem Grundbegriff der Kultur-, Geschichts- und Naturphilosophie (E. als Selbstentfaltung des Göttlichen in der Welt). Dagegen strebten die biolog. und positivist. Richtungen der Philosophie danach, ihn wertfrei zu definieren, z. B. als zunehmende Differenzierung und Integration der Formen und Funktionen (H. Spencer) oder als fortschreitende Anpassung an die Bedingungen der Umwelt (C. Darwin). Ungeachtet dieser Differenzen wurde er im 19. Jh. zu einem der beherrschenden Begriffe in allen Wissenschaften.
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