Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
deutsche Sprache
deutsche Sprache,zur german. Gruppe (germanische Sprachen) der indogermanischen Sprachen gehörende Sprache, die außer in Dtl., in Österreich, der dt.sprachigen Schweiz und Liechtenstein auch in Luxemburg, Belgien (bes. im Gebiet Eupen-Malmédy), Frankreich (bes. im Elsass und in Lothringen), in Dänemark (v. a. in Nordschleswig) und in Italien (u. a. in Südtirol) gesprochen wird, zudem gibt es in O- und SO-Europa noch Gebiete mit dt.sprachiger Bev.; außerhalb Europas bestehen Sprachinseln u. a. in Kanada, USA (Pennsylvaniadeutsch), Südamerika, Australien und Afrika (Namibia und Rep. Südafrika); heute rd. 100 Mio. Sprecher.
Bis zum 8. Jh. erstreckte sich die d. S. im O nur bis etwa an die Elbe und die Saale. Im S gehörten die langobard. Teile Oberitaliens zum dt. Sprachgebiet, große Teile des westl. Frankreich waren dt. oder gemischt romanisch-deutsch. In althochdt. Zeit breitete sich die d. S. nach S und W, mit Beginn der dt. Ostsiedlung weit nach O aus. Seit dem 12. Jh. wurde in Schleswig und in den nördl. Gebieten östlich der Elbe dt. gesprochen. Seit dem 13. Jh. kamen Deutsche nach Ostpreußen und ins Baltikum. Auch in Böhmen drang das Dt. vor, bes. im Sudetenland. Andererseits bildete das Niederländische bis zum 16. Jh. eine eigene Hochsprache aus und spaltete sich vom Dt. ab. Die größten Einbußen erlitt das dt. Sprachgebiet durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs.Althochdeutsch (etwa 750-1050): Die Voraussetzungen für die Entstehung der d. S. aus mehreren german. Dialekten wurde durch das Frankenreich unter Karl d. Gr. geschaffen; es bildete sich im Ostteil des Reiches heraus, der die germanische Dialekte sprechenden Stämme umfasste. Die Bildungsreform Karls d. Gr. schloss auch eine Reform des Kirchen- und Schulwesens ein. Um eine Ausbreitung des Christentums zu erreichen, musste die Kluft zw. lat. Bildungs- und fränk. Volkssprache überwunden werden; es entstanden viele althochdt. Übersetzungen kirchl. Texte. Antikes und christl. Gedankengut wurde in Klöstern und Klosterschulen als Bildungszentren vermittelt. Durch Predigt in der Volkssprache sollte auch dem Laien die neue, christl. Lehre zugänglich gemacht werden. Die Ausdrucksfähigkeit der Sprache wurde durch Wortentlehnungen aus dem Lateinischen oder Griechischen, häufiger durch Lehnprägungen (Neuprägungen mithilfe von Bestandteilen dt. Wörter nach dem Vorbild der lat. Kirchensprache) erweitert. Klöster wie Fulda (Hrabanus Maurus), Lorsch, Weißenburg im Elsass (Otfrid), St. Gallen, Reichenau, Wessobrunn, Murbach, Sankt Emmeran, Mondsee sowie die Bischofssitze Salzburg, Regensburg und Freising spielten dabei eine bedeutende Rolle. - In der sprachl. Form des Althochdt. ist die Klangfülle der Wörter auffallend, die durch die volltönenden Vokale der Nebensilben bedingt ist und eine Vielfalt im Formensystem ermöglicht. Das wichtigste Ereignis in der althochdt. Lautentwicklung war die 2. oder hochdt. Lautverschiebung, die das Hochdt. von den anderen german. Sprachen abhebt.Mittelhochdeutsch (etwa 1050-1350): Die Sprache wird verfestigt und zu einer Kultursprache ausgestaltet, die bereits den Anforderungen der versch. Literaturgattungen angepasst werden konnte. Hauptträger dieser Sprache waren v. a. Rittertum und Adel als polit. und wirtsch. Führungsschicht. Diese Blüte dauerte jedoch nur kurze Zeit, denn der Zerfall der kaiserl. Zentralgewalt 1250 bedeutete auch den Zerfall der alten polit. Ordnung. In die Zeit des Umbruchs und der geistigen Orientierungslosigkeit fiel der Versuch versch. religiöser Bewegungen, eine seel. Erweckung des Menschen zu bewirken; in diesem Zusammenhang war (auch für die Entwicklung der d. S.) die Mystik von besonderer Bedeutung. Die engen Beziehungen zum frz.-provenzal. Rittertum förderten im MA. die Übernahme einer großen Zahl von Lehnwörtern aus dem Französischen (Lanze, Tanz, Flöte, Turnier) sowie frz. Wortbildungselemente, z. B. die Suffixe -ieren und -ie (parlieren, Partie). Die Mystiker mussten für das »Unsagbare«, das Verhältnis des Menschen zu Gott, erst sprachl. Mittel finden, um ihre Gedanken und Erlebnisse verständlich machen zu können, z. B. Wörter wie Einkehr, Einfluss, einförmig, gelassen. Bes. die Abstraktbildungen mit -heit, -keit, -ung und -lich sowie Substantivierungen (das Sein) haben die d. S. stark beeinflusst. - Die sprachl. Struktur des Mittelhochdt. weist deutl. Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem Althochdt. auf. Die Vokale der Nebensilben wurden zu -e- abgeschwächt (geban: geben); die Vokale der Tonsilben wurden umgelautet, wenn i oder j folgte (mahtig: mähtec »mächtig«). Im Konsonantismus trat die Auslautverhärtung der stimmhaften Verschlusslaute ein (Genitiv leides: Nominativ leit). Durch die Abschwächung der Nebensilbenvokale konnten viele Flexionsformen nicht mehr unterschieden werden. Dies hatte die zunehmende Verwendung von Artikel und Pronomen zur Folge.Frühneuhochdeutsch (etwa 1350-1650): In den Territorien des Reiches entstanden fürstl. Kanzleien, die durch die zunehmende Umstellung der Verwaltung und Rechtsprechung auf schriftl. Urkunden an Bedeutung gewannen. Von der Kanzleisprache gingen Impulse zu einer neuen schriftsprachl. Einheit aus. Die großen Kanzleien wurden langsam zu Vorbildern, sodass einige Urkundensprachen (Kanzleisprachen) entstanden, die überregionale Geltung hatten, bes. die der Prager Kanzlei der Luxemburger, die kaiserl. Kanzlei der Habsburger, die sächs. oder meißn. Kanzlei der Wettiner sowie die Kanzleien von Nürnberg, Augsburg, Köln, Trier u. a. Für die Verbreitung der neuen Sprachformen war die Erfindung des Buchdrucks entscheidend. M. Luthers Bibelübersetzung mit ihrer aus ostmitteldt. und ostoberdt. Elementen gebildeten Ausgleichssprache hatte auf die Entwicklung der neuhochdt. Sprache großen Einfluss; Luther übernahm weitgehend die sächs. Kanzleisprache, die sich aus dem Prager Kanzleideutsch entwickelt hatte. - Die sprachl. Struktur des Frühneuhochdt. unterscheidet sich vom Mittelhochdt. durch einige Lautveränderungen: Die neuhochdt. Diphthongierung (mîn: mein; hûs: Haus); die Monophthongierung der alten Diphthonge (guot: gut; güetec: gütig); die Vokale der kurzen, offenen Stammsilben wurden gedehnt (leben: lēben). Durch die Abschwächung der Endsilbenvokale wurden die Deklinationsklassen immer mehr verwischt, was zu einer Vernachlässigung der Kasus (Fälle), bes. des Genitivs, zugunsten präpositionaler Fügungen führte.Neuhochdeutsch (seit 1650): Versuche einer theoret. Beschreibung der d. S. führten zu Normierungsansätzen in Form dt. Grammatiken. Die ersten waren die »Teutsche Sprachkunst« (1641) und die »Ausführl. Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache« (1663) von J. G. Schottel. Die Grammatiker des 18. Jh. (außer Schottel und Gottsched auch J. C. Adelung) setzten diese Bestrebungen fort. Die Lexikographen (u. a. Adelung und J. H. Campe) trugen zur Vereinheitlichung der Wortformen und der Rechtschreibung bei. Im 18. Jh. wurden Stil und Handhabung der d. S. durch einzelne Dichterpersönlichkeiten (z. B. Klopstock, Goethe, Schiller) vorbildlich für die Ausdrucksform der gebildeten Schichten. Im 19. Jh. begann die i. e. S. philolog. Auseinandersetzung mit der d. S. (»Dt. Grammatik«, 1819-37, 4 Bde., von J. Grimm, »Dt. Wörterbuch«, 1852 ff., von J. und W. Grimm). Die sich die ganze neuhochdt. Epoche hinziehenden Bemühungen um eine Regelung der Rechtschreibung hatten erst 1901 Erfolg, nachdem K. Duden mit seinem Wörterbuch bahnbrechend gewirkt hatte. Durch T. Siebs erfolgte die Regelung der Aussprache (Aussprachenorm an führenden dt. Bühnen). - Die Strukturveränderungen des Neuhochdt. gegenüber dem Frühneuhochdt. betrafen v. a. die Flexionsformen, während die Laute nahezu unverändert blieben bzw. nur orthographisch anders wiedergegeben wurden. Beim Substantiv stand die Markierung der Unterscheidung zw. Singular und Plural durch Artikel, Endungen und Umlaut weiter im Vordergrund, ebenso der Ersatz des Genitivs und Dativs durch die Akkusativ- oder Präpositionalgefüge. Beim Verb schwanden die Konjunktivformen immer mehr. Für das Verb ist das Vordringen schwacher Formen typisch; neue Verben werden nur noch schwach (ohne Ablaut und mit Dentalsuffix) gebildet. Die Verwendung des Konjunktivs ist rückläufig; an seine Stelle treten zunehmend Umschreibungen mit »würde« oder mit Modalverben. Als ein stilist. Merkmal der dt. Gegenwartssprache (bes. in Wiss. und Verwaltung) gilt der Nominalstil. Die Beratungen über eine Rechtschreibreform wurden Anfang 1996 abgeschlossen. Am 1. 7. 1996 unterzeichneten in Wien Vertreter der deutschsprachigen Staaten und von Ländern mit dt. Minderheit die »Gemeinsame Absichtserklärung zur Neuregelung der dt. Rechtschreibung«. Danach trat die Reform am 1. 8. 1998 in Kraft, am 31. 7. 2005 endet die Übergangszeit. Die Änderungen betreffen die Laut-Buchstaben-Zuordnung (einschließlich Fremdwortschreibung und ß-Schreibung), die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Schreibung mit Bindestrich, die Groß- und Kleinschreibung, die Zeichensetzung und die Worttrennung am Zeilenende.Morphologie: Im Dt. gibt es vier Kasus und zwei Numeri (Singular und Plural). Für die Deklination des Substantivs gibt es drei Gruppen, eine sog. starke, eine schwache und eine gemischte Deklination. Die Deklinationsklassen des Substantivs reichen zur Kennzeichnung der Funktion des Wortes im Satz nicht mehr aus, diese Aufgabe haben die Artikel und Attribute übernommen. Bei den Verben unterscheidet man u. a. starke und schwache Verben. Die starken Verben verändern im Präteritum den Stammvokal und bilden das 2. Partizip auf -en, die schwachen bilden bei gleich bleibendem Stammvokal das Präteritum mit -t und das 2. Partizip auf -(e)t. (Verb, Übersicht. Übersichten und Tabellen finden Sie im Buch)Wortschatz: Die dt. Mundarten, aus denen die Hochsprache (Standardsprache) hervorgegangen ist, liefern der Hochsprache immer neues Wortgut und tragen so zur Erweiterung des Wortschatzes und der Ausdrucksmittel bei. Zunehmend wirksam sind der Einfluss der Fachsprachen aus Wiss., Technik, Wirtschaft, Sport u. a. Ein weiteres Merkmal der dt. Gegenwartssprache ist die Übernahme fremdsprachl. Termini, bes. aus dem Amerikanischen und Englischen. Dies steht im Zusammenhang mit der zunehmenden Internationalisierung des modernen Lebens. Ein weiteres wichtiges lexikal. Kennzeichen der d. S. im 20. Jh. ist das zunehmende Eindringen von umgangs- und alltagssprachl. Wendungen sowie von Wörtern und Ausdrücken aus Sondersprachen (z. B. der Jugendsprache) in die Hochsprache.
▣ Literatur:
Jacob Grimm Dt. Wörterbuch, bearb. v. u. Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Tlen. Leipzig 1854-1960, Quellenverzeichnis 1971, Nachdr. in 33 Bden. München 1984. Neubearb. Stuttgart u. a. 1965 ff.
⃟ Bach, A.: Geschichte der d. S. Wiesbaden 91980.
⃟ Polenz, P. von: Geschichte der d. S. Erweiterte Neubearb. der früheren Darstellung v. H. Sperber. Berlin u. a. 91987.
⃟ Eggers, H.: Dt. Sprachgeschichte, 2 Bde. Neuausg. Reinbek 1992-96.
⃟ Erben, J.: Dt. Grammatik. Ein Abriß. München 121992.
⃟ DUDEN. Das große Wörterbuch der d. S., hg. u. bearb. vom Wissenschaftl. Rat der Dudenredaktion unter der Leitung v. G. Drosdowski, 8 Bde. Mannheim u. a. 21993-95.
⃟ König, W.: dtv-Atlas zur d. S. Tafeln u. Texte. Graphik: H.-J. Paul. München 181.-196. Tsd., 101994.
⃟ Kluge, F.: Etymolog. Wörterbuch der d. S., bearb. v. E. Seebold. Berlin 231995.
⃟ Helbig, G.: Dt. Grammatik. Grundfragen u. Abriß. München 31996.
Bis zum 8. Jh. erstreckte sich die d. S. im O nur bis etwa an die Elbe und die Saale. Im S gehörten die langobard. Teile Oberitaliens zum dt. Sprachgebiet, große Teile des westl. Frankreich waren dt. oder gemischt romanisch-deutsch. In althochdt. Zeit breitete sich die d. S. nach S und W, mit Beginn der dt. Ostsiedlung weit nach O aus. Seit dem 12. Jh. wurde in Schleswig und in den nördl. Gebieten östlich der Elbe dt. gesprochen. Seit dem 13. Jh. kamen Deutsche nach Ostpreußen und ins Baltikum. Auch in Böhmen drang das Dt. vor, bes. im Sudetenland. Andererseits bildete das Niederländische bis zum 16. Jh. eine eigene Hochsprache aus und spaltete sich vom Dt. ab. Die größten Einbußen erlitt das dt. Sprachgebiet durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs.Althochdeutsch (etwa 750-1050): Die Voraussetzungen für die Entstehung der d. S. aus mehreren german. Dialekten wurde durch das Frankenreich unter Karl d. Gr. geschaffen; es bildete sich im Ostteil des Reiches heraus, der die germanische Dialekte sprechenden Stämme umfasste. Die Bildungsreform Karls d. Gr. schloss auch eine Reform des Kirchen- und Schulwesens ein. Um eine Ausbreitung des Christentums zu erreichen, musste die Kluft zw. lat. Bildungs- und fränk. Volkssprache überwunden werden; es entstanden viele althochdt. Übersetzungen kirchl. Texte. Antikes und christl. Gedankengut wurde in Klöstern und Klosterschulen als Bildungszentren vermittelt. Durch Predigt in der Volkssprache sollte auch dem Laien die neue, christl. Lehre zugänglich gemacht werden. Die Ausdrucksfähigkeit der Sprache wurde durch Wortentlehnungen aus dem Lateinischen oder Griechischen, häufiger durch Lehnprägungen (Neuprägungen mithilfe von Bestandteilen dt. Wörter nach dem Vorbild der lat. Kirchensprache) erweitert. Klöster wie Fulda (Hrabanus Maurus), Lorsch, Weißenburg im Elsass (Otfrid), St. Gallen, Reichenau, Wessobrunn, Murbach, Sankt Emmeran, Mondsee sowie die Bischofssitze Salzburg, Regensburg und Freising spielten dabei eine bedeutende Rolle. - In der sprachl. Form des Althochdt. ist die Klangfülle der Wörter auffallend, die durch die volltönenden Vokale der Nebensilben bedingt ist und eine Vielfalt im Formensystem ermöglicht. Das wichtigste Ereignis in der althochdt. Lautentwicklung war die 2. oder hochdt. Lautverschiebung, die das Hochdt. von den anderen german. Sprachen abhebt.Mittelhochdeutsch (etwa 1050-1350): Die Sprache wird verfestigt und zu einer Kultursprache ausgestaltet, die bereits den Anforderungen der versch. Literaturgattungen angepasst werden konnte. Hauptträger dieser Sprache waren v. a. Rittertum und Adel als polit. und wirtsch. Führungsschicht. Diese Blüte dauerte jedoch nur kurze Zeit, denn der Zerfall der kaiserl. Zentralgewalt 1250 bedeutete auch den Zerfall der alten polit. Ordnung. In die Zeit des Umbruchs und der geistigen Orientierungslosigkeit fiel der Versuch versch. religiöser Bewegungen, eine seel. Erweckung des Menschen zu bewirken; in diesem Zusammenhang war (auch für die Entwicklung der d. S.) die Mystik von besonderer Bedeutung. Die engen Beziehungen zum frz.-provenzal. Rittertum förderten im MA. die Übernahme einer großen Zahl von Lehnwörtern aus dem Französischen (Lanze, Tanz, Flöte, Turnier) sowie frz. Wortbildungselemente, z. B. die Suffixe -ieren und -ie (parlieren, Partie). Die Mystiker mussten für das »Unsagbare«, das Verhältnis des Menschen zu Gott, erst sprachl. Mittel finden, um ihre Gedanken und Erlebnisse verständlich machen zu können, z. B. Wörter wie Einkehr, Einfluss, einförmig, gelassen. Bes. die Abstraktbildungen mit -heit, -keit, -ung und -lich sowie Substantivierungen (das Sein) haben die d. S. stark beeinflusst. - Die sprachl. Struktur des Mittelhochdt. weist deutl. Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem Althochdt. auf. Die Vokale der Nebensilben wurden zu -e- abgeschwächt (geban: geben); die Vokale der Tonsilben wurden umgelautet, wenn i oder j folgte (mahtig: mähtec »mächtig«). Im Konsonantismus trat die Auslautverhärtung der stimmhaften Verschlusslaute ein (Genitiv leides: Nominativ leit). Durch die Abschwächung der Nebensilbenvokale konnten viele Flexionsformen nicht mehr unterschieden werden. Dies hatte die zunehmende Verwendung von Artikel und Pronomen zur Folge.Frühneuhochdeutsch (etwa 1350-1650): In den Territorien des Reiches entstanden fürstl. Kanzleien, die durch die zunehmende Umstellung der Verwaltung und Rechtsprechung auf schriftl. Urkunden an Bedeutung gewannen. Von der Kanzleisprache gingen Impulse zu einer neuen schriftsprachl. Einheit aus. Die großen Kanzleien wurden langsam zu Vorbildern, sodass einige Urkundensprachen (Kanzleisprachen) entstanden, die überregionale Geltung hatten, bes. die der Prager Kanzlei der Luxemburger, die kaiserl. Kanzlei der Habsburger, die sächs. oder meißn. Kanzlei der Wettiner sowie die Kanzleien von Nürnberg, Augsburg, Köln, Trier u. a. Für die Verbreitung der neuen Sprachformen war die Erfindung des Buchdrucks entscheidend. M. Luthers Bibelübersetzung mit ihrer aus ostmitteldt. und ostoberdt. Elementen gebildeten Ausgleichssprache hatte auf die Entwicklung der neuhochdt. Sprache großen Einfluss; Luther übernahm weitgehend die sächs. Kanzleisprache, die sich aus dem Prager Kanzleideutsch entwickelt hatte. - Die sprachl. Struktur des Frühneuhochdt. unterscheidet sich vom Mittelhochdt. durch einige Lautveränderungen: Die neuhochdt. Diphthongierung (mîn: mein; hûs: Haus); die Monophthongierung der alten Diphthonge (guot: gut; güetec: gütig); die Vokale der kurzen, offenen Stammsilben wurden gedehnt (leben: lēben). Durch die Abschwächung der Endsilbenvokale wurden die Deklinationsklassen immer mehr verwischt, was zu einer Vernachlässigung der Kasus (Fälle), bes. des Genitivs, zugunsten präpositionaler Fügungen führte.Neuhochdeutsch (seit 1650): Versuche einer theoret. Beschreibung der d. S. führten zu Normierungsansätzen in Form dt. Grammatiken. Die ersten waren die »Teutsche Sprachkunst« (1641) und die »Ausführl. Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache« (1663) von J. G. Schottel. Die Grammatiker des 18. Jh. (außer Schottel und Gottsched auch J. C. Adelung) setzten diese Bestrebungen fort. Die Lexikographen (u. a. Adelung und J. H. Campe) trugen zur Vereinheitlichung der Wortformen und der Rechtschreibung bei. Im 18. Jh. wurden Stil und Handhabung der d. S. durch einzelne Dichterpersönlichkeiten (z. B. Klopstock, Goethe, Schiller) vorbildlich für die Ausdrucksform der gebildeten Schichten. Im 19. Jh. begann die i. e. S. philolog. Auseinandersetzung mit der d. S. (»Dt. Grammatik«, 1819-37, 4 Bde., von J. Grimm, »Dt. Wörterbuch«, 1852 ff., von J. und W. Grimm). Die sich die ganze neuhochdt. Epoche hinziehenden Bemühungen um eine Regelung der Rechtschreibung hatten erst 1901 Erfolg, nachdem K. Duden mit seinem Wörterbuch bahnbrechend gewirkt hatte. Durch T. Siebs erfolgte die Regelung der Aussprache (Aussprachenorm an führenden dt. Bühnen). - Die Strukturveränderungen des Neuhochdt. gegenüber dem Frühneuhochdt. betrafen v. a. die Flexionsformen, während die Laute nahezu unverändert blieben bzw. nur orthographisch anders wiedergegeben wurden. Beim Substantiv stand die Markierung der Unterscheidung zw. Singular und Plural durch Artikel, Endungen und Umlaut weiter im Vordergrund, ebenso der Ersatz des Genitivs und Dativs durch die Akkusativ- oder Präpositionalgefüge. Beim Verb schwanden die Konjunktivformen immer mehr. Für das Verb ist das Vordringen schwacher Formen typisch; neue Verben werden nur noch schwach (ohne Ablaut und mit Dentalsuffix) gebildet. Die Verwendung des Konjunktivs ist rückläufig; an seine Stelle treten zunehmend Umschreibungen mit »würde« oder mit Modalverben. Als ein stilist. Merkmal der dt. Gegenwartssprache (bes. in Wiss. und Verwaltung) gilt der Nominalstil. Die Beratungen über eine Rechtschreibreform wurden Anfang 1996 abgeschlossen. Am 1. 7. 1996 unterzeichneten in Wien Vertreter der deutschsprachigen Staaten und von Ländern mit dt. Minderheit die »Gemeinsame Absichtserklärung zur Neuregelung der dt. Rechtschreibung«. Danach trat die Reform am 1. 8. 1998 in Kraft, am 31. 7. 2005 endet die Übergangszeit. Die Änderungen betreffen die Laut-Buchstaben-Zuordnung (einschließlich Fremdwortschreibung und ß-Schreibung), die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Schreibung mit Bindestrich, die Groß- und Kleinschreibung, die Zeichensetzung und die Worttrennung am Zeilenende.Morphologie: Im Dt. gibt es vier Kasus und zwei Numeri (Singular und Plural). Für die Deklination des Substantivs gibt es drei Gruppen, eine sog. starke, eine schwache und eine gemischte Deklination. Die Deklinationsklassen des Substantivs reichen zur Kennzeichnung der Funktion des Wortes im Satz nicht mehr aus, diese Aufgabe haben die Artikel und Attribute übernommen. Bei den Verben unterscheidet man u. a. starke und schwache Verben. Die starken Verben verändern im Präteritum den Stammvokal und bilden das 2. Partizip auf -en, die schwachen bilden bei gleich bleibendem Stammvokal das Präteritum mit -t und das 2. Partizip auf -(e)t. (Verb, Übersicht. Übersichten und Tabellen finden Sie im Buch)Wortschatz: Die dt. Mundarten, aus denen die Hochsprache (Standardsprache) hervorgegangen ist, liefern der Hochsprache immer neues Wortgut und tragen so zur Erweiterung des Wortschatzes und der Ausdrucksmittel bei. Zunehmend wirksam sind der Einfluss der Fachsprachen aus Wiss., Technik, Wirtschaft, Sport u. a. Ein weiteres Merkmal der dt. Gegenwartssprache ist die Übernahme fremdsprachl. Termini, bes. aus dem Amerikanischen und Englischen. Dies steht im Zusammenhang mit der zunehmenden Internationalisierung des modernen Lebens. Ein weiteres wichtiges lexikal. Kennzeichen der d. S. im 20. Jh. ist das zunehmende Eindringen von umgangs- und alltagssprachl. Wendungen sowie von Wörtern und Ausdrücken aus Sondersprachen (z. B. der Jugendsprache) in die Hochsprache.
▣ Literatur:
Jacob Grimm Dt. Wörterbuch, bearb. v. u. Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Tlen. Leipzig 1854-1960, Quellenverzeichnis 1971, Nachdr. in 33 Bden. München 1984. Neubearb. Stuttgart u. a. 1965 ff.
⃟ Bach, A.: Geschichte der d. S. Wiesbaden 91980.
⃟ Polenz, P. von: Geschichte der d. S. Erweiterte Neubearb. der früheren Darstellung v. H. Sperber. Berlin u. a. 91987.
⃟ Eggers, H.: Dt. Sprachgeschichte, 2 Bde. Neuausg. Reinbek 1992-96.
⃟ Erben, J.: Dt. Grammatik. Ein Abriß. München 121992.
⃟ DUDEN. Das große Wörterbuch der d. S., hg. u. bearb. vom Wissenschaftl. Rat der Dudenredaktion unter der Leitung v. G. Drosdowski, 8 Bde. Mannheim u. a. 21993-95.
⃟ König, W.: dtv-Atlas zur d. S. Tafeln u. Texte. Graphik: H.-J. Paul. München 181.-196. Tsd., 101994.
⃟ Kluge, F.: Etymolog. Wörterbuch der d. S., bearb. v. E. Seebold. Berlin 231995.
⃟ Helbig, G.: Dt. Grammatik. Grundfragen u. Abriß. München 31996.