Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Deutsche Demokratische Republik
Deutsche Demokratische Republik,Abk. DDR, Staat in Mitteleuropa, bestand 1949-90 aus den heutigen Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die am 3. 10. 1990 nach Art. 23 GG der Bundesrep. Dtl. beigetreten sind. (Deutschland, deutsche Geschichte).Staat und Recht: Die Gründungsverf. der DDR von 1949 war noch gesamtdeutsch konzipiert und wies parlamentarisch-demokrat. Züge auf. Ungeachtet dieser verfassungstheoret. Grundlage war die DDR von Anbeginn an ein Staat, der sich als Diktatur des Proletariats verstand und nach sowjet. Modell eine sozialist. Gesellschaft unter Führung der Staatspartei SED zu verwirklichen suchte. Diese Politik führte zum Ausbau eines bürokratisch-administrativen Systems, das alle gesellschaftl. Bereiche (Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport) durchdrang. In der Verf. vom 6. 4. 1968 (1974 unter Aufgabe jedweder Bezüge zur dt. Nation und unter dem Postulat einer eigenen Nationalstaatlichkeit der DDR revidiert) verankerte die SED auch verfassungsrechtlich ihre führende Rolle in Staat und Gesellschaft, die mit einer engen Verquickung von Staat und Partei verbunden war und sich gegen das Aufkeimen freiheitlich-demokrat. Kräfte richtete. Grundrechte standen unter dem Vorbehalt der polit. Zweckmäßigkeit und sollten vorwiegend der Integration des Einzelnen in das polit. System dienen. Ökonom. Basis war die weitgehend verstaatlichte Wirtschaft mit einem zentralistisch gelenkten Mechanismus der Planung und Leitung, die oft ohne Rücksicht auf wirtsch. Erfordernisse staatspolit. Machtinteressen diente. Auf dem Gebiet von Kultur und Wiss. wurde der Marxismus-Leninismus herrschende Ideologie, verbunden mit Diskriminierung und Verfolgung Andersdenkender. Außenpolitisch war die DDR eng mit der Sowjetunion verbunden und durch Mitgliedschaft im RGW (seit 1959) und im Warschauer Pakt (seit 1955) in die »sozialist. Staatengemeinschaft« integriert.Regierungssystem: Kollektives Staatsoberhaupt war der von der Volkskammer gewählte und ihr verantwortl. Staatsrat. De facto galt jedoch der Gen.-Sekr. der SED als oberster Repräsentant des Staates und das Politbüro als entscheidende polit. Instanz. Der Min.rat, die Reg. der DDR, war oberstes Organ der Exekutive. Ihm oblag die einheitl. Durchführung der Staatspolitik im Auftrag der Volkskammer. Der Vors. des Min.rats wurde von der stärksten Fraktion der Volkskammer (SED-Fraktion) vorgeschlagen und erhielt von ihr den Auftrag zur Bildung des Min.rats, der daraufhin in seiner Gesamtheit für fünf Jahre von der Volkskammer gewählt wurde. Nach der Verf. war die Volkskammer das oberste staatl. Machtorgan der DDR; bei ihr lag die Legislative. Die Volkskammer wählte den Vors. und die Mitgl. des Staatsrats und des Min.rats, den Vors. des Nat. Verteidigungsrats, den Präs. und die Richter des Obersten Gerichts sowie den Generalstaatsanwalt.
Bis zum Beitritt der DDR zur Bundesrep. Dtl. am 3. 10. 1990 erlebte die Verf. der DDR ab Nov. 1989 eine Übergangsphase, unterteilt in die Elemente: vordemokrat. Übergangsphase (bis zur Volkskammerwahl am 18. 3. 1990), demokrat. Übergangsphase und dt. Vereinigung. Am 1. 12. 1989 wurde das Führungsmonopol der SED aus der Verf. gestrichen. Der Nat. Verteidigungsrat verschwand. In das Zentrum der staatl. Willensbildung war seit dem 7. 12. 1989 das auf Initiative der evang. Kirchen entstandene Gremium des »runden Tisches« gerückt, dem je zur Hälfte Vertreter der etablierten Parteien und Massenorganisationen und der oppositionellen Bürgerbewegungen angehörten. Legislativorgan blieb jedoch die Volkskammer, die eine Gesetzgebung zur Schaffung einer rechtsstaatlich-demokrat. Übergangsstruktur entfaltete. In der am 18. 3. 1990 neu gewählten Volkskammer, deren 400 Abg. im reinen Verhältniswahlsystem nach Hare-Niemeyer gewählt worden waren, besaßen die für die Wiedervereinigung eintretenden Parteien eine deutl. 3/4-Mehrheit. Eine Verf.änderung beseitigte den Staatsrat als Staatsoberhaupt, dessen Funktionen auf das Präsidium der Volkskammer übertragen wurden. Zum Reg.chef wählte die Volkskammer L. de Maizière, dessen Kabinett am 12. 4. bestätigt wurde. Durch die am 17. 6. verabschiedeten »Verfassungsgrundsätze« wurden die Grundprinzipien eines »freiheitl., demokrat., föderativen, sozialen und ökologisch orientierten Rechtsstaates« verkündet und alle Rechtsvorschriften, die auf ideolog. Blankettbegriffe des sozialist. Regimes Bezug nahmen (»sozialist. Staats- und Rechtsordnung«, »sozialist. Gesetzlichkeit« u. Ä.) außer Kraft gesetzt. Am 1. 7. wurde der »Staatsvertrag« zw. den beiden dt. Staaten vom 18. 5. in Kraft gesetzt, der zw. ihnen eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion errichtete, also die Übernahme des westdt. Wirtschaftsrechts in der DDR zur Folge hatte und die Deutsche Mark als gesetzl. Zahlungsmittel nach für die Bev. der DDR sehr vorteilhaftem Umtauschkurs einführte.
Der zum Erlöschen der DDR führende Einigungsvertrag wurde am 31. 8. 1990 abgeschlossen. Parteien und Massenorganisationen: Bis 1989 gab es fünf Parteien: die Sozialist. Einheitspartei Dtl.s (SED), die Christl.-Demokrat. Union Dtl.s (CDU), die Liberal-Demokrat. Partei Dtl.s (LDPD), die Demokrat. Bauernpartei Dtl.s (DBD) und die National-Demokrat. Partei Dtl.s (NDPD). Alle Parteien bekannten sich in ihrem Programm zur sozialist. Gesellschaftsordnung. Die Aufgabe der unter der Führung der SED wirkenden (Block-)Parteien bestand darin, die durch sie repräsentierten Bev.schichten in die polit. Entwicklung der Ges. einzubeziehen. Der Zusammenschluss der Parteien und Massenorganisationen (u. a. Freier Deutscher Gewerkschaftsbund [FDGB], Freie Deutsche Jugend [FDJ]) in der Nat. Front der DDR war eine Konsequenz des Führungsanspruchs der SED. In der Zeit der polit. Umwälzungen im Herbst 1989 bildete sich eine Vielzahl neuer polit. Parteien und Bürgerbewegungen, u. a. Demokrat. Aufbruch, Sozialdemokrat. Partei Dtl.s, Deutsche Soziale Union, Neues Forum, die für die Volkskammerwahlen im März 1990 z. T. Wahlbündnisse schlossen.Verwaltung: In den Bezirken, Kreisen, Städten, Stadtbezirken, Gemeinden und Gemeindeverbänden wurden Volksvertretungen gewählt; die als Exekutive gebildeten Räte waren ihrer Volksvertretung und dem nächsthöheren Rat verantwortlich (doppelte Unterstellung). Durch Ländereinführungsges. vom 22. 7. 1990 wurden die 14 Bezirke der DDR aufgelöst und eine Neugliederung in Länder angeordnet.Rechtswesen: Das Recht und seine Institutionen, insbesondere das Strafrecht, wurden in den Dienst der Machterhaltung des Regimes und der Durchsetzung staatlich gewünschter Verhaltensweisen der Bürger gestellt. Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit existierten nicht. Die Rechtsprechung erfolgte durch das Oberste Gericht, die Bezirks- und Kreisgerichte sowie die gesellschaftl. Gerichte. Der Wählbarkeit aller Richter, Schöffen und Mitgl. gesellschaftl. Ger. durch die Volksvertretung oder unmittelbar durch die Bürger entsprach ihre Abberufbarkeit durch die Wähler bei Verstößen gegen die Verf. oder die Gesetze sowie bei gröbl. Pflichtverletzung.
Literatur:
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Weber, H.: Die DDR 1945-1990. München 21993.
Sozialgeschichte der DDR, hg. v. H. Kaelble u. a. Stuttgart 1994.
Bahrmann, H. u. Links, C.: Chronik der Wende, 2 Tle. Berlin 1994-95.
Die DDR als Geschichte, hg. v. J. Kocka u. M. Sabrow. Berlin 1994.
Jäger, M.: Kultur u. Politik in der DDR. Köln 1994.
Besier, G.: Der SED-Staat u. die Kirche 1983-1991. Höhenflug u. Absturz. Berlin u. a. 1995.
Materialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte u. Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«, hg. vom Deutschen Bundestag, 9 Bde. in 18 Tl.-Bden. Baden-Baden 1995.
Mühlen, P. von zur: Der »Eisenberger Kreis«. Jugendwiderstand u. Verfolgung in der DDR 1953-1958. Bonn 1995.
Staritz, D.: Die Gründung der DDR. München 31995.
Die Kirchenpolitik von SED u. Staatssicherheit. Eine Zwischenbilanz, hg. v. C. Vollnhals. Berlin 1996.
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