Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Bismarck
I Bismarck['bɪzmɑ:k; nach O. von Bismarck], Hptst. von North Dakota, USA, am Missouri, 49 300 Ew.; kath. Bischofssitz; Handelszentrum für Weizen und Vieh, Flusshafen.- Gegr. 1873, Hauptstadt seit 1889.
II Bịsmarck,
altmärk. Adelsgeschlecht, urspr. aus Stendal, seit Ende des 17. Jh. in die zwei Hauptlinien B.-Crevese und B.-Schönhausen geteilt.
1) Herbert, Fürst (1898) von B.-Schönhausen, * Berlin 28. 12. 1849, ✝ Friedrichsruh 18. 9. 1904, ältester Sohn von 2); enger Mitarbeiter seines Vaters, seit 1874 im auswärtigen Dienst, 1886-90 Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
2) Otto Eduard Leopold, seit 1865 Graf von B.-Schönhausen, 1871 Fürst von B., 1890 Herzog von Lauenburg, preußisch-dt. Staatsmann, * Schönhausen 1. 4. 1815, ✝ Friedrichsruh 30. 7. 1898;
1847 mit Johanna von Puttkamer (* 1824, ✝ 1894). Nach dem Studium der Rechtswiss. in Göttingen und Berlin 1832-35, der Referendarzeit in Aachen 1836 bis 1839 und der Bewirtschaftung seiner Güter in Pommern, wo er mit einem Pietistenkreis in Berührung kam, war er 1847/48 konservatives Mitgl. des Vereinigten Landtags, nach 1848 Abg. in der Zweiten Kammer und im Erfurter Parlament. Als preuß. Gesandter am Frankfurter Bundestag erstrebte er gegenüber der österr. Präsidialmacht Gleichberechtigung für Preußen und dessen Vorherrschaft nördlich des Mains.Nach Gesandtentätigkeit in Petersburg 1859-62 und einem kurzen Zwischenspiel als Botschafter in Paris wurde B. am 8. 10. 1862 von König Wilhelm I. zum preuß. MinPräs. ernannt. Er vertrat hartnäckig die Rechte der Krone in ihrer Auseinandersetzung mit der liberalen Parlamentsmehrheit wegen des Militärhaushalts und weitete damit den Heeres- zum Verfassungskonflikt aus. Er überspielte diesen - dadurch schon seine Virtuosität in der Verquickung und Lösung außen- und innenpolit. Krisen aufzeigend - durch eine Reihe außenpolit. Aktionen: die Unterstützung Russlands im Polenaufstand (1863), den gemeinsam mit Österreich geführten Krieg gegen Dänemark 1864 wegen Schleswig-Holstein, die Lösung des dt. Dualismus durch einen Krieg mit Österreich 1866 (Deutscher Krieg 1866). Damit war der Dt. Bund zerstört, Österreich aus Dtl. verdrängt und die preuß. Vorherrschaft in Nord-Dtl. besiegelt. Den Abschluss der dt. Einigung bildete der Deutsch-Französische Krieg 1870/71, der am 18. 1. 1871 in Versailles zur Ausrufung Wilhelms I. zum Dt. Kaiser führte, mit der Eingliederung Elsass-Lothringens aber einen dauernden Ggs. zu Frankreich schuf.Die von B. bestimmte Reichsverfassung von 1871 stellte einen Kompromiss dar zw. den monarchisch-föderalist. Ordnungsprinzipien von 1815, die im Bundesrat als dem Vertretungsorgan der 25 Einzelstaaten ihren Ausdruck fanden, und den neuen nat., liberalen und unitar. Kräften, die in dem aufgrund des allg., gleichen Wahlrechts gewählten Reichstag repräsentiert wurden. In der auf die Person B. zugeschnittenen Schlüsselstellung des Reichskanzlers (1871-90; außer 1872/73 zugleich preuß. MinPräs.), der als einziger Min. nur dem Monarchen verantwortlich war, lag eine der grundlegenden Schwächen der preußisch-dt. konstitutionellen Monarchie. Die »Revolution von oben«, die heute stärker in dem globalen Zusammenhang der durch die Industrialisierung, Bev.-Explosion und Demokratisierung breiter Schichten freigesetzten Kräfte und der Gegenkräfte der alten Machtelite (Adel, Großbürgertum, Heer, Beamtenschaft) gedeutet wird, wurde im Wesentlichen durch die wirtschafts- und sozialpolit. Wende des Jahres 1879 abgeschlossen. Sie bedeutete den Übergang vom Freihandel zum Schutzzoll zugunsten der heim. Schwerindustrie und der Großagrarier. In ihrer Folge steht das sozialpolit. Reformwerk von 1881 bis 1889, das die Arbeiterschaft in die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung integrieren sollte, diese Wirkung aber wegen der parallel gegen sie laufenden Unterdrückungsmaßnahmen (Sozialistengesetz) verfehlte. Verhängnisvoll für die gesellschaftl. Konsolidierung (innere Reichsgründung) wirkte sich der bald nach der Reichsgründung einsetzende Kulturkampf aus, der auch die kath. Volkskreise dem neuen Reich entfremdete, obwohl er angesichts seines Fehlschlags nach 1878 abgebaut wurde.Gegenüber diesen von B. nicht unverschuldeten innenpolit. Dauerkrisen war seine Außenpolitik 1871-90 defensiv und friedliebend; sie zielte auf die Isolierung Frankreichs, auf die Annäherung an Österreich-Ungarn und auf gute Beziehungen zu Russland. Ausdruck dafür war ein immer kunstvoller gewobenes Bündnissystem, das ausging von dem nach dem Berliner Kongress geschlossenen Zweibund mit Österreich-Ungarn (1879) und über die Hauptstationen des Dreibundes (1882) und des Mittelmeerabkommens (1887) zum Rückversicherungsvertrag (1887) mit Russland führte. B. wurde am 20. 3. 1890 wegen persönl. und sachl. Gegensätze von Kaiser Wilhelm II. entlassen.In der Bewertung B.s nach 1945 stehen neben Reichsgründung und Friedenspolitik auch die Alternativen, die durch den Sieg des Machtstaates über Liberalismus und Demokratie verschüttet wurden. Ergebnisse seiner Politik waren auch Obrigkeitsstaat und Untertanengeist, Militarismus und die polit. Isolierung der Arbeiterschaft.
▣ Literatur:
Engelberg, E.: B., 2 Bde. Tb.-Ausg. München 1991-93.
⃟ B. u. seine Zeit, hg. v. J. Kunisch. Berlin 1992.
⃟ Gall, L.: B. Der weiße Revolutionär. Korrigierte Ausg. Frankfurt am Main u. a. 1993.
⃟ Herre, F.: B. Der preußische Deutsche. Neuausg. Köln 1993.
⃟ Hillgruber, A.: B.s Außenpolitik. Freiburg im Breisgau 31993.
⃟ B.s Sozialstaat, hg. v. L. Machtan. Frankfurt am Main u. a. 1994.
II Bịsmarck,
altmärk. Adelsgeschlecht, urspr. aus Stendal, seit Ende des 17. Jh. in die zwei Hauptlinien B.-Crevese und B.-Schönhausen geteilt.
1) Herbert, Fürst (1898) von B.-Schönhausen, * Berlin 28. 12. 1849, ✝ Friedrichsruh 18. 9. 1904, ältester Sohn von 2); enger Mitarbeiter seines Vaters, seit 1874 im auswärtigen Dienst, 1886-90 Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
2) Otto Eduard Leopold, seit 1865 Graf von B.-Schönhausen, 1871 Fürst von B., 1890 Herzog von Lauenburg, preußisch-dt. Staatsmann, * Schönhausen 1. 4. 1815, ✝ Friedrichsruh 30. 7. 1898;
1847 mit Johanna von Puttkamer (* 1824, ✝ 1894). Nach dem Studium der Rechtswiss. in Göttingen und Berlin 1832-35, der Referendarzeit in Aachen 1836 bis 1839 und der Bewirtschaftung seiner Güter in Pommern, wo er mit einem Pietistenkreis in Berührung kam, war er 1847/48 konservatives Mitgl. des Vereinigten Landtags, nach 1848 Abg. in der Zweiten Kammer und im Erfurter Parlament. Als preuß. Gesandter am Frankfurter Bundestag erstrebte er gegenüber der österr. Präsidialmacht Gleichberechtigung für Preußen und dessen Vorherrschaft nördlich des Mains.Nach Gesandtentätigkeit in Petersburg 1859-62 und einem kurzen Zwischenspiel als Botschafter in Paris wurde B. am 8. 10. 1862 von König Wilhelm I. zum preuß. MinPräs. ernannt. Er vertrat hartnäckig die Rechte der Krone in ihrer Auseinandersetzung mit der liberalen Parlamentsmehrheit wegen des Militärhaushalts und weitete damit den Heeres- zum Verfassungskonflikt aus. Er überspielte diesen - dadurch schon seine Virtuosität in der Verquickung und Lösung außen- und innenpolit. Krisen aufzeigend - durch eine Reihe außenpolit. Aktionen: die Unterstützung Russlands im Polenaufstand (1863), den gemeinsam mit Österreich geführten Krieg gegen Dänemark 1864 wegen Schleswig-Holstein, die Lösung des dt. Dualismus durch einen Krieg mit Österreich 1866 (Deutscher Krieg 1866). Damit war der Dt. Bund zerstört, Österreich aus Dtl. verdrängt und die preuß. Vorherrschaft in Nord-Dtl. besiegelt. Den Abschluss der dt. Einigung bildete der Deutsch-Französische Krieg 1870/71, der am 18. 1. 1871 in Versailles zur Ausrufung Wilhelms I. zum Dt. Kaiser führte, mit der Eingliederung Elsass-Lothringens aber einen dauernden Ggs. zu Frankreich schuf.Die von B. bestimmte Reichsverfassung von 1871 stellte einen Kompromiss dar zw. den monarchisch-föderalist. Ordnungsprinzipien von 1815, die im Bundesrat als dem Vertretungsorgan der 25 Einzelstaaten ihren Ausdruck fanden, und den neuen nat., liberalen und unitar. Kräften, die in dem aufgrund des allg., gleichen Wahlrechts gewählten Reichstag repräsentiert wurden. In der auf die Person B. zugeschnittenen Schlüsselstellung des Reichskanzlers (1871-90; außer 1872/73 zugleich preuß. MinPräs.), der als einziger Min. nur dem Monarchen verantwortlich war, lag eine der grundlegenden Schwächen der preußisch-dt. konstitutionellen Monarchie. Die »Revolution von oben«, die heute stärker in dem globalen Zusammenhang der durch die Industrialisierung, Bev.-Explosion und Demokratisierung breiter Schichten freigesetzten Kräfte und der Gegenkräfte der alten Machtelite (Adel, Großbürgertum, Heer, Beamtenschaft) gedeutet wird, wurde im Wesentlichen durch die wirtschafts- und sozialpolit. Wende des Jahres 1879 abgeschlossen. Sie bedeutete den Übergang vom Freihandel zum Schutzzoll zugunsten der heim. Schwerindustrie und der Großagrarier. In ihrer Folge steht das sozialpolit. Reformwerk von 1881 bis 1889, das die Arbeiterschaft in die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung integrieren sollte, diese Wirkung aber wegen der parallel gegen sie laufenden Unterdrückungsmaßnahmen (Sozialistengesetz) verfehlte. Verhängnisvoll für die gesellschaftl. Konsolidierung (innere Reichsgründung) wirkte sich der bald nach der Reichsgründung einsetzende Kulturkampf aus, der auch die kath. Volkskreise dem neuen Reich entfremdete, obwohl er angesichts seines Fehlschlags nach 1878 abgebaut wurde.Gegenüber diesen von B. nicht unverschuldeten innenpolit. Dauerkrisen war seine Außenpolitik 1871-90 defensiv und friedliebend; sie zielte auf die Isolierung Frankreichs, auf die Annäherung an Österreich-Ungarn und auf gute Beziehungen zu Russland. Ausdruck dafür war ein immer kunstvoller gewobenes Bündnissystem, das ausging von dem nach dem Berliner Kongress geschlossenen Zweibund mit Österreich-Ungarn (1879) und über die Hauptstationen des Dreibundes (1882) und des Mittelmeerabkommens (1887) zum Rückversicherungsvertrag (1887) mit Russland führte. B. wurde am 20. 3. 1890 wegen persönl. und sachl. Gegensätze von Kaiser Wilhelm II. entlassen.In der Bewertung B.s nach 1945 stehen neben Reichsgründung und Friedenspolitik auch die Alternativen, die durch den Sieg des Machtstaates über Liberalismus und Demokratie verschüttet wurden. Ergebnisse seiner Politik waren auch Obrigkeitsstaat und Untertanengeist, Militarismus und die polit. Isolierung der Arbeiterschaft.
▣ Literatur:
Engelberg, E.: B., 2 Bde. Tb.-Ausg. München 1991-93.
⃟ B. u. seine Zeit, hg. v. J. Kunisch. Berlin 1992.
⃟ Gall, L.: B. Der weiße Revolutionär. Korrigierte Ausg. Frankfurt am Main u. a. 1993.
⃟ Herre, F.: B. Der preußische Deutsche. Neuausg. Köln 1993.
⃟ Hillgruber, A.: B.s Außenpolitik. Freiburg im Breisgau 31993.
⃟ B.s Sozialstaat, hg. v. L. Machtan. Frankfurt am Main u. a. 1994.