Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Dichtung
I Dichtung[ahd. dihton »schreiben«, »ersinnen«], Begriff, der allg. die Dichtkunst, konkret das einzelne Sprachkunstwerk bezeichnet. Von den anderen Künsten ist die D. unterschieden durch das akust., körperlose Material der Sprache, mit der in einem zeitl. Nacheinander von Einzeleindrücken (anders als in den bildenden Künsten) Klang und Bedeutung zugleich (dies grenzt die D. von der Musik ab) übermittelt werden. - Seit der Neuzeit werden neben »D.« verwendet: Dichtkunst, Sprachkunst[werk], Wortkunst[werk], literar. Kunstwerk, Poesie (z. B. konkrete Poesie), schöne Literatur (Belletristik). Zur Eigenart der D. gehören Mehrdeutigkeit, Vieldimensionalität, Tiefenschichtung des sprachl. Ausdrucks. Die Vielfalt der D. erschwert auch ihre literaturwiss. Klassifikation. Die seit dem 18. Jh. (J. C. Gottsched) übl. Dreiteilung der D.-Gattungen in Lyrik, Epik und Dramatik wird immer wieder durch grenzüberschreitende Formen infrage gestellt. Daneben tritt eine Unterscheidung nach inhaltsbezogenen Begriffen: lyrisch, episch, dramatisch. Der Versuch, D. auf diese »Naturformen« (Goethe) oder »Grundbegriffe« (E. Staiger) zurückzuführen, erfolgte aus der Erkenntnis, dass es keine gattungstyp. Reinformen gebe, sondern immer nur Mischformen versch. Grundhaltungen (z. B. lyr. oder ep. Drama, dramat. oder lyr. Roman). Für die Abgrenzung zw. dichter. und anderen literar. Formen impliziert der Begriff »Literatur« die schriftl. Fixierung (Geschriebenes, Gedrucktes) im Ggs. zur D., die es auch unabhängig von der Niederschrift geben kann (Volksdichtung).
Nach der Definition der D. als fiktionaler Sprachschöpfung sind Didaktik, Rhetorik (Predigt, Rede) und Kritik reine Zweckformen und keine D. Die Wirkung einer D. kann sich je nach Zeit und Publikum verändern, z. B. kann das soziale oder gesellschaftl. Anliegen eines Werkes als entscheidender oder unwesentl. Faktor betrachtet werden. Die Sprache der D. kann sich mehr oder weniger von der Alltagssprache entfernen; Zeiten mit einer bes. ausgeprägten D.-Sprache (mittelhochdt. Blütezeit, Barock, Goethezeit) wurden von Perioden abgelöst, in denen die möglichst getreue Anlehnung an die Umgangssprache, an Dialekte (Dialekt-D., Mundart-D.) dichter. Wahrheit gewährleisten sollte. Die Entstehung von D. wurde in verschiedenen Zeiten verschieden erklärt: durch Inspiration (Sturm und Drang, Romantik) oder mithilfe von lehr- und lernbaren Regeln (Meistersang, Barock, Aufklärung).
Literatur:
Seidler, H.: Die D. Wesen, Form, Dasein. Stuttgart 21965.
Staiger, E.: Grundbegriffe der Poetik. Neuausg. München 51983.
Kayser, W.: Das sprachl. Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft. Tübingen u. a. 201992.
Hamburger, K.: Die Logik der D. Stuttgart 41994.
II Dichtung
[zu dicht],
1) Bautechnik: Dichtungsstoffe.
2) Technik: Vorrichtung zur Verhinderung oder Verminderung des Aus- und Überströmens von gasförmigen, flüssigen oder körnigen Stoffen aus Behältern oder Rohren durch Spalte. Ruhende D. (flüssige oder plast. Masse, Papier, Gummi, Kupfer, Aluminium u. a.) befinden sich zw. unbeweglich miteinander verbundenen Teilen. Bei gegeneinander bewegten Teilen verwendet man Berührungs-D. oder berührungsfreie Dichtungen. Berührungs-D. sind z. B. Flachdichtungen, Stopfbüchsen, Packungen (aus z. B. Metallen), Kolbenringe. Berührungsfreie D. behindern den Durchtritt von Gasen und Dämpfen durch enge Spalte (z. B. bei Labyrinth-D. durch stufenweisen Druckabfall). D. für begrenzte Bewegungen sind Membranen, Manschetten und Bälge.
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