Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
chinesische Philosophie
chinesische Philosophie[ç-]. Hauptthema der c. P. ist die Frage nach der Stellung des Menschen im Gemeinwesen, kennzeichnend sind die Vorherrschaft der prakt. Philosophie (Ethik, Rechts- und Staatsphilosophie), das Ganzheitsdenken (im Unterschied zur v. a. dualistischen abendländ. Philosophie) und methodisch die anekdotisch-erzählende, durch geschichtl. Beispiele veranschaulichende Beschreibung (Denken in Form eines Systems).Am Anfang der 1. Phase (Altertum) der c. P. steht die Tugendlehre des Konfuzius und seiner Schule (Nachfolger bes. Mengzi [Meng Tzu], * 372, ✝ 289 v. Chr., Xunzi [Hsün Tzu], * 313, ✝ 238 v. Chr.). Dieser aristokrat. Tugendlehre stellte Mo Di (Mo Ti, * 486, ✝ 376 v. Chr.) eine allg. Liebesethik gegenüber. Der Daoismus forderte dagegen die individuelle Versenkung und Einswerdung mit dem Weltprinzip. Die Schule der Legalisten (Rechtsschule) setzte sich für das über dem Menschen stehende Prinzip eines rigorosen Strafrechts ein und trug zur Ausbildung des chines. Staatsdenkens bei (Höhepunkt in der Qin-Dynastie). In der Naturphilosophie des 5.-3. Jh. v. Chr. wurde die Lehre von den fünf Elementen (Erde, Holz, Metall, Feuer, Wasser) und den gegensätzl. Urkräften Yin und Yang ausgebildet. Im 2. Jh. n. Chr. wurde der Konfuzianismus zur offiziellen, für das Erziehungswesen grundlegenden Weltanschauung in China erklärt. Er prägte als ethisch-soziales System über fast 2000 Jahre die Institutionen (bis 1911 Staatskult).Völlig neue Impulse erhielt die c. P. seit dem 2.-3. Jh. durch den Buddhismus. Besondere Bedeutung erlangte die Schule der Meditation (Chan-, japan. Zen-Buddhismus), in späterer Zeit bestimmend für das japan. Geistesleben (Zen). Nach Zurückdrängung des Buddhismus im 9. Jh. wurde seit dem 11. Jh. der Neokonfuzianismus vorherrschend, in dem buddhist. Elemente (kosmolog. und ontolog. Fragestellungen) weiter wirkten. Gegen die Herrschaft des Konfuzianismus erhoben sich seit dem 17. Jh. krit. Stimmen. Im 16.-18. Jh. war das durch die Jesuitenmission vermittelte westl. Denken selektiv und ohne Breitenwirkung aufgenommen worden. Seit dem Ende des 19. Jh. gewann es in politisch und gesellschaftlich anwendbaren Formen (v. a. Sozialdarwinismus, Pragmatismus, Anarchismus) an Bedeutung. Seit der »Vierten-Mai-Bewegung« (1919) drängte es den Konfuzianismus und die gesamte traditionelle c. P. in den Hintergrund. Mao Zedong versuchte, den Marxismus auf die spezif. Bedingungen der chines. Gesellschaft anzuwenden, insbes. nach der von ihm ausgelösten »Kulturrevolution«. Gegenwärtig stehen wiederum Diskussionen im Vordergrund, die das Verhältnis der traditionellen c. P. zu Gedankengut aus fremden Kulturkreisen betreffen.
Literatur:
Forke, A.: Geschichte der alten c. P. Hamburg 21964.
Forke, A.: Geschichte der mittelalterl. c. P. Hamburg 21964.
Forke, A.: Geschichte der neueren c. P. Hamburg 21964.
Granet, M.: Das chines. Denken. Inhalt, Form, Charakter. A. d. Frz. Tb.-Ausg. Frankfurt am Main 41993.
Gan, S.: Die c. P. Die wichtigsten Philosophen, Werke, Schulen u. Begriffe. Darmstadt 1997.
Geldsetzer, L. u. Hong, H.: Grundlagen der c. P. Stuttgart 1998.
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