Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Diabetes mellitus
Diabetes mellitus[grch.-lat.] der (Zuckerkrankheit, Zuckerharnruhr), chron. Stoffwechselerkrankung, bei der es durch unzureichende Insulinproduktion in den Langerhans-Inseln (B-Zellen) der Bauchspeicheldrüse zu einer Störung des Kohlenhydrat-, aber auch des Fett- und Eiweißstoffwechsels kommt. Außerdem treten Schäden an Leber, Nieren, Blutgefäß- und Nervensystem auf.Formen und Auswirkungen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet zw. einem durch Insulinmangel gekennzeichneten Typ-I-Diabetes, der v. a. im Jugendalter auftritt, und einem durch verminderte Insulinwirkung gekennzeichneten Typ-II-Diabetes, der bevorzugt im Erwachsenenalter manifest wird. Der Entstehung von Typ I liegt eine Schädigung der B-Zellen durch eine entzündl. Reaktion des Inselgewebes zugrunde, die zum absoluten Insulinmangel führt. Die Spätmanifestation (nach dem 65. Lebensjahr), bei der eine altersspezif. Degeneration der B-Zellen mitwirken dürfte, wird als Altersdiabetes bezeichnet. Krankheitszeichen des D. m. sind Harnflut, Durst, Gewichtsverlust, körperl. Schwäche, Sehstörungen, erhöhter Blutzuckergehalt, zuckerhaltiger Harn, Juckreiz, Haut- und Schleimhautinfektionen. Der Blutzuckerspiegel liegt im nüchternen Zustand bei 60-110 mg%. Da die Niere normalerweise nur als Überlaufventil fungiert und mehr als 99 % des abgefilterten Zuckers wieder zurückgewinnt, erscheinen nüchtern nur minimale Zuckerspuren im Harn. Erst bei einem Blutzuckerspiegel von über 170 mg% kommt es zur Überschreitung der Nierenschwelle und damit zur Zuckerausscheidung. Für die Konstanterhaltung des Blutzuckerspiegels sorgen außer der Niere eine zentralnervöse Steuerung, versch. Hormone, die über das Blut auf das Glykogendepot Leber und die Zucker konsumierenden Muskeln einwirken. Während einige Hormone den Zuckerspiegel erhöhen, ist nur das Insulin imstande, ihn zu senken; daher führt Insulinmangel zum charakterist. Zuckeranstieg im Blut (Hyperglykämie) und damit auch zur Vermehrung des Harnzuckers. Außerdem kommt es bei Insulinmangel v. a. zu einer Beeinträchtigung des Fettstoffwechsels. Der Fettaufbau ist gestört, und anstelle von Zucker werden Fette und Eiweiße abgebaut, bis größere Mengen kurzkettiger organ. Säuren aus dem Fettstoffwechsel ins Blut übertreten, die nicht weiter verbrannt werden können. Solche Säuren (wie die Betaoxybuttersäure und die Acetessigsäure) führen zu einer gefährl. Übersäuerung des Blutes und der Gewebe. Tiefe Atmung, fruchtartiger Mundgeruch und zuletzt die Bewusstlosigkeit kennzeichnen dieses sog. diabet. Koma (Coma diabeticum). Der starke Zuckeranstieg und Zuckerverlust schwemmt mit dem Harn täglich bis zu 8 l Flüssigkeit und entsprechend viele Salze aus. Dadurch kommt es bei fortdauerndem Insulinmangel zu einer gefährl. Verstärkung des Komas mit Blutdruckabfall und Kreislaufzusammenbruch. Manche Früherscheinungen des D. m. sind unmittelbar auf die Stoffwechselstörung, andere auf die Zucker- und Wasserverluste zurückzuführen. Fettleibigkeit geht dem D. m. in rd. 50 % der Fälle voraus, und nicht selten werden anfangs auch Zeichen einer vorübergehenden Unterzuckerung (Hypoglykämie) durch gesteigerte Zuckerverwertung beobachtet (Heißhunger, Schweißausbrüche, Schwäche und Zittern, Kopfschmerz, Schwindel, Leistungsabfall und Konzentrationsschwäche). Die Diagnose des D. m. ist eindeutig durch Bestimmung des Blutzuckerspiegels (nüchtern über 120 mg%, nach Blutzuckerbelastungsprobe über 200 mg%) und Zuckernachweis im Harn zu erbringen.Behandlung: Zu den therapeut. Hauptmaßnahmen gehören Diät, ggf. blutzuckersenkende Mittel (Antidiabetika), körperl. Aktivität und Schulung des Patienten zur optimalen Anpassung seiner Lebensführung. Bei Typ-I-Diabetes steht die unumgängl. Insulinzufuhr an erster Stelle, bei Typ-II-Diabetes sind die Reduzierung des Übergewichts, körperl. Aktivität, Normalisierung der Blutfettwerte, in manchen Fällen Anwendung oraler Antidiabetika die wesentl. Maßnahmen. Der bisher nicht insulinbedürftige Zuckerkranke des Typs II wird insulinbedürftig, wenn er anhaltend Nüchternblutzuckerwerte über 150 mg%, nach den Mahlzeiten über 250 mg% bei gleichzeitig hoher Harnzuckerausscheidung und schlechten Blutfettwerten aufweist. Ziel der Behandlung ist der Ausgleich des Stoffwechseldefekts (Einstellung möglichst auf 130 mg% Nüchternblutzucker, nach Mahlzeiten nicht über 180 mg%) zur Ausschließung akuter Komplikationen (Unterzuckerungsschock oder diabet. Koma) und Vermeidung oder Verzögerung der Spätschäden.
Literatur:
Mehnert, H.u. Standl, E.: Hb. für Diabetiker. Stuttgart 51991.
Diabetologie in Klinik u. Praxis, hg. v. H. Mehnert u. a. Stuttgart u. a. 31994.
Mehnert, H. u. Standl, E.: Diabetes. Mit der Krankheit leben lernen. Stuttgart 1995.
Petzoldt, R.: Sprechstunde Diabetes. München 1995.
Diabetes in der Praxis, hg. v. W. Waldhäusl u. F. A. Gries. Berlin u. a. 21996.
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