Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Adel
Adel[ahd. adal »Geschlecht«, »Abstammung«], ein ehem. sozial, rechtlich und politisch privilegierter Stand, gegründet auf Geburt, Besitz oder (meist krieger.) Leistung, gekennzeichnet durch besondere Lebensformen und ein ausgeprägtes Standesethos.
Geschichte: Mit der Entstehung der Hochkulturen bildete sich eine aristokrat., bevorrechtete Schicht der Gesellschaft heraus; im antiken Griechenland hatte der krieger. A. eine beherrschende Stellung, im Röm. Reich die Patrizier und die Nobilität (Amts-A.), die zus. mit dem A. der unterworfenen Prov. den Bestand des Reiches sicherten. -In Deutschland trat neben den altgerman. Geburts-A. der Edelinge oder Edelfreien in fränk. Zeit ein Dienst-A., der den Königsdienst leistete und mit Lehen ausgestattet wurde. Aus ihm bildete sich der mittelalterl. Ritterstand (Rittertum). Die einfachen Ritter, auch die urspr. unfreien Ministerialen (Dienstmannen), wurden zum niederen A., der teils als reichsunmittelbarer A. die Reichsritterschaft bildete, teils landsässiger A. der fürstl. Landesherren war. Aus den edelfreien Geschlechtern entstand der mit staatl. Hoheitsrechten ausgestattete hohe A.: weltl. und geistl. Fürsten, Grafen und freie Herren. Sein wesentl. Merkmal wurde seit dem 16. Jh. die Reichsstandschaft, d. h. Sitz und Stimme auf dem Reichstag. Im 14. Jh. begann die Verleihung des i. d. R. erbl. A. durch A.-Brief des Kaisers; diesen seit 1806 auch von den Monarchen der dt. Rheinbundstaaten und nach 1815 durch alle dt. Landesfürsten erteilten jüngeren Brief-A. unterscheidet man vom alten A., zu dem man alle vor 1350 als ritterbürtig nachweisbaren Geschlechter rechnet. Die alten A.-Vorrechte (Steuerfreiheit, gutsherrl. Gerichtsbarkeit, Recht auf die bäuerl. Frondienste, Bevorzugung im Staats- und Heeresdienst) wurden seit 1789 und 1848/49 fast sämtlich abgeschafft. Ferner wurden 1803 und 1806 die meisten kleineren Geschlechter des hohen A. und die Reichsritterschaft mediatisiert (Standesherren). Dennoch konnte sich der A. im kaiserl. Dtl. bis zum Ende des Ersten Weltkriegs als Führungsschicht behaupten. Die Weimarer Reichsverf. von 1919 (Art. 109) hat die letzten Sonderrechte des A. beseitigt und festgesetzt, dass A.-Bezeichnungen fortan nur als Teil des Namens gelten und nicht mehr verliehen werden dürfen. Die Stufen sind: Herzog, Fürst, Graf, Freiherr (Baron), Ritter (nur in Bayern und im alten Österreich), Edler (nur im alten Österreich) und das bloße »von«.
Die Tschechoslowakei und ÖsterreichDie Tschechoslowakei und Österreich haben 1918/19 den A. aufgehoben. - In der Schweiz wird der A. schon seit Anfang des 19. Jh. amtlich nicht anerkannt.In Großbritannien entwickelten sich aus den Baronen (Kronvasallen) und den einfachen Rittern des MA. ein hoher und ein niederer A. Der hohe A., die Nobility, mit dem allg. Titel Lord, gliedert sich in die Rangstufen: Herzog (Duke), Marquess, Graf (Earl), Viscount, Baron. Mit ihm ist die Peerswürde (Peer) verknüpft, die mit dem Grundbesitz nur auf den Erstgeborenen vererbt wird. Die jüngeren Söhne führen den Höflichkeitstitel Lord vor ihrem Vor- und Familiennamen, der meist von dem Peerstitel verschieden ist; ihre Nachkommen sind stets einfache Bürgerliche. Aus dem niederen Land-A. ist durch frühzeitige Verschmelzung mit dem Großbürgertum die Gentry entstanden; ihre Rangstufen sind Baronet (erblich) und Knight (nur persönlich), die ihrem Vornamen den Titel Sir voransetzen.Im alten Frankreich unterschied man die Noblesse de race (»Geburts-A.«), die Noblesse de lettres (»Brief-A.«) und die Noblesse de robe (»Amts-A.«). Nach Verzicht des A. auf Vorrechte und Titel 1789 und seine Dezimierung durch die Revolution formierte Napoleon I. ab 1804 aus den Großwürdenträgern und Marschällen seines Kaiserreichs einen kaiserl. Neu-A. (erneutes Verbot der Titelführung 1848-52). Die Rangstufen sind: Fürst (Prince), Herzog (Duc), Marquis, Graf (Comte), Vicomte, Baron, einfacher A. Entsprechend sind die Rangstufen in den anderen roman. Ländern gestaffelt.In Italien hat die Verfassung von 1948 den A. abgeschafft, doch können A.-Bezeichnungen aus der Zeit vor der Herrschaft des Faschismus weitergeführt werden.In Spanien bilden die Granden und die Titulados (»Betitelten«, bis zum Baron) den hohen, die Hidalgos den niederen A.In Ungarn wurden die A.-Vorrechte 1848 abgeschafft, doch wahrte der A. z. T. bis 1945 seine Machtstellung.Über den polnischen A. Schlachta.Der russische A. (Bojaren) bildete sich aus der bewaffneten Gefolgschaft der Fürsten (Druschina). Peter d. Gr., der durch die Rangtafel von 1722 alle Beamten und Offiziere in 14 adlige Rangklassen (Tschin) einteilte, begründete den Dienst-A. 1917 wurde der A. durch die bolschewist. Regierung abgeschafft.In Japan kam neben dem alten kaiserl. Hof-A. (Kuge) im 12. Jh. ein ritterl. Kriegerstand auf (Buke), aus dem die obere Schicht der Daimyōs und die untere Schicht der Samurai hervorgingen. 1869 wurde aus den Kuge- und Daimyōfamilien ein neuer A. (Kazoku) gebildet. Die Verf. von 1946 erkannte den A. nicht mehr an.
Literatur:
Schulze, Hans K.: A.sherrschaft u. Landesherrschaft. Köln 1963.
Rogalla von Bieberstein, J.: A.sherrschaft u. A.skultur in Deutschland. Frankfurt am Main u. a. 21991.
A. u. Bürgertum in Deutschland 1770-1848, hg. v. E. Fehrenbach u. a. München 1994. -
Lieven, D.: Abschied von Macht u. Würden. Der europ. A. 1815-1914. A. d. Engl. Frankfurt am Main 1995.
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