Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Entdeckungsgeschichte
Entdeckungsgeschichte, die Geschichte des Auffindens und der Erschließung von Gebieten der Erde, die dem entdeckenden Kulturkreis zuvor unbekannt waren. Es handelte sich dabei häufig um Territorien, die bereits andere Kulturkreise besiedelt hatten. Ins Zentrum der histor. Betrachtung rückten v. a. die Entdeckungsreisen der Europäer seit dem Beginn der Neuzeit (Zeitalter der großen Entdeckungen) mit ihren weit reichenden wirtsch. und polit. Folgen (u. a. Entstehung der Kolonialreiche). Die bereits im Altertum einsetzende Erkundung fremder Gebiete erfolgte zunächst v. a. im Zusammenhang mit Kriegszügen und der Ausdehnung des Handels, später kamen die überseeische Expansion der europ. Seefahrernationen, Abenteurertum (z. B. Suche der Konquistadoren nach dem legendären El Dorado), Missionierung und zunehmend auch wiss. Forscherdrang als Motive hinzu.Altertum: Die älteste schriftlich überlieferte Entdeckungsreise ist die von der ägypt. Königin Hatschepsut veranlasste Expedition nach Punt Anfang des 15. Jh. v. Chr. Bereits Anfang des 6. Jh. v. Chr. umsegelten die Phöniker Afrika. Den Griechen und Römern waren außer dem Mittelmeergebiet auch die Küsten des Schwarzen Meeres gut bekannt. Die wichtigsten Entdeckungsreisen galten Afrika und Vorderasien (Herodot, 5. Jh. v. Chr.); der Alexanderzug (334-324 v. Chr.) führte bis zur Schwelle Indiens. Durch die Reisen des Pytheas aus Massalia (etwa 330 v. Chr.) wurde Genaueres über W- und N-Europa berichtet. Die größte Ausdehnung des Röm. Reiches unter Trajan (98-117) ermöglichte bereits ein Denken in dem weiten Raum von England bis Mesopotamien.Mittelalter: Die seefahrtkundigen Wikinger erreichten um 860 das allerdings schon früher von iroschott. Mönchen besiedelte Island und 982 Grönland; von hier aus entdeckte Leif Eriksson um 1000 die NO-Küste Nordamerikas; eine Besiedlung (L'Anse aux Meadows) war nicht von Dauer. Diese Kenntnis Amerikas ging jedoch wieder verloren. - Die Araber übernahmen das Erbe der grch. Geographie. Sie querten die Sahara, gelangten bis in die Sudanzone und besaßen im MA. weit bessere Kenntnisse von Afrika, Vorder- und Südasien als die Europäer. Der Marokkaner Ibn Battuta war der bedeutendste Landreisende seiner Zeit; er lernte auf seinen Reisen (1325-53) große Teile N-Afrikas, Vorderasien, Indien, den Malaiischen Archipel und China kennen. - Die Kenntnis von Asien erweiterten die zu den Mongolenherrschern gesandten päpstl. Boten G. del Carpini (1246) und W. von Rubruk (1254) sowie v. a. Marco Polo, der 1271-95 Persien, Zentralasien, China und Indien bereiste und den Pazif. Ozean entdeckte. Aus seiner Reisebeschreibung ergab sich die Kenntnis, dass O- und S-Asien meerumschlossen sind.Zeitalter der großen Entdeckungen: Von Heinrich dem Seefahrer angeregt, unternahmen Portugiesen (seit 1418) Entdeckungsfahrten, zunächst entlang der W-Küste Afrikas (Madeira 1420, Azoren 1427), bes. nachdem die Türken 1453 durch die Einnahme Konstantinopels den Zugang nach Indien gesperrt hatten. Die Suche eines Seewegs nach Indien durch die Spanier führte zur weltgeschichtlich folgenreichen Landung von C. Kolumbus in Amerika (12. 10. 1492); weite Gebiete der Neuen Welt wurden Europa jetzt bekannt (seit 1498 Südamerika, seit 1502 Zentralamerika). Spanien und Portugal beanspruchten als die führenden Nationen der Zeit die Beherrschung der von ihnen entdeckten Räume; sie schrieben ihre Interessensphären in den Verträgen von Tordesillas (1494) und Saragossa (1529) fest. Bereits 1487/88 umsegelte B. Diaz die S-Spitze Afrikas; 1497/98 fand Vasco da Gama den Seeweg nach Indien. Nachfolgend wurden Malakka (1508), die Molukken (1512), S-China (Kanton 1517), Neuguinea (1526) und schließlich Japan (1542) erreicht. 1519-22 bewies die von F. Magalhães begonnene 1. Weltumsegelung die Kugelgestalt der Erde. Der Vorherrschaft der iber. Nationen widersetzten sich Franzosen, Holländer und Engländer. In engl. Auftrag wurde seit 1553 nach der Nordostpassage (S. Caboto) und seit 1576 nach der Nordwestpassage gesucht; damit begann die Erforschung des Kanadisch-Arkt. Archipels (J. Davis, W. Barents u. a.). F. Drake gelang 1577-80 die 2. Weltumsegelung. - So ergab sich am Ende dieses Zeitalters eine beispiellose Ausweitung des geograph. Wissens. Süd- und Mittelamerika waren in ihren Küstengebieten und besiedelbaren Hochländern wesentlich besser bekannt als Nordamerika, das seit der Entdeckung Neufundlands (G. und S. Caboto, 1497) und Floridas (J. Ponce de León, 1513) erforscht wurde.17. und 18. Jahrhundert: Engländer (1600) und Holländer (1602) gründeten Handelskompanien und legten in Indien und im Malaiischen Archipel die Grundlage für ihre Kolonialreiche. 1606 entdeckte W. Jansz(oon) die NW-Küste Australiens, 1642 A. J. Tasman die später nach ihm benannte Insel. - Kosaken erreichten 1639 über Sibirien das Ochotskische Meer. Christl. Missionare kamen nach China und gelangten von Indien aus nach Tibet. E. Kaempfer prägte nach Reisen in Japan (1690-92) die für Europa bis ins 19. Jh. maßgebende Vorstellung von diesem Land. - Im N der Neuen Welt entdeckten Franzosen die Großen Seen (S. de Champlain, 1615). S. I. Deschnjow umfuhr 1648 das NO-Kap Asiens. Die von V. J. Bering geleitete »Große Nord. Expedition« (1733-43) sowie die Reisen C. Niebuhrs (1761-67) und A. von Humboldts (1799-1804) waren Ausdruck des wachsenden wiss. Forschungsinteresses. Auch die drei Weltumsegelungen von J. Cook (1768-71, 1772-75 und 1776-79), dem letzten großen maritimen Entdecker, bedeuteten neben der seefahrer. eine wiss. Leistung. - Europa wandte sich nach der Gründung der »African Association« (1788) v. a. der Erforschung Afrikas zu. M. Park (1795 ff.) suchte den Nigerlauf zu klären, F. K. Hornemann gelang als erstem Europäer die Durchquerung der Sahara (1797-1800).19. und 20. Jahrhundert: Mit der Umsegelung der Antarktis 1819-21 (durch F. G. von Bellingshausen) begann deren Erforschung; den Südpol erreichte im Dez. 1911 R. Amundsen kurz vor R. F. Scott (Jan. 1912). Die Erforschung der Arktis blieb z. T. mit der Suche nach der Nordostpassage (A. E. von Nordenskiöld, 1878/79) und der Nordwestpassage (R. Amundsen, 1903-06) verbunden; in die Nähe des Nordpols gelangte R. E. Peary (1908/1909). Die erste Überfliegung des Nordpols im Luftschiff gelang 1926 R. Amundsen und U. Nobile, die des Südpols R. E. Byrd, der mit seinen vier Antarktisexpeditionen zw. 1928 und 1947 die wesentl. Entdeckungen in diesem Polargebiet machte. Die erste Durchquerung der Antarktis auf dem Landweg gelang V. E. Fuchs 1957/58. - Die Erschließung Innerafrikas war v. a. mit der Klärung des Laufs der großen Ströme (bes. Niger, Nil und Kongo) verbunden; bahnbrechende Expeditionen unternahmen z. B. D. Livingstone (1849 ff.), H. Barth (1850-55) und H. M. Stanley (1871 ff.). - Die abgelegenen Gebiete Zentralasiens wurden vom letzten großen Landreisenden S. Hedin erforscht (Expeditionen zw. 1894 und 1935). Schwer begehbare Gebiete, die in den 60er-Jahren des 20. Jh. nur annähernd bekannt und kartographisch erfasst waren, konnten inzwischen durch die Fernerkundung der Satelliten umfassend aufgenommen werden. 1995 gelang einer britisch-frz. Expedition die Entdeckung der Quelle des Mekong im Hochland von Tibet. Vgl. zur Entdeckung und Erforschung die Übersichten Afrika, Asien, Australien, Nordamerika, Südamerika.. Übersichten und Tabellen finden Sie im Buch
▣ Literatur:
Krämer, W.: Die Entdeckung u. Erforschung der Erde. Leipzig 81979.
⃟ Reinhard, W.: Geschichte der europ. Expansion, 4 Bde. Stuttgart u. a. 1983-90.
⃟ Dokumente zur Geschichte der europ. Expansion, hg. v. Eberhard Schmitt u. a., Bd. 2: Die großen Entdeckungen. München 1984.
⃟ Bitterli, U.: Alte Welt - neue Welt. Formen des europäisch-überseeischen Kulturkontakts vom 15. bis zum 18. Jh. Neuausg. München 1992.
▣ Literatur:
Krämer, W.: Die Entdeckung u. Erforschung der Erde. Leipzig 81979.
⃟ Reinhard, W.: Geschichte der europ. Expansion, 4 Bde. Stuttgart u. a. 1983-90.
⃟ Dokumente zur Geschichte der europ. Expansion, hg. v. Eberhard Schmitt u. a., Bd. 2: Die großen Entdeckungen. München 1984.
⃟ Bitterli, U.: Alte Welt - neue Welt. Formen des europäisch-überseeischen Kulturkontakts vom 15. bis zum 18. Jh. Neuausg. München 1992.