Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Bosnien und Herzegowina
Bọsni|en und Herzegowina Fläche: 51 129 km2
Einwohner: (1997) 3,86 Mio.
Hauptstadt: Sarajevo
Amtssprache: Bosnisch
Nationalfeiertag: 1. 3.
Währung: 1 Bosnisch-Herzegowinischer Dinar (BHD) = 100 Para
Zeitzone: MEZ
(amtlich serbokroat. Republika Bosna i Hercegovina), Staat in SO-Europa, gliedert sich in den nördl. Landesteil Bosnien und den südl. Teil Herzegowina, grenzt im S, W und N an Kroatien, im O an Jugoslawien (Serbien, im SO an Montenegro).
Staat und Recht: Nach den im Friedensabkommen von Dayton (Annex 4) fixierten Verf.-Grundsätzen ist B. u. H. eine unabhängige, demokrat., föderative Rep., bestehend aus zwei relativ eigenständigen Gebietseinheiten, der Bosniakisch-Kroat. Föderation B. u. H (Abk. FBiH) und der Serb. Rep. (Republika Srpska, Abk. RS). An der Spitze des Gesamtstaates steht ein dreiköpfiges kollektives Staatspräsidium (je ein Bosniak, ein Kroate und ein Serbe), das im Verhältnis 2:1 von der Bev. der FBiH. und der Bev. der RS auf (jetzt) vier Jahre direkt gewählt wird. Beim Vorsitz gilt ein Rotationsprinzip (Wechsel alle acht Monate). Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament, bestehend aus dem direkt gewählten Abgeordnetenhaus und der Kammer der Völker, deren Mitgl. paritätisch von den Parlamenten der beiden Gebietseinheiten (Abgeordnetenhaus in der FBiH. und Nationalversammlung in der RS) bestellt werden. Der Regierungschef wird vom Vorsitzenden des Staatspräsidiums vorgeschlagen und vom Abgeordnetenhaus bestätigt; er beruft die Mitgl. des Kabinetts (Ministerrat).
Einflussreichste Parteien im Rahmen des 1990 eingeführten Mehrparteiensystems sind die Partei der Demokrat. Aktion (SDA; Vertreter der Bosniaken), die Serb. Demokrat. Partei (SDS, Vertreter der bosn. Serben) und die Kroat. Demokrat. Gemeinschaft (HDZ BiH, Interessenvertreter des bosnisch-kroat. Bev.-Teils). Daneben entstanden 1996 in Opposition zu den Nationalparteien stehende Parteien bzw. Parteienbündnisse.
Verwaltung. B. u. H. besteht aus den weitgehend selbstständigen Teilen (Entitäten) Serb. Rep. (Republika Srpska, Abk. RS; 41 % der Gesamtfläche) und Bosniakisch-Kroat. Föderation (59 % der Gesamtfläche); Letztere untergliedert sich in zehn Kantone.
Landesnatur: Mit Ausnahme des Anteils an der Saveniederung im N, dem fruchtbaren Acker- und Obstbauland Posavina, wird B. u. H. von Gebirgsland eingenommen. Die größtenteils aus Schiefer und Sandsteinen, im W aus Kalken aufgebaute zentrale Gebirgsmasse ist reich bewaldet. Der S und SW wird von der waldarmen Hochkarstzone des Dinar. Gebirges eingenommen, mit Gebirgsstöcken bis über 2 000 m ü. M. und Hochflächen (um 1 700 m ü. M.), in die große Becken (Poljen) eingesenkt sind. Zum Dinar. Gebirge gehört das Bosn. Erzgebirge mit großen Eisenerz- und Braunkohlelagerstätten sowie Vorkommen von Silber-, Chrom-, Mangan- und Bleierz sowie Bauxit. Im S der Rep. erstreckt sich die Herzegowina, ein dünn besiedeltes, verkarstetes Gebirgsland. Der Zugang zum Adriat. Meer besteht nur aus einem schmalen Küstenstreifen von 20 km Breite. In den gebirgigen Landesteilen herrscht vorwiegend ein gemäßigt kontinentales Klima, im S und zur Adriaküste hin nehmen mediterrane Einflüsse, auch in der Vegetation, zu.
Bevölkerung: Sie umfasst muslim. Bosniaken, orth. Serben und röm.-kath. Kroaten sowie Angehörige nat. Minderheiten wie Albaner, Slowenen, Montenegriner, Roma u. a. Die Bevölkerungsverteilung hat sich durch die vom Krieg ausgelösten Massenvertreibungen und Zwangsumsiedlungen stark geändert. 40 % der Bev. leben in Städten. Wichtigste Stadt der Herzegowina ist Mostar. - Allg. Schulpflicht besteht vom 7. bis 15. Lebensjahr; vier Univ. (in Sarajevo, Banja Luka, Mostar und Tuzla).
Wirtschaft, Verkehr: Durch den Bürgerkrieg kamen die wirtsch. Aktivitäten des Landes fast völlig zum Erliegen. B. u. H. war ein Ind.land (reiche Bodenschätze) mit starkem Agrarsektor. Bed. waren Eisen- und Stahlind., Maschinenbau, elektrotechn., Textil- und chem. Ind.; Kraftwerk bei Mostar. Angebaut werden v. a. Weizen, Mais, Tabak, Kartoffeln, Zuckerrüben, Obst (Erdbeeren und Himbeeren) und Wein. Wichtig sind außerdem Viehzucht (Schafhaltung bes. in den Karstgebieten) und Holzgewinnung. - Verkehrsleitlinie ist das Neretvatal, das als einziges die Hochkarstzone in mehreren Schluchten quert; 21 168 km Straßen und Autobahnen, 1 021 km Schienennetz; internat. Flughäfen Sarajevo und Mostar.
Geschichte: 9 n. Chr. unterwarfen die Römer illyr. Gebiete, den histor. Kernbereich Bosniens, und gliederten sie der Prov. Dalmatia ein. 395 kam Bosnien zum Weström. Reich, Ende 5. Jh. zum Ostgotenreich, um 530 zum Byzantin. Reich. Anfang des 7. Jh. siedelten sich Südslawen an. Bosnien war in den folgenden Jahrhunderten zw. Serbien, Kroatien, Byzanz, Zeta (Montenegro) und Ungarn umstritten. Im 14. Jh. gewann es als Königreich eine bedeutende Macht: Es umfasste Serbien und das Land Hum (ab Ende des 15. Jh. Herzegowina). Ab 1463/82 stand das Gebiet B. u. H.s unter osman. Herrschaft; es blieb als Paschalik (ab 1580) vereint. Nach 1878 (Berliner Kongress) wurde es von Österreich-Ungarn besetzt, 1908 formlos annektiert. Die Ermordung des österr.-ungar. Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. 6. 1914 löste den Ersten Weltkrieg aus. 1918 wurde B. u. H. Teil des neu gegr. Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, des späteren Jugoslawien. Im Zweiten Weltkrieg fiel der größere Teil B. u. H.s 1941 an den von Dtl. abhängigen, von der Ustascha beherrschten »Unabhängigen Staat Kroatien«; Bosniaken, Serben, Juden und Roma wurden Opfer des Ustascha-Terrors. Im selben Zeitraum entwickelte sich B. u. H. zu einem Zentrum der jugoslaw. Widerstandsbewegung (Četnici). Im Nov. 1942 gründeten die kommunist. Partisanenverbände unter Tito in Bihać den »Antifaschist. Volksbefreiungsrat« (AVNOJ). 1946 wurde B. u. H. Teilrep. Jugoslawiens. »Moslem« (Muslim) als Bekenntnis zu einer Volksgruppe zugelassen. // kommt anders, nach BEATE (lt. Sundhausen) bei Bosniaken --- schneid Im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens (seit 1989/90) und seines kommunist. Einparteiensystems fanden am 18. 11./2. 12. 1990 - zum ersten Male seit 1945 - auf der Grundlage eines Mehrparteiensystems Parlamentswahlen statt, bei denen in Widerspiegelung der ethn. Bev.zusammensetzung die muslimisch-bosniak. Partei der Demokrat. Aktion (SDA) die meisten Sitze erhielt. Am 19. 12. 1990 wurde der Vors. der SDA, A. Izetbegović, zum Leiter des Staatspräsidiums (Präs.) gewählt. Gegen den Widerstand der serb. Abg. erklärte das Parlament im Okt. 1991 B. u. H. zum souveränen Staat. In Reaktion darauf riefen die serb. Abg. des Parlaments von B. u. H. am 9. 1. 1992 einen eigenen Staat, die Serb. Rep. B. u. H. unter dem Präs. R. Karadžić (Mai 1992 bis Juni 1996), aus. Nachdem eine von den bosn. Serben boykottierte Volksabstimmung sich am 29. 2./1. 3. 1992 für die völlige Unabhängigkeit B. u. H.s ausgesprochen und das Parlament am 3. 3. 1992 die staatl. Unabhängigkeit förmlich erklärt hatte, kam es trotz der internat. Anerkennung B. u. H.s (Beginn am 28. 3. 1992 in Bosanski Brod) zum Bürgerkrieg zw. den zunächst verbündeten Muslimen (Bosniaken) und bosn. Kroaten einerseits und den bosn. Serben andererseits, der v. a. in den ethn. Mischgebieten mit brutaler Schärfe geführt wurde.Während die Bosniaken (1991 Bev.-Anteil: 43,7 %) als staatstragende Volksgruppe am Erhalt von B. u. H. als dreinat. (multiethn.) Staat festhielten, orientierten sich die bosn. Serben (bis 1995) an der Idee der Sammlung aller Serben in einem Staat; bei einem Bev.-Anteil von 31,8 % (1991) erhoben sie einen Anspruch auf 65 % des Staatsgebiets. Zur Arrondierung ihrer Siedlungsgebiete eroberten sie Serben, anfänglich von der ehem. jugoslaw. Armee unterstützt, aufgrund ihrer militärtechn. Überlegenheit bis Okt. 1992 etwa 70 % des Staatsgebietes von B. u. H. (bes. Kämpfe um strategisch wichtige Städte, z. B. um Bosanski Brod, Belagerung muslimisch-bosniak. Exklaven in serbisch besiedelten Regionen und der Hauptstadt Sarajevo). Serben die Hauptstadt Sarajevo. --- gestr. schneid (3x Belagerung!!!) Seit Anfang 1993 kam es auch zu schweren Kämpfen zw. Bosniaken und den bosn. Kroaten v. a. in Zentralbosnien und um Mostar (Herzegowina). Unter dem Schlagwort »ethn. Säuberungen« vertrieben v. a. die bosn. Serben, aber auch die bosn. Kroaten die jeweils anderen Nationalitäten aus den von ihnen eroberten Gebieten. Kampf und Vertreibung lösten massive Flüchtlingsbewegungen aus (bis 1995 über 2,2 Mio. Flüchtlinge). Milizen vergewaltigten in speziell dazu eingerichteten Lagern systematisch muslim. Frauen. -- zum Zeilenausgleich gsrtr. schneid Im Febr. 1993 beschloss der UN-Sicherheitsrat die Errichtung eines internat. Kriegsverbrechertribunals in Den Haag. Durch die Einrichtung einer Luftbrücke v. a. nach dem belagerten Sarajevo zur Versorgung der Bev. mit Lebensmitteln und Medikamenten oder die Errichtung von UN-Schutzzonen für die muslim. Exklaven (Goradžde, Srebrenica und Žepa; April/Mai 1993) sollte die Not der Zivilbev. gelindert werden. Mit einem Handelsembargo gegen die am 27. 4. 1992 von Serbien und Montenegro gebildete Bundesrepublik Jugoslawien und einem Waffenembargo gegen die Krieg führenden Parteien (durch EU und UNO), durch Entsendung von UN-Blauhelmtruppen (UNPROFOR) zum Schutze der Zivilbev. im Juni 1992 und mit dem Einsatz von NATO-Kampfflugzeugen suchten die internat. Organisationen ein Ende des Krieges zu erreichen. Präs. Izetbegović stimmte trotz der prakt. Auflösung des Staates einer fakt. Dreiteilung des Landes (Kernpunkt versch. Friedenspläne seit 1993/94; Genfer Jugoslawienkonferenz [Genfer Konferenzen]) nicht zu. Auf amerikan. und russ. Vermittlung hin einigten sich Bosniaken und bosn. Kroaten auf die Bildung einer beide Ethnien umfassenden und in 8 Kantone untergliederten Föderation innerhalb von B. u. H. (Washington, 2./18. 3. 1994). Der von der am 25./26. 4. 1994 gebildeten Internat. (Bosnien-)Kontaktgruppe (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, Dtl.) am 5. 7. beschlossene neue Teilungsplan für B. u. H. (49 % des Landes für die Serben, 51 % für die Föderation) scheiterte zunächst am Widerstand der bosn. Serben. Nach der serb. Eroberung der UN-Schutzzonen Srebrenica und Žepa (Juli 1995) erzwangen UNO und NATO mit Luftangriffen auf serb. Stellungen im Raum Sarajevo, Goražde, Tuzla und Pale (30. 8. bis 1. 9. 1995) die Wende des Krieges. Am 12. 10. 1995 trat ein Waffenstillstand in Kraft. Mit dem Friedensabkommen von Dayton (Ohio, USA), paraphiert am 21. 11. 1995 in Dayton, unterzeichnet am 14. 12. 1995 in Paris, wurde der Versuch einer Befriedung des Landes unter Wahrung seiner staatl. Einheit eingeleitet, jedoch bei fakt. Teilung - nach dem Kontaktgruppenplan von 1994 - in die Bosniak.-Kroat. Föderation und die Serb. Rep. (Republika Srpska; Abk. RS). Zur Absicherung des Friedensprozesses Sicherung des Friedens zw. den Volksgruppen entsandte die NATO Truppen (ab Dez. 1995 IFOR, ab Dez. 1996 SFOR). Dennoch standen der erfolgreichen Umsetzung der militär. Bestimmungen des Dayton-Abkommens aufgrund der fortbestehenden ethn. Spannungen (bis 1999) Defizite bei der Umsetzung der zivilen Bestimmungen gegenüber. Versch. Folgekonferenzen beschlossen u. a. massive internat. Hilfe beim Wiederaufbau (Organisator und Koordinator: der Hohe Beauftragte der UN, zunächst C. Bildt, dann Carlos Westendorp). Die Aufklärung der Massenverbrechen und die Bestrafung der Kriegsverbrecher begann. Zur polit. Konsolidierung der Union wurden am 14. 9. 1996 und erneut am 12./13. 9. 1998 das gemeinsame Staatspräsidium (jetzt turnusmäßiger Wechsel) und das Bundesparlament gewählt, wobei die nationalist. Parteien der drei Volksgruppen ihre Vormachtstellung behaupten konnten.
Die gesamtstaatl. Institutionen funktionierten lange nicht ausreichend; wirtschaftl. Wiederaufbau und Flüchtlingsrückkehr kamen nur stockend in Gang. Faktisch lief die Tätigkeit des Hohen Beauftragten und seines Stabes auf ein »Protektorat« der UNO in B. u. H. hinaus. Die Konstituierung der staatl. Strukturen der RS (Parlament, Reg., Präs.; endgültig 1998; Sitz von Pale nach Banja Luka verlegt) verlief im Konflikt zw. als gemäßigt geltenden Serben und serb. Nationalisten. Der internat. Schiedsspruch zu Brčko (März 1999) führte zur Konfrontation zw. beiden Gruppierungen.
Literatur:
N. Stefanov Bosnien u. Europa, hg. v. u. M. Werz. Frankfurt am Main 1994.
Calic, M.-J.: Der Krieg in Bosnien-Hercegovina. Frankfurt am Main 1995.
Haselsteiner, H.: Bosnien-Hercegovina. Orientkrise u. südslav. Frage. Wien u. a. 1996.
Malcolm, N.: Gesch. Bosniens. A. d. Engl. . Frankfurt am Main 1996.
Krech, H.: Der Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina (1992-1997). Berlin 1997.
Rathfelder, E.: Sarajewo u. Sechs Jahre Reporter im ehemaligen Jugoslawien. Nachwort v. H. Koschnick. München 1998.
Religion and the war in Bosnia, hg. v. P. Mojzes. Atlanta, Ga., 1998.
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