Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Bolivien
Bolivi|en Fläche: 1 098 581 km2
Einwohner: (1995) 7,41 Mio.
Hauptstadt: Sucre
Regierungssitz: La Paz
Verwaltungsgliederung: 9 Departamentos
Amtssprachen: Spanisch, Ketschua, Aimara
Nationalfeiertag: 6. 8.
Währung: 1 Boliviano (Bs) = 100 Centavos (c.)
Zeitzone: MEZ — 5 Std.
(amtlichspan. República de Bolivia), Andenstaat in Südamerika, ohne Zugang zum Meer, grenzt im N und O an Brasilien, im SO an Paraguay, im S an Argentinien, im W an Chile und Peru.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1967 ist B. eine präsidiale Rep.; Staatsoberhaupt und Reg.chef ist der (seit der Verf.-Änderung von 1997) für fünf Jahre direkt gewählte Präs. (Wiederwahl nach einer Pause von acht Jahren möglich); er ernennt und entlässt die Minister. Die Legislative liegt beim Kongress (für vier Jahre gewählt), bestehend aus Senat (27 Mitgl.) und Abgeordnetenhaus (130 Abg.). Wichtigste Parteien: Movimiento Nacionalista Revolucionario (MNR), Acción Democratica Nacionalista (ADN), Movimiento de la Izquierda Revolucionaria (MIR). Verwaltungsmäßig ist B. in neun Dep. gegliedert.
Landesnatur: Das Hochgebirge der Anden im W und trop. Tiefland im O bilden die natürl. Großräume. Die beiden Hauptketten der Anden (Ost- und Westkordillere) mit über 6 000 m hohen Gipfeln (Illampu 6 427 m und Illimani 6 438 m) schließen ein 3 000-4 000 m ü. M. gelegenes Hochland (Altiplano) mit abflusslosen Becken (Titicacasee, Poopósee) ein, das nach S immer trockener wird. Die baumlose Hochlandsteppe (Puna) geht in eine Hochlandwüste mit großen Salzpfannen über. Das Klima ist trocken und kühl. Vom Ostabfall der Anden, dem durch die Quellflüsse des Amazonas- und La-Plata-Systems tief zertalten Bolivian. Bergland, geht B. in das östl. Tiefland über. Im S reicht dieses bis in das trockenheiße Buschland des Gran Chaco, im N bis in das feuchtheiße Randgebiet des Amazonasbeckens.
Bevölkerung: Rd. 42 % der Bev. sind Hochlandindianer (25 % Ketschua, 17 % Aimara), 30 % Mestizen (Cholos), etwa 15 % Weiße, meist span. Herkunft (herrschende Oberschicht) und 3 % Schwarze; die Zahl der Tieflandindianer (Guaraní) ist gering. Obwohl das Hochland nur ein Drittel der Gesamtfläche des Landes ausmacht, leben vier Fünftel aller Ew. in Höhen über 3 000 m. Das wirtschaftlich wenig entwickelte Tiefland im N und O ist sehr dünn besiedelt (weniger als 1 Ew./km2). Die jährl. Bevölkerungszuwachsrate liegt bei 2,3 %; größte Städte sind La Paz, Santa Cruz, Cochabamba, El Alto, Oruro, Potosí und Sucre. - Die allg. Schulpflicht (6.-12. Lebensjahr) wird von etwa 85 % der Kinder wahrgenommen; die Analphabetenquote liegt bei 23 %. Univ. in Sucre (gegr. 1624) und La Paz (1830), Fachschulen (als Univ. oder TU bezeichnet) in Cochabamba, Santa Cruz, Oruro, Potosí, Tarija, Trinidad. - Insgesamt 85 % der Bev. sind römisch-kath. (vier Erzbistümer); prot. und jüd. Minderheiten.
Wirtschaft, Verkehr: Trotz seines Reichtums an natürl. Ressourcen (Bodenschätze, Wälder, Wasserkraft) ist B. ein Entwicklungsland mit einem der niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika (Bruttosozialprodukt je Ew. 1994: 770 US-$), einer hohen Arbeitslosenquote und Inflationsrate. Hauptursachen sind unzureichende Verkehrserschließung und Energieversorgung, Kapitalmangel, einseitige Abhängigkeit der Wirtschaft vom Bergbau, dessen Erzeugnisse rd. 80 % der Ausfuhr ausmachen. Die Tilgung der öffentl. Auslandsschulden beansprucht einen wesentl. Teil der Exporterlöse. - Altiplano und das Bolivian. Bergland haben große Erzvorkommen: bes. Zinn, ferner Blei, Zink, Kupfer, Eisenerz, Antimon, Wolfram, Wismut; die Andenrandzone im SO ist reich an Erdöl und Erdgas. - Die wenig effektive Landwirtschaft beschäftigt rd. die Hälfte der Erwerbstätigen. Im Zug der Bodenreform wurden seit 1953 rd. 22,8 Mio. ha an 385 000 Bauern verteilt, trotzdem deckt die Produktion nicht den Eigenbedarf. Die Viehhaltung (Rinder, Schafe) im östl. Tiefland gewinnt zusehends an Bedeutung. Anbau in der Ebene: Kaffee, Zuckerrohr, Baumwolle, auf dem Altiplano: Getreide, Kartoffeln, Quinoa. Nach Schätzungen hat sich der illegale Anbau von Kokasträuchern seit den 70er-Jahren um ein Mehrfaches erhöht. Über die Hälfte des Landes ist bewaldet; forstwirtsch. Nutzung erst in geringem Maß. - Die Ind. erzeugt v. a. Konsumgüter für den heimischen Bedarf; ferner gibt es Metallverhüttung, Erdölraffinerien, chem. Ind., Zement-, Papierfabriken. Ausfuhrgüter sind Erdgas, Erdöl, Zinn, Zink, Silber, Gold, Schmuck, Soja, Holz. Haupthandelspartner: Argentinien, Brasilien, USA, EU-Länder.
Verkehr: Das Straßennetz (rd. 41 000 km) ist ausbaubedürftig. Die Eisenbahn (O- und W-Netz, zusammen 3 697 km) verbindet B. mit den chilen. Ausfuhrhäfen, mit Peru, Brasilien und Argentinien; Binnenschifffahrt (v. a. Fährschiffe) bes. auf dem Titicacasee. B. hat einen vertraglich geregelten Zugang zum Río Paraguay und Río Paraná. Durch einen von Argentinien eingeräumten Freihafen bei Rosario erhielt B. Zugang zum Atlant. Ozean. Erdölleitungen (u. a. nach Arica in Chile) und Erdgasfernleitungen (2 300 km); internat. Flughäfen: La Paz und Santa Cruz; nat. Fluggesellschaften: Lloyd Aéreo Boliviano, Aerosur.
Geschichte: B. gehörte in präkolumb. Zeit zum Inkareich und wurde 1538 von den Spaniern erobert. Es war dann Teil des span. Vizekönigreichs Peru und gehörte seit 1776 zum Vizekönigreich Buenos Aires (La Plata). Auf dem Gebiet B.s lagen die Silbervorkommen von Potosí, die bis Ende des 18. Jh. Hauptquelle des span. Silberreichtums waren. Nach seinem Sieg bei Ayacucho (1824) rief A. J. de Sucre am 6. 8. 1825 die Unabhängigkeit des Landes Bolivia (nach S. de Bolívar) aus. Erster Präs. wurde S. de Bolívar (bis 1826). Die peruanisch-bolivian. Union bestand nur 1836-39. Als Bundesgenosse Perus nahm B. 1879/80 am Salpeterkrieg gegen Chile teil und verlor 1884 seine Küstenprovinz Antofagasta an den Sieger. 1903 musste es die reiche Provinz Acre an Brasilien abtreten. Im 1. Weltkrieg brach B. 1917 die diplomat. Beziehungen zum Dt. Reich ab. Wirtschaftlich geriet es unter den Einfluss der USA. 1932-35 führte B. den verlustreichen Chacokrieg gegen Paraguay, um sich einen Zugang zum Meer zu verschaffen; der Friede vom 21. 7. 1938 sicherte nur einen schmalen Zugang zum Río Paraguay. Seitdem folgten Bauernunruhen, sozialrevolutionär bestimmte Staatsstreiche und Militärputsche aufeinander. Gestützt auf den MNR, verstaatlichte Präs. V. Paz Estenssoro die Zinnminen (1952) und leitete eine Landreform ein (1953). Die folgenden Jahre waren geprägt von wirtsch. Schwierigkeiten und polit. Radikalisierung. 1964 übernahm nach mehreren Putschen die Armee unter General René Barrientos Ortuño die Macht. Er zerschlug 1967 - mithilfe der USA - die Guerilla-Organisation von »Che« Guevara. General Alfredo Ovando Candida (1969-71) versuchte mit einem linksorientierten Programm, die Probleme zu lösen. Bis 1980 wurde B. von militär. Gruppierungen beherrscht, die durch Putsche einander ablösten (u. a. unter General Hugo Banzer Suárez, 1971-78). Der nach langen Auseinandersetzungen um eine demokrat. Staatsform als Kandidat der gemäßigten Linken (»Unión Democrata Popular«, UDP) 1980 gewählte Präs. Hernán Siles Zuazo konnte erst 1982 sein Amt antreten. Die Wahlen von 1985 gewann Paz Estenssoro für den MNR, doch zeigte auch sein Sanierungsprogramm (u. a. Abbau der Subventionen, Lohnstopp, Privatisierung von Staatsunternehmen) zunächst wenig Erfolg. Seit 1986 erholt sich die Wirtschaft langsam. Bei den Präsidentschaftswahlen vom Mai 1989 und Juni 1993 erzielte kein Kandidat die absolute Mehrheit, deshalb bestimmte das Parlament im Aug. 1989 Jaime Paz Zamora (MIR), im Aug. 1993 Gonzalo Sánchez de Lozada zum Präsidenten. Neben der Bewältigung der wirtsch. Probleme bemühten sich die versch. Regierungen, zunehmend erfolgreich, um die Festigung der Demokratie und die Bekämpfung der Drogenkriminalität, bes. des Drogenhandels. Bei den Präsidentschaftswahlen 1997 setzte sich der ehem. General H. Banzer Suárez durch.Mit der Überlassung von Nutzungsrechten an der peruan. Hafenstadt Ilo (mit Freihandelszone für zunächst 50 Jahre und der Verpachtung eines 5 km langen Küstenstreifens) erhielt B. 1993 erstmals seit 1879 wieder einen Zugang zum Meer. 1994 setzten B. und Paraguay einen endgültigen Schlussstrich unter den Chacokrieg.
Literatur:
Mansilla, H. C. F.: Ausdehnung staatl. Funktionen u. Bürokratisierungstendenzen in B. Eine Studie über die polit. Kultur des Autoritarismus. Saarbrücken u. a. 1987.
Krempin, M.: Keine Zukunft für B.? Bedingungen u. Ursachen für das Scheitern der Regierung Siles Zuazo sowie Schlußfolgerungen im Hinblick auf die ökonom., sozialen u. polit. Perspektiven B.s. Saarbrücken u. a. 1989.
Westphal, W.: Unter den Schwingen des Kondor. Das Reich der Inka gestern u. heute. Neuausg. Frankfurt am Main u. a. 1989.
Soria, F.: B. Würzburg 1992.
Sarkisyanz, M.: Kollasuyo. Indianische Geschichte der Republik B. Idstein 1993.
Pampuch, Th. u. Echalar Ascarrunz, A.: B. München 31998.
Téllez-Rivero, M. G. V.: Dezentralisierung in B. Analysen der Dezentralisierungspolitik in B. seit 1994. Dissertation Berlin 1998.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Bolivien