Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Beschäftigung
Beschäftigung,allg.: Tätigkeit, Erwerbstätigkeit; in der Betriebswirtschaftslehre die Ausnutzung der Kapazität (bes. von Betriebsmitteln); in der Volkswirtschaftslehre der Einsatz der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit. B.-Politik ist die Gesamtheit aller staatl. Maßnahmen, die darauf abzielen, Vollbeschäftigung zu erreichen. Der Staat kann beschäftigungspolitisch wirken, indem er das Verhalten der Tarifpartner beeinflusst oder externe und interne Störungen der Güter- und Faktormärkte mit prozess- und ordnungspolit. Maßnahmen abzufedern versucht. Träger der B.-Politik sind v. a. die nat. Gebietskörperschaften und Sonderorganisationen (z. B. Bundesanstalt für Arbeit). Die Tarifvertragsparteien handeln Lohnsätze, Gehälter und Arbeitsbedingungen autonom aus (Tarifautonomie), sodass der Staat nur subsidiär durch die B.-Politik in den Arbeitsmarkt eingreift. Die B.-Theorie als Teilgebiet der Wirtschaftstheorie befasst sich mit den Bestimmungsgründen des gesamtwirtschaftl. B.-Volumens bzw. B.-Grades mithilfe makroökonom. Modelle; sie geht v. a. auf J. M. Keynes zurück. Je nachdem, ob kurz- bis mittelfristige oder langfristige Gesichtspunkte vorherrschen, bestehen in B.-Theorie und B.-Politik enge Beziehungen zu den volkswirtsch. Teilgebieten Volkseinkommen und Konjunktur bzw. Wachstum.
Die klass. Nationalökonomie und deren modelltheoret. Erweiterungen in der Neoklassik bestreiten die Möglichkeit einer allg. unfreiwilligen Arbeitslosigkeit mit der Aufstellung des »Sayschen Theorems«. Danach stellt jedes Angebot an Gütern gleichzeitig eine Nachfrage nach Gütern dar. Die volkswirtsch. Nachfrage kann daher theoretisch nie vom volkswirtsch. Angebot abweichen. Preis-, Lohn- und Zinsmechanismus sorgen dafür, dass die Voll-B. stets als stabiler Dauerzustand erhalten bleibt. Der Monetarismus betont ebenfalls diese langfristige Betrachtung. Kernthese: Langfristig ist der private Sektor einer Volkswirtschaft stabil und im Gleichgewicht; Konjunktur- und B.-Schwankungen werden v. a. auf die kurzfristige staatl. Wirtschaftspolitik (Geld- und Fiskalpolitik) zurückgeführt.Die B.-Theorie von Keynes beschränkt sich auf die kurzfristige Betrachtung; die volkswirtsch. Produktionsausrüstung (der »Kapitalstock«), das Arbeitspotenzial, die Produktionstechnik, der Lohnsatz und das Preissystem werden als gegeben vorausgesetzt. Unter diesen Annahmen ist die Höhe der B. im Ggs. zum sayschen Theorem von der Höhe der effektiven Nachfrage abhängig, d. h. von der kaufkräftigen Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern. Da diese nichts anderes als das Volkseinkommen darstellt, stellt sich die Frage, was die Höhe des Volkseinkommens bestimmt. Ist die Höhe des gleichgewichtigen Volkseinkommens determiniert, so ist damit der B.-Grad einer Volkswirtschaft bestimmt. Dabei kann das Gleichgewichtsvolkseinkommen kleiner sein als das Volkseinkommen bei Voll-B., da die durch einkommensabhängige Ersparnisse ausgefallene Konsumnachfrage durch zinsabhängige Investitionsnachfrage nicht automatisch ausgeglichen wird (Gleichgewicht bei Unter-B.). Neuere Ansätze der B.-Theorie gehen nicht mehr von der Gleichgewichtsvorstellung, sondern von der Nichträumung der Märkte aus (Ungleichgewichtstheorien im Rahmen der neuen Mikroökonomik und der neuen Makroökonomik).Bezüglich der grundlegenden beschäftigungspolit. Strategien unterscheidet man keynesian. und neoklassisch-monetarist. B.-Politik sowie die Strategien im Rahmen der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Keynes sah Unter-B. als Folge einer relativ zum Produktionspotenzial zu geringen gesamtwirtsch. Nachfrage an und bezweifelte die »Selbstheilungskräfte« der Marktwirtschaft. Keynesian. B.-Politik sieht im Rahmen der »Nachfragesteuerung« (Globalsteuerung) in Rezessionsphasen stimulierende staatl. Ausgabenerhöhungen (Defizitfinanzierung) oder Steuersenkungen zur Stärkung der privaten Konsum- bzw. Investitions- und damit der gesamtwirtsch. Endnachfrage vor (z. B. B.-Programme).Der Keynesianismus geht davon aus, dass die Reallöhne nicht hinreichend nach unten flexibel sind, weshalb eine Abstimmung zw. den Tarifpartnern (z. B. in Form der konzertierten Aktion) die Lohn-Preis-Lohn-Spirale durchbrechen und damit die Inflationsgefahr eindämmen soll. Es gibt aus keynesian. Sicht aber einen dauerhaften Zielkonflikt zw. Voll-B. und Preisniveaustabilität. Übersteigt die Inflationsrate die Zuwachsrate der Nominallohnsätze, dann sinkt der Reallohnsatz. Wenn der Reallohnsatz zunächst über dem Niveau bei Voll-B. lag, dann wird aufgrund des nunmehr verminderten Lohnsatzes eine Annäherung an das Arbeitsmarktgleichgewicht bewirkt; ein (unerwarteter) Anstieg der Inflationsrate hat auf diese Weise ein Sinken der Arbeitslosenquote zur Folge (Phillips-Kurve). Diese Sicht eines Zielkonflikts zw. Preisniveaustabilität und Voll-B. wird von den Monetaristen zurückgewiesen: Es gibt langfristig keinen Zielkonflikt, da die Inflationsratenentwicklung relativ rasch von den Wirtschaftssubjekten in ihr Verhalten einbezogen wird. Folglich wird eine inflationäre Geldpolitik als ungeeigneter Ansatzpunkt der B.-Politik angesehen.Die monetaristisch-neoklass. Auffassung betrachtet als Hauptursachen von Arbeitslosigkeit überhöhte Reallohnsätze, verkrustete Arbeitsmarktstrukturen und eine die Wirtschaftssubjekte verunsichernde wirtschaftspolit. Stop-and-go-(Brems-und-Beschleunigungs-)Strategie. Produktivitätsorientierte Lohnpolitik, Verstetigung der Geld- und Fiskalpolitik (z. B. Zielvorgaben für das Wachstum der Geldmenge) sind deshalb Ansatzpunkte Erfolg versprechender B.-Politik. Hinzu kommen aus angebotstheoret. Sicht die Förderung der internat. Wettbewerbsfähigkeit durch eine hohe Investitions- und Innovationsdynamik (v. a. bei hohen Arbeitskosten), Deregulierung und Stärkung anpassungsfördernder Anreizsysteme (z. B. Reform der Arbeitslosenversicherung), um mehr B. dauerhaft rentabel zu machen. In den Industriestaaten hat der Staat in den letzten Jahren verstärkt durch selektive Maßnahmen (Strukturpolitik) B.-Politik betrieben; hierzu zählen Maßnahmen der berufl. Bildung (z. B. Umschulung), Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Förderung der regionalen Mobilität der Produktionsfaktoren (Regionalpolitik). Die beschäftigungspolit. Wirksamkeit von Arbeitszeitverkürzung und -flexibilisierung wird kontrovers diskutiert.Keynesian. B.-Politik mit der kurzfristigen Ausrichtung der Konjunkturpolitik ist nach Erfolgen in den 60er- und frühen 70er-Jahren inzwischen fragwürdig geworden: Bei anhaltender Unter-B. ergaben sich in Verbindung mit dem konjunkturpolitisch bedingten Anstieg der Staatsausgaben hohe Haushaltsdefizite und öffentl. Schulden, welche die Zinsausgaben des Staates erhöhten, die Ausgabenflexibilität und die staatl. Investitionsausgaben aber nachhaltig einschränkten. Subventionen und protektionist. Maßnahmen in Verbindung mit staatl. B.- und Konjunkturprogrammen haben zudem die Fähigkeit der Unternehmen vermindert, sich Strukturveränderungen anzupassen. Seit den 80er-Jahren setzt die B.-Politik der führenden Industrieländer mehr auf neoklassisch-angebotstheoret. Ansätze, die auf eine allmähl. Wiedergewinnung und langfristige Sicherung der Voll-B. zielen. Da durch die Globalisierung die Einflussmöglichkeiten einer nationalstaatlich keynesianisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik eingeschränkt wird, wird in der letzten Zeit eine international abgestimmte B.-Politik z. B. in Form eines »Eurokeynesianismus« gefordert.
Literatur:
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Beschäftigungspolitik statt Sozialabbau - Industrielle Kerne sichern: Alternativen der Wirtschaftspolitik, Memorandum '93, hg. v. der Köln 1993.
Huckemann, S. u. Suntum, U. van:Beschäftigungspolitik im internationalen Vergleich. Länder-Ranking 1980-1993. Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Haupt- u. Tabellen-Bd. Gütersloh 1-21994.
Beschäftigungspolitik, Beiträge v. U. Engelen-Kefer u. a. Köln 31995.
Siebert, H.: Geht den Deutschen die Arbeit aus? Wege zu mehr B. Neuausg. München 1995.
Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie u. Wirtschaftspolitik, Beiträge v. D. Bender u. a. Bd. 1. München 61995.
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