Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Algerien
Algeri|en Fläche: 2 381 741 km2
Einwohner: (1995) 27,94 Mio.
Hauptstadt: Algier
Verwaltungsgliederung: 48 Wilayat
Amtssprache: Arabisch
Nationalfeiertage: 5. 7. und 1. 11.
Währung: 1 Alger. Dinar (DA) = 100 Centimes (CT)
Zeitzone: MEZ
(arab. Al-Djazair, amtl. Al-Djumhurijja al-Djazairijja al-Dimukratijja ash-Shabijja, dt. Demokrat. VR Algerien), arab. Staat in Afrika, grenzt im NW an Marokko, im äußersten W an Westsahara, im SW an Mauretanien und Mali, im SO an Niger, im O an Libyen und Tunesien.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 7. 12. 1996 (am 28. 11. 1996 durch Referendum gebilligt) ist A. eine präsidiale Rep. mit Mehrparteiensystem. Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Verteidigungsmin. ist der auf fünf Jahre direkt gewählte Präs. (einmalige Wiederwahl zulässig). Er ist mit umfangreichen Machtbefugnissen ausgestattet. Die Reg. unter Vorsitz des MinPräs. ist dem Parlament verantwortlich. Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament, bestehend aus der Nationalversammlung (380 Abg., für fünf Jahre gewählt) und dem Rat der Nation (144 Mitgl., davon 96 von den Kommunalräten gewählt und 48 vom Präs. ernannt). A. ist in 48 Bezirke (Wilayate) mit beschränkter Selbstverw. gegliedert, an deren Spitze der Zentralregierung unterstellte Präfekten und Exekutivräte stehen. Einflussreichste Parteien: Rassemblement National Démocratique (RDN), Mouvement de la Société pour la Paix (MSP), Front de Libération Nationale (FLN) und Mouvement En-Nahdha. Der Front Islamique du Salut (FIS) ist seit 1992 verboten.
Landesnatur: A. reicht von der westl. Mittelmeerküste bis in die zentrale Sahara. Nord-A., mit mediterranem Klima, gliedert sich zonal in die Küstenebene am Mittelmeer und den anschließenden Tellatlas mit mehreren Gebirgsketten (bis 2 308 m ü. M.) und Becken, den agrar. Gunstraum des Landes, sowie in das Hochland der Schotts und den bis 2 328 m hohen Saharaatlas, die wesentlich niederschlagsärmer sind und hauptsächlich der Weide- und Alfagraswirtschaft dienen. Süd-A. mit extrem trockenem Klima umfasst den alger. Anteil an der Sahara (rd. 80 % der Staatsfläche). Dieser besitzt ausgedehnte Dünen- (Großer Westl. Erg, Großer Östl. Erg), Feinkies- (Serire) und Felsschuttgebiete (Hammadas), im Ahaggar auch ein ausgedehntes Hochgebirge (bis 2 918 m ü. M.).
Bevölkerung: In Nord-A. leben 95 % der Bev., die sich aus Arabern (etwa 83 %) und Berbern (17 %) zusammensetzt; weiterhin etwa 113 000 Europäer. 99 % sind Muslime, 0,4 % kath. Christen; 43 % der Bev. über zehn Jahre sind Analphabeten. Es besteht 9-jährige allg. Schulpflicht vom 6. bis 15. Lebensjahr. A. besitzt neun Universitäten. Das Bev.wachstum liegt mit 2,6 % sehr hoch.
Wirtschaft, Verkehr: A. ist einer der wichtigsten Ind.staaten der arab. Welt. Seit der Unabhängigkeit (1962) werden große Anstrengungen unternommen, die wirtsch. Entwicklung durch Industrialisierung, Agrarreformen und die Nutzung der Erdöl- und Erdgasvorkommen voranzutreiben. Das Wirtschaftssystem ist von einem starken Staatssektor geprägt, der 80 % der Ind.produktion erwirtschaftet. Der bedeutendste Ind.zweig ist die staatlich kontrollierte Erdöl- und Erdgaswirtschaft. Arzew und Skikda sind Hauptzentren der petrochem. Ind. mit Erdölraffinerien, Erdgasverflüssigungsanlagen und Düngemittelfabriken. Auf der Grundlage einer kapitalintensiven Eisen- und Stahlind. (seit 1969 El-Hadjar-Komplex bei Annaba) wurden vielfältige Metall verarbeitende Unternehmen gegr. (z. B. Walz- und Hüttenwerke, Waggonfabrik). Weitere wichtige Wirtschaftsbereiche sind Bau-, Nahrungs- und Genussmittel-, Holz- und Papier- sowie Textil- und Bekleidungsindustrie, Kunsthandwerk. Nur etwa 18 % der Staatsfläche sind landwirtschaftlich nutzbar (3 % Äcker und Gärten, 15 % Steppenweiden); Anbau von Frühgemüse, Getreide, Wein, Ölbäumen, Südfrüchten, in den Oasen Dattelpalmen. Viehzucht: bes. Schafe und Ziegen. Forstwirtschaft: Korkgewinnung. Größte Bedeutung haben die Erdöl- und Erdgasgewinnung (die alger. Reserven werden auf 3 000 Mrd. m3 geschätzt, eines der größten Vorkommen der Erde) in der Sahara, mehrere Pipelines führen zu den Häfen; Flüssiggasexport in Spezialtankern. Erdöl- und Erdgasausfuhren tragen 95 % zum Exportwert bei. Weitere Bergbauprodukte: Phosphate, Eisenerz, Zinkerz, Bleierz, Kupfererz, Quecksilber, Uranerz, Kieselgur, Schwerspat; nicht erschlossene Vorkommen an Mangan, Antimon, Bauxit, Wolfram und Zinn. - Außenhandel: Hauptausfuhrgüter sind Erdöl und Erdgas; weiterhin Phosphate und Eisenerz; Wein, Zitrusfrüchte, Datteln. Eingeführt werden v. a. Maschinen und Fahrzeuge, elektrotechn. Produkte, Nahrungsmittel. Haupthandelspartner: Frankreich, Dtl., Italien, die USA. - Verkehr: Im industrialisierten N dichtes Bahn- (insgesamt 4 733 km; Normal- und Schmalspur) und Straßennetz (rd. 80 000 km, davon 48 311 km befestigt, vier Straßen in die Sahara). Häfen: Algier, Annaba (v. a. für Phosphate und Eisenerz), Oran (v. a. für Agrarerzeugnisse), Arzew und Bejaïa (v. a. für Erdöl und Erdgas). Internat. Flughäfen: Algier, Oran, Annaba, Constantine, Tlemcen.
Geschichte: Im Altertum röm. Provinz (Numidien und Mauretanien), 429-534 unter den Wandalen, dann unter Byzanz, im 7. Jh. von den Arabern erobert (gewaltsame Islamisierung der Berber). Seit 1509 span. Eroberungsversuche, seit 1519 osman. Oberherrschaft; 16.-19. Jh. Seeräuberstaat (Barbaresken). 1830-47 von Frankreich erobert (erst 1871 militärisch unter Kontrolle); Angliederung weiterer Saharagebiete 1899-1902.1925 gründete Messali Hadj die erste Unabhängigkeitsbewegung. F. Abbas forderte 1943 die Autonomie A.s innerhalb des frz. Staates. Am 1. 11. 1954 löste die FLN um M. A. Ben Bella einen Aufstand aus (von der Arab. Liga unterstützt). Zugeständnisse der frz. Regierung an die Aufständischen führten am 13. 5. 1958 zu einem Armeeputsch gegen die frz. Vierte Republik (Frankreich, Geschichte). Gegen den Widerstand hoher Generäle (u. a. R. Salan) und der OAS schloss Präs. C. de Gaulle 1962 mit der Provisor. Alger. Regierung das Abkommen von Évian, das A. die volle Unabhängigkeit gewährte.Unter Führung von Ben Bella, 1962/63 MinPräs., seit 1963 Staatspräs., formierte sich die FLN als Einheitspartei. Nach einem Putsch (1965) übernahm Oberst H. Boumedienne die Staatsführung (seit 1977 Staatspräs.). Unter dem Leitgedanken des »islam. Sozialismus« setzte er das von Ben Bella begonnene Verstaatlichungsprogramm fort und forcierte seit Beginn der 70er-Jahre die Industrialisierung. Seit 1976 entwickelte sich mit Marokko ein Konflikt um Westsahara. Boumediennes Nachfolger Chadli Bendjedid (1978-92) setzte nach blutigen Auseinandersetzungen 1988 einen Reformprozess in Gang (v. a. Einführung eines Mehrparteiensystems). 1990 kehrte Ben Bella aus 10-jährigem Exil zurück (vorher ohne Prozess in Haft). Die im Sept. 1989 legalisierte fundamentalist. Islam. Heilsfront (FIS) erstarkte zusehends und errang in den ersten freien Parlamentswahlen vom 26. 12. 1991 einen Wahlsieg. Nach Annullierung dieser Wahlen und dem Rücktritt von Staatspräs. Chadli Bendjedid übernahm ein Hohes Staatskomitee am 14. 1. 1992 unter Vorsitz von M. Boudiaf die Macht, das am 9. 2. 1992 den Ausnahmezustand verhängte, die FIS verbot (März 1992), Internierungslager errichtete, Wahlen versprach und wirtsch. Reformen ankündigte. Nach der Ermordung Boudiafs übernahm am 29. 6. 1992 A. Kafi, am 30. 1. 1994 L. Zéroual den Vorsitz des Hohen Staatskomitees (Mai 1994 in einen Nationalen Übergangsrat umgebildet), das das Parlament bis zu den Wahlen 1997 ersetzte. Die Auseinandersetzungen zw. der im Untergrund aktiven FIS und der Staatsmacht weiteten sich zu einem blutigen Bürgerkrieg aus; radikale Islamisten richten sich systematisch mit Mordanschlägen gegen Intellektuelle, Journalisten und Christen; durch gezielte Attentate auf Ausländer und durch Flugzeugentführungen suchten sie darüber hinaus den inneralger. Konflikt, dem nach Schätzungen bis Ende 1998 rd. 75 000 Menschen zum Opfer fielen, zu internationalisieren. Bei Präsidentenwahlen im Nov. 1995 bestätigte die Bev. Zéroual im Amt. Trotz weiterer Kredite der Weltbank und des IWF gelang es nicht, die Wirtschaft entscheidend zu beleben, um dem radikalen Islamismus die soziale Basis zu entziehen.
Literatur:
Strelocke, H.: A. Kunst, Kultur u. Landschaft. Köln 51990.
Scholl-Latour, P.: Aufruhr in der Kasbah. Krisenherd A. Taschenbuchausg. München 21994.
Arnold, A.: A. Eine frühere Siedlungskolonie auf dem Weg zum Schwellenland. Mit einem Anh. v. D. Bloch: Fakten - Zahlen - Übersichten. Gotha 1995.
Heller, C.: Die Außenpolitik der Demokratischen Volksrepublik A. 1979 bis 1992. Eine Untersuchung der Ära Chadli am Beispiel der Außenbeziehungen A.s. Marburg 1995.
Herzog, W.: A. Zwischen Demokratie u. Gottesstaat. München 1995.
Ruhe, E.: A.-Bibliographie. Dtl., Österreich, Schweiz 1962-1994. Wiesbaden 21995.
Impagliazzo, M. u.Giro, M.: A. als Geisel. Zwischen Militär u. Fundamentalismus. A. d. Italien. Münster 1998.
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