Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Byzantinisches Reich
Byzantinisches Reich(Oströmisches Reich, kurz Byzanz), die östl. Hälfte des Röm. Reiches, die sich noch ein Jt. lang nach der Zerstörung des Weström. Reiches behauptete (395 bis 1453).Frühbyzantin. Zeit (bis zum Anfang des 7. Jh.): Die Teilung des Röm. Weltreichs wurde nach dem Tod von Theodosius I. (395) endgültig. Unter seinem Sohn umfasste das B. R. die Balkanhalbinsel, die Inseln des östl. Mittelmeeres, die asiat. Prov. und Ägypten; Hptst.: Konstantinopel (Byzanz). Die Kaiser des 5. Jh. hatten langwierige kirchl. Streitigkeiten bes. mit den Monophysiten; die Kirche des Westens ging seit dem Konzil von Chalkedon (451) eigene Wege. Nach außen gelang die Abwehr der Goten und Hunnen; unter Theodosios II. (408-450) wurde ein Teil Armeniens gewonnen, die pers. Sassaniden stellten eine Gefahr dar und seit etwa 500 drangen slaw. Stämme in die Donauprovinzen ein. Justinian I. (527-565;
Theodora) zerstörte mit seinen Feldherren Belisar und Narses das Wandalenreich in Afrika und das Ostgotenreich in Italien. Gegen die Perser wurden Kleinasien und Syrien behauptet. Der Kirche gegenüber stellte Justinian die Staatshoheit endgültig fest. Durch seine Gesetzgebung (Corpus Iuris Civilis) und seine Bauten (Hagia Sophia, Baubeginn 532) erschien er der Nachwelt als der glänzendste byzantin. Kaiser. Unter Justin II. (565-578) ging ein großer Teil Italiens an die Langobarden verloren. Zu Beginn des 7. Jh. war das B. R. in den Donauländern durch die Awaren und im O durch die Perser bedroht.Mittelbyzantin. Zeit (610-1204): Herakleios (610-641) rettete das Reich durch umfangreiche Heeres- und Verwaltungsreformen. Die militär. Bedrohung dauerte allerdings fort: Die Araber unterwarfen 634-646 Syrien, Mesopotamien und Ägypten. Gleichzeitig bildeten sich slaw. Reiche auf der Balkanhalbinsel. Unter Konstantin IV. Pogonatos (668-685) griffen die Araber auch Konstantinopel an. Mit Leon III. (717-741) kam das syr. Herrscherhaus auf den Thron. Durch sein Einschreiten im Bilderstreit (Bilderverehrung) begann ein mehr als hundertjähriger Kampf zw. Kirche und Staat. Erst Theodora, als Regentin für ihren Sohn Michael III. (842-867), machte 843 dem Bilderstreit ein Ende. Im 8. Jh. verstärkte sich der Gegensatz zw. Rom und Konstantinopel (751 Eroberung des byzantin. Exarchats Ravenna durch die Langobarden; 800 Krönung Karls d. Gr. zum Röm. Kaiser durch den Papst). Die Araber gewannen 825 Kreta, 831 Palermo; nach der byzantin. Niederlage bei Amorion 838 war auch Kleinasien in arab. Hand. - Unter der makedon. Dynastie, begr. von Basileios I. (867-886), erreichte das B. R. den Höhepunkt seiner Macht. Sizilien geriet zwar 878 endgültig unter die Herrschaft der Araber; doch blieb Unteritalien byzantinisch. Konstantinopel überstand erfolgreich die bulgar. Belagerungen von 913 und 924, den Arabern wurde 961 Kreta und 965 Zypern entrissen; zur selben Zeit wurde Kilikien, kurz darauf Syrien und ein Teil Mesopotamiens für das B. R. zurückgewonnen. Basileios II. (976 bis 1025) brachte nach langen blutigen Kämpfen (1001-14) die Balkanhalbinsel wieder unter byzantin. Herrschaft. Mit der polit. Machtfülle ging die Blüte der byzantinischen Kultur einher. Das Ende der makedon. Dynastie (1056) war gekennzeichnet durch die endgültige Entfremdung zw. Ost- und Westkirche (großes Schisma 1054). Nach 1056 verfiel das Reich. Die Rivalität zw. Heer und Beamtenschaft lähmte die Widerstandskraft; auch die wachsende Macht der Großgrundbesitzer machte sich bemerkbar. Aus den kleinasiat. Archontengeschlechtern ging das Herrscherhaus der Komnenen hervor. Der größte Teil Kleinasiens ging 1071 an die Seldschuken verloren. Mithilfe Venedigs konnte Alexios I. (1081-1118) zwar die Normannen zurückdrängen, doch brachten die der Stadtrepublik zugestandenen Handelsprivilegien neue Abhängigkeiten. Die Niederlage der Seldschuken durch den 1. Kreuzzug erleichterte die Rückeroberung des westl. Kleinasiens. Unter den Nachfolgern Alexios' I. geriet das B. R. zunehmend in Konflikt mit den angrenzenden Staaten (Niederlage gegen die Rum-Seldschuken bei Myriokephalon 1176; Wiedererrichtung des Bulgarenreiches 1185). Thronwirren und Aufstände beschleunigten den Untergang: Auf Veranlassung Venedigs wurde der 4. Kreuzzug gegen Konstantinopel gelenkt. Die Stadt wurde 1204 von den Kreuzfahrern gestürmt.Lateinisches Kaisertum (1204-61): Die Kreuzfahrer teilten das B. R. in Lehensstaaten: das Königreich Thessalonike, das Herzogtum Athen und das Fürstentum Achaia. Das Latein. Kaiserreich blieb auf Konstantinopel und Umgebung beschränkt. Auch das byzantinisch gebliebene Gebiet zerfiel: In Nikaia in Kleinasien gelangte der Palaiologe Michael VIII. (1259/61-82) auf den Thron, der 1261 mithilfe der genues. Flotte Konstantinopel einnahm.Spätbyzantin. Zeit (1261-1453): Die Großmachtstellung des B. R. war seit 1204 gebrochen. Thronstreitigkeiten schwächten unter den Nachfolgern Michaels VIII. den Staat. Während auf der Balkanhalbinsel der Serbenfürst Stephan Dušan seine Herrschaft über Epirus und Makedonien ausdehnte, drangen in Kleinasien die osman. Türken vor. Sie eroberten 1326 Bursa und 1331 Nikaia, setzten 1345 nach Europa über, machten Adrianopel 1366 zu ihrer Hauptstadt und zerschlugen in kurzer Zeit die Reiche der Bulgaren und Serben. Unter Manuel II. (1391-1425) wurde Konstantinopel 1422 von den Türken erneut angegriffen; ein Feldzug des Abendlandes gegen die Türken scheiterte in der Schlacht bei Warna (1444). Manuels Sohn Konstantin XI. (1448-53) fiel bei der Eroberung Konstantinopels durch Mohammed II. (29. 5. 1453). Das bedeutete das Ende des Byzantin. Reiches.
Literatur:
H.-G. Beck. Lust an der Geschichte. Leben in Byzanz. Ein Lesebuch, hg. v. München u. a. 1991.
Beck, H.-G.: Das byzantin. Jahrtausend. München 21994.
The Byzantines, hg. v. G. Cavallo. A. d. Italien. Chicago, Ill., u. a. 1997.
Wirth, P.: Grundzüge der byzantin. Gesch. Darmstadt 31997.
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