Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
deutsche Ostsiedlung
deutsche Ostsiedlung(deutsche Ostbewegung, deutsche Ostkolonisation, ostdeutsche Siedlung), im MA. die Besiedlung sowie wirtsch. und kulturelle Erschließung der Gebiete östlich der als Folge der Völkerwanderung entstandenen ethn. Grenzen zw. german. (später dt.) und slaw. Stämmen in Mitteleuropa. Die d. O. erfolgte durch dt. Fürsten, Ritter, Mönche, Bauern, Bürger und Bergleute, ohne direkte Einflussnahme des Königtums. Dabei standen mehr wirtsch. Interessen, nur in Teilgebieten Missionierung im Vordergrund. Die d. O. setzte um die Mitte des 8. Jh. im O-Alpengebiet ein, getragen vom Stammesherzogtum und der Kirche Bayerns (Pannon. Mark, bayr. Ostmark, heutiges Kärnten). Im NO hatte das Karolingerreich westlich von Elbe und Saale die eingedrungenen Slawen integriert; die Marken jenseits der Flüsse gingen um 900, endgültig nach ihrer Erneuerung durch die Ottonen im N infolge der Slawenaufstände (983/1066) verloren (außer Mark Meißen). Elbe und Saale blieben bis zum 12. Jh. die Grenze zw. Deutschen und Slawen. Im S konnte sich die Markenorganisation zw. Saale und Bober bzw. Queis halten. Bäuerl. Siedlung ging allerdings nur im O-Alpengebiet und an der Donau weiter.
Östlich der Saale begann die d. O. erst im 12. Jh., bedingt durch Übervölkerung v. a. der nordwestdt. Gebiete, eingeleitet bes. durch die wettin. Markgrafen von Meißen, die Verwalter des stauf. Reichsgutes im Vogtland, die Bischöfe und Klöster. Im N folgten dem Gebietserwerb der Erzbischöfe von Magdeburg, der Grafen von Holstein und der askan. Markgrafen von Brandenburg im 12. Jh. rasche Siedlungswellen. Die sich dem Reich anschließenden Fürsten von Mecklenburg und Rügen öffneten im 13. Jh. ihre Länder dt. Siedlern. Weiter im O waren es einheim. Fürsten, die durch polit. und familiäre Anlehnung an Dtl. ihre Herrschaft und Selbstständigkeit zu sichern suchten (Pommern, Schlesien). Im stets dem Reich zugerechneten Böhmen, seit dem 11. Jh. von Deutschen besiedelt, erfolgte im 13. Jh. eine neue Siedlungswelle. In Polen und Ungarn, die schon im 11. Jh. die dt. Oberhoheit abschütteln konnten, fand dennoch im 13. Jh. ein starker Zustrom dt. Bürger und Bauern statt (in Ungarn die sog. Zipser und Siebenbürger Sachsen). Durch Herzog Konrad I. von Masowien wurde 1226 der Deutsche Orden ins Culmer Land gerufen; im eigentl. Preußen folgte die d. O. der militär. Inbesitznahme durch den Dt. Orden (nach der Missionierung Städtegründungen, Ansiedlung von Bauern). In Livland und Kurland, seit 1237 im Besitz des Ordens, blieb die d. O. auf die Städte und den Adel beschränkt.
Die d. O. wurde in den Anfängen als eine Art Gruppenlandnahme realisiert, die östlich der Elbe der militär. Eroberung folgte. Vom 12. Jh. ab war sie ein partnerschaftlich-vertragsrechtl. Unternehmen, vereinbart zw. Landgeber (Landes- bzw. Grundherr) und Siedler bzw. Bürger. Siedlungsunternehmer (Lokatoren) holten gegen besondere Vergünstigungen bäuerl. oder bürgerl. Siedler, organisierten die Ansiedlung und leiteten das Gemeinwesen. Die Ansiedlung erfolgte »nach dt. Recht« (noch bevor es im Reich ein gesamtdt. Recht gab), das persönl. Freiheit, weitgehende Verfügbarkeit des Besitzes, feste Zinsabgaben statt Dienstleistungen und eigene Gerichtsbarkeit beinhaltete. Seit der 2. Hälfte des 14. Jh. ließ die d. O. nach, bes. wegen der großen Bevölkerungsverluste durch die Pest von 1347/48-52, als dadurch die Zuwanderungen ausblieben. Mit Beginn der Neuzeit wurde die Besiedlung des dt. NO von Brandenburg-Preußen aus planmäßig staatlich gelenkt, v. a. unter dem Großen Kurfürsten (Havelland, Pommern, Ostpreußen) und Friedrich d. Gr. (Schlesien, Westpreußen; Urbarmachung des Oder-, Warthe- und Netzebruchs). Besondere Bedeutung kam der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen zu (Hugenotten, Schweizer, Pfälzer, Salzburger).
In Ungarn löste das Zurückweichen der Türken nach 1718 eine groß angelegte staatl. Siedlungspolitik aus (dt. Siedlungen in der »Schwäb. Türkei« zw. unterer Drau und Donau sowie im Gebiet um Sathmar und Carei [Sathmarer Schwaben]). Weitaus planmäßiger war seit den 1760er-Jahren das große Siedlungswerk Maria Theresias und Josephs II. im Banat (Banater Schwaben), wo neben Bauern auch ein städt. Bürgertum Fuß fassen konnte. Weitere Siedlungsaktionen wurden in der Batschka (etwa 1748-70 und 1784-87), in O-Galizien (seit 1781) und danach in der Bukowina durchgeführt. Nach Russland (Wolgagebiet um Saratow, Schwarzes Meer, Krim, Kaukasus, später Bessarabien u. a.) zogen viele Bauern, nachdem Katharina II. mit ihrem Ansiedlungsmanifest (1763) Kolonisten große Vergünstigungen zugesagt hatte. (Deutsche)
▣ Literatur:
Erlen, P.: Europ. Landesausbau u. mittelalterl. dt. Ostsiedlung. Marburg 1992.
Östlich der Saale begann die d. O. erst im 12. Jh., bedingt durch Übervölkerung v. a. der nordwestdt. Gebiete, eingeleitet bes. durch die wettin. Markgrafen von Meißen, die Verwalter des stauf. Reichsgutes im Vogtland, die Bischöfe und Klöster. Im N folgten dem Gebietserwerb der Erzbischöfe von Magdeburg, der Grafen von Holstein und der askan. Markgrafen von Brandenburg im 12. Jh. rasche Siedlungswellen. Die sich dem Reich anschließenden Fürsten von Mecklenburg und Rügen öffneten im 13. Jh. ihre Länder dt. Siedlern. Weiter im O waren es einheim. Fürsten, die durch polit. und familiäre Anlehnung an Dtl. ihre Herrschaft und Selbstständigkeit zu sichern suchten (Pommern, Schlesien). Im stets dem Reich zugerechneten Böhmen, seit dem 11. Jh. von Deutschen besiedelt, erfolgte im 13. Jh. eine neue Siedlungswelle. In Polen und Ungarn, die schon im 11. Jh. die dt. Oberhoheit abschütteln konnten, fand dennoch im 13. Jh. ein starker Zustrom dt. Bürger und Bauern statt (in Ungarn die sog. Zipser und Siebenbürger Sachsen). Durch Herzog Konrad I. von Masowien wurde 1226 der Deutsche Orden ins Culmer Land gerufen; im eigentl. Preußen folgte die d. O. der militär. Inbesitznahme durch den Dt. Orden (nach der Missionierung Städtegründungen, Ansiedlung von Bauern). In Livland und Kurland, seit 1237 im Besitz des Ordens, blieb die d. O. auf die Städte und den Adel beschränkt.
Die d. O. wurde in den Anfängen als eine Art Gruppenlandnahme realisiert, die östlich der Elbe der militär. Eroberung folgte. Vom 12. Jh. ab war sie ein partnerschaftlich-vertragsrechtl. Unternehmen, vereinbart zw. Landgeber (Landes- bzw. Grundherr) und Siedler bzw. Bürger. Siedlungsunternehmer (Lokatoren) holten gegen besondere Vergünstigungen bäuerl. oder bürgerl. Siedler, organisierten die Ansiedlung und leiteten das Gemeinwesen. Die Ansiedlung erfolgte »nach dt. Recht« (noch bevor es im Reich ein gesamtdt. Recht gab), das persönl. Freiheit, weitgehende Verfügbarkeit des Besitzes, feste Zinsabgaben statt Dienstleistungen und eigene Gerichtsbarkeit beinhaltete. Seit der 2. Hälfte des 14. Jh. ließ die d. O. nach, bes. wegen der großen Bevölkerungsverluste durch die Pest von 1347/48-52, als dadurch die Zuwanderungen ausblieben. Mit Beginn der Neuzeit wurde die Besiedlung des dt. NO von Brandenburg-Preußen aus planmäßig staatlich gelenkt, v. a. unter dem Großen Kurfürsten (Havelland, Pommern, Ostpreußen) und Friedrich d. Gr. (Schlesien, Westpreußen; Urbarmachung des Oder-, Warthe- und Netzebruchs). Besondere Bedeutung kam der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen zu (Hugenotten, Schweizer, Pfälzer, Salzburger).
In Ungarn löste das Zurückweichen der Türken nach 1718 eine groß angelegte staatl. Siedlungspolitik aus (dt. Siedlungen in der »Schwäb. Türkei« zw. unterer Drau und Donau sowie im Gebiet um Sathmar und Carei [Sathmarer Schwaben]). Weitaus planmäßiger war seit den 1760er-Jahren das große Siedlungswerk Maria Theresias und Josephs II. im Banat (Banater Schwaben), wo neben Bauern auch ein städt. Bürgertum Fuß fassen konnte. Weitere Siedlungsaktionen wurden in der Batschka (etwa 1748-70 und 1784-87), in O-Galizien (seit 1781) und danach in der Bukowina durchgeführt. Nach Russland (Wolgagebiet um Saratow, Schwarzes Meer, Krim, Kaukasus, später Bessarabien u. a.) zogen viele Bauern, nachdem Katharina II. mit ihrem Ansiedlungsmanifest (1763) Kolonisten große Vergünstigungen zugesagt hatte. (Deutsche)
▣ Literatur:
Erlen, P.: Europ. Landesausbau u. mittelalterl. dt. Ostsiedlung. Marburg 1992.