Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Ballade
Ballade[italien. ballata, provenzal. balada »Tanzlied«] die,
1) Literatur: In den roman. Literaturen des MA. bezeichnet B. zunächst stroph. Tanzlieder provenzal. Herkunft mit Kehrreim. Weiterhin heißt B. die strenge Kunstform, die in Frankreich (u. a. bei Eustache Deschamps, Charles d'Orléans, F. Villon) im 14. und 15. Jh. zur Blüte gelangte: 3-5 acht- oder zehnzeilige Strophen, auf die ein vierzeiliges Geleit (»envoi«) folgen kann; im ganzen Gedicht werden nur drei Reime verwendet; alle Strophen wie auch das Geleit schließen mit der gleichen Zeile (Refrain).
Der Name B. wurde im 18. Jh. in England auf die alten erzählenden engl. Volkslieder übertragen, die von A. Ramsay und T. Percy gesammelt wurden. Hiernach wurde er auch als Bez. für entsprechende Lieder (handlungsreich, oft dramatisch zugespitzt) bei anderen german. Völkern übernommen.Die Blütezeit der dt. Volks-B. liegt zw. 1250 und 1450. Die B. der german. Völker haben episches Gepräge. Mit dem 16. Jh. kommen andere Erzähllieder in Umlauf (Zeitungslied, Bänkelsang, Schauer-B.). Auch die slaw. Völker haben reiche Volksballadendichtung. Die span. Volks-B. ist die Romanze.
Die englisch-schott. Geister-B. regten um 1770 die dt. Kunstballadendichtung an (L. Hölty, G. A. Bürger). Sie erreichte ihren Höhepunkt im »Balladenjahr« 1797, in dem Goethe und Schiller in enger geistiger Gemeinschaft ihre berühmten B. schufen (von Goethe u. a. »Der Zauberlehrling«, von Schiller u. a. »Der Handschuh«). Die B. der dt. Romantik nehmen häufig den Volksliedton auf, haben einen geheimnisvollen, unheiml. oder auch heroischen Charakter (L. Uhland, A. von Chamisso, H. Heine), weitere Beispiele dt. B.-Dichtung kamen im 19. Jh. von E. Mörike, A. Droste-Hülshoff, T. Fontane und C. F. Meyer, im frühen 20. Jh. von B. von Münchhausen, A. Miegel, R. A. Schröder und E. Lasker-Schüler. Engl. Dichter von Kunst-B. sind im 19. Jh. W. Wordsworth und S. T. Coleridge, bes. bekannt wurde die »B. vom Zuchthaus zu Reading« von O. Wilde (1898). Im frühen 20. Jh. griffen die B.-Dichter auch auf Traditionen des Bänkelsangs zurück, v. a. für das Kabarett entstanden satirische, ironische und groteske B. (F. Wedekind, J. Ringelnatz, K. Tucholsky, E. Kästner). B. Brecht knüpfte an die frech-zyn. B. von F. Villon an. B. unterschiedl. Charakters, vom schlichten Erzählgedicht bis zur Satire, schrieben auch C. Zuckmayer, P. Rühmkorf, C. Reinig, J. Bobrowski, H. Piontek und G. Grass. - In Amerika wird die Volksballadendichtung (zur Gitarrenbegleitung gesungen) als Folksong mit politisch-agitator. Einschlag gepflegt.
Literatur:
Morgan, G. A.: Medieval balladry and the courtly tradition. New York u. a. 1993.
Weissert, G.: B. Stuttgart u. a. 21993.
2) Musik: In der einstimmigen Musik des MA. ist B. ein stroph. Tanzlied mit Kehrreim. Daraus entwickelte sich in der Kunstmusik des 14. Jh. die mehrstimmige frz. B. für eine Singstimme mit 1-3 Instrumentalstimmen (Hauptmeister: G. de Machaut). Die gleichzeitige mehrstimmige italien. Ballata ähnelt mehr dem frz. Virelai. Erst seit dem 18. Jh. bedeutet B. die Komposition der erzählenden Gedichte für Solostimme mit Klavier- oder Orchesterbegleitung. Gegen Ende des 18. Jh. vertonten J. André, J. F. Reichardt, J. R. Zumsteeg und C. F. Zelter Balladen von G. A. Bürger, Schiller und Goethe; F. Schubert und C. Loewe führten die Klavier-B. zu einem ersten künstler. Höhepunkt. Ihnen folgten R. Schumann, der die Chor-B. schuf, J. Brahms und H. Wolf. - Aus der Vokalmusik hat F. Chopin die B. in die Instrumentalmusik (Klavier-B.) eingeführt.
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