Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Seele
Seele f \
1. Frau (Kosewort). 1900 ff.
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2. Hauptsache; das Wichtigste. Seit dem 19. Jh.
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3. die Seele vom Buttergeschäft = die Hauptperson; die Hauptsache. Berlin 1870 ff.
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4. die Seele vons Geschäft (des Geschäfts) = die bestimmende Person. Berlin 1870 ff.
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5. die Seele vons Janze = Hauptperson; Mittelpunkt der Familie. Berlin 1900 ff.
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6. eine Seele von einem Kamel = gutmütigharmloser bis dümmlicher Mensch. Vgl das Folgende. 1920 ff.
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7. eine Seele von einem Menschen (von Mensch) = a) empfindsamer, gutmütiger, charaktervoller Mensch. Seele als Gesamtheit der besten, einem Menschen möglichen Eigenschaften entwickelt sich hier zur Bedeutung »Pracht-, Glanzstück«. 1700 ff. – b) gefühlsroher, herzloser Mensch. Bittere Ironie. 1935 ff.
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8. eine Seele von Pferd = gutmütiger Mensch. Roß 1. Sold 1939 ff.
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9. durstige Seele = durstiger Mensch; Trinker. Scherzhaft entlehnt aus Psalm 107,9, wo mit »durstiger Seele« die nach geistlicher Erbauung und frommer
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Erhebung dürstende Seele gemeint ist. Seit dem 18. Jh., wohl von Studenten (der Theologie) ausgegangen.
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10. treue Seele = treuer Mensch. Seit dem 19. Jh.
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11. sich die Seele aus dem Leib ärgern = sich sehr ärgern. 1900 ff.
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12. die Seele aufladen = sich seelisch erholen. Übernommen vom Aufladen eines Akkumulators. 1950 ff.
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13. jm die Seele ausbügeln = jds Gemüt wieder in die richtige Verfassung bringen; jn psychologisch, psychotherapeutisch behandeln. 1920 ff.
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13 a. die Seele auskotzen = sich heftig erbrechen. Vgl Seele 27. 1920 ff.
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14. jm die Seele ausquetschen = den Gegner beim Kartenspiel zum Stechen reizen, bis er keinen Trumpf mehr hat. 1900 ff.
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14 a. die Seele baumeln lassen (mit der Seele baumeln) = sich seiner Stimmung überlassen; Natur und Freiheit genießen. 1931 Kurt Tucholsky (»Schloß Gripsholm«). Wiederaufgelebt um 1980 in Reiseprospekten.
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15. jm etw auf die Seele binden = jm etw dringlich anbefehlen, einschärfen, anmahnen. Verpflichtung
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und Anmahnung erscheinen vielfach unter dem Bilde einer Bürde, die dem Menschen aufgeladen wird. Seit dem 17. Jh.
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16. sich die Seele aus dem Leib fahren = angestrengt, ausdauernd, schnell fahren. 1930 ff.
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17. es fällt mir heiß (schwer) auf die Seele = ich erinnere mich plötzlich an eine Unterlassung. Spätestens seit 1900.
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18. jm die Seele aus dem Leibe fragen = jn gründlich ausfragen. 1910 ff.
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19. sich die Seele freihusten = sich aussprechen. 1935 ff.
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20. die Seele in den Himmel freischießen = am Grab Salven abfeuern. Freischießen = jm durch Schießen den Weg freimachen. Sold 1939 ff.
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21. seiner Seele einen Stoß geben = sich zu einer Tat ermannen; Geld widerstrebend hergeben. 1600 ff.
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22. ihm geht die Seele mit Grundeis = er hat Angst. Verfeinerte Variante zu »ihm geht der Arsch mit Grundeis«. 1950 ff.
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23. nun (dann) hat die liebe (arme) Seele Ruhe = nun (dann) ist er endlich befriedigt; nun (dann) fällt er uns nicht länger lästig. Scherzhaft übernommen von der
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christlichen Fegefeuervorstellung: die armen Seelen im Fegefeuer finden erst Ruhe, wenn sie durch Fürbitte oder Gnade erlöst werden. Seit dem 19. Jh.
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24. jm die Seele kneten = jm ins Gewissen reden. Beruht auf der Vorstellung von Massage oder Teigkneten. 1870 ff.
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25. jm etw aus der Seele kneten = jm ein Geheimnis oder Geständnis entlocken. 1870 ff.
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26. jm auf der Seele knien = jm heftig zusetzen; jn bedrängen. beknien. 1910 ff.
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27. sich die Seele aus dem Leib kotzen = heftig sich erbrechen. Vgl Seele 13 a. 1920 ff.
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28. sich die Seele aus dem Leib kreischen = langanhaltend rufen, schreien. 1920 ff.
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29. jds Seele massieren = auf jn hartnäckig einreden; jn beschwatzen. Seele 24; Seelenmassage 1. 1910 ff.
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30. es massiert die Seele = es berührt seelisch sehr stark. 1910 ff.
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31. einen auf die Seele nehmen = ein Glas Alkohol trinken. 1900 ff.
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32. jm auf die Seele pinkeln = jn rügen; moralisierend auf jn einreden. Gewissen 9; anpinkeln 3.
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1910 ff.
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33. sich die Seele aus dem Leib reden (schwätzen o. ä.) = eindringlich, bis zur Erschöpfung auf jn einreden. Seit dem 19. Jh.
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34. sich etw aus der Seele reißen = widerstrebend etw hergeben. 1930 ff.
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35. sich die Seele aus dem Leib rennen = sich abhetzen. Seit dem 19. Jh.
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36. jm auf der Seele rumgeigen = jm auf die Nerven fallen. Geigenspiel (in hohen Tonlagen) kann Schmerzempfindung bewirken. Sold 1940 ff.
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37. jm in der Seele rummanschen = jm ernstlich ins Gewissen reden. manschen. Jug 1955 ff.
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38. sich die Seele aus dem Leib (Hals) schreien = laut schreien; mehr laut als musikalisch singen. 1900 ff.
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39. sich die Seele aus dem Leib schuften (schaffen) = angestrengt, bis zur Erschöpfung arbeiten. schuften. Seit dem 19. Jh.
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40. sich die Seele aus dem Leib schwitzen =sich abmühen; mühsam bergauf steigen. Seit dem 19. Jh.
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41. die Seele sehen wollen = ein volles Geständnis zu erzwingen suchen. Die Seele wird hier als ein Gegenständliches aufgefaßt. Sold in beiden Weltkriegen.
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42. sich die Seele aus dem Leib spielen = sich in einer Bühnenrolle stark verausgaben. Theaterspr. 1920 ff.
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43. jm die Seele streicheln = jn trösten, in gefühlvolle Stimmung versetzen. 1950 ff.
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44. die einsame Seele streicheln = traurige Lieder singen o. ä. 1950 ff.
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45. die Seele trimmen = sich ermannen; neuen Mut fassen. trimmen. 1940 ff.
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46. jm die Seele umkrempeln = jn einem Test unterziehen. 1930 ff.
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47. jds Seele zerfasern = jn psychoanalytisch behandeln. 1920 ff.
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