Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Armenien
Armenien Fläche: 29 800 km2
Einwohner: (1997) 3,77 Mio.
Hauptstadt: Jerewan
Verwaltungsgliederung: 37 Bezirke
Amtssprache: Armenisch
Nationalfeiertage: 28. 5. und 23. 8.
Währung: 1 Dram (ARD) = 100 Luma (Lm)
Zeitzone: MEZ + 3 Std.
(amtlich armen. Hayastani Hanrapetut'yun, dt. Republik A.), Binnenstaat in SW-Asien, grenzt im N an Georgien, im O an Aserbaidschan, im S an Iran, im SW und im W an die Türkei; im SW schiebt sich die aserbaidschan. Exklave Naxçɪvan (früher Nachitschewan) in den Grenzraum ein.
Staat und Recht: A. ist eine unabhängige Rep. mit Präsidialsystem; Verf. von 1995. Staatsoberhaupt ist der für fünf Jahre direkt gewählte Präs.; die Legislative liegt beim Parlament (190 Abg., davon 150 im Mehrheits-, 40 im Verhältniswahlsystem für vier Jahre gewählt); die Exekutive wird von der Reg. unter Vorsitz des vom Präs. ernannten MinPräs. wahrgenommen.
Landesnatur: A. ist ein im Mittel um 1 800 m ü. M. gelegenes, erdbebengefährdetes Bergland in Transkaukasien. Es umfasst im N die Gebirgsketten des Kleinen Kaukasus, die von einem dichten Netz tief eingeschnittener Täler durchzogen sind. Der größere Landesteil wird vom nordöstl. Ararathochland (im Aragaz 4 090 m) eingenommen. Das Hochland gliedert sich in einzelne Becken (z. B. das Becken des 1 900 m ü. M. gelegenen Sewansees). Im SW hat A. Anteil an der tief eingesenkten Araratebene am Grenzfluss Araks. In der subtrop. Zone gelegen, ist das Klima der Täler und Vorgebirge durch trockene, heiße Sommer und kalte, schneearme Winter (Julimittel 24-26 ºC, Januarmittel —5 ºC, 200-400 mm Jahresniederschläge) gekennzeichnet; auf den Hochebenen und in mittleren Höhenlagen ist es gemäßigt (Julimittel 18 ºC, Januarmittel —2 bis —8 ºC bei hoher Schneedecke, 600-800 mm Jahresniederschläge). Das Gebirgsland (mittlere Höhe 1 800 m) hat überwiegend Halbwüsten- und Steppenvegetation: nur 13 % der Fläche sind von Sträuchern und lichten Kiefern-, Buchen-, Eichen- und Wacholderwäldern bedeckt.
Bevölkerung: Sie besteht (1994) zu 96 % aus Armeniern; die 1989 noch rd. 2,6 % Aserbaidschaner wurden vertrieben oder sind weitgehend abgewandert, außerdem Kurden (1,7 %), Russen (1,6 %) und Angehörige anderer Nationalitäten (0,8 % Ukrainer, Assyrer, Griechen). Mit Ausnahme der Gebirge und der Plateaus ist die Bevölkerungsdichte recht hoch. Der größte Teil der Bev. lebt in und um Jerewan, der größten Stadt des Landes. Die Armenier sind Christen, sie gehören der armen. Kirche an. Es besteht eine 10-jährige Grundschulpflicht. Neben der Armen. Akademie der Wiss. gibt es eine Univ. (in Jerewan) sowie mehrere Hochschulen.
Wirtschaft, Verkehr: Seit der polit. Unabhängigkeit ist die Entwicklung marktwirtsch. orientiert. Neben den Folgen der sozialist. Planwirtschaft mit erhebl. negativen Auswirkungen auf die Umwelt wirkt sich der militär. Konflikt mit Aserbaidschan (u. a. Unterbrechung der Verkehrsverbindungen, Sperrung der Energiezufuhr) zusätzlich erschwerend auf die Wirtschaft aus. Knapp 40 % der landwirtsch. Nutzfläche sind Ackerland, das zum größten Teil bewässert wird. Hauptlandwirtschaftsgebiete sind die Araratebene (am Grenzfluss Araks) und das Becken von Jerewan. Bis in Höhenlagen von 900 m werden Baumwolle, Reis, Tabak, Wein und Obst angebaut, bis 2 300 m teilweise Getreide. Neben Schafzucht wird auch Rinderzucht betrieben. - In dem rohstoffarmen Land werden geringe Mengen an Kupfer, Molybdän, Nephelin und Zink gewonnen. In der Ind. überwiegt der Maschinenbau, gefolgt von der chem. und Buntmetallindustrie. Die Nahrungsmittelind. ist auf Verarbeitung von Wein, Südfrüchten und Gemüse, die Leichtind. auf Wollerzeugnisse und Schuhe ausgerichtet. Die Energieerzeugung erfolgt hauptsächlich durch Erdgaskraftwerke; am Rasdan kleine Wasserkraftwerke. - Ausgeführt werden Nahrungs- und Genussmittel (bes. Spirituosen), Buntmetalle, Chemieprodukte (bes. synthet. Kautschuk), künstl. Diamanten, Maschinen und Geräte, elektrotechn. Erzeugnisse und Textilien, eingeführt Brennstoffe, Eisen und Stahl, Rohstoffe, Produkte der Leicht- und Nahrungsmittelind. und Getreide. - Das Verkehrsnetz umfasst (1996) 840 km Eisenbahnlinien und 11 300 km Straßen, davon 10 500 km mit fester Decke. In Jerewan befindet sich ein internat. Flughafen. An Mineralquellen entstanden mehrere Kurorte (Arsni, Dschermuk, Dilischan).
Geschichte: Das Gebiet der heutigen Rep. A. umfasst nur einen Teil des histor. Siedlungsraumes der Armenier, der sich etwa zw. dem anatol. und iran. Hochland sowie zw. dem Kaukasus und der Tiefebene Mesopotamiens erstreckte (Ararathochland). Dieses Territorium, bereits im 3. Jt. v. Chr. Ziel von Kriegszügen altmesopotam. Herrscher, wurde erstmals im Reich Urartu (9.-6. Jh. v. Chr.) vereint. In dessen westl. und südl. Grenzgebieten siedelten sich im 7. Jh. v. Chr. die aus SO-Europa kommenden Armenier an und verschmolzen unter med. (um 585 v. Chr.), dann pers. (um 550 v. Chr.) Oberhoheit mit der Bev. von Urartu. Der Name A. wird zuerst in einer Inschrift Dareios' d. Gr. genannt. A. gehörte dem Achaimenidenreich an, später nominell dem Reich Alexanders d. Gr., der es weiterhin durch pers. oder einheim. Satrapen regieren ließ, in hellenist. Zeit zum Herrschaftsraum der Seleukiden. Die Niederlage des Seleukidenkönigs Antiochos III. gegen die Römer 190 v. Chr. führte zur Bildung zweier armen. Staaten, des östl. Groß-A. und des westl. Klein-A. Das von der Dynastie der Artaxiden geführte Groß-A. erlebte unter Tigranes II. (95 bis um 55 v. Chr.) den Höhepunkt seiner Macht, verlor jedoch nach einer Niederlage (69 v. Chr.) gegen Rom alle Eroberungen und musste sich diesem 66 v. Chr. unterwerfen. Im 1. Jh. n. Chr. kam das Land an die parth. Arsakiden, im 3. Jh. an die pers. Sassaniden; es befreite sich mit röm. Hilfe wieder und trat 301 unter Tiridates zum Christentum über. 387 wurde Groß-A. zw. Ostrom und Persien geteilt. Im 7. Jh. unterwarfen die Araber große Teile von A., bis 885 der Armenier Aschot I. wieder eine selbstständige Herrschaft (Königtum der Bagratiden) schuf. Mitte des 11. Jh. eroberten die Byzantiner das Land, nach 1171 die Seldschuken. Daraufhin setzte sich der Bagratide Ruben in Kilikien fest. Sein Reich nahm den Namen »Klein-A.« an; es unterlag 1375 den ägyptischen Mamelucken und wurde später dem Osman. Reich eingegliedert.1242 eroberten die Mongolen Armenien. Von Timur um 1390 verwüstet, geriet A. 1468 unter die Herrschaft der Turkmenen, 1472 der Perser, die 1541 den Hauptteil des Landes an die Türken verloren.Im 19. Jh. entrissen die Russen Persien das Gebiet von Jerewan (1828), der Türkei das Gebiet von Kars, Ardahan und Batumi (1878). Die blutige Verfolgung der Armenier unter türk. Herrschaft (Pogrome 1894 bis 1896, 1909; Massenmord und Deportation 1915/1916, rd. 1,5 Mio. Tote) führte zu ihrer Flucht aus Türkisch-A. in den russ. Landesteil und in andere Staaten. Nach dem Ersten Weltkrieg sah der Frieden von Sèvres (1920) ein großes freies A. vor, aber der W blieb unter türk. Herrschaft. Den O (Russisch-A.) proklamierte ein von der Partei der Daschnaken geführter »Armen. Nationalrat« am 28. 5. 1918 zur unabhängigen Rep. A., gegen die die Türkei 1920 Krieg führte. Am 29. 11. 1920 errichteten die Bolschewiki mithilfe der Roten Armee in A. eine Sowjetrep., die (nach Abtretung von Kars u. a. Gebieten 1921 an die Türkei) 1922-36 zus. mit Georgien und Aserbaidschan die Transkaukas. Sozialist. Föderative Sowjetrep. bildete. 1921 wurden Bergkarabach und Naxçɪvan administrativ Aserbaidschan angegliedert.Seit 1936 Unionsrep. der UdSSR, erklärte A. am 23. 8. 1990 seine Unabhängigkeit (am 21. 9. 1991 durch Referendum bestätigt). Die KP löste sich im Sept. 1991 nur vorübergehend auf. Die 1990 entstandene Armen. Pannationale Bewegung entwickelte sich schnell zur einflussreichsten Partei; die »histor.« Partei Daschnakzutjun (gegr. 1890, mit starken Verbindungen ins Ausland) war 1994-98 verboten.
Unter Präs. L. Ter-Petrosjan (1991-98) trat A. im Dez. 1991 der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) bei. Der Streit zw. A. und Aserbaidschan um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte aserbaidschan. Enklave Bergkarabach löste 1992 einen militär. Konflikt zw. beiden Republiken aus. 1994 vermittelte Russland einen Waffenstillstand. 1993 vereinbarte A. mit Russland ein Abkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit (u. a. Versorgung A. mit Rohstoffen, Energie und Lebensmitteln) und 1995 einen Stützpunktvertrag (Stationierung russ. Truppen an der Grenze zur Türkei). 1994 trat A. der NATO-Initiative »Partnerschaft für den Frieden« bei und schloss 1996 einen Partnerschaftsvertrag mit der Europ. Union. Nach dem Rücktritt Ter-Petrosjans (Februar 1998) setzte sich bei den Präsidentschaftswahlen im März 1998 der seit 1997 als MinPräs. amtierende Karabach-Armenier R. Kotscharjan durch (Amtsantritt als Staatspräs. im April 1998).
Literatur:
Brentjes, B.: Drei Jahrtausende A. Leipzig 1984.
Armenia and Karabagh. The struggle for unity, hg. v. C. J. Walker. London 1991.
Gust, W.: Der Völkermord an den Armeniern. München u. a. 1993.
Hofmann, Tessa: Die Armenier. Schicksal, Kultur, Geschichte. Nürnberg 1993.
Armenier u. A. Heimat u. Exil, hg. v. Tessa Hofmann. Reinbek bei Hamburg 1994.
Hofmann, T.: Annäherung an A. Geschichte u. Gegenwart. München 1997.
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