Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
deutsche Nation
deutsche Nation,die (sprachlich, kulturell oder politisch verstandene) Nation der Deutschen.Als sprachl. und polit. Gemeinschaft entwickelte sich die d. N. vom 9. bis zum 15. Jh. Im Hoch-MA. galt (in Abhebung von der italien. und burgund. Krone) die Bez. Regnum Teutonicum (Dt. [König-]Reich); seit dem 15. Jh. wurde dem Titel des Hl. Röm. Reiches der Zusatz deutscher Nation hinzugefügt (Heiliges Römisches Reich). Diese d. N. war in den Reichsständen (Kurfürsten, Fürsten, Reichsstädte) des Reichstags, in den Reichskreisen und in der Reichsritterschaft sichtbar. Sprach- und Reichsgrenzen deckten sich nicht. Nach dem Zusammenbruch des Hl. Röm. Reichs (1806) und den Befreiungskriegen 1813/14 wurde die Frage der d. N. zur polit. Frage: Die dt. Liberalen forderten die im Dt. Bund (1815) nach ihrer Ansicht nicht verwirklichte Einheit der d. N. Die Bewegung gipfelte in der Revolution von 1848/49. - Die Frage eines dt. Nationalstaats wurde 1866 (Deutscher Krieg) militärisch entschieden: Die österr. Deutschen wurden staats- und völkerrechtlich ausgeschlossen; nach dem Sieg über Frankreich wurde 1871 das Deutsche Reich unter preuß. Führung gegründet (kleindt. Lösung). Doch blieb die Gleichsetzung von Reichs- und Nationszugehörigkeit nach 1871 umstritten, weil Menschen nichtdeutschen Nationalbekenntnisses (z. B. Polen) in das Reich einbezogen waren und weil die Deutschen Österreichs vielfach an ihrer Zugehörigkeit zur d. N. festhielten. Die mangelnde Identifizierung der d. N. mit zeittyp. Verfassungslösungen sowie das Auftreten von Ideologien und Weltmachttendenzen, bes. die propagandist. Ausnutzung des Nationalen im Nationalsozialismus, haben dann zu einer Krise im Verständnis der d. N. geführt.Nach dem Zusammenbruch des Dt. Reiches (1945) stellte die weitere Entwicklung in den vier Besatzungszonen und in den vier Sektoren Berlins mit der Gründung der Bundesrep. Dtl. und der DDR (1949) die Frage nach dem Fortbestand von dt. Staat und d. N. In der DDR wurde zunächst an einer gesamtdt. Staatskonzeption festgehalten (Verf. von 1949); mit der Zweistaatentheorie (seit 1955), dem Staatsbürgerschafts-Ges. von 1967 und der Verf. von 1968 (Präambel) wurde die staatl. Eigenständigkeit propagiert. Dennoch gelang es der Staats- und SED-Führung letztlich nicht, die seit 1970/71 (gipfelnd in der Verf.änderung von 1974) postulierte These von einer allein auf diesen Staat bezogenen »sozialist. Nation« anstelle der traditionellen Vorstellung von einer einheitl. d. N. in der Bev. zu verankern. Das Bekenntnis des GG der Bundesrep. Dtl. zur rechtlich fortdauernden, (1945/49-90) nur tatsächlich beeinträchtigten Existenz der staatl. Einheit und zum Fortbestand der d. N. (Art. 116 GG) bildete die Grundlage zur Wiederherstellung eines einheitl. dt. Nationalstaates im Zuge des dt.-dt. Einigungsprozesses (Beitritt der DDR zur Bundesrep. Dtl. nach Art. 23 GG mit Wirkung vom 3. 10. 1990; deutsche Geschichte).
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