Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Maul
Maul n \
1. Mund; grobe, derbe Sprechweise. Vom Tier auf den Menschen übertragen mit dem Nebensinn des Ungesitteten. Seit dem 15. Jh.
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2. Kuß. Seit dem 19. Jh.
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3. böses Maul = gehässig über andere redender Mensch. 1500 ff.
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4. freches Maul = frecher Mensch. Seit dem 19. Jh.
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5. gottloses Maul = unflätige Ausdrucksweise. »Gottlos« hat hier die Bedeutung von »unehrerbietig«. Seit dem 19. Jh.
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6. koddriges Maul = freche Sprechweise. koddrig. Seit dem 19. Jh.
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7. loses Maul = unflätige, ungesittete Ausdrucksweise. los I. 1600 ff.
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8. ungewaschenes Maul = Lästerer. Eigentlich ein Mund, aus dem nur schmutzige Worte kommen. Seit mhd Zeit.
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9. sich das Maul abwischen können = verzichten müssen; bei einer Verteilung leer ausgehen. Der Betreffende wischt sich den Mund ab, wie man es nach einer Mahlzeit tut; aber zu essen hat er nichts bekom-
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men. Seit dem 19. Jh.
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10. jm ein Maul anhängen = jn schmähen; sich über jn abfällig äußern. Man redet grob hinter dem Weggehenden her, als hefte man ihm einen Schandzettel an den Rücken. 1800 ff.
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11. mit dem Maul arbeiten = schwatzen (statt zu arbeiten). 1900 ff.
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12. jm das Maul aufknöpfen = jn zum Reden bringen; von jm ein Geständnis erwirken. Zugeknöpft = mundfaul, wortkarg. 1850 ff.
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13. das Maul aufmachen = seine Meinung äußern; sich zum Reden anschicken. 1800 ff.
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14. das Maul aufreißen = kräftig, derb reden; zornig sprechen; prahlen. Anspielung auf den weit geöffneten Rachen wilder Tiere. 1500 ff.
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15. das Maul gewaltig aufreißen = großsprecherisch sein. Seit dem 19. Jh.
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16. das Maul zu weit aufreißen (auftun) = zu offen reden; zuviel versprechen; übermäßig prahlen. Seit dem 17. Jh.
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17. den Leuten das Maul aufreißen = den Leuten Anlaß zum Gerede geben. Seit dem 19. Jh.
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18. die Mäuler aufreißen = verwundert, bestürzt über etw sich unterhalten. Seit dem 19. Jh.
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19. das Maul aufsperren = über etw (jn) voller Erregung, Ärger oder Schadenfreude sprechen. Seit dem 19. Jh.
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20. Maul und Nase aufsperren. Nase.
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21. der Stiefel sperrt (reißt) das Maul auf = das Oberleder hat sich vorn von der Sohle gelöst. 1840 ff.
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22. das Maul dreschen = viel, lügnerisch reden.1900 ff.
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23. jn mit dem Maul erschlagen = jn verleumden, verunglimpfen. 1920 ff.
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24. jm übers Maul fahren = jm heftig widersprechen; jn wegen einer Äußerung scharf zurechtweisen. Meint eigentlich einen Schlag auf den Mund. 1500 ff.
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25. ihm fehlt ein halbes Maul = er soll schweigen. Gemeint ist, daß der Betreffende den Mund nicht schließen kann, weil ihm die Ober- oder Unterlippe fehlt. Schül 1950 ff.
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26. das Maul fließen lassen = über etw unbedacht sprechen. 1900 ff.
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27. nicht mit etw im Maul geboren sein = sich etw selbst erarbeitet haben. Andere haben es einfacher; sie
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werden mit »silbernem (goldenem) Löffel« geboren. 1900 ff.
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28. nicht aufs Maul gefallen sein = schlagfertig sein; um eine Antwort nicht verlegen sein. Der Betreffende hat beim Sturz Glück gehabt und ist beim Sprechen nicht behindert. Seit dem 19. Jh.
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29. jm ums Maul gehen = jm zu Gefallen reden; jm schmeicheln. Übertragen von der Gebärde des Streichelns, indem man jm mit der Hand um Kinn oder Bart fährt. Seit dem 18. Jh.
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30. das Maul gehen lassen = unbedacht reden; unvorsichtige Äußerungen tun. Man erlegt dem Mund keine Beschränkung auf, wie man etwa dem Pferd die Zügel locker läßt. 1900 ff.
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31. wie aufs Maul geschlagen (gehauen) sein = keines Wortes mächtig sein. Maul 24. 1900 ff.
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32. ein Maul (ein Maul am Kopf) haben = viel, unflätig, zornig reden können. Seit dem 19. Jh.
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33. hast du kein Maul am Kopf? = kannst du nicht reden? Seit dem 19. Jh.
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34. ein böses Maul haben = gern lästern. 1500 ff.
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35. ein freches Maul haben = frech, unverschämt, unehrerbietig reden. Seit dem 19. Jh.
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36. ein großes Maul haben (führen) = viel reden können; sich aufspielen. Seit dem 15. Jh.
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37. ein loses (lockeres) Maul haben = rücksichtslos sich äußern. los I. 1600 ff.
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38. über alles ein Maul haben = über alles seine Meinung äußern. 1800 ff.
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39. das Maul auf dem rechten Fleck (an der richtigen Stelle) haben = schlagfertig sein. Übernommen von der schriftsprachlichen Redensart »das Herz auf dem rechten Fleck haben« im Sinne von »naturlich und vernünftig handeln«. 1850 ff.
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40. das Maul halten = schweigen; verstummen; verschwiegen sein. Seit dem 15. Jh.
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41. halt's Maul und sing' die Wacht am Rhein! = verhalte dich ruhig! halte keine aufrührerischen Reden! Soll auf die Aufforderung an einen Sozialdemokraten zurückgehen, das Singen der Marseillaise zu unterlassen. Etwa seit 1870/80.
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42. halt' dein dreckiges Maul! = verschone mich mit deinen unflätigen (frechen) Reden! 1900 ff.
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43. sich das Maul sauberhalten = in etw nicht hineinreden; keine unvorsichtigen (unbedachten) Äußerungen von sich geben. Seit dem 19. Jh.
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44. das Maul in alles hängen = sich in alles ungefragt einmischen. Übertragen vom Topfgucker, der sich tief über jeden Topf beugt, um zu schnuppern. Seit dem 19. Jh.
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45. das Maul hängenlassen = verdrießlich sein; schmollen; trotzen; ratlos sein. Anspielung auf die Hängelippe. 1500 ff.
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46. ich haue dir aufs Maul, daß dir die Zähne bataillonsweise (o. ä.) zum Maul (Arsch) rauskommen!: Drohrede. 1900 ff.
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47. ich haue dir aufs Maul, daß dir die rote Brühe zum Hals rausspritzt!: Drohrede. Rote Brühe = Blut. 1900 ff.
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48. ich haue dir aufs Maul, daß dir die Zähne im Hals steckenbleiben!: Drohrede. 1900 ff.
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49. dir juckt wohl das Maul?: Drohfrage. Gemeint ist die Frage an einen lästerlich Redenden: »Du willst wohl auf den Mund geschlagen werden?« jucken. 1920 ff.
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50. in der Leute Maul kommen = Gegenstand der Unterhaltung der anderen werden; von den Leuten insgeheim gehässig kritisiert werden. 1700 ff.
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51. das Maul nicht voll genug kriegen können = ein
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Vielesser sein. Seit dem 19. Jh.
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52. jm ins Maul laufen = jm unerwartet begegnen. Seit dem 19. Jh.
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53. er hat sein Maul daheim in der Schublade liegen lassen = er ist wortkarg, schweigt in angeregter Unterhaltung. 1900 ff.
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54. ein Maul machen = verärgert oder beleidigt dreinschauen. Seit dem 19. Jh.
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55. ein schiefes Maul machen (ziehen) = mürrisch, verdrießlich blicken. Seit dem 19. Jh.
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56. jm das Maul machen = jm etw vorspiegeln. Man macht ein freundliches, harmloses Gesicht und verhehlt die Heimtücke. Seit dem 19. Jh.
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57. jm das Maul lang machen = jn begierig machen; in jm Gelüste wecken. Der einen Genuß Erwartende senkt den Unterkiefer. 1800 ff.
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58. jm das Maul wässerig machen = jm eine verlockende Aussicht eröffnen; jn begierig machen. Der Duft einer verlockenden Speise weckt Appetit und bewirkt Speichelabsonderung aus der Speicheldrüse. Seit dem 17. Jh. Vgl franz »faire venir à quelqu'un l'eau à la bouche« und engl »to make a person's mouth water«.
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59. um etw mit Maul und Klauen raufen = um etw heftig streiten. Aus der Tierwelt übernommen. 1900 ff.
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60. jn aus dem Maul rauslassen = über jn nicht sprechen. 1900 ff.
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61. sich das Maul dämlich reden = ausdauernd oder vergeblich auf jn einreden. dämlich 1. 1900 ff.
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62. sich das Maul fransig (franselig; in Fransen) reden = viel reden; eindringlich, aber vergeblich reden. Fransen 6. Seit dem 19. Jh.
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63. sich das Maul fusselig reden = ausdauernd auf jn einreden. fusselig 3. 1830 ff.
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63 a. sein Maul in etw reinhängen = sich in ein Gespräch einmischen. Maul 44. Seit dem 19. Jh.
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64. das Maul reißen = prahlen. Maul 14. Seit dem 19. Jh.
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65. jm aufs Maul scheißen = jn zum Schweigen bringen. Wohl als Drohrede gemeint. 1955 ff, Berlin.
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66. hat dir einer ins Maul geschissen?: Frage an einen wortkargen Menschen. 1900 ff, bayr .
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67. jm etw ins Maul schmieren = jm eine wünschenswerte Meinung eingeben. Hergenommen von einem Kind oder einem Kranken, dem man das Essen in den
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Mund schiebt. 1840 ff.
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68. jm das Maul schmieren = jm schmeicheln; jn betrügerisch beschwatzen. Vgl Maul 29. 1500 ff.
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69. jm etw ums Maul schmieren = jm etw deutlich zu erkennen geben. Analog zu »jm etw unter die Nase reiben«. Seit dem 19. Jh.
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70. sich das Maul schmieren lassen = sich umschmeicheln lassen. Vgl Maul 29. 1800 ff.
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71. aus 'einem Maul schwatzen = übereinstimmen. Seit dem 19. Jh.
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72. jm aufs Maul sehen (gucken, schauen) = a) jds Redeweise beobachten. 1500 ff. – b) darauf achten, wie einer (die Allgemeinheit) politische Neuerungen, wichtige Vorgänge o. ä. aufnimmt. 1950 ff.
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73. das ist ihm nach dem Maul = das sagt ihm zu; das ist ganz nach seinem Geschmack. Bezieht sich eigentlich auf die zusagende Speise. Seit dem 19. Jh.
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74. mit dem Maul gut zu Fuß sein = schlagfertig sein; frei zu reden wissen; viel reden. »Gut zu Fuß sein = ohne Beschwerden (unermüdlich, rastlos) gehen können«; Vgl » Mundwerk«. Seit dem 19. Jh.
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75. auf dem Maul sitzen = wortkarg sein; kein Wort äußern. 1920 ff.
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76. sein Maul spazierenführen (spazierengehen lassen) = unbedacht reden, wie es einem gerade in den Sinn kommt. Seit dem 19. Jh.
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77. jm das Maul stopfen = a) jn zum Schweigen bringen; jn zurechtweisen; jm die Lust zur Widerrede nehmen. Hergenommen vom Knebel, den man einem in den Mund steckt. Seit dem 15./16. Jh. Vgl franz »clouer le bec à quelqu'un«. – b) jn bestechen; jds Verschwiegenheit durch Bestechung erkaufen. Seit dem 19. Jh.
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78. dem Radio das Maul stopfen = das Rundfunkgerät ausschalten. 1933 ff.
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79. jm etw ums Maul streichen = jm etw deutlich machen. Maul 69. Seit dem 19. Jh.
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80. wenn er stirbt, muß man ihm das Maul extra totschlagen: Redewendung auf einen Vielschwätzer. Spätestens seit 1900.
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81. jm das Maul verbieten = jn zum Verstummen auffordern (nötigen). Seit dem 19. Jh.
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82. jm das Maul verbinden = jds Recht der freien Meinungsäußerung beschränken. Fußt auf der Vorstellung vom Maulkorb. Seit dem 19. Jh.
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83. sich das Maul verbrennen (verbrühen) = sich
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durch Äußerungen schaden; unüberlegt sprechen. Hergenommen von heißer Speise, an der man sich den Mund verbrennt. 1500 ff.
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84. ihm ist das Maul vermauert = er ist wortkarg. 1920 ff.
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85. ihm ist das Maul vernäht = vor Überraschung oder Erschrecken ist er sprachlos. 1920 ff.
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86. ein großes Maul verreißen = das große Wort führen; sich aufspielen. Vgl Maul 14 und 64. 1920 ff.
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87. das Maul vollnehmen = zuviel versprechen; prahlen; auf gut Glück schwätzen. Entweder vom Vielesser übertragen oder von einem, der tief einatmet, um mehr und heftiger reden zu können. 1700 ff.
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88. sich das Maul vollstopfen = prahlen. 1900 ff.
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89. mit dem Maul voran sein (das Maul vorneweg haben; mit dem Maul vorneweg sein) = vorlaut sein. 19. Jh.
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90. mit dem Maul wackeln = essen. 1940 ff.
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91. das Maul wetzen = prahlen. wetzen. Seit dem 19. Jh.
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92. jm übers Maul wischen = jm grob entgegnen. Analog zu Maul 24. Seit dem 19. Jh.
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93. sich das Maul wischen können = bei der Verteilung leer ausgehen. Maul 9. Seit dem 19. Jh.
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94. sich über etw (jn) das Maul zerreißen (zerfetzen, zerfransen) = über eine Sache oder Person gröblich lästern. Seit dem 19. Jh.
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95. sich das Maul zerreißen = heftigen Einspruch einlegen; lautstark Klage führen; eine Sache unter allen Umständen zu verhindern suchen. Seit dem 19. Jh.
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96. jn durchs Maul ziehen = über einen Abwesenden gehässig sprechen. Analog zu »jn durch die Zähne ziehen«. Seit dem 19. Jh.
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97. das Maul zumachen = verstummen. Seit dem 19. Jh.
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98. mach das Maul zu, dein Bandwurm erkältet sich = verstumme! schau' nicht so einfältig drein! Diese und die folgenden Redensarten beziehen sich auf den dümmlichen Gesichtsausdruck eines Menschen, der mit offenem Munde staunt, oder auf einen, der mit Geschwätz (vor allem mit unsinnigen Behauptungen) lästig fällt. Die Begründungen, warum der Betreffende den Mund schließen soll, lauten: »dein Bandwurm schielt«; »dein Charakter geht weg«; »dein Darm wird kalt«; »es gibt Durchzug«; »das Herz wird kalt«; »du verkühlst dir das Herz«; »sonst geht die Luft raus«; »sonst wird dir der Magen kalt«; »sonst erkältest du
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dir den Magen«; »deine Milchzähne werden sauer«; »die Mücken stechen in dein Herz«; »die Scheiße wird kalt« (sold ); »die Scheiße wird sauer«; »sonst speib i dir nei (sonst spucke ich dir hinein)«; »sonst nimm i 's als Speibtrügerl her (sonst benutze ich es als Spucknapf)«; »die Spucke wird kalt«; »deine Stimmbänder rosten«; »es zieht«. All diese Redensarten sind zwischen 1914 und 1930 aufgekommen.
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