Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Chile
Chile Fläche: 756 626 km2
Einwohner: (1995) 14,262 Mio.
Hauptstadt: Santiago
Verwaltungsgliederung: 13 Regionen
Amtssprache: Spanisch
Nationalfeiertag: 18. 9.
Währung: 1 Chilenischer Peso (chil$) = 100 Centavos
Zeitzone: MEZ —5 Std.
['tʃile] (amtl. Republik C., span. República de C.), Staat im SW Südamerikas, grenzt im N an Peru, im NO an Bolivien und im O an Argentinien. Zum chilen. Hoheitsgebiet gehören außerdem die Inseln Juan Fernández, San Félix, San Ambrosio, Sala y Gómez und die Osterinsel. Der von C. beanspruchte Teil der Antarktis (53º-90º w. L.) umfasst 1,25 Mio. km2.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1980, die 1981-89 z. T. suspendiert war und 1989 und 1991 geändert wurde, ist C. eine präsidiale Rep. mit Mehrparteiensystem. Staatsoberhaupt und oberster Inhaber der Exekutive (Reg.chef) ist der für sechs Jahre direkt gewählte Präsident. Die Legislative liegt beim Kongress, bestehend aus der Abg.kammer (120 Abg., für vier Jahre gewählt) und Senat (38 für acht Jahre gewählte und neun vom Präs. ernannte Mitgl.). Wichtigste Parteien sind die gemäßigte Christl.-Demokrat. Partei (PDC), die reform-populist. Partei für die Demokratie (PPD) sowie die konservativ ausgerichteten Parteien Nat. Erneuerung (RN) und Unabhängige Demokrat. Union (UDJ).
Landesnatur: C. erstreckt sich entlang der W-Küste Südamerikas von der peruan. Grenze im N bis Feuerland im S als ein 4 300 km langer, 90-445 km breiter Streifen. Parallel zur Küste verlaufen im W die Küstenkordillere, im O die Hochkordillere, dazwischen im N wüstenhaftes Hochland, in Mittel-C. das als tekton. Senke entstandene Große Längstal (Hauptwirtschafts- und Siedlungsgebiet). Die Hochkordillere mit zahlr. Vulkanen und Höhen um 6 000 m (Llullaillaco 6 723 m) nimmt nach S an Höhe ab (Gipfelhöhe bis 3 000 m); sie ist in W-Patagonien durch Fjorde zerschnitten und trägt hier im Innern große Firn- und Eisfelder. Die Küstenkordillere (bis 2 000 m ü. M.) ist im S in gebirgige Inselgruppen aufgelöst. - Man unterscheidet non N nach S folgende Landschaftsräume: 1. Den Großen Norden (bis zum Río Huasco), im Wesentlichen die Atacama; 2. den Kleinen Norden (bis zum Río Aconcagua), wo Hochkordillere und Küstengebirge unmittelbar aneinander grenzen; 3. Zentral- oder Mittel-C. (bis zur Wasserscheide zw. Río Bío-Bío und Río Imperial) mit dem von Hochkordillere und Küstengebirge eingefassten Chilen. Längstal; 4. den Kleinen Süden (bis zum Golf von Ancud und der Insel Chiloé) mit der noch heute von Araukanern bewohnten Frontera im N und der Chilen. Schweiz (Chilen. Seengebiet) im S; 5. den Großen Süden, der die Patagon. Kordillere mitsamt vorgelagerten Halbinseln und Inseln (d. h. Westpatagonien) sowie Teile Ostpatagoniens und des Feuerlandarchipels umfasst. - Eine Folge der noch andauernden tekton. Tätigkeit sind Erdbeben, die das ganze Land, bes. Mittel-C., häufig heimsuchen. Die meist kurzen, in O-W-Richtung verlaufenden Flüsse werden vielfach zur Bewässerung genutzt; die eiszeitl. Vergletscherung hat am W-Fuß der Hochkordillere eine Reihe größerer Seen (Villarrica, Ranco, Puyehue, Llanquihue) geschaffen.
Durch seine Erstreckung über 39 Breitengrade gliedert sich C. klimatisch in die extrem trockene Wüstenzone Nord-C. mit regenarmer, aber nebelreicher Küstenzone (Humboldtstrom), das nördl. Mittel-C. mit subtrop. Klima (Winterregen) sowie das südl. Mittel-C. mit Regen, vorherrschend im Winter, und Süd-C. mit reichen Niederschlägen zu allen Jahreszeiten und niedrigen Sommertemperaturen.
Bevölkerung: Sie besteht überwiegend aus Mestizen, daneben Indianern (10 %, bes. Araukaner bzw. Mapuche) und rd. 25 % Weißen (unter den europ. Einwanderern im Kleinen Süden auch Deutschstämmige). Zwei Drittel der Einwohner leben in Mittel-C., der N und S sind nur dünn besiedelt. Die größten Ballungsräume bilden die Stadtregionen Groß-Santiago de C., Concepción, Viña del Mar und Valparaíso. Stadtbev.: 85 %, Bev.wachstum: 1,6 %. - Allg. Schulpflicht vom 7. bis 15. Lebensjahr; nur 7 % Analphabeten. C. hat über 200 Hochschulen, die bed. Univ. sind in Santiago de C., Valparaíso, Concepción und Valdivia. - Über 80 % der Ew. gehören zur kath. Kirche, 6 % sind Protestanten.
Wirtschaft, Verkehr: C. zählt zu den stärker industrialisierten Ländern Südamerikas. Seit Anfang der 80er-Jahre beträgt das Wirtschaftswachstum mehr als 5 %. Der Bergbau ist seit dem 19. Jh. die Hauptstütze der Wirtschaft. C. ist einer der größten Kupferproduzenten der Erde und verfügt über beträchtl. Reserven (rd. 24 % der bekannten Weltvorkommen; größte Gewinnungsanlage mit Verarbeitung in Chuquicamata; Beitrag zum Exportwert derzeit 35-40 %). Als Nebenprodukte fallen dabei Molybdän, Gold und Silber an. Große Bedeutung hat auch der Eisenerzbergbau (Prov. Coquimbo und Atacama). Die Salpetergewinnung in der Wüste Atacama war bis zur Herstellung künstl. Stickstoffs (1913) wichtigstes Ausfuhrprodukt. Mit dem als Nebenprodukt anfallenden Jod kann C. den Großteil des Weltbedarfs decken. Es werden außerdem Erdöl an der Magellanstraße, Erdgas und Kohle gefördert. Die Erzeugung von elektr. Energie erfolgt überwiegend in Wasserkraftwerken. Wachstumsind. sind die chem., Kfz-, elektrotechn. Ind. sowie die Metallverarbeitung, konzentriert v. a. auf Santiago de C., Valparaíso, Concepción, Valdivia. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist die Landwirtschaft von relativ geringer Bedeutung. Infolge geograph. Gegebenheiten werden nur 24 % der Gesamtfläche (6 % als Ackerland) genutzt. Das Anbaugebiet beschränkt sich hauptsächlich auf das Große Längstal. Hauptanbauprodukte: Weizen, Mais, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Reis sowie in den letzten Jahren verstärkt für den Export Obst v. a. Äpfel, Weintrauben und Zitrusfrüchte, auch Gemüse und Wein. Die Viehwirtschaft (Rinder, Schweine) kann den Bedarf an Fleisch und Molkereiprodukten nicht decken; die Geflügelzucht ist im Wachsen begriffen. Rd. 7 Mio. Schafe liefern hochwertige Wolle. Der Fischreichtum des Humboldtstroms und eine auf 200 Seemeilen ausgedehnte Fischereischutzzone begünstigen die Fischerei. - Ausgeführt werden v. a. Kupfer, Agrarprodukte, Fischmehl, Papier und Zellstoff, chem. Produkte. Wichtigste Handelspartner sind die USA, Japan, Dtl., Brasilien und Großbritannien. - Das überwiegend staatl. Eisenbahnnetz (rd. 8 200 km) hat eine 3 300 km lange Hauptlinie von Pisagua im N bis Puerto Montt im S (drei Spurweiten; Querverbindungen nach Bolivien und Argentinien); Personenverkehr nur noch zw. Santiago de C. und Puerto Montt bzw. Concepción; transandiner Güterverkehr nur noch von Arica und Antofagasta nach Bolivien. Das Straßennetz (rd. 79 000 km, davon nur 13 % befestigt) kann nicht ganzjährig benutzt werden. Hauptstrecke ist die asphaltierte Carretera Panamericana mit rd. 3 400 km. Die Schifffahrt, der größte Verkehrsträger C.s, verfügt über zahlr. Häfen (Antofagasta, Iquique, Valparaíso, San Antonio, Talcahuano/San Vicente, Punta Arenas u. a.). Wichtigster internat. Flughafen: Santiago de Chile.
Geschichte: Zur Zeit der span. Eroberung gehörte Nord- und Mittel-C. zum Reich der Inka (seit 1480). Die Spanier drangen ab 1535 nach C. vor; 1539 sandte Pizarro P. de Valdivia aus, der 1541 das heutige Santiago de C. gründete. Die Araukaner südlich des Río Bío-Bío (Frontera) behaupteten bis ins 19. Jh. hinein eine gewisse Unabhängigkeit. 1778 wurde C. ein selbstständiges Generalkapitanat. 1810 griffen die Bestrebungen der übrigen hispanoamerikan. Kolonien, sich vom Mutterland zu lösen, auch auf C. über. Zwar führte eine erste Erhebung gegen Spanien unter J. M. Carrera 1811 zur Unabhängigkeit, doch eroberten die Spanier ab 1813 C. von Süden her zurück. 1817 überschritt eine argentin.-chilen. Armee unter J. de San Martín und B. O'Higgins die Anden und schlug die span. Armee bei Chacabuco entscheidend. Am 1. 1. 1818 wurde die Unabhängigkeit ausgerufen. Staatsoberhaupt wurde O'Higgins, der mit diktator. Vollmachten regierte, bis er 1823 gestürzt wurde. Den inneren Wirren setzte 1830 der Sieg der Konservativen ein Ende; Minister Diego Portales schuf die Verf. von 1833; die straffe, von der Oberschicht der kreol. Grundbesitzer getragene Herrschaft der Konservativen förderte die wirtsch. Entwicklung, die durch aktive Einwanderungspolitik (Ges. von 1845; u. a. dt. Einwanderer) begünstigt wurde. Die Araukaner wurden endgültig um 1880 unterworfen. 1879 kam es zum Salpeterkrieg gegen Bolivien und Peru. Die Chilenen eroberten 1881 die peruan. Hptst. Lima. Durch die Verträge von 1883/84 fielen das bolivian. Küstengebiet (Antofagasta) und die peruan. Prov. Tarapacá sowie Arica und Tacna (bis 1929) an C., das damit den Alleinbesitz der reichen Salpeterlager erlangte. Gleichzeitig gewann im Innern der Liberalismus die Oberhand.Im 1. Weltkrieg blieb C. neutral. Der wirtsch. Hochkonjunktur dieser Zeit folgte ein Rückgang, bes. durch die schwindende internat. Nachfrage nach C.-Salpeter. Der liberale Präs. A. Alessandri y Palma (1920-24/25 und 1932-38) konnte in seiner 1. Amtsperiode ein Reformprogramm nur teilweise durchsetzen. Der wirtsch. Aufschwung während der Militärdiktatur von C. Ibáñez del Campo (1927-31) wurde durch die Weltwirtschaftskrise abgebrochen. In seiner 2. Präsidentschaft entwickelte Alessandri y Palma zunehmend diktator. Züge. Mit P. Aguirre Cerda (1938-41), J. A. Ríos Morales (1942-46) und G. González Videla (1946-52) übernahmen Kandidaten einer Volksfront das Präsidentenamt. 1947 wurde die KP aus der Regierungsverantwortung ausgeschlossen. Unter Präs. C. Ibáñez del Campo (1952-58) führte die fortschreitende Inflation zu sozialen Spannungen. J. Alessandri Rodríguez, als Vertreter der Konservativen und Liberalen 1958-64 Präs., versuchte diese durch Reformen abzubauen, unter seinem Nachfolger E. Frei Montalva (1964-70; christl. Demokrat) wurden sie radikaler weitergeführt. 1970 wurde S. Allende Gossens als Kandidat einer Volksfrontkoalition zum Präs. gewählt; er führte ein umfassendes Sozialisierungs- und Verstaatlichungsprogramm durch (u. a. entschädigungslose Enteignung des Kupfer- und Kohlenbergbaus sowie von Bodeneigentum; Kontrolle des Bankwesens), bekämpft von der Mehrheit des Kongresses. Die daraus erwachsene innenpolit. Krise verschärfte sich durch terrorist. Aktionen rechts- und linksradikaler Gruppen. Im Sept. 1973 stürzte die Armee Allende in einem blutigen Putsch (er kam dabei ums Leben). Eine Militärjunta unter A. Pinochet (seit 1974 Präs.) errichtete eine harte Militärdiktatur (u. a. Auflösung des Parlaments, Verbot polit. Aktivitäten, Verfolgung aller Anhänger der Linksparteien, deshalb viele Emigranten, v. a. in die Länder des Ostblocks) und suchte bes. mit monetarist. Mitteln die wirtsch. Probleme C.s zu lösen. Auch die 1980 verabschiedete neue Verf. untersagte die Tätigkeit von Parteien und schrieb Pinochets Präsidentschaft bis 1989 fest. Seit Mitte der 1980er-Jahre gelang es der Oppositionsbewegung, eine wachsende Zahl von Menschen gegen die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen politisch zu mobilisieren, sodass sich die Regierung zur Einleitung eines Reformprozesses gezwungen sah und 1987 die Bildung von Parteien legalisierte. In einem Plebiszit (1988) lehnte die Bev. eine 2. Amtszeit Pinochets ab. In einem 2. Referendum (1989) billigte sie zahlreiche Verf.änderungen (u. a. Verkürzung der Amtszeit des Präs. auf sechs Jahre und Verlust seines Rechts, die Abgeordnetenkammer aufzulösen; Erweiterung des Nationalen Sicherheitsrats um ein ziviles Mitglied). Am 14. 12. 1989 wurde P. Aylwin Azócar als Kandidat eines 17 Parteien umfassenden Wahlbündnisses zum neuen Präs. gewählt. Mit seinem Amtsantritt (11. 3. 1990) endete die Militärdiktatur Pinochets, der jedoch als Oberbefehlshaber des Heeres (bis 1997) sowie als Mitgl. des Senates und des Nationalen Sicherheitsrates noch große Macht behielt. 1993 wurden Sondergerichte zur Aburteilung von Menschenrechtsverletzungen während der Zeit der Militärdiktatur eingerichtet. Die Präsidentschaftswahlen 1993 gewann E. Frei Ruiz-Tagle (PDC; Amtsantritt: 11. 3. 1994). Unter seiner Reg. stabilisierte sich die Wirtschaft weiter (1996 Assoziierungsvertrag mit dem Mercosur). Dass dennoch in der chilen. Gesellschaft tiefgreifende Widersprüche weiterwirken, zeigte sich Ende 1998, nach der Festnahme Pinochets in Großbritannien, in den heftigen öffentl. Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Verhaftung.
Literatur:
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Römpczyk, E.: C. - Modell auf Ton. Unkel/Rhein u. a. 1994.
Transformation im südl. Lateinamerika. Chancen u. Risiken einer aktiven Weltmarktintegration in Argentinien, C. u. Uruguay, hg. v. B. Töpper u. U. Müller-Plantenberg. Frankfurt am Main 1994.
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Rodríguez Seeger, C.: Raumentwicklung u. Dezentralisierung in C. (1964-1994). Kiel 1995.
Collier, S. u. Sater, W. F.: A history of C., 1808-1994. Cambridge 1996.
Thibaut, B.: Präsidentialismus u. Demokratie in Lateinamerika. Argentinien, Brasilien, C. u. Uruguay im histor. Vergleich. Opladen 1996.
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