Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Alltagsgeschichte
Alltagsgeschichte(historische Alltagsforschung), Forschungsrichtung in der Geschichtswiss., die in interdisziplinären Ansätzen und Methoden bemüht ist, die anthropolog. Dimension der Geschichte zur Richtschnur und zum Darstellungsrahmen der Forschung zu machen; zentraler Forschungsgegenstand ist also die spezif. Ausprägung der Lebensverhältnisse und des Lebensgefühls bzw. der Erfahrungsräume in vergangenen Epochen (u. a. Denk-, Empfindungs- und Verhaltensweisen).
Unter dem Schlagwort »Geschichte von unten« wurde A. ein wesentl. Teil der Historischen Anthropologie. Sie etablierte sich endgültig seit den 1970er-Jahren mit dem histor. Perspektivenwechsel in der Geschichtswiss. (»neue« Kulturgeschichte). Dabei orientierte sich die frz. »École des Annales« schon ab Ende der 1920er-Jahre auch auf die Erforschung von »Lebens-Welten« und »Mentalitäten« (»Histoire des Mentalités«; Mentalitätsgeschichte). In Großbritannien besitzt die Erforschung der A. ebenfalls eine gewisse Tradition (»Peoples history»). In Dtl. wurde sie erst ab Ende der 70er-Jahre bedeutsam. Wesentl. Anstöße zur Erforschung der A. und der histor. Volkskultur, v. a. der bäuerl. und städt. Unterschichten des 16.-19. Jh., kamen aus Italien (C. Ginzburg), Frankreich (E. Le Roy) und Großbritannien (»popular culture«, »subaltern studies«).
Die interdisziplinäre Forschung wurde dabei bereichert auch durch Fragestellungen und Methoden der histor. Soziologie (insbesondere der histor. Familienforschung), der Kultursoziologie und der Sozialanthropologie, des Interaktionismus u. a. In der Hinwendung zur Mikrogeschichte ist sie bestrebt, das in hohem Maße veränderliche, stets vom Wandel der sozialen Verhältnisse und der allgemeinen geschichtl. Rahmenbedingungen, aber auch von religiösen und kulturellen Traditionen sowie sozialen Gewohnheiten mitbeeinflusste, z. T. an bestimmte kalendar. Ordnungen (Brauchtum usw.) gebundene, jeweils schichten-, altersgruppen-, geschlechts- und regionalspezif. Alltagsleben der Vergangenheit mit allen seinen Einflüssen auf die Herrschafts- und Volkskultur zu rekonstruieren.
▣ Literatur:
H. C. Ehalt. Geschichte von unten, hg. v. Wien 1984.
⃟ A., hg. v. A. Lüdtke. Frankfurt am Main 1989.
⃟ Geschichte des privaten Lebens, hg. v. P. Ariés u. a. 5 Bde. A. d. Frz. Frankfurt am Main 1-51989-95.
⃟ Sozialgeschichte, A., Mikrohistorie, hg. v. H. Schultze. Göttingen 1994.
Alltagsgeschichte(historische Alltagsforschung), Forschungsrichtung in der Geschichtswiss., die in interdisziplinären Ansätzen und Methoden bemüht ist, die anthropolog. Dimension der Geschichte zur Richtschnur und zum Darstellungsrahmen der Forschung zu machen; zentraler Forschungsgegenstand ist also die spezif. Ausprägung der Lebensverhältnisse und des Lebensgefühls bzw. der Erfahrungsräume in vergangenen Epochen (u. a. Denk-, Empfindungs- und Verhaltensweisen).
Unter dem Schlagwort »Geschichte von unten« wurde A. ein wesentl. Teil der Historischen Anthropologie. Sie etablierte sich endgültig seit den 1970er-Jahren mit dem histor. Perspektivenwechsel in der Geschichtswiss. (»neue« Kulturgeschichte). Dabei orientierte sich die frz. »École des Annales« schon ab Ende der 1920er-Jahre auch auf die Erforschung von »Lebens-Welten« und »Mentalitäten« (»Histoire des Mentalités«; Mentalitätsgeschichte). In Großbritannien besitzt die Erforschung der A. ebenfalls eine gewisse Tradition (»Peoples history»). In Dtl. wurde sie erst ab Ende der 70er-Jahre bedeutsam. Wesentl. Anstöße zur Erforschung der A. und der histor. Volkskultur, v. a. der bäuerl. und städt. Unterschichten des 16.-19. Jh., kamen aus Italien (C. Ginzburg), Frankreich (E. Le Roy) und Großbritannien (»popular culture«, »subaltern studies«).
Die interdisziplinäre Forschung wurde dabei bereichert auch durch Fragestellungen und Methoden der histor. Soziologie (insbesondere der histor. Familienforschung), der Kultursoziologie und der Sozialanthropologie, des Interaktionismus u. a. In der Hinwendung zur Mikrogeschichte ist sie bestrebt, das in hohem Maße veränderliche, stets vom Wandel der sozialen Verhältnisse und der allgemeinen geschichtl. Rahmenbedingungen, aber auch von religiösen und kulturellen Traditionen sowie sozialen Gewohnheiten mitbeeinflusste, z. T. an bestimmte kalendar. Ordnungen (Brauchtum usw.) gebundene, jeweils schichten-, altersgruppen-, geschlechts- und regionalspezif. Alltagsleben der Vergangenheit mit allen seinen Einflüssen auf die Herrschafts- und Volkskultur zu rekonstruieren.
▣ Literatur:
H. C. Ehalt. Geschichte von unten, hg. v. Wien 1984.
⃟ A., hg. v. A. Lüdtke. Frankfurt am Main 1989.
⃟ Geschichte des privaten Lebens, hg. v. P. Ariés u. a. 5 Bde. A. d. Frz. Frankfurt am Main 1-51989-95.
⃟ Sozialgeschichte, A., Mikrohistorie, hg. v. H. Schultze. Göttingen 1994.