Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
deutsche Philosophie.
deutsche Philosophie.Schon an der Ausbildung der mittelalterl. Philosophie, bes. seit dem 13. Jh., waren dt. Philosophen beteiligt. Albertus Magnus begründete die aristotel. Scholastik. Meister Eckart schuf eine spekulative Mystik. Mit seinem universalist. Unendlichkeitsdenken nahm Nikolaus von Kues wichtige Gedanken der neuzeitl. Philosophie vorweg.
Melanchthons Systematisierung der lutherschen Aussagen hatte zunächst aber eine Wiederherstellung des Aristotelismus, insbes. an prot. Universitäten, zur Folge.
Im 16. und 17. Jh. waren in Dtl. Naturrechtslehren (H. Grotius, J. Althusius, S. Pufendorf, C. Thomasius), Theosophie (J. Böhme) und Naturphilosophie (Paracelsus, Agrippa von Nettesheim) bes. lebendig.Der erste universale dt. Denker der Neuzeit war G. W. Leibniz. Er verarbeitete das gesamte Ideengut seiner Zeit; die Wirkung seiner Lehren reicht bis in die Gegenwart. Im dt. Geistesleben des 18. Jh. (Aufklärung) übernahm die Philosophie eine führende Rolle, bes. durch die schulbildende Lehrtätigkeit C. Wolffs (in der Nachfolge von Leibniz), der ein geschlossenes System der Philosophie in dt. Sprache schuf (Rationalismus). Durch Gottsched wurden seine Lehren auf die Literatur übertragen. Wolffs Schüler A. G. Baumgarten begründete die Ästhetik als selbstständige Wissenschaft.
Durch das Bekanntwerden des engl. Empirismus, die Veröffentlichung der Werke von Leibniz und den hohen Stellenwert der Kosmologie Newtons wurde die weitere Entwicklung entscheidend beeinflusst. Die philosoph. Begründbarkeit der Mechanik und deren Verträglichkeit mit der christl. Dogmatik wurden zu bewegenden Problemen. C. A. Crusius, J. H. Lambert, der junge I. Kant und bes. L. Euler wirkten in diesen Auseinandersetzungen bahnbrechend. Mit Kants »Kritik der reinen Vernunft« (1781) begann die »kopernikan. Wende« in der Philosophie. Wie Descartes und Leibniz nahm er den Bestand der Naturwiss. (Newton) zum Ausgangspunkt, stellte jedoch die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Naturerkenntnis. Er begrenzte die Tragweite beweisbarer Erkenntnis auf das Gebiet der Erfahrung. Diese verstand er als Verarbeitung von sinnlich Gegebenem durch die im Verstand vorhandenen aprior. Erkenntnisformen (Anschauungsformen von Raum und Zeit, Kategorien). Die alte rationalist. Metaphysik war damit als Scheinwiss. hingestellt, ihre Hauptinhalte Gott, Freiheit und Unsterblichkeit wurden zu bloßen »regulativen Ideen« und »Postulaten« der theoret. Vernunft. Diese krit. Transzendentalphilosophie, die in J. G. Hamann, J. G. Herder und F. H. Jacobi Gegner fand, leitete die Blütezeit der d. P. ein. In den mannigfachen Auseinandersetzungen um Kants Lehren, an denen Denker wie K. L. Reinhold, F. Schiller, J. S. Beck, S. Maimon, G. E. Schulze (Pseudo »Aenesidemus«) beteiligt waren, bahnte sich bes. in J. G. Fichtes »Wissenschaftslehre« von 1794 die Philosophie des deutschen Idealismus an, die, von F. W. Schelling und G. W. F. Hegel ausgebildet, den Höhepunkt in der d. P. darstellt.Nach dem Tod Hegels zerfiel seine Schule (Hegelianismus), die idealist. Metaphysik trat zurück. Hegel wirkte in den meisten europ. Ländern jedoch weiter schulbildend. Welthistor. Bedeutung erlangte die »linke« Hegelschule mit L. Feuerbach, Moses Hess, M. Stirner, D. F. Strauß und K. Marx. Auch in der Theologie (F. C. Baur), der Philosophiegeschichtsschreibung (E. Zeller, K. Fischer) und der späteren philosoph. Spekulation blieb Hegels Einfluss lebendig. Mit dem Niedergang der idealist. Philosophie gewannen in krit. Auseinandersetzung Denker wie F. Schleiermacher, J. F. Fries, J. F. Herbart, F. A. Trendelenburg und F. T. Vischer an Geltung. Schärfster Gegner der Philosophie Fichtes, Schellings und bes. Hegels wurde A. Schopenhauer mit seiner an Kant anknüpfenden, diesen aber umdeutenden Philosophie. In Ablehnung des dt. Idealismus suchte F. Brentano auf der Grundlage der Psychologie eine wissenschaftlich-empir. Begründung der Philosophie und wirkte damit bes. auf die Phänomenologie. Neben dem Einfluss der Naturwiss. auf die Philosophie (R. Avenarius, E. Mach) entwickelten sich antirationalist. Tendenzen: Voluntarismus (W. Wundt), Lebensphilosophie (W. Dilthey, F. Nietzsche), Vitalismus (H. Driesch). Eine biologistisch bestimmte Morphologie der Gesch. entwarf O. Spengler. Die Erneuerung idealist. und aristotel. Lehren (G. Th. Fechner, A. Trendelenburg) führte zur Überwindung des naturwiss. Materialismus L. Büchners, J. Moleschotts, E. Haeckels u. a. Die Versuche, systemat. Philosophie und Naturwiss. zu vereinen (R. H. Lotze, E. von Hartmann), gipfelten im Neukantianismus (H. Cohen, P. Natorp, E. Cassirer, H. Rickert, W. Windelband); sie wurden bes. vom Positivismus (Wiener Kreis: M. Schlick, R. Carnap, O. Neurath) bekämpft. G. Frege wurde zum Begründer einer mathemat. Logik. Einen selbstständigen Weg in der erkenntniskrit. Auseinandersetzung mit dem Psychologismus ging E. Husserl (Phänomenologie). Seine Lehre wurde von M. Scheler zu einer personalen Wertethik (Anthropologie), von N. Hartmann zu einer Schichtenlehre des Seins (Ontologie), von Hedwig Conrad-Martius zur Realontologie und von M. Heidegger, ähnlich auch von K. Jaspers, zur Existenzphilosophie fortgebildet. Eine hermeneut. Methode der Geisteswiss. entwickelte H. G. Gadamer aus der Philosophie Heideggers (Hermeneutik). Weitere Tendenzen liegen in einer Wendung zur seit Scheler wieder aufgegriffenen philosoph. Anthropologie (A. Gehlen, H. Plessner), zur Soziologie (kritische Theorie; Frankfurter Schule: T. W. Adorno, M. Horkheimer, H. Marcuse, J. Habermas) und zur Sprachphilosophie, die in ihrer Intention über eine philosoph. Teildisziplin hinauswächst: Reflexion über die Sprache wird als zentrale und z. T. einzige Aufgabe der Philosophie angesehen (L. Wittgenstein, W. Stegmüller, E. Tugendhat). Letztere und eine mehr logistisch-wissenschaftstheoret. und methodolog. Orientierung, v. a. in Gestalt des kritischen Rationalismus, nahmen ihre Anregungen vorwiegend aus dem angelsächs. Raum (bes. K. R. Popper, P. Feyerabend). Auf dem Boden des dialekt. Materialismus entwickelte E. Bloch eine »Philosophie der Hoffnung«. Die Auseinandersetzung zwischen krit. Rationalismus (v. a. H. Albert) und krit. Theorie (J. Habermas) im Positivismusstreit setzte Impulse für die Weiterentwicklung von Wissenschaftstheorie und Sozialphilosophie, ebenso die Diskussion zwischen Systemtheorie (N. Luhmann) und der Theorie des kommunikativen Handelns (J. Habermas). Weitere wichtige Felder gegenwärtiger d. P. sind Ethik und Metaethik (H. Jonas, G. Patzig, Tugendhat), dialog. Logik (P. Lorenzen/K. Lorenz), Religionsphilosophie (K. Albert, H. Lübbe, H. Blumenberg), Naturphilosophie (C. F. von Weizsäcker) und konstruktivist. Wissenschaftstheorie (P. Lorenzen, W. Kamlah).
Literatur:
Kroner, R.: Von Kant bis Hegel, 2 Bde. Tübingen 31977.
Baumgartner, H. M. u. Sass, H.-M.: Philosophie in Dtl. 1945-1975. Frankfurt am Main 41986.
Stegmüller, W.: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, 4 Bde. Stuttgart 1-81987-89.
Dt. Philosophen 1933, hg. v. W. F. Haug. Hamburg 1989.
Hindler, P.: D. P. Wien 1991.
Schulz, Walter: Philosophie in der veränderten Welt. Pfullingen 61993.
Sturlese, L.: Die d. P. im Mittelalter. A. d. Italien. München 1993.
Löwith, K.: Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jh.s. Neuausg. Hamburg 1995.
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