Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Nerv
Nerv m \
1. Geschlechtslust. Seit dem 19. Jh.
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2. flatternde Nerven = hochgradige Nervosität. Übertragen vom »flatternden« Puls. 1930 ff.
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3. knitterfreie Nerven = seelische Unerschütterlichkeit. »Knitterfrei« stammt aus der Sprache der Textilhersteller. 1950 ff.
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4. poröse Nerven = schwache Nerven. Porös = durchlässig; nicht widerstandsfähig. 1950 ff.
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5. schicke Nerven = gespieltes Unwohlsein, um Rücksichtnahme auf sich zu erwirken (um einen Grund zu einer Badereise zu schaffen). Schick = elegant, kostspielig, eindrucksvoll. 1955 ff.
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6. zerfetzte Nerven = hochgradige Nervosität. 1930 ff.
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7. zerfranste (zerrupfte) Nerven = hochgradige Nervenschwäche. 1930 ff.
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8. seine Nerven wieder abtöten = sich wieder beruhigen. 1950 ff.
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9. die Nerven abwetzen = die Nerven abnutzen. wetzen. 1945 ff.
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10. die Nerven sind angekratzt = nervlich ist man nicht mehr sehr widerstandsfähig. 1950 ff.
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11. das sägt meine Nerven an = das schadet meinen Nerven sehr. Vgl Nervensäge. 1950 ff.
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12. die Nerven aufladen = die Nerven stärken. Übertragen vom Akkumulator. 1920 ff.
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13. die Nerven ausrasten lassen = die Nerven zur Ruhe kommen lassen. 1950 ff.
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14. auf einem Nerv bohren = auf etw Unangenehmes anspielen. Vom Zahnarzt hergenommen. 1900 ff.
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15. jm die Nerven auf Zwirnsrollen drehen = jn hochgradig nervös machen. 1950 ff.
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15 a. die Nerven drehen durch = man verliert die Beherrschung. 1950 ff.
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16. mit den Nerven durcheinandersein = nervengestört sein. 1920 ff.
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17. ihm gehen die Nerven durch (die Nerven gehen ihm durch) = er verliert die Beherrschung. Herzuleiten von durchgehenden Pferden. 1900 ff.
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18. mit den Nerven fertigsein = nervlich sehr abgespannt sein. 1900 ff.
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19. das fetzt an den Nerven = das setzt der Nerven-
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kraft erheblich zu. Fetzen = zerren. 1930 ff.
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20. nicht den Nerv finden = nicht die Kraft aufbringen; sich nicht aufraffen, ermannen. »Nerv« meint hier etwa soviel wie »das Mark in den Knochen«. Sportl 1930 ff.
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21. die Nerven flattern = man ist überaus nervös. Nerv 2. 1930 ff.
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22. jm auf den Nerv fühlen = jds Gesinnung zu prüfen suchen; jn näher kennenlernen wollen. Vom Zahnarzt hergenommen; vgl »jm auf den Zahn fühlen«. 1930 ff.
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23. es geht an den Nerv = es raubt einem fast die Fassung. Nerv = Innerstes; Empfindlichstes. 1920 ff.
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23 a. jm auf den Nerv gehen = jn nervös machen. 1929 ff.
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24. einen Nerv haben = a) alles gleichmütig hinnehmen. Hinter »einen« ergänze »kräftigen«. Seit dem 19. Jh. – b) wunderliche Vorstellungen haben. Vielleicht übertragen vom Geschmacksnerv. 1900 ff. – c) naivunverfroren sein; für etw kein Empfinden haben. Sold in beiden Weltkriegen.
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25. den Nerv haben = den Mut zu etw haben; sich etw zutrauen; sich etw anmaßen. Nerv = Kraft, Energie. 1900 ff. Vgl engl »to have a nerve«.
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26. der hat Nerven! = der beharrt unerschütterlich auf seinem Irrtum! er täuscht sich sehr, will es aber nicht wahrhaben! 1930 ff.
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27. für etw einen Nerv haben = Sinn für etw haben. 1900 ff.
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28. einen besseren Nerv haben = jm an Wahrnehmungssinn und Ahnungsvermögen überlegen sein. 1920 ff.
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28 a. eiskalte Nerven haben = Angst nicht kennen; vor Gefahren nicht zurückschrecken. 1960 ff.
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29. einen frechen Nerv haben = frech, dreist auftreten. 1930 ff.
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30. gußeiserne Nerven haben = nervlich viel aushalten können. 1920 ff.
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31. den richtigen Nerv haben = das richtige Verfahren wählen; Sinn für die erfolgssichere Handlungsweise haben. 1930 ff.
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32. für etw einen sauberen Nerv haben = etw zutreffend erahnen. Sold 1939 ff.
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33. einen sonnigen Nerv haben – a) wunderliche Einfälle haben. sonnig. 1920 ff. – b) viel Geduld aufbringen; sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. 1920 ff.
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34. Nerven wie Bandnudeln (breite Nudeln) haben = widerstandsfähige Nerven haben. Man ist grobnervig statt feinnervig. 1940 ff.
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35. Nerven haben wie Batzenstricke = nervenstark sein. Batzenstrick = Strick, der einen Batzen (= 4 Kreuzer) kostet. 1900 ff.
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36. Nerven haben wie Draht (aus Draht) = kräftige Nerven haben. 1930 ff.
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37. Nerven haben wie Drahtseile = widerstandsfähige Nerven haben. 1920 ff.
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38. Nerven haben wie Kälberstricke = starke Nerven haben. Der Strick muß so kräftig sein, daß das ungebärdige Kalb ihn nicht zerreißen kann. Bayr 1920 ff.
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39. Nerven haben wie Nylonseile = seelisch viel aushalten können. 1950 ff.
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40. Nerven haben wie Saurier = stärksten seelischen Belastungen gewachsen sein. 1940 ff.
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41. Nerven haben wie Schiffsseile (Schiffstaue) = sehr starke Nerven haben. 1850 ff.
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42. Nerven haben wie (aus) Stacheldraht = keine Anlage zu Nervosität haben. 1930 ff.
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43. Nerven haben wie (aus, von) Stahl = nervlich wi-
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derstandsfähig sein. 1800 ff.
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44. Nerven haben wie Stahlseile (Stahltrossen) = in seelischer Hinsicht unerschütterlich sein. 1910 ff.
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45. Nerven haben wie Stricke = nicht schnell die Fassung verlieren. 1920 ff.
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46. Nerven haben wie T-Träger = unerschütterliche Nerven haben. 1950 ff.
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47. Nerven haben wie Überseekabel = gegenüber schweren seelischen Belastungen die Ruhe bewahren. 1950 ff.
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48. ihm ist ein Nerv gerissen = er hat die Beherrschung verloren. Der Nerv ist hier der » Geduldsfaden«. 1920 ff.
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49. mit den Nerven hinübersein = dem Nervenzusammenbruch nahe sein. rübersein. 1910 ff.
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50. seine Nerven kaputtmachen = sich ein Nervenleiden zuziehen. 1920 ff.
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51. jm die Nerven klauen = jm die Fassung rauben. 1930 ff.
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52. ihm haben sie wohl einen Nerv geklaut?: Frage angesichts eines, der unsinnige Behauptungen aufstellt. 1900 ff.
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53. jm am Nerv knabbern = jn durch anhaltendes Geschwätz nervös machen; jn um seine Beherrschung bringen. 1910 ff.
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54. auf den Nerv kommen = a) auf das eigentliche Anliegen zu sprechen kommen; eine peinliche Sache zur Sprache bringen. Der Zahnarztpraxis entlehnt. 1920 ff. – b) dem Gegner alle möglicherweise gefährlichen Karten abfordern. 1920 ff.
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55. es kostet den letzten Nerv = es erfordert äußerste Beherrschung, hohe Konzentration. 1930 ff.
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56. Nerven kriegen = nervös werden. Gemeint sind »schwache Nerven«. 1930 ff.
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57. sechzig Nerven kriegen = einen Nervenschock bekommen. Wortwitzelei; ein Schock = 60 Stück. Spätestens seit 1900.
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58. mit den Nerven parterre sein = mit den Nerven erschöpft sein. parterre sein. 1950 ff.
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59. jm den Nerv rauben = jn nervös machen. 1930 ff.
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60. jm den letzten (allerletzten) Nerv rauben = jn fassungslos machen; jn mit Geschwätz, Dümmlichkeit o.ä. um die Beherrschung bringen. 1930 ff.
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61. auf jds Nerven rumklavieren = jds Geduld hart auf die Probe stellen. 1920 ff.
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62. jm auf den Nerven rumreiten = jn durch ständige Behelligung nervös machen. 1920 ff.
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63. jm auf den Nerven rumtrampeln = jds Geduld und Gutmütigkeit überbeanspruchen. 1900 ff.
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64. jm auf den Nerven rumtreten = jds Beherrschung auf eine harte Probe stellen. 1900 ff.
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65. mit den Nerven runtersein = nervlich erschöpft sein. runtersein. 1900 ff.
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66. die Nerven neu schärfen = eine Erholungsreise unternehmen; sich einer Kur unterziehen. Beruht auf dem Vergleich mit dem abgenutzten Messer, das man wieder schärft. 1850 ff.
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67. jm an den Nerven sägen = jds Fassung ernstlich zusetzen; jn immer von neuem bedrängen. Nervensäge. 1910 ff.
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68. das ist sein Nerv = das ist sein Hauptinteressengebiet. Wer diesen Nerv berührt, findet sofort hellste Aufmerksamkeit. 1920 ff.
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69. meine Nerven sind total zu Fuß (mit den Nerven bin ich total zu Fuß) = ich bin nervlich völlig entkräftet. Analog zu Nerv 65. 1940 ff.
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70. jm auf den Nerven sitzen = jn nervös machen. Spätestens seit 1900.
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71. jm den Nerv stehlen = jm die Initiative, den Mut oder die Angriffslust nehmen. Sold und sportl 1930 ff.
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71 a. die Nerven streiken = man verliert die Beherrschung. 1970 ff.
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72. auf jds Nerven tanzen = jn zur Wut (Wollust) reizen. 1900 ff.
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73. jm an den Nerv tippen = ein unliebsames Gesprächsthema berühren; einen für den Gesprächspartner peinlichen Vorgang erwähnen.1920 ff.
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74. jm den Nerv (den letzten Nerv) töten = a) jn aus der Fassung bringen; jn immerfort belästigen. 1910 ff. – b) jn weit überflügeln; jds Leistungsvermögen übertreffen. 1920/30 ff.
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75. das tötet mir den Nerv = das erschöpft mich nervlich. 1910 ff.
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76. jds Nerv treffen (bei jm den richtigen Nerv treffen) = jds Geschmack treffen; treffsicher reden; auf jds Hauptinteressengebiet zu sprechen kommen. Kann sich von der zahnärztlichen Praxis herleiten oder auch vom » Musikantenknochen«. 1920 ff.
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77. jm die Nerven zerfetzen = jm solange zusetzen, bis er die Geduld verliert. 1930 ff.
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78. jds Nerven zerknautschen = jm schwer zusetzen; jn zur Verzweiflung treiben. 1930 ff.
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79. jm die Nerven zersägen = jn zur Wut aufreizen. Vgl . Nervensäge. 1930 ff.
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80. jm den Nerv ziehen = a) jds unlautere Handlungsweise unterbinden. Aus der Neurologenpraxis entlehnt. 1920 ff. – b) jds Kampfeseifer dämpfen. Sportl 1930 ff.
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81. jm den letzten Nerv ziehen = jm die Geduld rauben. 1900 ff.
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82. jm an den Nerven zurren = jds Beherrschung viel abverlangen. Zurren = zerren, zuschnüren. 1920 ff.
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