Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Aufklärung
Aufklärung,1) Bez. für eine geistesgeschichtl. Epoche, Zeitalter der Aufklärung (engl. »age of enlightenment«, frz. »siècle des lumières«), die Ende des 17. Jh. in England ihren Ausgang nahm und sich im 18. Jh. in ganz Europa und Nordamerika ausbreitete. Sie wurde im Wesentlichen vom Bürgertum getragen. Ihr Grundanliegen war es, dem Menschen mithilfe der Vernunft zum »Ausgang aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit« (I. Kant) zu verhelfen. In diesem Sinne sind z. B. auch Teile der grch. Philosophie als Aufklärung zu verstehen.Der Begriff A. fasst versch. geistige und kulturelle Strömungen zusammen; allen gemeinsam war die Kritik am absoluten Wahrheitsanspruch der Offenbarungsreligion und an der absoluten Monarchie. An den Humanismus anknüpfend, brachte in der Philosophie zuerst der Rationalismus neue Denkansätze hervor (Niederlande: B. de Spinoza, Frankreich: R. Descartes, Deutschland: G. W. Leibniz, C. Wolff). Dessen Theorie von den angeborenen Ideen setzte der Empirismus (England: J. Locke, D. Hume, G. Berkeley) die Abhängigkeit allen Wissens von der sinnl. Erfahrung entgegen. Zw. beiden Richtungen vermittelte Ende des 18. Jh. I. Kant. Der Erkenntnisfortschritt der Naturwiss. (bes. durch I. Newton) bewirkte die Ausarbeitung eines deist. (z. B. bei Voltaire), später auch eines materialistisch-atheist. Weltbildes (u. a. bei D. Diderot, J. O. de La Mettrie, P. H. d'Holbach). Staats- und Rechtslehre erhielten neue Grundlagen: An die Stelle göttl. Legitimation des Monarchen trat der auf das Naturrecht gegründete Gesellschaftsvertrag (Rousseau, Vertragslehre). Gegenüber dem Machtanspruch des Staates seien die Menschenrechte unverzichtbar und gültig. Darum betonte auch die Verfassungslehre bes. die Rechte des Einzelnen und die sich aus ihnen ergebenden Grenzen der Staatsgewalt sowie den Gedanken der Gewaltenteilung (Locke, Montesquieu). Das neue Gesellschaftsideal sollte durch Anleitung zum freiheitl., autonomen Vernunftgebrauch möglich werden. Auf dieser Grundlage werde die stete Vervollkommnung und Verwirklichung eines freiheitl., menschenwürdigen und glückl. Daseins in einer neuen Gesellschaft möglich (Fortschrittsoptimismus).Der Gedanke des Fortschritts führte zu eingehender Beschäftigung mit der Geschichte: P. Bayle begründete schon Ende des 17. Jh. die Quellenkritik, umfassende Werke der Geschichtsschreibung (Hume, E. Gibbon, Voltaire) und Geschichtsphilosophie (Montesquieu, M. J. A. Condorcet, J. G. Herder) entstanden. Die Reaktion der Machtinhaber auf die neuen Ideen war unterschiedlich: Friedrich d. Gr. und Kaiser Joseph II. bemühten sich um Reformen (aufgeklärter Absolutismus), in Frankreich unterdrückte das Ancien Régime alle Ansätze zu Veränderungen; Schriften mit aufklärer. Inhalt mussten meist illegal erscheinen. Hier brachte die A. ihre radikalsten Vertreter hervor. Die Sammlung und Aufbereitung aller Wissensgebiete im Sinne der A. gelang den Enzyklopädisten. Die Unabhängigkeitserklärung der USA und die Frz. Revolution, bes. in ihren Anfängen, waren dann entscheidend von den Gedanken der A. bestimmt, in der Folge auch der Liberalismus des 19. Jh.. Ost- und Südosteuropa nahmen die A. (ohne deren kirchenfeindl. Tendenz) in der 2. Hälfte des 18. Jh. auf. Sie trug hier zur nat. Emanzipation (v. a. gegen das Osman. Reich) bei.In der Theologie führten Rationalismus, Optimismus, Antiklerikalismus, Individualismus und Utilitarismus in Auseinandersetzung mit der kirchl. Orthodoxie zur Entwicklung einer eigenständigen Theologie der Aufklärung. Jesus erscheint als Weisheitslehrer und Prophet der »natürl. Religion« (Deismus), das Evangelium als Lehre von der Weltverbesserung; der Mensch ist mündiges Individuum, die Vernunft normative Instanz zur Beurteilung des christl. Dogmas, die Predigt zweckgerichtete Nützlichkeitsrede über die prakt. Dinge des Alltags; das Ideal der allg. geforderten religiösen Toleranz fand vollendeten Ausdruck in G. E. Lessings Drama »Nathan der Weise«. In Dtl. erreichte die Theologie der A. ihren Höhepunkt in der Neologie; als Gegenbewegung formierte sich der Pietismus; Kulturprotestantismus, kath. Modernismus und die historisch-krit. Bibelwiss. des 19. Jh. haben ihre Wurzeln in den der Theologie durch die A. des 18. Jh. vermittelten Impulsen.Das Erziehungswesen ist für die A. stets von besonderem Interesse gewesen. Sie forderte eine Erziehung zu naturgemäßer, nicht von Überlieferungen, sondern von Vernunft (und auch Gefühl) bestimmter sittl. Lebensweise und die Anwendung wiss. Verfahrensweisen auch auf prakt. Tätigkeiten (Realbildung, landwirtsch. und gewerbl. Erziehung), Ausdehnung der Erziehungsbestrebungen auf alle Volksschichten, auch auf die Frauen, und Weiterbildung der Erwachsenen. Diese Gedanken wurden von Rousseau, J. B. Basedow, J. H. Campe und J. H. Pestalozzi vertieft und im höheren und Volksschulwesen, z. T. in neuen Schulformen, verwirklicht.Im gesellschaftl. Leben trat neben der höf. Kultur die bürgerl. stärker hervor. Gegen den heiteren Lebensgenuss des Rokoko, der auch in manchen bürgerl. Kreisen Eingang gefunden hatte (Leipzig als »Klein-Paris«), wandte sich ein betonter bürgerl. Moralismus. Starken Einfluss gewannen aufklärer. Geheimgesellschaften (Freimaurer, Rosenkreuzer). In einseitiger Nachfolge des Pietismus entwickelte sich als Gegenströmung zum Rationalismus ein Gefühls- und Freundschaftskult (Empfindsamkeit).Neue Inhalte und Formen fand die Literatur der A. in den »Moral. Wochenschriften«, auch die Belletristik hatte oft stark didakt. Charakter. Neue Genres waren bürgerl. Trauerspiel, Rührstück, Idylle und bürgerl. Roman (bes. in Briefform), auch Fabel und Satire wurden gepflegt. Hauptvertreter der dt. Literatur der A. waren J. C. Gottsched, J. F. Gellert, F. G. Klopstock, G. E. Lessing und die Anakreontiker. Die Musik des Aufklärungszeitalters folgte eigenen Gesetzen (neue Formen der Instrumentalmusik; Vorklassik und Wiener Klassik), zeigt aber auch direkte Verbindungen zur Geistes- und Sozialgeschichte (bürgerl. Singspiel, Ausdruck humanitärer Gedanken in Oper und sinfon. Musik).In der bildenden Kunst vollzog sich zunächst der Übergang vom Barock zu dessen Spätblüte, dem Rokoko: Helle Farben, heiter schwingende Linien, weltl. Inhalte und Verweltlichung religiöser Darstellungen wurden kennzeichnend. Seit der Mitte des 18. Jh. wurde das Rokoko allmählich abgelöst durch den strengeren Klassizismus, dessen oberstes künstler. Ziel die Nachahmung antiker Kunst war. Wie das Religiöse suchte man auch das Künstlerische verstandesmäßig zu erfassen. So entstand eine systemat. Kunstkritik und als neuer Zweig der Philosophie die Ästhetik (A. G. Baumgarten).Seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jh. wurde die A. von neuen Geistesbewegungen (Neuhumanismus, Romantik, Sturm und Drang) überlagert. Während man die A. lange Zeit mit dem abwertenden Blick der Romantik sah, ist heute das Verdienst der A. um die Entwicklung der Wiss., die Förderung neuer Forschungszweige (bes. Volkswirtschaftslehre, Soziologie, Statistik), die Humanisierung des sozialen und kulturellen Lebens, die Achtung der Menschenwürde und der Gleichheit aller Menschen anerkannt. Letzteres wurde zur geistesgeschichtl. Voraussetzung für eine Reihe gesellschaftspolit. Entwicklungen in der Gegenwart (Emanzipation, Gleichberechtigung, Mündigkeit). Neuere Kritik richtet sich gegen ihre absolute Abwertung der Tradition und gegen gewisse Folgeerscheinungen wie Fortschrittsgläubigkeit und Herrschaft eines rein positivist. Wissenschaftsbegriffes.
Unter den in neuerer Zeit entstandenen Bezugnahmen auf die A. ragt bes. das im Rahmen der krit. Theorie der Frankfurter Schule entwickelte Programm einer »zweiten A.« heraus (Befreiung des Einzelnen aus fremdbestimmten Zwängen).
▣ Literatur:
Pütz, P.: Die dt. A. Darmstadt 41991.
⃟ Möller, H.: Vernunft u. Kritik. Dt. A. im 17. u. 18. Jh. Frankfurt am Main 31993.
⃟ Horkheimer, M. u. Adorno, T. W.: Dialektik der A. Philosoph. Fragmente. Tb.-Ausg. Frankfurt am Main 32.-36. Tsd. 1994.
⃟ Was ist A.? Thesen u. Definitionen, hg. v. E. Bahr. Neudr. Stuttgart 1994.
⃟ Das 18. Jh. A., hg. v. P. Geyer. Regensburg 1995.
⃟ Imhof, U.: Das Europa der A. München 21995.
2) Militärwesen: die Aufhebung eines Informationsmangels durch gezielte Nachforschung oder Wissensvermittlung, insbesondere die Feststellung der Lage beim Gegner, Erkundung des Geländes, des Wetters und der Witterungseinflüsse als Grundlage für die Entschlussfassung der eigenen Führung; der A. dienen Flugkörper, Satelliten, Flugzeuge, Spezialeinheiten (A.-Truppen) u. a. Mittel, z. B. Nachrichtendienst, Flugmeldedienst.
3) Pädagogik: Sexualpädagogik.
Unter den in neuerer Zeit entstandenen Bezugnahmen auf die A. ragt bes. das im Rahmen der krit. Theorie der Frankfurter Schule entwickelte Programm einer »zweiten A.« heraus (Befreiung des Einzelnen aus fremdbestimmten Zwängen).
▣ Literatur:
Pütz, P.: Die dt. A. Darmstadt 41991.
⃟ Möller, H.: Vernunft u. Kritik. Dt. A. im 17. u. 18. Jh. Frankfurt am Main 31993.
⃟ Horkheimer, M. u. Adorno, T. W.: Dialektik der A. Philosoph. Fragmente. Tb.-Ausg. Frankfurt am Main 32.-36. Tsd. 1994.
⃟ Was ist A.? Thesen u. Definitionen, hg. v. E. Bahr. Neudr. Stuttgart 1994.
⃟ Das 18. Jh. A., hg. v. P. Geyer. Regensburg 1995.
⃟ Imhof, U.: Das Europa der A. München 21995.
2) Militärwesen: die Aufhebung eines Informationsmangels durch gezielte Nachforschung oder Wissensvermittlung, insbesondere die Feststellung der Lage beim Gegner, Erkundung des Geländes, des Wetters und der Witterungseinflüsse als Grundlage für die Entschlussfassung der eigenen Führung; der A. dienen Flugkörper, Satelliten, Flugzeuge, Spezialeinheiten (A.-Truppen) u. a. Mittel, z. B. Nachrichtendienst, Flugmeldedienst.
3) Pädagogik: Sexualpädagogik.