Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Demokratie
Demokratie[grch. »Herrschaft des Volkes«] die, Volksherrschaft, eine Form des polit. Lebens, die von der Gleichheit und Freiheit aller Bürger ausgeht und die Willensbildung der Gemeinschaft oder des Staates vom Willen des gesamten Volkes ableitet (A. Lincoln: »Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk«); der Begriff D. wird von sehr unterschiedlichen polit. Richtungen in Anspruch genommen. Das Volk als eigentl. Träger der Staatsgewalt (Volkssouveränität) ist berufen, seinen Willen in Mehrheitsentscheidungen kundzutun, entweder unmittelbar (unmittelbare oder direkte D., z. B. auf der Landsgemeinde in einigen schweizer. Kantonen) oder durch die Wahl von Abgeordneten zur Volksvertretung (mittelbare oder repräsentative D.); die Letztere ist heute die gebräuchlichste Art. Die Volksvertretung beschließt die Gesetze und ist in den meisten Staaten bes. W- und N-Europas an der Bildung der Reg. beteiligt; die Reg. bedarf des Vertrauens der Volksvertretung und wird durch diese kontrolliert (parlamentar. Demokratie). Oft ist auch der unmittelbare Volksentscheid (Plebiszit) vorgesehen. In einigen Staaten wählt das Volk den Reg.chef (Präsidial-D.), in der Schweiz als Kollegium (zum Schutz vor Missbrauch der Einzelgewalt).Grundbestandteile einer demokrat. Verf. sind allgemeine, freie, geheime und in bestimmten Mindestabständen stattfindende Wahlen, die Verteilung der drei Hauptaufgaben staatl. Machtausübung (Gesetzgebung, Reg., Rechtsprechung) auf voneinander unabhängige Organe (Gewaltenteilung) und die Garantie der Grundrechte. Die Staatshandlungen müssen mit der Mehrheit des Volkswillens (Mehrheitsprinzip) sowie mit der Verf. und den Gesetzen (Rechtsstaat) übereinstimmen. Voraussetzung einer D. ist, dass die Minderheit als Opposition ungehindert zu Wort kommt, dass ein Reg.wechsel mit friedl. Mitteln gesichert ist (letztlich durch Neuwahlen), dass die Minderheit durch Gesetze (Erschwerung der Verf.änderung) und durch demokrat. Spielregeln geschützt ist (keine unfaire Änderung der Wahlgesetze vor Neuwahlen) und dass die Organe der öffentl. Meinung vom Staat unabhängig sind.Die Erscheinungsformen der D. sind vielgestaltig: Eine D. ist nicht notwendig eine Republik, so können parlamentar. Monarchien praktisch D. sein ( z. B. Großbritannien, die Beneluxstaaten und die nordeurop. Staaten). Andererseits verstanden sich Diktaturen - v. a. im 20. Jh. - als D. und bedienten sich bestimmter demokrat. Elemente. Die in der Sowjetunion und den ehemals kommunistisch regierten Ländern O-Europas praktizierten Formen des Rätesystems und der Volksdemokratie scheiterten endgültig an der Schwelle der 90er-Jahre.
Die Idee der Basis-D. zielt auf eine Überwindung der Trennung von Gesellschaft und Staat, Alltagsfragen und Politik durch herrschaftsfreie Kommunikation der Gesamtheit der Bürgerschaft (Demokratisierung).Geschichte: Demokrat. Verfassungen gab es in altgrch. Stadtstaaten (Athen, 508 v. Chr.). Die D. galt jedoch bis über das MA. hinaus als nachteilige, weil instabile Staatsform neben der Herrschaft eines Einzelnen (Monarchie) und der Herrschaft Weniger (Oligarchie). Im 13. Jh. entstand eine bäuerl. D. in den schweizer. Urkantonen. Frühchristl. Gedankengut (Überzeugung von der Gotteskindschaft aller Menschen) wurde im 16. Jh. durch den linken Flügel des Kalvinismus wirksam (Genf); in der engl. Revolution des 17. Jh. wurde diese religiöse D. auf das polit. Leben bes. in den Gemeinden übertragen (Independenten). Mit den Pilgervätern kamen diese Gedanken nach Amerika, wo sie am umfassendsten und dauerhaftesten in der Unabhängigkeitserklärung der USA (1776) und in der »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte« verwirklicht wurden. In Europa bereiteten Gleichheitsvorstellungen die D. vor: der Pietismus (Vorrang der Erwählung vor der Herkunft), der Absolutismus (Gleichheit der Pflichten), die Aufklärungsphilosophie (Gleichheit der Rechte). Zu diesen Einflüssen trat in Frankreich im Zeitalter der Aufklärung (Montesquieu, Rousseau) der Glaube an die menschl. Vernunft, der seinen polit. Niederschlag in der Frz. Revolution fand. Die »Ideen von 1789« breiteten sich mit der Forderung der Menschenrechte und der Humanität rasch über Mittel- und N-Europa aus und führten zur Ausbildung konstitutioneller Monarchien mit demokrat. Verfassungen. Seitdem bildete sich das demokrat. Ideengut in Auseinandersetzung mit sozialist. Theorien, ihren polit. Umsetzungen und im Gefolge des Strebens breiter Volksmassen nach sozialem Aufstieg und polit. Mitverantwortung ständig fort; gleichzeitig fiel die polit. Willensbildung den Parteien zu, die mehr und mehr Eigengewicht erhielten. In der Gegenwart findet sich ein Zug zur »Expertokratie« und zur »Technokratie«; für den einzelnen Bürger wie für die öffentl. Meinung wird es immer schwerer, fundierte Kritik zu üben und damit der Kontrollfunktion gerecht zu werden. Daher wenden sich die neuen sozialen Bewegungen basisdemokrat. Ideen zu.
Die Arbeit an einer gegenwartsgemäßen, lebensfähigen und gegen Diktatur gefestigten D. ist einem ständigen innergesellschaftl. Meinungsbildungsprozess unterworfen.
▣ Literatur:
Fraenkel, E.: Deutschland u. die westl. D. Neuausg. Frankfurt am Main 21991.
⃟ Sartori, G.: Demokratietheorie. A. d. Engl. Darmstadt 1992.
⃟ Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Opladen 1995.
Die Idee der Basis-D. zielt auf eine Überwindung der Trennung von Gesellschaft und Staat, Alltagsfragen und Politik durch herrschaftsfreie Kommunikation der Gesamtheit der Bürgerschaft (Demokratisierung).Geschichte: Demokrat. Verfassungen gab es in altgrch. Stadtstaaten (Athen, 508 v. Chr.). Die D. galt jedoch bis über das MA. hinaus als nachteilige, weil instabile Staatsform neben der Herrschaft eines Einzelnen (Monarchie) und der Herrschaft Weniger (Oligarchie). Im 13. Jh. entstand eine bäuerl. D. in den schweizer. Urkantonen. Frühchristl. Gedankengut (Überzeugung von der Gotteskindschaft aller Menschen) wurde im 16. Jh. durch den linken Flügel des Kalvinismus wirksam (Genf); in der engl. Revolution des 17. Jh. wurde diese religiöse D. auf das polit. Leben bes. in den Gemeinden übertragen (Independenten). Mit den Pilgervätern kamen diese Gedanken nach Amerika, wo sie am umfassendsten und dauerhaftesten in der Unabhängigkeitserklärung der USA (1776) und in der »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte« verwirklicht wurden. In Europa bereiteten Gleichheitsvorstellungen die D. vor: der Pietismus (Vorrang der Erwählung vor der Herkunft), der Absolutismus (Gleichheit der Pflichten), die Aufklärungsphilosophie (Gleichheit der Rechte). Zu diesen Einflüssen trat in Frankreich im Zeitalter der Aufklärung (Montesquieu, Rousseau) der Glaube an die menschl. Vernunft, der seinen polit. Niederschlag in der Frz. Revolution fand. Die »Ideen von 1789« breiteten sich mit der Forderung der Menschenrechte und der Humanität rasch über Mittel- und N-Europa aus und führten zur Ausbildung konstitutioneller Monarchien mit demokrat. Verfassungen. Seitdem bildete sich das demokrat. Ideengut in Auseinandersetzung mit sozialist. Theorien, ihren polit. Umsetzungen und im Gefolge des Strebens breiter Volksmassen nach sozialem Aufstieg und polit. Mitverantwortung ständig fort; gleichzeitig fiel die polit. Willensbildung den Parteien zu, die mehr und mehr Eigengewicht erhielten. In der Gegenwart findet sich ein Zug zur »Expertokratie« und zur »Technokratie«; für den einzelnen Bürger wie für die öffentl. Meinung wird es immer schwerer, fundierte Kritik zu üben und damit der Kontrollfunktion gerecht zu werden. Daher wenden sich die neuen sozialen Bewegungen basisdemokrat. Ideen zu.
Die Arbeit an einer gegenwartsgemäßen, lebensfähigen und gegen Diktatur gefestigten D. ist einem ständigen innergesellschaftl. Meinungsbildungsprozess unterworfen.
▣ Literatur:
Fraenkel, E.: Deutschland u. die westl. D. Neuausg. Frankfurt am Main 21991.
⃟ Sartori, G.: Demokratietheorie. A. d. Engl. Darmstadt 1992.
⃟ Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Opladen 1995.