Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Bauer
I Bauer[ahd. giburo, eigtl. »Mitbewohner«],
1) (Landwirt) Eigentümer oder Pächter eines landwirtsch. Betriebes, der i. d. R. von den Familienmitgl. und heute ohne fremde Arbeitskräfte bewirtschaftet wird und aus dem der überwiegende Teil des Familieneinkommens stammt. Nach der Nutzfläche teilt man die Betriebe in groß- (20-100 ha), mittel- (5-20 ha) und kleinbäuerliche (2-5 ha) ein. Heute unterscheidet man v. a. nach dem Erwerbscharakter zw. Voll-, Zuerwerbs- und Nebenerwerbsbetrieben.
Die Agrarpolitik der EG beeinflusst die Wirtschaftstätigkeit der B. im EG-Bereich erheblich.Geschichte: Die Anfänge der bäuerl. Kultur lassen sich in Vorderasien bis ins 7. Jt. v. Chr. zurückverfolgen; aus den voll ausgebildeten Ackerbauern und Viehzüchterkulturen (8. Jh. v. Chr.) entwickelten sich die ersten Hochkulturen (Alter Orient). Die grch. und röm. Kultur hatte bäuerl. Wurzeln, doch wurde das röm. Bauerntum durch Großbetriebe mit Sklavenarbeit zurückgedrängt und später zum schollengebundenen Kleinpächtertum (Kolonat). Das freie Bauerntum der Germanen (mit Privateigentum) wurde im Früh-MA. im Raum des fränk. Reiches und später in England weitgehend in die Organisationsform der Grundherrschaft einbezogen; so wurden im 8./9. Jh. die meisten B. »halbfreie« (»hörige«) Pächter oder »Unfreie«, von denen viele aber später erbl. Besitztitel erhalten konnten. Im Hoch-MA. wurden mit dem Übergang der Grundherrschaft an das aufkommende Rittertum auch die meisten freien B. deren Abhängige. Diese wurden dann (im 12. Jh.) als eigener Stand (rustici) zusammengefasst. Wirtschaftlich selbstständiges Freibauerntum konnte sich v. a. in Schweden, in Tirol und in der Kernschweiz halten; in Südeuropa herrschte ein Pachtsystem. In Osteuropa und Ostmitteleuropa wurde unter Ausdehnung der Gutsherrschaft der Bauernstand bis zum 18. Jh. zur Personal- oder, wie in Ostelbien, »Real«-Leibeigenschaft von »Untertanen« herabgedrückt. Die Bauernbefreiung des 18./19. Jh. schloss die Aufhebung der Leibeigenschaft und Ablösung der bäuerl. Grundlasten ein (Frankreich 1789, Preußen 1807-50, Russland 1861). Im Industriezeitalter suchte das Bauerntum sich durch Genossenschaften, Interessenverbände und Bauernparteien zu behaupten.Volkskunde: Während der Gegenreformation richtete die kath. Kirche ihr Andachtswesen auf die B. aus, sie erhielten z. B. eigene Wallfahrten und Schutzpatrone (Isidor und Notburga). Das geistl. Volksschauspiel wurde gepflegt, Volksbrauch und -kunst religiöser Prägung gefördert. Im 18. Jh. entwickelte sich eine vielseitige bäuerliche Dorfkultur (Volkskunst, -tracht, B.-Möbel, B.-Schmuck).
2) Figur im Schachspiel.
II Bauer,
1) Bruno, evang. Theologe und polit. Publizist, * Eisenberg (Thüringen) 6. 9. 1809, ✝ Rixdorf (heute als Neukölln zu Berlin) 15. 4. 1882; seit 1834 Privatdozent für Theologie in Berlin, seit 1839 in Bonn. Anfänglich orthodoxer Hegelianer und Kritiker von D. F. Strauss, wandte er sich dann dem Linkshegelianismus zu. 1842 verlor er wegen seiner scharfen Bibelkritik und des Bestreitens der Historizität Jesu die Lehrerlaubnis und wurde später radikaler Atheist. Seine Schrift »Christus und die Cäsaren« (1877) wurde über K. Marx und F. Engels bedeutsam für den marxist. Sozialismus, den B. selbst ablehnte, und Nietzsches Religionskritik.
2) Gustav, Politiker (SPD), * Darkehmen (heute Osjorsk, Gebiet Kaliningrad) 6. 1. 1870, ✝ Berlin 16. 9. 1944; Gewerkschaftsführer; Juni bis Aug. 1919 MinPräs., Aug. 1919 bis März 1920 Reichskanzler (unterzeichnete den Versailler Vertrag).
3) Josef Martin, Schriftsteller, * Taufkirchen (Vils) 11. 3. 1901, ✝ Dorfen (Kr. Erding) 15. 3. 1970; schrieb Bauern- und zeitgeschichtl. Romane (»So weit die Füße tragen«, 1955).
4) Otto, österr. Politiker, * Wien 5. 9. 1881, ✝ Paris 4. 7. 1938; ein Hauptvertreter des Austromarxismus; 1918/19 Staatssekretär des Auswärtigen; nach dem sozialdemokrat. Februaraufstand (1934) emigriert.
5) Wolfgang, österr. Schriftsteller, * Graz 18. 3. 1941; schrieb v. a. Dramen: »Magic Afternoon« (1965), »Change« (1969), »Gespenster« (1974), »Magnetküsse« (1976), »Memory-Hotel« (1980) sowie das Drehbuch für »In Zeiten wie diesen« (1984); erhielt 1994 den Großen Österr. Staatspreis.
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