Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Deutsche
Deutsche,Angehörige des dt. Volkes. Im Sinne des Grundgesetzes ist Deutscher, »wer die dt. Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener dt. Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Dt. Reiches nach dem Stande vom 31. 12. 1937 Aufnahme gefunden hat« (Art. 116 Abs. 1 GG). Als D. gelten demnach außer den Bürgern der Bundesrep. Dtl. auch viele Aussiedler, die, sofern sie nicht schon aufgrund des Art. 116 GG die dt. Staatsangehörigkeit besitzen, nach den Staatsangehörigkeitsgesetzen Anspruch auf Verleihung der dt. Staatsbürgerschaft haben.Geschichte: Von D., nach Herkunft und Sprache ein Teil der Germanen, die sich seit etwa der Eisenzeit (1. Jt. v. Chr.) nach Mitteleuropa ausbreiteten, kann man erst sprechen, nachdem bei und nach der Teilung des Fränk. Reichs in den german. Stämmen der östl. Reichshälfte das Bewusstsein einer polit. Zusammengehörigkeit entstanden war (deutsch). Die D. schieden sich nach Sprache (deutsche Sprache) und Recht, später auch nach ihrer Geschichte von den »Welschen« der roman. Welt; dieser Vorgang begann Mitte des 9. Jh. und war im Wesentlichen nach einem Jh. abgeschlossen. Die Vorstellung einer gemeinsamen Abstammung der D. entstand erst im 11. Jh. Selbst das Heilige Röm. Reich (dt. Nation) bedeutete nur eine zeitlich, ständisch und räumlich bedingte einigende Idee.
Die D. gliederten sich seit jeher in Stämme, von denen einige bis in die german. Zeit zurückzuverfolgen sind. Nach der Völkerwanderung siedelten in dem heute von Deutsch Sprechenden bewohnten Gebiet folgende Großstämme: die Alemannen beiderseits des Oberrheins, die Baiern zw. dem Böhmerwald, den Alpen bis zur Enns und zum Lech, die Franken beiderseits des Mittel- und Niederrheins, die Thüringer zw. dem Main und dem Harz, die Sachsen zw. der Elbe und dem Niederrhein, die Friesen auf den Nordseeinseln und an der Küste.In der Karolingerzeit (7./8.-10. Jh.) begann, um die wachsende Bev. aufzunehmen, die Neusiedlung in Gestalt der Rodung. Diese »innere Kolonisation« ist dann jahrhundertelang in die Wälder und Berge vorgetrieben worden. Hierzu trat etwa gleichzeitig die »äußere Kolonisation«, der teils friedl., teils krieger. Erwerb von Gebieten außerhalb der Grenzen des Reiches (»Marken«), bes. in den während der Völkerwanderung den Slawen überlassenen Gebieten (deutsche Ostsiedlung). Die Neusiedlung jenseits der alten Ostgrenze zw. dem 10. und 14. Jh. zog große Bev.teile aus den alten Stammesgebieten (Altsiedelgebiet) ab, die in den neuen Siedlungsräumen mit der einheim. Bev. (v. a. Slawen) verschmolzen.
Mit der dt. Ostsiedlung erfolgte die Eindeutschung der Länder Österreich, Kärnten, Steiermark, Obersachsen, Schlesien, Brandenburg, Mecklenburg, Pommern, Preußen und der Randgebiete Böhmens und Mährens. Über diesen geschlossenen Bereich hinaus entstanden größere und kleinere Siedlungskerne weit nach Osteuropa hinein vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer.Die (im Verhältnis zur damaligen Bev.zahl) größten Bev.verluste erlitten die D. im Dreißigjährigen Krieg. 1618 betrug die Bev. etwa 20 Mio. (diese Zahl wurde erst gegen 1800 wieder erreicht). Vom Ende des 17. Jh. bis zum Beginn des 19. Jh. kamen hierzu Neusiedlungen im O, in Ungarn (Siebenbürger Sachsen, Sathmarer und Banater Schwaben, Karpaten-D., Donauschwaben), Brandenburg-Preußen und Russland (Wolga- bzw. Russlanddeutsche).
Die nach absoluten Zahlen größten Bev.verluste erlitten die D. mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges seit 1944. Aus dem Gebiet des Dt. Reiches östlich von Oder und Neiße, aus Böhmen und Mähren, aber auch aus den anderen dt. Siedlungsgebieten in Osteuropa wurden rd. 13 Mio. D. vertrieben, mehr als zwei Mio. fanden den Tod (Umsiedlung, Vertriebene). Der Krieg selbst hatte über 5 Mio. Tote gefordert.Wandlungen des Begriffs Deutsche: Durch die historisch-polit. Entwicklung (Ausscheiden der Schweizer seit dem 15., der Niederländer seit dem 16. Jh., der Österreicher seit 1866, Gründung des Dt. Reichs von 1871, Zerfall der Donaumonarchie 1918, Gebietsverluste des Dt. Reichs 1919) haben sich Einengungen des Begriffs »Deutsche« und neue Sonderbegriffe ergeben. So hat man »deutsch« bevorzugt auf die Staatsbürger des Dt. Reichs (Reichs-D.) angewendet, neben denen die Österreicher standen; in der Schweiz wurde der Begriff »deutschsprachig« üblich; innerhalb der österr.-ungar. Monarchie (1867-1918) war »deutsch« mit »deutschsprachig« identisch.
Unter Binnen-D. (Inlands-D.) verstand man i. d. R. die dt. Staatsangehörigen. Die außerhalb der dt. Reichsgrenzen lebenden D. wurden Auslands-D. genannt; dazu gehörten die im Ausland wohnenden dt. Staatsangehörigen (Auslandsreichs-D.) sowie die im Ausland lebenden D. fremder Staatsangehörigkeit, die Deutsch sprachen und ihre dt. Abstammung betonten. 1933-45 wurde bes. für die D., die jenseits der östl. Reichsgrenze wohnten und nicht die dt. Staatsangehörigkeit besaßen, die Bez. »Volks-D.« verwendet.Geschichte der deutschen Volksgruppen: Jenseits der Grenzen des Dt. Reichs von 1937 lebten zahlr. dt. Volksgruppen, zum größten Teil direkt an der Grenze und damit in Verbindung zur dt. Kultur, zum kleineren Teil räumlich von ihr getrennt in Osteuropa oder Übersee. Jenseits der Ostgrenze werden räumlich und geschichtlich drei Gruppen unterschieden: 1) die seit dem MA. vom Baltikum bis nach Siebenbürgen, im Übrigen meist an der Reichsgrenze siedelnden D.; 2) die im 17. bis 19. Jh. in Streusiedlungen nach Südosteuropa vorgedrungenen Deutschen. 3) die im 18. und 19. Jh. ebenfalls in einzelnen Gruppen in Nordosteuropa angesiedelten Deutschen. Dazu kam der dt. Auswandererstrom nach Übersee im 19. und 20. Jahrhundert.Deutsche in Ost- und Südosteuropa: Aus der Zeit der großen Ostsiedlung (etwa 1100 bis etwa 1350) stammten die D. im Memelland und in Danzig, in Oberschlesien, um Bielitz und Teschen, in Böhmen (mit Prag), Mähren, Schlesien und der Slowakei, in Österreich (schon seit dem 8. Jh.), im angrenzenden Westungarn, in Südkärnten, in der Untersteiermark und in Krain. Westpreußen und Posen wurden damals nur teilweise mit D. besiedelt. Starke Gruppen kamen ins Baltikum (Estland und Lettland, Deutschbalten) und nach Siebenbürgen.
Die D. im Memelgebiet, in Danzig, Westpreußen (Pommerellen), Posen und Ostoberschlesien lebten bis 1918 im Königreich Preußen. Die meisten D. des Memelgebiets flohen Ende Juli 1944. In den preuß. Provinzen Westpreußen und Posen lebten ebenfalls seit dem 13. und 14. Jh. D., vom Dt. Orden bzw. von den poln. Fürsten ins Land gerufen. Schon 1919 sank ihre Zahl durch Wegzug und durch Ausweisung. Viele der östlich von Oder und Neiße lebenden D. flüchteten 1944/45 in das westl. und mittlere Dtl. (zur heutigen Lage Polendeutsche).Die Sudetendeutschen aus den habsburg. Kronländern Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien bildeten nach den Österreichern, die heute eine eigenständige nationale Identität besitzen, die zweitgrößte dt. Volksgruppe unmittelbar jenseits der Grenzen des Dt. Reiches. Nach ihrer Vertreibung auf der Basis der Beneš-Dekrete und des Potsdamer Abkommens vom 2. 8. 1945 kamen sie v. a. in die amerikanisch und die sowjetisch besetzte Zone Dtl.s sowie nach Österreich. Etwa 250 000 D. blieben im Land. Ein ähnl. Schicksal erlitten die D. in der Slowakei (Zips), die seit dem 13. und 14. Jh. als Bergleute nach Oberungarn gekommen waren. In der 1919 an (das spätere) Jugoslawien gefallenen Untersteiermark (Marburg an der Drau) und in dem 1919 an Italien gekommenen Kanaltal (Südkärnten) leben nur noch geringe Reste von Deutschen. Aus dem MA. stammten auch die dt. Sprachinseln in Krain, die ebenfalls 1919 an Jugoslawien kamen; während des Zweiten Weltkriegs wurden 15 000 D. aus den Gebieten von Gottschee und Laibach ins Dt. Reich umgesiedelt.Die größte der vom geschlossenen dt. Sprachgebiet getrennten Gruppen war seit der Mitte des 12. Jh. die der Siebenbürger Sachsen. Ab 1944 flüchtete ein Teil von ihnen nach Dtl. und Österreich; ihre Zahl ist, bes. seit 1989, in Rumänien durch Auswanderung nach Dtl. stark zurückgegangen.Nach den Türkenkriegen entstanden im habsburg. Ungarn mehrere Siedlungsgebiete der Ungarn-D., dann der Banater Schwaben, der D. in der Batschka, der Schwäb. Türkei, in Slawonien (»Donauschwaben«), im Gebiet von Sathmar und im späteren Karpatorussland (Karpaten-D.). Nach der ersten Teilung Polens (1772) traten hierzu dt. Streusiedlungen in Galizien und der Bukowina, dazu die im 19. Jh. entstandenen dt. Siedlungen in Altrumänien, der Dobrudscha und an der ehem. Militärgrenze in Bosnien. Während die D. im Kerngebiet Ungarns nach 1918 dort verblieben, wurde das Banat auf Ungarn, Rumänien und Jugoslawien verteilt, die Batschka auf die beiden Letzteren, Sathmar und die Bukowina fielen an Rumänien, Slawonien und Bosnien an Jugoslawien, Karpatorussland an die Tschechoslowakei, Galizien an Polen. Nach dem Potsdamer Abkommen vom 2. 8. 1945 wurden die Ungarn-D. ausgesiedelt bzw. vertrieben; von 633 000 blieben nur etwa 270 000 im Land. Die Rumänien-D. (v. a. Siebenbürger Sachsen) kamen während des Zweiten Weltkriegs durch Umsiedlungsverträge nach Dtl. und Österreich oder wurden ab Dez. 1944 in die Sowjetunion verschleppt. Aus Jugoslawien wurden während des Zweiten Weltkriegs die D. in Bosnien und »Restserbien« ebenfalls ins Dt. Reich umgesiedelt. Aus dem Banat und der Batschka kamen nach 1945 zahlr. Flüchtlinge und Vertriebene hinzu, die bes. im westl. Teil Dtl.s und in Österreich aufgenommen wurden. Die D. in Galizien wurden 1940 zumeist in das Dt. Reich umgesiedelt.Vom Ende des 18. Jh. bis zur Mitte des 19. Jh. entstanden neue Siedlungen von D. in Russland. So kamen 1763-67 unter Katharina II. zu günstigen Bedingungen D. in die Kirgisensteppe an der Wolga, seit 1787 in die Ukraine. Der dortige Zuzug wurde erneut durch Zar Alexander I. gefördert (1804-09), desgleichen seit 1814 der in das den Türken abgenommene Bessarabien (Bessarabien-D.); auf die Krim und in das Land nördlich und südlich des Kaukasus kamen ebenfalls Deutsche. Auch in Polen setzte im 18. Jh. eine neue dt. Siedlungsbewegung ein; sie ging nach den Teilungen Polens im russ. Herrschaftsgebiet weiter und endete in Kongresspolen erst mit der Bauernbefreiung 1861. Von Kongresspolen aus wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die Siedlungen im Cholmer und Lubliner Land, v. a. aber in Wolhynien (Wolhynien-D.) gegründet. Schließlich kam es noch zu einer privaten bäuerl. Siedlung von D. in Litauen, meist von Ostpreußen aus.
Die 1944 nach Dtl. geflüchteten 220 000 Russlanddeutschen wurden nach 1945 z. T. (aus der sowjet. Besatzungszone) in das Innere der Sowjetunion verschleppt. Das gleiche Schicksal erlitten die seit 1920 im rumän. Staatsverband lebenden Bessarabiendeutschen. Von den D. in den 1920/21 an Polen gefallenen ehem. dt. Gebieten wurden nach dem Polenfeldzug 1939 170 000 aus Wolhynien und Ostpolen umgesiedelt, meist in die damaligen Reichsgaue Wartheland und Danzig-Westpreußen.Deutsche in Übersee: In Kanada begann um 1750 eine anfangs geringe Siedlung durch D., die im 19. Jh., dann nochmals zu Beginn des 20. Jh. und nach 1945 wesentlich an Umfang zunahm. 1608 beginnend, v. a. aber im 19. Jh., bes. stark seit 1848, wanderten viele D. in die USA aus und wurden im amerikan. »Schmelztiegel« assimiliert; anders dagegen in Mittel- und v. a. Südamerika, wo sich dt. Sprache und Kultur in geschlossenen und Streusiedlungen erhalten haben, v. a. in Brasilien, wo seit 1824 (São Leopoldo), verstärkt nach 1850 (Blumenau), viele D. (zumeist ehem. Russland-D.) einwanderten. Heute leben sie meist in den Staaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina, São Paulo und Paraná. In Argentinien wurde 1836 die erste dt. Ansiedlung gegründet; ein neuer Zuzug kam nach dem Zweiten Weltkrieg ins Land. In Chile siedelten sich die ersten D. 1850 bei Valdivia und in der Prov. Chiloé an, später dann auch in Santiago, Valparaíso und Concepción.
In die anderen Erdteile sind nur wenige D. ausgewandert. In Australien begann eine größere dt. Einwanderung 1838, die stetig angedauert hat. In Afrika siedelten D. schon mit den Buren. Von den seit 1884 erworbenen Schutzgebieten des Dt. Reiches war klimatisch nur Südwestafrika für eine bodenständige Besiedlung geeignet, die sich dort auch erhalten hat.
▣ Literatur:
Dralle, L.: Die D.n in Ostmittel- u. Osteuropa. Ein Jahrtausend europ. Geschichte. Darmstadt 1991.
⃟ D. im Ausland - Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte u. Gegenwart, hg. v. K. J. Bade. München 31993.
⃟ Die D.n in Ostmittel- u. Südosteuropa. Geschichte, Wirtschaft, Recht, Sprache, hg. v. G. Grimm u. a., 2 Bde. München 1995-96.
Die D. gliederten sich seit jeher in Stämme, von denen einige bis in die german. Zeit zurückzuverfolgen sind. Nach der Völkerwanderung siedelten in dem heute von Deutsch Sprechenden bewohnten Gebiet folgende Großstämme: die Alemannen beiderseits des Oberrheins, die Baiern zw. dem Böhmerwald, den Alpen bis zur Enns und zum Lech, die Franken beiderseits des Mittel- und Niederrheins, die Thüringer zw. dem Main und dem Harz, die Sachsen zw. der Elbe und dem Niederrhein, die Friesen auf den Nordseeinseln und an der Küste.In der Karolingerzeit (7./8.-10. Jh.) begann, um die wachsende Bev. aufzunehmen, die Neusiedlung in Gestalt der Rodung. Diese »innere Kolonisation« ist dann jahrhundertelang in die Wälder und Berge vorgetrieben worden. Hierzu trat etwa gleichzeitig die »äußere Kolonisation«, der teils friedl., teils krieger. Erwerb von Gebieten außerhalb der Grenzen des Reiches (»Marken«), bes. in den während der Völkerwanderung den Slawen überlassenen Gebieten (deutsche Ostsiedlung). Die Neusiedlung jenseits der alten Ostgrenze zw. dem 10. und 14. Jh. zog große Bev.teile aus den alten Stammesgebieten (Altsiedelgebiet) ab, die in den neuen Siedlungsräumen mit der einheim. Bev. (v. a. Slawen) verschmolzen.
Mit der dt. Ostsiedlung erfolgte die Eindeutschung der Länder Österreich, Kärnten, Steiermark, Obersachsen, Schlesien, Brandenburg, Mecklenburg, Pommern, Preußen und der Randgebiete Böhmens und Mährens. Über diesen geschlossenen Bereich hinaus entstanden größere und kleinere Siedlungskerne weit nach Osteuropa hinein vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer.Die (im Verhältnis zur damaligen Bev.zahl) größten Bev.verluste erlitten die D. im Dreißigjährigen Krieg. 1618 betrug die Bev. etwa 20 Mio. (diese Zahl wurde erst gegen 1800 wieder erreicht). Vom Ende des 17. Jh. bis zum Beginn des 19. Jh. kamen hierzu Neusiedlungen im O, in Ungarn (Siebenbürger Sachsen, Sathmarer und Banater Schwaben, Karpaten-D., Donauschwaben), Brandenburg-Preußen und Russland (Wolga- bzw. Russlanddeutsche).
Die nach absoluten Zahlen größten Bev.verluste erlitten die D. mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges seit 1944. Aus dem Gebiet des Dt. Reiches östlich von Oder und Neiße, aus Böhmen und Mähren, aber auch aus den anderen dt. Siedlungsgebieten in Osteuropa wurden rd. 13 Mio. D. vertrieben, mehr als zwei Mio. fanden den Tod (Umsiedlung, Vertriebene). Der Krieg selbst hatte über 5 Mio. Tote gefordert.Wandlungen des Begriffs Deutsche: Durch die historisch-polit. Entwicklung (Ausscheiden der Schweizer seit dem 15., der Niederländer seit dem 16. Jh., der Österreicher seit 1866, Gründung des Dt. Reichs von 1871, Zerfall der Donaumonarchie 1918, Gebietsverluste des Dt. Reichs 1919) haben sich Einengungen des Begriffs »Deutsche« und neue Sonderbegriffe ergeben. So hat man »deutsch« bevorzugt auf die Staatsbürger des Dt. Reichs (Reichs-D.) angewendet, neben denen die Österreicher standen; in der Schweiz wurde der Begriff »deutschsprachig« üblich; innerhalb der österr.-ungar. Monarchie (1867-1918) war »deutsch« mit »deutschsprachig« identisch.
Unter Binnen-D. (Inlands-D.) verstand man i. d. R. die dt. Staatsangehörigen. Die außerhalb der dt. Reichsgrenzen lebenden D. wurden Auslands-D. genannt; dazu gehörten die im Ausland wohnenden dt. Staatsangehörigen (Auslandsreichs-D.) sowie die im Ausland lebenden D. fremder Staatsangehörigkeit, die Deutsch sprachen und ihre dt. Abstammung betonten. 1933-45 wurde bes. für die D., die jenseits der östl. Reichsgrenze wohnten und nicht die dt. Staatsangehörigkeit besaßen, die Bez. »Volks-D.« verwendet.Geschichte der deutschen Volksgruppen: Jenseits der Grenzen des Dt. Reichs von 1937 lebten zahlr. dt. Volksgruppen, zum größten Teil direkt an der Grenze und damit in Verbindung zur dt. Kultur, zum kleineren Teil räumlich von ihr getrennt in Osteuropa oder Übersee. Jenseits der Ostgrenze werden räumlich und geschichtlich drei Gruppen unterschieden: 1) die seit dem MA. vom Baltikum bis nach Siebenbürgen, im Übrigen meist an der Reichsgrenze siedelnden D.; 2) die im 17. bis 19. Jh. in Streusiedlungen nach Südosteuropa vorgedrungenen Deutschen. 3) die im 18. und 19. Jh. ebenfalls in einzelnen Gruppen in Nordosteuropa angesiedelten Deutschen. Dazu kam der dt. Auswandererstrom nach Übersee im 19. und 20. Jahrhundert.Deutsche in Ost- und Südosteuropa: Aus der Zeit der großen Ostsiedlung (etwa 1100 bis etwa 1350) stammten die D. im Memelland und in Danzig, in Oberschlesien, um Bielitz und Teschen, in Böhmen (mit Prag), Mähren, Schlesien und der Slowakei, in Österreich (schon seit dem 8. Jh.), im angrenzenden Westungarn, in Südkärnten, in der Untersteiermark und in Krain. Westpreußen und Posen wurden damals nur teilweise mit D. besiedelt. Starke Gruppen kamen ins Baltikum (Estland und Lettland, Deutschbalten) und nach Siebenbürgen.
Die D. im Memelgebiet, in Danzig, Westpreußen (Pommerellen), Posen und Ostoberschlesien lebten bis 1918 im Königreich Preußen. Die meisten D. des Memelgebiets flohen Ende Juli 1944. In den preuß. Provinzen Westpreußen und Posen lebten ebenfalls seit dem 13. und 14. Jh. D., vom Dt. Orden bzw. von den poln. Fürsten ins Land gerufen. Schon 1919 sank ihre Zahl durch Wegzug und durch Ausweisung. Viele der östlich von Oder und Neiße lebenden D. flüchteten 1944/45 in das westl. und mittlere Dtl. (zur heutigen Lage Polendeutsche).Die Sudetendeutschen aus den habsburg. Kronländern Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien bildeten nach den Österreichern, die heute eine eigenständige nationale Identität besitzen, die zweitgrößte dt. Volksgruppe unmittelbar jenseits der Grenzen des Dt. Reiches. Nach ihrer Vertreibung auf der Basis der Beneš-Dekrete und des Potsdamer Abkommens vom 2. 8. 1945 kamen sie v. a. in die amerikanisch und die sowjetisch besetzte Zone Dtl.s sowie nach Österreich. Etwa 250 000 D. blieben im Land. Ein ähnl. Schicksal erlitten die D. in der Slowakei (Zips), die seit dem 13. und 14. Jh. als Bergleute nach Oberungarn gekommen waren. In der 1919 an (das spätere) Jugoslawien gefallenen Untersteiermark (Marburg an der Drau) und in dem 1919 an Italien gekommenen Kanaltal (Südkärnten) leben nur noch geringe Reste von Deutschen. Aus dem MA. stammten auch die dt. Sprachinseln in Krain, die ebenfalls 1919 an Jugoslawien kamen; während des Zweiten Weltkriegs wurden 15 000 D. aus den Gebieten von Gottschee und Laibach ins Dt. Reich umgesiedelt.Die größte der vom geschlossenen dt. Sprachgebiet getrennten Gruppen war seit der Mitte des 12. Jh. die der Siebenbürger Sachsen. Ab 1944 flüchtete ein Teil von ihnen nach Dtl. und Österreich; ihre Zahl ist, bes. seit 1989, in Rumänien durch Auswanderung nach Dtl. stark zurückgegangen.Nach den Türkenkriegen entstanden im habsburg. Ungarn mehrere Siedlungsgebiete der Ungarn-D., dann der Banater Schwaben, der D. in der Batschka, der Schwäb. Türkei, in Slawonien (»Donauschwaben«), im Gebiet von Sathmar und im späteren Karpatorussland (Karpaten-D.). Nach der ersten Teilung Polens (1772) traten hierzu dt. Streusiedlungen in Galizien und der Bukowina, dazu die im 19. Jh. entstandenen dt. Siedlungen in Altrumänien, der Dobrudscha und an der ehem. Militärgrenze in Bosnien. Während die D. im Kerngebiet Ungarns nach 1918 dort verblieben, wurde das Banat auf Ungarn, Rumänien und Jugoslawien verteilt, die Batschka auf die beiden Letzteren, Sathmar und die Bukowina fielen an Rumänien, Slawonien und Bosnien an Jugoslawien, Karpatorussland an die Tschechoslowakei, Galizien an Polen. Nach dem Potsdamer Abkommen vom 2. 8. 1945 wurden die Ungarn-D. ausgesiedelt bzw. vertrieben; von 633 000 blieben nur etwa 270 000 im Land. Die Rumänien-D. (v. a. Siebenbürger Sachsen) kamen während des Zweiten Weltkriegs durch Umsiedlungsverträge nach Dtl. und Österreich oder wurden ab Dez. 1944 in die Sowjetunion verschleppt. Aus Jugoslawien wurden während des Zweiten Weltkriegs die D. in Bosnien und »Restserbien« ebenfalls ins Dt. Reich umgesiedelt. Aus dem Banat und der Batschka kamen nach 1945 zahlr. Flüchtlinge und Vertriebene hinzu, die bes. im westl. Teil Dtl.s und in Österreich aufgenommen wurden. Die D. in Galizien wurden 1940 zumeist in das Dt. Reich umgesiedelt.Vom Ende des 18. Jh. bis zur Mitte des 19. Jh. entstanden neue Siedlungen von D. in Russland. So kamen 1763-67 unter Katharina II. zu günstigen Bedingungen D. in die Kirgisensteppe an der Wolga, seit 1787 in die Ukraine. Der dortige Zuzug wurde erneut durch Zar Alexander I. gefördert (1804-09), desgleichen seit 1814 der in das den Türken abgenommene Bessarabien (Bessarabien-D.); auf die Krim und in das Land nördlich und südlich des Kaukasus kamen ebenfalls Deutsche. Auch in Polen setzte im 18. Jh. eine neue dt. Siedlungsbewegung ein; sie ging nach den Teilungen Polens im russ. Herrschaftsgebiet weiter und endete in Kongresspolen erst mit der Bauernbefreiung 1861. Von Kongresspolen aus wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die Siedlungen im Cholmer und Lubliner Land, v. a. aber in Wolhynien (Wolhynien-D.) gegründet. Schließlich kam es noch zu einer privaten bäuerl. Siedlung von D. in Litauen, meist von Ostpreußen aus.
Die 1944 nach Dtl. geflüchteten 220 000 Russlanddeutschen wurden nach 1945 z. T. (aus der sowjet. Besatzungszone) in das Innere der Sowjetunion verschleppt. Das gleiche Schicksal erlitten die seit 1920 im rumän. Staatsverband lebenden Bessarabiendeutschen. Von den D. in den 1920/21 an Polen gefallenen ehem. dt. Gebieten wurden nach dem Polenfeldzug 1939 170 000 aus Wolhynien und Ostpolen umgesiedelt, meist in die damaligen Reichsgaue Wartheland und Danzig-Westpreußen.Deutsche in Übersee: In Kanada begann um 1750 eine anfangs geringe Siedlung durch D., die im 19. Jh., dann nochmals zu Beginn des 20. Jh. und nach 1945 wesentlich an Umfang zunahm. 1608 beginnend, v. a. aber im 19. Jh., bes. stark seit 1848, wanderten viele D. in die USA aus und wurden im amerikan. »Schmelztiegel« assimiliert; anders dagegen in Mittel- und v. a. Südamerika, wo sich dt. Sprache und Kultur in geschlossenen und Streusiedlungen erhalten haben, v. a. in Brasilien, wo seit 1824 (São Leopoldo), verstärkt nach 1850 (Blumenau), viele D. (zumeist ehem. Russland-D.) einwanderten. Heute leben sie meist in den Staaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina, São Paulo und Paraná. In Argentinien wurde 1836 die erste dt. Ansiedlung gegründet; ein neuer Zuzug kam nach dem Zweiten Weltkrieg ins Land. In Chile siedelten sich die ersten D. 1850 bei Valdivia und in der Prov. Chiloé an, später dann auch in Santiago, Valparaíso und Concepción.
In die anderen Erdteile sind nur wenige D. ausgewandert. In Australien begann eine größere dt. Einwanderung 1838, die stetig angedauert hat. In Afrika siedelten D. schon mit den Buren. Von den seit 1884 erworbenen Schutzgebieten des Dt. Reiches war klimatisch nur Südwestafrika für eine bodenständige Besiedlung geeignet, die sich dort auch erhalten hat.
▣ Literatur:
Dralle, L.: Die D.n in Ostmittel- u. Osteuropa. Ein Jahrtausend europ. Geschichte. Darmstadt 1991.
⃟ D. im Ausland - Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte u. Gegenwart, hg. v. K. J. Bade. München 31993.
⃟ Die D.n in Ostmittel- u. Südosteuropa. Geschichte, Wirtschaft, Recht, Sprache, hg. v. G. Grimm u. a., 2 Bde. München 1995-96.