Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Barock
Barọck[aus portugies. barroco, eigtl. »unregelmäßig«, »schief«] der, das, eine Epoche der Kunst hauptsächlich des 17. und des beginnenden 18. Jh. Zunächst wurde der Begriff B. abwertend im Sinn von »absonderlich«, »schwülstig« gebraucht, seit dem 19. Jh. zur Kennzeichnung der Spätform von Kunstentwicklungen überhaupt. Im 20. Jh. wurde die Bez. B. zum Epochenbegriff, der auch Literatur und Musik des 17. Jh. umfasste. Der B. ist die Kunst der Gegenreformation und des Absolutismus; Kirche und Aristokratie waren ihre wichtigsten Förderer. Ihr Streben nach Repräsentation verwirklichte sich v. a. in Größe und Pathos des Kunstwerks. Ausgehend von Rom, kam die Kunst des B. v. a. in den kath. Ländern zu voller Entfaltung. Bes. die Jesuiten brachten sie nach Norden und nach Lateinamerika (Jesuitenstil). In den prot. Gebieten gab es kein geschlossenes Mäzenatentum, hier entstanden Einzelleistungen.In der Baukunst löste der B.-Stil, dessen erste Elemente bereits in der Hochrenaissance aufscheinen, gegen Ende des 16. Jh. den Manierismus ab. Die Hauptkennzeichen der Architektur sind: starke Bewegtheit in geschwungenen Grund- und Aufrissformen, Unterordnung aller Einzelglieder unter das Ganze, Betonung der Kraft und der Spannung, gebrochene Giebel, reiches Schmuckwerk und maler. Gestaltung der Innenräume, die ein festl. Raumgefühl hervorrufen. Maßgebend für die europ. Entwicklung des neuen Stils waren die Bauten G. L. Berninis und F. Borrominis in Rom. Eine mehr klassizist. Richtung knüpfte an die Bauten A. Palladios in Vicenza und Venedig an. In Frankreich verhinderte die in allen Jh. herrschende klassizist. Tendenz die Entfaltung einer hochbarocken Architektur. Es entstanden bes. Schlossbauten mit streng ausgerichteten Parkanlagen (Versailles). Unter den Baumeistern ragen hervor F. Mansart, H. Levau und J. Hardouin-Mansart, als Gartenarchitekt A. Le Nôtre. In Dtl., wo sich die B.-Baukunst erst im Spät-B. (seit etwa 1700) zu ihrer reichsten Blüte entfaltete, fand die europ. Entwicklung ihren glanzvollen Abschluss. In Österreich bauten J. B. Fischer von Erlach, L. von Hildebrandt und J. Prandtauer, in Böhmen die auch in Franken tätigen Baumeister der Familie Dientzenhofer. J. B. Neumann wirkte v. a. in Würzburg, A. Schlüter in Berlin, M. Pöppelmann und G. Bähr in Dresden, die Brüder Asam in Bayern. Die späten, kurz vor Beginn des Klassizismus bes. in Bayern entstandenen Bauten werden vielfach dem Rokoko zugerechnet, für das bes. in Bezug auf die dt. Baukunst auch der Begriff Spät-B. üblich ist. Der B. war das große Zeitalter der Stadtbaukunst. Stadtanlagen wurden nach großen Achsen hin orientiert (u. a. London, Amsterdam, Nancy, Mannheim, Kassel).Kennzeichnend für die Bildhauerkunst des B. ist ihre freie und malerische, meist stark bewegte Art der Gestaltung, die sich ins Ekstatische steigern kann. Der weithin wirkende Schöpfer des neuen Stils war C. L. Bernini in Rom. In Frankreich, dessen Bildhauer eine maßvollere Haltung wahrten, war ihm P. Puget am nächsten verwandt. In Dtl. fanden H. Reichle, J. Zürn und G. Petel den Weg vom Manierismus zum Früh-B. Unter den Bildhauern des Hoch-B. ragen A. Schlüter, B. Permoser und M. Guggenbichler hervor, im Spät-B. P. Egell und E. Q. Asam. J. A. Feuchtmayer und I. Günther näherten sich bereits dem Rokoko, G. R. Donner dem Klassizismus.In der Malerei des B. traten neben religiösen Bildern, die den alten Stoffen neue Gegenwartsnähe verliehen, weltl. Darstellungen, wie Genrebilder und Landschaften, stärker hervor. Der Begründer der neuen, den Manierismus überwindenden Malerei war M. da Caravaggio, dessen realist. Helldunkelstil in ganz Europa bahnbrechend wirkte. Neben ihm war in Rom A. Carracci tätig, der von starkem Einfluss bes. auf die mehr akadem. Richtung der B.-Malerei war. Im Mittelpunkt der fläm. Malerei stand P. P. Rubens, neben dem bes. A. van Dyck und J. Jordaens zu nennen sind. In Holland wirkten neben Rembrandt, der gleichbed. als Maler, Zeichner und Radierer war, F. Hals, Vermeer van Delft und J. Ruisdael. Die Hauptmeister Spaniens waren B. E. Velázquez, F. de Murillo und D. Zurbarán. Die Franzosen N. Poussin, der Meister der »heroischen«, und Claude Lorrain, der Meister der »idyll. Landschaft«, lebten in Rom. In Italien tätig waren auch die beiden bedeutendsten dt. Maler des Früh-B., A. Elsheimer in Rom und J. Liss in Venedig. Hervorragende Werke brachte die dt. Malerei dann wieder im Spät-B. hervor, als ihr die Baukunst große Aufgaben für die Deckengestaltung bot (Deckenmalerei).Der durch die Kunstgeschichtsforschung erarbeitete Stilbegriff »barock« führte um 1920 zu einer Neubewertung der bis dahin als schwülstig und verstiegen verrufenen Dichtung des 17. Jh. Scharfe Kontraste gelten als gemeinsamer Nenner aller barocken Erscheinungen: Leben und Tod, Zeit und Ewigkeit, Diesseitsfreude und Jenseitssehnsucht, Weltgenuss und religiöse Ekstase. Kennzeichnend ist der Hang zur Übersteigerung und zu kühner Bildhaftigkeit. Zum B. gehören in Spanien der Gongorismus (Góngora y Argote), auch das Drama von Lope de Vega und P. Calderón de la Barca, in England der Euphuismus, die »metaphys. Dichtung«, auch vieles in Shakespeares Werken, in Frankreich etwa die Zeit von 1580 bis 1640, in Italien der Marinismus und die Anfänge der Oper. Über dt. B.-Dichtung deutsche Literatur. Dichtung, Architektur, Malerei, Musik, Tanz, Schauspielkunst vereinigen sich im Gesamtkunstwerk des Theaters, dessen Entwicklung für die Epoche bes. charakteristisch ist.Barockmusik heißt seit Anfang der 1920er-Jahre die Musik der Epoche von etwa 1600 bis 1750, nach ihren musikal. Merkmalen auch als Generalbasszeitalter oder als Zeit des konzertierenden Stils bezeichnet. Im vokalen Bereich beginnt die Epoche, als Reaktion auf die bisweilen übersteigerte polyphone Satzweise der Gotik und Renaissance, mit der Entdeckung der von Stützakkorden begleiteten, dem Text angepassten Einzelstimme (Monodie). Hieraus entwickelten sich ab etwa 1600 die Gatt. Oper (G. Caccini, J. Peri, C. Monteverdi), Kantate, geistl. Konzert, Oratorium und weltl. Lied. Die Chormusik gelangte durch Verwendung breiter, akkordlich bestimmter Harmonieflächen zu neuer Blüte (G. Gabrieli). Auch in der Instrumentalmusik drängte das monod. Prinzip der führenden Oberstimme die polyphone Satzstruktur zurück. Für die Orchestermusik wurde das Concerto grosso Vorbild, für die Kammermusik die Triosonate, in der das Cembalo die beiden Melodieinstrumente, häufig zwei Geigen, akkordisch begleitet. Das Vorrecht der Einzelstimme führte zur Ausbildung konzertanter Gattungen, zunächst des Violinkonzerts. Diese Entwicklung des Solokonzerts führte unmittelbar zur Klassik hinüber. Die kontrapunkt. Satztechnik gelangte mit J. S. Bach und G. F. Händel zu einer letzten großen Blüte, bes. in der Fugenkunst Bachs. Sein kontrapunkt. Meisterwerk, die »Kunst der Fuge«, schloss 1750 gleichsam die Epoche der B.-Musik ab.Die Philosophie des B.-Zeitalters war durch die großen Systeme des Rationalismus und Empirismus und die beginnende Aufklärung bestimmt. Neben diesen rationalen Zügen des Geisteslebens bestand v. a. im religiös-philosoph. Bereich ein Hang zur myst. Innerlichkeit.Zugleich entstanden mathematisch-naturwiss. Forschungen grundlegender Art. In der Mathematik wurden durch Entdeckung der analyt. Geometrie (Descartes) und der Differenzial- und Integralrechnung (Leibniz, Newton) die Grundlagen für die Mathematik der Neuzeit gelegt. In den Naturwissenschaften gelangen, bes. durch die Verbindung von Theorie und Beobachtung, eine Reihe entscheidender Entdeckungen (keplersche Gesetze, Newtons Gravitationstheorie). An diesem Aufschwung haben die Erfindungen von Mikroskop und Fernrohr um die Wende vom 16. zum 17. Jh. bed. Anteil. In der Medizin war die größte Entdeckung die des Blutkreislaufs (W. Harvey).
Literatur:
Chaunu, P.: Europ. Kultur im Zeitalter des B. Frankfurt am Main u. a. 1970.
Norberg-Schulz, Chr.: Architektur des B. Stuttgart 1975.
Dt. Barockliteratur u. europ. Kultur, hg. v. M. Bircher u. a. Hamburg 1977.
Kunst u. Kultur des B. u. Rokoko. Architektur u. Dekoration, bearb. v. A. Blunt u. a. Mit 32 Farbtafeln v. W. Swaan. A. d. Engl. Freiburg im Breisgau u. a. 1979.
Emrich, W.: Dt. Lit. der Barockzeit. Königstein/Ts. 1981.
Ashley, M.: Das Zeitalter des B. Europa zwischen 1598 u. 1715. A. d. Engl. München 1983.
Bauer, H.: B. Kunst einer Epoche. Berlin 1992.
Dammann, R.: Der Musikbegriff im dt. B. Laaber 31995.
Braun, W.: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Laaber 21996.
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