Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Wand
Wand f \
1. verdeckender Gegenstand (Zeitung, Mantel o. ä.), der von Taschendieben zur Tarnung benutzt wird. 1900 ff.
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2. blaue Wand = Kriegsmarine. »Blau« wegen der Uniformfarbe; »Wand« legt die Vorstellung »breitgebaut; kräftig entwickelt; großwüchsig« nahe. 1910 ff, sold .
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3. die fünfte Wand = a) Fernseh-Bildschirm; Fernsehen. Zu den »vier Wänden« ( Wand 4) hinzuerfunden. 1960 ff. – b) Zimmerdecke. 1965 ff.
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4. die vier Wände = die Wohnung; das Wohnhaus. Diese Bezeichnung für Haus und Hof stammt aus der mittelalterlichen Rechtssprache und wurde vor allem im 18./19. Jh. sehr üblich.
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5. vier Wände am Haken (auf Rädern) = Wohnwagen. 1965 ff.
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6. vierte Wand = Theatervorhang. Theaterspr. 1920 ff.
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7. immer an der Wand lang: Antwort auf die Frage nach dem Wohlbefinden. Geht zurück auf einen Schlagertext von Hermann Frey gegen 1910: »Und dann ziehn wir / still und leise / immer an der Wand
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lang, / immer an der Wand lang, / heimwärts von der Bummelreise, / immer an der Wand lang...«
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8. weiß wie eine (gekalkte) Wand = blutleer im Gesicht. 1900 ff.
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9. schmücke dein Heim, scheiß (kotz) die Wand an!: Redewendung der Verzweiflung oder Gleichgültigkeit. Vielleicht entstanden als Antwort auf die müßige Frage, was einer vor lauter Langeweile tun solle. »Schmücke dein Heim« war gegen 1930 ein Werbespruch des Gardinenhandels. Sold 1935 ff.
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10. die blaue Wand steht auf = Matrosen beginnen eine Schlägerei. Wand 2. 1910 ff.
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11. die Wände begießen = a) Richtfest feiern. begießen 1. Seit dem 16. Jh. – b) den Einzug in die neue Wohnung fröhlich feiern. Seit dem 16. Jh.
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12. jn an die Wand blasen = jn im Spiel eines Blasinstruments übertreffen. Entwickelt nach dem Muster des Folgenden. 1920 ff.
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13. jn an die Wand drücken = jn zurückdrängen, überflügeln, geschäftlich erledigen. Hergenommen vom Zweikampf, bei dem der Gegner an die Wand gedrückt wird und keine Rückzugsmöglichkeit mehr hat. 1600 ff. Vgl franz »mettre quelqu'un au pied du mur« und engl »to push (thrive, thrust) someone to
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the wall«.
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14. auf jn einreden wie auf eine Wand = vergeblich auf jn einreden. 1900 ff.
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15. mit ihm kann man Wände einrennen (einstoßen) = er ist überaus dumm. Anspielung auf »harter Schädel = Begriffsstutzigkeit«. 1830 ff.
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16. jn an die Wand fahren = jn beim Radrennen überflügeln. Fußt auf » Wand 13«. Sportl 1920 ff.
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16 a. die Wände fallen ihm auf (über) den Kopf = er leidet unter Klaustrophobie. Decke 3. 1920 ff.
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17. sonst fliegst du an die Wand, daß du hängen bleibst und deine Alte dich mit dem (der) Spachtel abkratzen kann!: Drohrede. 1920 ff.
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18. wie an die Wand gepißt = völlig unbrauchbar; ohne jegliches künstlerisches Empfinden; künstlerisch wertlos. Im frühen 20. Jh. aufgekommen; vielleicht von Max Liebermann geprägt, von dem diese Wendung als sein Lieblingsausdruck überliefert ist.
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19. du bist wohl gegen die Wand gerannt?: Frage an einen, der töricht zu Werke geht. Beim Stoß gegen die Wand hat der Kopf Schaden gelitten. Schül 1950 ff.
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20. die Wände haben Ohren = man muß damit rechnen, belauscht zu werden. Seit dem 19. Jh.
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21. er hat die ganze Wand auf dem Buckel = beim Anlehnen an die (gekalkte) Wand hat er seinen Rock weiß beschmutzt. 1920 ff, Berlin.
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22. etw an die Wand hauen = etw verschwenden. Leitet sich her von einer Zecherei, in deren Verlauf man die geleerten Gläser aus Übermut an die Wand wirft. 1920 ff.
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23. die Wand (die Wände) hochgehen = sich sehr ärgern; aufbrausen. Vor Zorn möchte man Unsinniges tun und das Unmögliche möglich machen. Seit dem 19. Jh.
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24. wenn man ihn an die Wand haut (wirft), bleibt er kleben = a) er ist überaus unreinlich. 1700 ff. – b) er läßt alles mit sich geschehen; er ist ohne jegliches Interesse; er ist ein willenloser, energieloser Mensch. 1920 ff.
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25. jn an die Wand kochen = besser kochen als der andere. Wand 13. 1960 ff.
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26. das ist an die Wand gekommen = diese Bestellung kann ich leider nicht mehr ausführen. Kellnerspr.: Neben der Küchenausgabe befindet sich an der Wand eine Tafel, auf der der Küchenchef notiert, welche Gerichte ausgegangen sind. 1960 ff.
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27. mit dem Hintern (Rücken) an die Wand kommen = sich sichern. Man hat Rückendeckung und ist von keiner Heimtücke bedroht. 1930 ff, Berlin.
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28. von der Wand in den Mund leben = a) seine Bilder gegen Lebensmittel veräußern; Kunstmaler sein. Aufgekommen mit dem Beginn der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg; entweder vom Maler Max Liebermann oder vom Cellisten Heinrich Grünfeld geprägt; mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wiederaufgelebt, als die geringen Lebensmittelzuteilungen zu zusätzlicher Beschaffung zwangen. – b) den an der Leine im Zimmer getrockneten Tabak rauchen. 1945 ff.
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29. Wand machen = a) sich breit vor den Dieb (Taschendieb) stellen, um ihn vor unerwünschten Augenzeugen zu decken. Rotw 1840 ff. – b) sich aufrecht setzen oder »den Rücken breit machen«, damit der Hintermann vom Banknachbarn abschreiben, eine verbotene Übersetzung o. ä. verwenden kann. Schül 1955 ff.
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30. die Wand mitnehmen = a) durch Anlehnen an eine getünchte Wand sich den Rücken weiß beschmutzen. Wand 21. 1920 ff.- b) bezecht sein. Der Betrunkene lehnt sich an die Wand. 1920 ff.
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31. jn an die Wand quatschen = jm im Reden überle-
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gen sein. Weiterentwickelt aus » Wand 13«. 1920 ff.
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32. jn an die Wand quetschen = jds Widerstand brechen; jn überflügeln. Derbere Variante zu »jn an die Wand drücken« ( Wand 13). 1900 ff.
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33. es ist, um die Wände raufzulaufen (raufzuklettern)!: Ausdruck der Verzweiflung. Wand 23. Seit dem 16. Jh.
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34. jn die Wände rauftreiben = jn zur Verzweiflung bringen. Wand 23 und 33. 1920 ff.
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35. für die Wände predigen = vergeblich reden; keine Aufmerksamkeit finden. 1500 ff.
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36. an (gegen) eine Wand reden = auf einen Widerstrebenden vergeblich einreden; auf unbedingte Ablehnung stoßen. Seit dem 19. Jh. Vgl franz »parler à un mur«.
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36 a. jn an die Wand reden = jn im Reden übertreffen. Wand 13. 1920 ff.
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37. gegen Wände rennen = auf heftigen Widerstand stoßen. 1900 ff.
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38. ich schiffe dich an die Wand!: Redewendung eines (vermeintlichen) Kraftmenschen. 1965 ff, bayr .
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39. jn an die,Wand schlagen = jn übertreffen. Wand 13; schlagen = besiegen. 1950 ff.
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40. da sind die Wände so dünn, daß man im Parterre hört, wenn einer im fünften Stock Keks ißt: Redewendung auf hellhörige Wohnungen (in modernen Wohnhochhäusern). 1970 ff.
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41. jn an die Wand singen = jn im Singen überflügeln; aus einem Gesangswettbewerb siegreich hervorgehen. Weiterentwickelt aus »jn an die Wand drücken« ( Wand 13). 1920 ff.
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42. jn an die Wand spielen = a) jn durch besseres schauspielerisches oder sportliches Können überflügeln. Theaterspr. 1900 ff; sportl 1950 ff. – b) jn durch Lautstärke, an Kraft o. ä. überbieten. 1950 ff.
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43. jn an die Wand stürmen = jn mühelos besiegen. Sportl 1950 ff.
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44. jn an die Wand tanzen = besser tanzen können als der andere. Wand 13. 1920 ff.
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45. da wackelt die Wand! = da geht es ausgelassen zu. Oft mit dem Zusatz: »da muß was lossein«. Stammt wohl aus dem Munde eines Ausrufers bei Volksfesten: den Grad der zu erwartenden Belustigung macht er dadurch anschaulich, daß er behauptet, durch das Gelächter der Zuschauer würden die Wände
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ins Wackeln geraten. Anscheinend gegen 1820 in Berlin aufgekommen.
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46. brüllen (donnern, schreien o. ä.), daß die Wände wackeln = mit großem Stimmaufwand reden. 1900 ff.
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47. fluchen, daß die Wände wackeln = lauthals, unflätig fluchen. 1930 ff.
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48. lachen, daß die Wände wackeln = unbändig, dröhnend lachen. Berlin 1840 ff.
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49. lügen, daß die Wände wackeln = dreist lügen; sehr grobe Unwahrheiten äußern. 1900 ff.
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50. singen, daß die Wände wackeln = lautstark singen. 1900 ff.
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51. tanzen, daß die Wände wackeln (daß eine alte Wand wackelt) = stürmisch, leidenschaftlich tanzen. Berlin 1840 ff.
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Ansicht: Wand