Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Afghanistan
Afghanistan Fläche: 652 090 km2
Einwohner: (1995) 20,1 Mio.
Hauptstadt: Kabul
Verwaltungsgliederung: 31 Provinzen
Amtssprachen: Paschto und Dari (Neupersisch)
Nationalfeiertag: 18. 8.
Währung: 1 Afghani (Af) = 100 Puls (Pl)
Zeitzone: MEZ + 3 1/2 Std.
(Paschto: De A. Djumhurijjet, Dari: Jomhori-e A.), Binnenstaat in Asien, grenzt im W an Iran, im N an Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, im O und S an Pakistan, am O-Ende des Wakhanzipfels an China.
Staat und Recht: Die letzte, für Gesamt-A. Geltung beanspruchende Verfassung vom 29./30. 11. 1987 (1990 revidiert) kann aufgrund des Bürgerkrieges keine Wirkung entfalten. Seit 1992 existieren nur provisor. Staatsorgane; die vollziehende Gewalt liegt in den Händen einer 6-köpfigen Übergangs-Reg. der Taliban unter Vorsitz des Ministerpräsidenten.
Landesnatur: Der zentrale Hindukusch, bis über 7 000 m ü. M., teilt A. in eine Nord- und eine Südregion. Im N hat A. Anteil am Tiefland von Turan, im S dehnen sich teils von Salzsümpfen ausgefüllte Wüstenbecken aus. Im Wakhan hat A. Anteil am Pamir. Der vorherrschende Hochgebirgscharakter ist ein natürl. Hindernis für die Landesentwicklung. Das Klima ist kontinental mit großen Temperaturunterschieden (Sommer bis 40 ºC; Winter bis —25 ºC), geringen winterl. Niederschlägen und trockenen Sommerstürmen im W; Steppen und Wüstensteppen überwiegen, nur der O erhält sommerl. Monsunregen (daher bewaldet). Die für die Bewässerung wichtigen Flüsse, z. B. Helmand, Hari Rud, Kabul, entspringen in Zentral-A., bes. im Koh-i-Baba; sie versickern meist in abflusslosen Becken.
Bevölkerung: Über 50 % sind Paschtunen, bes. im S und SO, die den Hauptteil der Nomaden stellen. Die Tadschiken (rd. 20 %) sind über das ganze Land verstreut, mongol. Hazara (rd. 9 %) überwiegen im Hindukusch. Turksprachige Gruppen (rd. 12 %) sind Turkmenen, Usbeken, Kirgisen, Kisilbasch, ferner Belutschen u. a. Größte Städte sind Kabul, Kandahar, Herat, Mazar-i-Sharif, Kunduz, Jalalabad. Etwa 3 Mio. der Gesamtbev. leben als Flüchtlinge v. a. in Pakistan und in Iran. - Es besteht allg. Schulpflicht (9 Jahre, nur z. T. verwirklicht; Analphabetenrate 71 %); 5 Hochschulen, u. a. Univ. in Kabul (gegr. 1932) und Jalalabad (gegr. 1963). - Rd. 85 % der Bev. gehören zur sunnit. Richtung des Islam, zur schiit. Richtung die Hazara und Kisilbasch; ferner Hindu, Sikhs, Juden.
Wirtschaft, Verkehr: A. gehört zu den ärmsten Entwicklungsländern der Welt. Durch den 1979 ausgebrochenen Bürgerkrieg sind die Infrastruktur und die Produktionsanlagen weitgehend zerstört und die Produktionsergebnisse in den meisten Wirtschaftszweigen beeinträchtigt. Über die Hälfte der Erwerbstätigen arbeitet in der Landwirtschaft. Kennzeichnend sind Bewässerungsfeldbau (über 40 % der Bewässerungssysteme zerstört; zunehmende Versalzung der Böden) und Oasenwirtschaft (mit Einwohnerdichten bis 1 000 je km2) in den Tälern und Becken sowie die extensiv genutzten Weiden. Hauptagrarerzeugnisse sind Weizen, Mais, Gerste, Reis, Baumwolle, Zuckerrohr, Obst, ferner Mandeln, Nüsse, Pistazien; im Grenzgebiet zu Pakistan verstärkter Mohnanbau. Wichtig ist die überwiegend nomad. Viehhaltung (Schafe, Ziegen, Karakulschafe). Von den Bodenschätzen werden bisher Steinkohle, Steinsalz, Erdgas, Lapislazuli (bedeutendster Fundort der Erde), Baryt und Talk ausgebeutet; weitere Bodenschätze (v. a. Erdöl, Eisen und Kupfer) sind noch ungenügend erschlossen. Die Industrie ist i. Allg. noch wenig entwickelt (Textil-, Zement-, chem. Ind., Lebensmittelind.); es dominiert das Handwerk (Teppich-, Schmuckwarenherstellung). Hauptausfuhrprodukte: Erdgas, Obst, Häute und Felle, Baumwolle, Wolle. Haupthandelspartner: Japan, China, Süd-Korea, Singapur u. a. - Da Eisenbahnen fehlen, sind Straßen und Luftlinien die Hauptträger des Verkehrs.
Geschichte: Das seit dem 6. Jh. v. Chr. zum pers. Achaimenidenreich gehörende A. wurde um 330 v. Chr. von Alexander d. Gr. erobert und nach dessen Tod ins Seleukidenreich eingegliedert. Das von den Saken begründete Kuschanreich erlag im 5. Jh. n. Chr. dem Ansturm der Hephthaliten, die 567 vom Sassanidenkönig Chosrau I. geschlagen wurden. Im 7. Jh. begann die Eroberung durch die Araber; Kabul und der O wurden erst im 10. Jh. islamisiert. 977-1187 war A. Kern des Reiches der turkstämmigen Ghasnawiden, denen die kurzlebige Dynastie der (wahrscheinlich einheim.) Ghuriden folgte. Im 13. Jh. fielen die Mongolen in A. ein (im 14. Jh. Eroberung durch Timur). Im 16. und 17. Jh. war es zw. Persien und dem ind. Mogulreich geteilt, bis Mitte des 18. Jh. Ahmed Schah Durrani (1747-73) ein mächtiges Emirat gründete. Im 19. Jh. lag A. im Spannungsfeld Großbritannien-Russland. Nach den ersten beiden afghanisch-brit. Kriegen (1838-42 und 1878-80), in denen Großbritannien seine Vorherrschaft durchzusetzen versuchte, wurde A. zum Pufferstaat zw. Russland und Britisch-Indien; nach dem 3. afghanisch-brit. Krieg (1919) erreichte Aman Ullah (1919-29, seit 1926 König) im Vertrag von Rawalpindi (1919) die staatl. Unabhängigkeit von A. Seine forcierte Modernisierungs- und Reformpolitik nach westlich-europ. Vorbild, die zu seinem Sturz führte, wurde durch Nadir Schah (1929-33, 1931 Einführung der konstitutionellen Monarchie) und nach dessen Ermordung durch Sahir Schah (1933-73, Neutralitätspolitik) behutsamer fortgesetzt. Durch den Militärputsch von 1973 wurde A. Republik. Nach ihrem Aufstand gegen den diktatorisch regierenden Staatspräs. M. Daud Khan (1973-78) übernahm die kommunist. Demokrat. Volkspartei unter N. M. Taraki die Reg.gewalt und lehnte A. eng an die UdSSR an; Machtkämpfe innerhalb der Partei, hartes Vorgehen gegen Oppositionelle und v. a. die Landreform von 1979 zogen einen landesweiten Widerstand gegen das Regime nach sich. Unter Berufung auf den Freundschaftsvertrag von 1978 ließ daraufhin die UdSSR unter weltweitem Protest am 27. 12. 1979 Truppen in A. einmarschieren. Sie setzte B. Karmal als Staats-, Reg.- und Parteichef ein und versuchte, die politisch uneinheitl. muslim. Guerillabewegung (Mudschaheddin) in verlustreichen Kämpfen zu unterdrücken. 1986 wurde B. Karmal durch Nadschibullah abgelöst, der angesichts der verheerenden Folgen des Bürgerkriegs (rd. 1 Mio. Kriegstote, 5 Mio. Flüchtlinge) eine Politik der »nat. Aussöhnung« verkündete. Von Mai 1988 bis Febr. 1989 zog die UdSSR ihre Truppen vollständig aus A. ab. Die antikommunist. Widerstandsorganisationen bildeten daraufhin im Febr. 1989 eine Gegenregierung. Im Juni 1990 gab die kommunist. Reg.partei ihr Machtmonopol auf (Umbenennung in Heimatlandpartei). Im Mai 1991 akzeptierte die Reg. einen Friedensplan der UN (Waffenstillstand, Übergangsreg. auf breiter Basis, Vorbereitung freier Wahlen). Bis zum Frühjahr 1992 brachten die Mudschaheddin den größten Teil von A. militärisch unter ihre Kontrolle. Nach dem Sturz Nadschibullahs (April 1992) und der unblutigen Besetzung der Hptst. Kabul durch Truppen der muslim. Rebellen übernahm ein von diesen gebildeter Übergangsrat die Macht. Daraufhin ausbrechende Kämpfe zw. rivalisierenden Mudschaheddin-Gruppierungen wurden trotz eines Vertrages über Gewaltverzicht (Mai 1992) und eines Friedensabkommens (März 1993) nicht beendet. 1992 verbot die muslim. Führung die frühere Reg.partei und leitete einen verstärkten Islamisierungsprozess ein (u. a. Einführung islam. Gesetze). Die Milizen der seit 1994 in Erscheinung tretenden radikalislam. Taliban-Bewegung eroberten seitdem große Teile des Landes. Mit der Einnahme von Kabul riefen sie dort am 27. 9. 1996 einen islam. Staat aus. Bei ihrem Vormarsch nach Nord-A. stießen sie auf heftigen Widerstand. Nach Angaben der UNO entwickelte sich A. zu einem der größten Heroinproduzenten der Welt.
Literatur:
W. Kraus. A. Natur, Geschichte u. Kultur, Staat, Gesellschaft u. Wirtschaft, hg. v. Tübingen 31975.
Grötzbach, E.: A. Eine geograph. Landeskunde. Darmstadt 1990.
Pohly, M.: Krieg u. Widerstand in A. Ursachen, Verlauf u. Folgen seit 1978. Berlin 1992.
Rasuly, S.: Polit. Strukturwandel in A. Frankfurt am Main 1993.
Samimy, S. M.: A. - Gefangener seiner eigenen Widersprüche? Bonn 1993.
A. Krieg u. Alltag, bearb. v. K. Knauer, Ausst.-Kat. Museum für Völkerkunde (Freiburg im Breisgau). Waldkirch 1994.
Baraki, M.: Die Beziehungen zwischen A. u. der Bundesrep. Dtl. 1945-1978. Frankfurt am Main u. a. 1996.
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