Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Böhmen
Böhmen(tschech. Čechy), histor. Landschaft Mitteleuropas, heute Kernland der Tschech. Republik. B. bildet ein von waldreichen Gebirgen (Böhmerwald im SW, Fichtel- und Erzgebirge im NW, Sudeten im NO und Böhmisch-Mähr. Höhe im SO) umschlossenes Gebiet. Es wird von der Elbe und Moldau mit ihren Nebenflüssen durch das Elbsandsteingebirge nach N entwässert. Die Bev. der Randlandschaften und einiger Sprachinseln bestand seit dem MA. bis zur Vertreibung nach 1945 aus Deutschen (Sudetendeutsche), die des Landesinneren aus Tschechen. Wirtschaftlich ist B. hoch entwickelt. Die Landwirtschaft erzeugt neben Getreide und Hackfrüchten bes. Zuckerrüben, Hopfen und Obst. Bergbau (Stein- und Braunkohle, Eisen, Graphit, Kaolin u. a.) und Ind. (Textil-, Papier-, Holzind.) sind vielseitig. Von europ. Rang sind die Heilbäder in Karlsbad, Marienbad, Franzensbad sowie Teplitz-Schönau. Hptst. sowie wirtsch. und kultureller Mittelpunkt ist Prag. Geschichte: Der Name B. (lat. Boiohaemum »Boierheim«) geht auf die kelt. Boier zurück, die um 60 v. Chr. den Germanen wichen. Um 9 v. Chr. besetzten die Markomannen das Land. Als sie Anfang des 6. Jh. n. Chr. nach Bayern wanderten, drangen slaw. Stämme ein, von denen die Tschechen im 9./10. Jh. unter ihren Herzögen (Přemysliden) die Führung gewannen. Im 9. Jh. (bis 907) Teil des Großmähr. Reiches, wurde B. im 10. Jh. Teil des Hl. Röm. Reiches (unter Wenzel I., dem Heiligen, Annahme des Christentums). Zu Beginn des 11. Jh. wurden Mähren und Schlesien mit B. vereinigt. Als dt. Reichsfürsten erhielten die Přemysliden (Ottokar I.) 1198 die erbl. Königswürde, 1290 die Kurwürde. Im 13. Jh. förderten sie die dt. Kultur, gründeten viele Städte und zogen dt. Siedler nach Böhmen. 1306 starben die Přemysliden aus, B. fiel an die Luxemburger (1310-1437). Johann von Luxemburg (1310-46) gewann das Egerland (1322), die Oberlausitz und die Lehnshoheit über Schlesien (1327/29). Sein Sohn, Kaiser Karl IV. (1346-78), regierte das Hl. Röm. Reich von B. aus und führte eine Blütezeit B.s herauf (1348 erste dt. Univ. in Prag). Die Hussitenkriege (1419/20-1433/34) brachten eine Erstarkung des tschech. Nationalbewusstseins unter Führung von Georg von Podiebrad. 1471-1526 war B. unter den Jagiellonen mit Ungarn verbunden. 1526-1918 gehörte B. zum habsburg. Österreich.Die Reformation ergriff den größten Teil der Bev.; die Zuspitzung des konfessionellen Gegensatzes führte 1618 zum Böhm. Aufstand und in dessen Folge zum Dreißigjährigen Krieg. Kaiserliche Siege förderten die Gegenreformation. Von den böhm. Nebenländern ging die Lausitz 1635 an Kursachsen, Schlesien 1742 an Preußen verloren. Maria Theresia behauptete im Österr. Erbfolgekrieg B. gegen die Ansprüche Bayerns (1740-45). In der 1. Hälfte des 19. Jh. entstand eine tschech. Nationalbewegung, die in der Revolution 1848/49 politisch hervortrat. Durch das neue Wahlrecht von 1880 ging die Mehrheit im Landtag von den Deutschen auf die Tschechen über. Diese beanspruchten die Alleinherrschaft und erstrebten im österr. Gesamtstaat eine föderalist. Verfassung. Wiederholte Versuche eines nat. Ausgleichs scheiterten. Im Herbst 1918 ging B. in der neu gegründeten Tschechoslowakei auf.
Literatur:
Hoensch, J. K.: Die Geschichte Böhmens. München 1987.
Deutsche Geschichte im Osten Europas, begr. v. W. Conze, hg. v. H. Boockmann u. a. Bd. Böhmen u. Mähren. Berlin 21995.
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