Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Luft
Luft f \
1. Bierschaum. Er besteht aus Luftbläschen. 1920 ff.
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2. Hunger. Der Magen hat Luft, d.h. Platz. Sold seit dem späten 19. Jh.
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3. Luft im Preis = Handelsspanne; Ermessensspielraum bei der Preisgestaltung. 1955 ff.
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4. eine Luft zum Zerschneiden = verbrauchte, von Tabakrauch u.a. erfüllte Zimmerluft. Luft 85, 86 und 102. 1900 ff.
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4 a. blaue Luft = vom Rauchen geschwängerte Zimmerluft. Seit dem 19. Jh.
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5. bleihaltige Luft = Umherfliegen von Geschossen, Granatsplittern usw. Von den Bleikugeln hergeleitet. Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg.
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6. dicke Luft = a) Unfrieden; Verärgerung; ungemütliche Stimmung; gefahrvolle Lage; drohende Gefahr. 1870/71 bei den Soldaten aufgekommen im Zusammenhang mit heftigen Kampfhandlungen, bei denen die Luft erfüllt war von Explosionsgasen, aufgewirbeltem Schmutz usw. – b) gefährliche Bedrängung des Fußballtors. Sportl 1920 ff. – c) verpestete Luft; Luftverunreinigung; verbrauchte Zimmerluft. Luft 4. 1955 ff.
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7. eisenhaltige Luft = a) Beschuß; gefährlicher Frontabschnitt mit Feindeinsicht. Vom heilkundlichen Begriff ist »eisenhaltig« übertragen auf die eisernen Granatsplitter; vgl Luft 5. Sold in beiden Weltkriegen. – b) Gestank. Luft 6 a. Sold 1939 ff.
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8. frische Luft aus der Tüte = chemische Mittel zur Erzielung von Sonnenbräune. 1920 ff.
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9 a. gesiebte Luft = Freiheitsentzug in einer Haftanstalt; Arrest. Anspielung auf die Fenstervergitterung. 1920 ff.
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9 b. heiße (warme) Luft = Substanzloses. Aus der Physik: mit zunehmender Erwärmung verliert die Luft an spezifischem Gewicht, steigt auf und verflüchtigt sich rasch in kühlerer Umgebungs-Atmosphäre. Vgl auch Luft 69 a. 1965 ff.
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10. kalte Luft = Geschwätz. Luft = Atem. »Kalt« meint über »gefühlskalt« soviel wie »uninteressiert, uninteressant«. Sold 1939 ff.
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11. ungesiebte Luft = Lebensbedingungen außerhalb des Gefängnisgeländes. Vgl Luft 9 a. 1920 ff.
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12. Luft abblasen = Gestohlenes verkaufen und den Erlös rasch verleben. Leitet sich her entweder von der Dampflokomotive, die bei Überdruck Dampf abläßt, oder vom entweichenden Darmwind: die Diebesbeute
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»stinkt« (sie zu behalten, kann gefährlich werden), und man tut besser daran, sie möglichst rasch abzustoßen. 1950 ff.
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13. jm die Luft abdrehen = jds Handlungsfreiheit (Lebensmöglichkeit o. ä.) stark beschränken; jn geschäftlich erledigen. Fußt auf der Vorstellung des Würgens und Erwürgens. 1930 ff.
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14. dem Radio die Luft abdrehen = das Rundfunkgerät abschalten. 1925/30 ff.
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15. jm die Luft abdrücken = jds wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit lähmen. Luft 13. 1930 ff.
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16. Luft ablassen = a) ausatmen. 1920 ff. – b) sich aussprechen; seinem Zorn freien Lauf lassen; ein Geständnis ablegen. Aus der Technik übertragen: man öffnet ein Ventil. 1950 ff. – c) sich beruhigen; nicht länger übertreiben. Übernommen vom Überdruck der Dampfmaschine o.ä. 1950 ff. – d) die Preise senken. 1955 ff.
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17. jm die Luft ablassen = jn erpressen. 1950 ff.
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18. jm die Luft abstellen = jn würgen, erwürgen; Drohrede. Man will die Luftzufuhr drosseln. 1930 ff.
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19. die Luft anhalten = verstummen. Luft = Atemluft. 1850 ff.
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20. gesiebte Luft atmen (schnappen) = eine Freiheitsstrafe verbüßen. Luft 9 a. 1920 ff.
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21. wieder ungesiebte Luft atmen (schnuppern) = aus der Haftanstalt entlassen sein. Luft 11. 1920 ff.
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22. sich in = auflösen = spurlos verschwinden; davongehen (meist in der Befehlsform); nicht wiederzufinden sein. Wasserdampf löst sich in Luft auf; auch von Geistern/Gespenstern wird das berichtet. 1920 ff.
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23. es löst sich in Luft auf = es erweist sich als völlig unbegründet, als leere Vermutung. 1920 ff.
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24. ihm geht die Luft aus = a) er ist sprachlos. 1880 ff. – b) er läßt im Leistungsvermögen nach; er verliert den Mut. Aus dem Sportleben übernommen. 1920 ff.
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25. ihm ist die Luft ausgegangen = a) er hat kein Geld mehr; er ist zahlungsunfähig; er meldet Konkurs an. Luft als Lebensodem ist durch Geld ersetzt. Es ist jedoch auch Herleitung vom Auto möglich: nichts »läuft« mehr, wenn die Luft aus den Reifen ist. 1920 ff. – b) er ist zeugungsunfähig geworden. 1920 ff.
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26. die Luft auslassen (rauslassen) = das Glas füllen, nachfüllen. Scherzhafter Hehlausdruck. 1920 ff.
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27. den Körper der Luft und der Liebe aussetzen = sonnenbaden. 1955 ff, jug .
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27 a. jn an die (frische) Luft befördern = jn aus dem Haus weisen. Seit dem 19. Jh.
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28. jn wie Luft behandeln (als Luft betrachten) = jn absichtlich nicht beachten. Seit dem 19. Jh.
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29. etw in die Luft blasen = etw sprengen. Man erzeugt Luftdruck. Sold 1939 ff. Vgl engl »to blow up = hochblasen«.
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30. die Luft aus den Gläsern blasen = zechen. 1920 ff.
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31. mir bleibt die Luft weg (fort) = ich bin sehr erstaunt, bin sprachlos. Von Atembeschwerden übertragen. 1870 ff.
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32. es gibt Luft = a) ein überfüllter Raum leert sich. Luft = Bewegungsfreiheit. Seit dem 19. Jh. – b) es schafft Erleichterung. Übertragen von hartnäckigen Blähungen. Seitdem 19. Jh.
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33. in die Luft gehen = a) aus der Haftanstalt entlassen werden. Man gewinnt »Luft = Bewegungsfreiheit« (vgl Luft 83). Rotw 1862 ff. – b) zornig werden; aufbrausen. Analog zu hochgehen. 1840 ff. – c) mit dem Flugzeug (Ballon) aufsteigen; eine Flugreise unternehmen. 1950 ff. – d) ein Hochhaus bauen. 1950 ff. – e) ein Hochhaus beziehen; in einem Hoch-
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haus wohnen oder arbeiten. 1950 ff.
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34. ihm geht die Luft aus der Brieftasche = er gibt sein Geld aus. Die Börse wird immer dünner, wie ein Ballon, dem langsam die Luft entweicht. 1950 ff.
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35. die Luft wird gesiebt = man verbüßt eine Freiheitsstrafe. Luft 9 a. 1920 ff.
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36. etw aus der Luft greifen (schnappen) = etw erdichten, erlügen. Zauberkünstler erwecken den Eindruck, als könnten sie Gegenstände aus der Luft greifen. 1600 ff.
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37. Luft haben = a) nicht mit Arbeit überhäuft sein. Luft = Bewegungsfreiheit. Seit dem 19. Jh. – b) Darmwinde entweichen lassen. Seit dem 19. Jh.
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38. Luft unter den Flügeln haben = prahlen. Vom Vogel hergenommen, der sich mit dem Aufwind hochtragen läßt. 1920 ff.
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39. keine Luft im Kalender haben = keinen Termin mehr freihaben. Luft = Bewegungsfreiheit = freie Zeit. 1950 ff.
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40. Luft im Kopf (Gehirn) haben = dumm sein. 1910 ff.
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41. Luft im Tank haben = den Heizöltank nicht gefüllt haben. 1960 ff.
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42. Luft im (hohlen) Zahn haben = nicht recht bei Verstand sein. Von heftigen Zahnschmerzen übertragen, die einen zu unsinnigem Handeln verleiten können. 1930 ff.
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43. jn an die Luft hängen = jn barsch hinausweisen. Übernommen von einem Kleidungsstück, das man zum Lüften vors Haus hängt. 1910 ff.
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44. in der Luft hängen = a) im Ungewissen sein; keiner Mithilfe sicher sein; den Zusammenhang mit der Gruppe verloren haben. Modernisiert aus »in der Schwebe sein«. 1920 ff. Vgl eng »to be in the air«. – b) im Flugzeug fliegen. 1935 ff.
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45. sich in die Luft hängen = mit dem Flugzeug aufsteigen. Fliegerspr. 1935 ff.
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46. mit Geld in der Luft hängen = uneinbringliche Außenstände haben. 1920 ff.
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47. jn in der Luft hängen lassen = jn in Ungewißheit lassen. 1920 ff.
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48. ich darf nicht Luft holen = ich muß auf Gewaltanwendung verzichten. Wenn der Kraftmensch tief Luft holt, atmet er den Schwächling mit ein. 1935 ff.
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49. etw in die Luft jagen = a) etw sprengen, in Brand stecken. Wie einen Schwarm Vogel läßt man es auf-
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fliegen. 1914 ff. – b) etw verschwenderisch ausgeben. 1930 ff.
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50. Luft aus dem Tank jagen = Benzin einfüllen. 1960 ff.
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51. Luft kneipen gehen = in die frische Luft gehen. Natur kneipen. 1900 ff.
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52. bei ihm kommt nur noch blaue Luft = er ist nicht mehr zeugungsfähig. Luft (aus dem Ventil) = Sperma. 1920 ff.
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53. bei ihm kommt nur noch heiße Luft = er hat sich geschlechtlich verausgabt. Luft 9 b. 1920 ff.
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54. bei ihr kommt nur noch warme Luft = als (gealterte) Sängerin verfügt sie über keine gute Stimme mehr. Theaterspr. 1920 ff.
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55. Luft lassen = ein Geständnis ablegen. Luft 16. 1950 ff.
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56. Luft aus den Gläsern lassen = die Gläser nachfüllen. Luft 26. 1920 ff.
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57. die Luft aus den Preisen lassen = unvertretbare Preiserhöhungen unterbinden. Luft 16 d. 1955 ff.
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58. Luft in das Glas (die Flasche) lassen = das Glas (die Flasche) leeren. 1950 ff.
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58 a. jm Luft lassen = jm zur Begleichung einer Schuld Zeit lassen. 1950 ff.
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59. Frauen sind für mich Luft, ohne Luft kann ich nicht leben = eine Frau ist für mich lebensnotwendig. »Frauen sind für mich Luft« meint eigentlich »ich habe kein geschlechtliches Interesse an Frauen«; vgl Luft 90. 1960 ff.
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60. von der Luft leben = auf unbekannte Weise sein Leben fristen. 1840 ff.
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61. von der Luft und der Liebe leben = a) keiner geregelten Arbeit nachgehen; bedürfnislos sein. Seit dem 19. Jh. Vgl franz »vivre d'amour et d'eau fraîche«. – b) Stra-ßenprostituierte sein. 1920 ff.
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62. ein Ding in die Luft legen = in der Presse eine unwahre Behauptung verbreiten. 1950 ff.
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63. waagerecht in der Luft liegen = wegeilen. Wohl auf dem Ausspruch eines Rekrutenausbilders beruhend.1939 ff.
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64. es liegt etwas in der Luft = Unangenehmes steht bevor. Vom Gewitter (Regen, Schnee usw.) sagt man, es liege in der Luft. 1800 ff. Vgl engl »something is in the air«.
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65. Luft lutschen = a) ein Sonnenbad nehmen; sich in einem Luftkurort erholen. Lutschen = saugen = ze-
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chen, » kneipen«. 1950 ff, jug . – b) einen Spaziergang ins Freie machen. 1950 ff, Jug .
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66. die Luft aus dem Glas machen = das Glas nachfüllen, nochmals füllen. Luft 26. 1920 ff.
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67. Luft machen = den unordentlichen Arbeitsplatz aufräumen; Ordnung schaffen; Reste aufarbeiten. Luft = Bewegungsfreiheit. 1900 ff.
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68. jm Luft machen = jn antreiben. Man sorgt für Rückenwind. 1920 ff, sold .
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69. sich Luft machen = seinen Ärger aussprechen; seiner Erregung freien Lauf lassen. Seit dem 19. Jh.
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69 a. heiße Luft machen = fehlschießen. Der Schuß erhitzt lediglich die Luft. Jägerspr. 1920(?)ff.
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70. einen Sack voll Luft in die Lungen nehmen = tief einatmen. Jug 1950 ff.
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71. Luft pumpen = beim Tanzen den Arm, der nicht um die Taille der Tänzerin liegt, lebhaft auf- und abbewegen. Die Bewegung erinnert an die Betätigung eines Pumpenschwengels. 1920 ff.
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72. Luft in die Flasche pumpen = eine Flasche leertrinken. 1920 ff.
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73. etw in die Luft pusten = a) ein Bauwerk sprengen. Luft 29. Sold 1939 ff. – b) etw mit Leichtigkeit
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bewerkstelligen. Mit dem Mund macht man »pöh« oder »püh«, als blase man sich nur Staub vom Ärmel o.ä. 1950 ff.
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74. die Luft rauslassen = a) neu einschenken. Luft 26. 1920 ff. – b) die Übertreibung dämpfen; sich mäßigen, beruhigen. Man hat tief Luft geholt, um sich ungehemmt aussprechen zu können, und läßt die Luft nun doch wortlos entweichen. 1950 ff. – c) ausgelassen feiern; ausschweifend leben. »Luft« kann sowohl die Atemluft als auch das Sperma meinen ( Luft 25 b), ebenso die Luft in leeren Gläsern. 1920 ff.
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75. kalte Luft rauslassen = Unsinn oder Belanglosigkeiten vorbringen; langweilig reden. Luft 10. Sold 1939 ff.
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76. die Luft ist raus = a) der Hauptandrang ist überstanden. 1950 ff. b) die Angriffskraft, das Erfolgsstreben ist erlahmt. Sportl 1950 ff. – c) die Wirkung ist verpufft; man hat die Lust verloren. 1950 ff.
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77. jm die Luft reinhalten = jm unerwünschten Besuch fernhalten. Luft 88. 1900 ff.
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78. Luft schnappen = frische Luft einatmen; einen Spaziergang machen; Sommerfrischler sein. 1850 ff.
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79. nach Luft schnappen = beinahe die Fassung verlieren. Die Erregung verursacht Atembeschwerden.
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Seit dem 19. Jh.
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80. etw aus der Luft schnappen = etw erlügen. Luft 36. 1600 ff.
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81. gesiebte Luft schnappen = a) Häftling sein. Luft 9 a. 1920 ff. – b) beim Fechten eine Drahthaube tragen. 1920 ff.
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82. bei Luft sein = bei Kräften sein. Sportl 1920 ff.
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83. noch an der Luft sein = noch nicht verhaftet sein. 1920 ff.
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84. die Luft ist voller Alteisen = hier wird heftig geschossen. Luft 7 a. 1939 ff.
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85. die Luft ist zum Schneiden dick = die Zimmerluft ist verbraucht und voller Tabaksqualm. Luft 4. 1900 ff.
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86. hier ist eine Luft, daß man sie schneiden kann = hier herrscht schlechte, verräucherte Luft. 1900 ff.
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87. wie ist die Luft da oben?: Frage an einen Großwüchsigen. 1950 ff.
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88. die Luft ist rein = niemand wird stören; kein unerwünschter Beobachter ist zu erwarten; kein Polizeibeamter (Vorgesetzter) ist zu sehen; Ertapptwerden ist nicht zu befürchten. Gefahrlos kann man ins Freie treten. Seit dem 18. Jh.
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89. hier ist trockene Luft = hier werden keine Getränke verabreicht. 1920 ff.
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90. für jn Luft sein = von jm nicht beachtet werden. 1850 ff.
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91. in der Luft sein = erbost sein. Verkürzt aus »in die Luft gegangen sein«; Luft 33 b. 1840 ff.
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92. jn an die (frische) Luft setzen = jn barsch hinausweisen. Luft = freie Luft vor dem Haus. 1800 ff. Vgl angloamerikan »to give someone the air«.
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93. im Preis steckt noch viel Luft = die Handelsspanne ist übergebührlich groß. Luft 3. 1955 ff.
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94. Luft tanken = frische Luft schöpfen. tanken. 1930 ff.
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95. ihm bleibt die Luft weg = er ist sprachlos. Luft 31. 1870 ff.
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95 a. jm die Luft wegdrehen = jn würgen. Vgl Luft 13. 1930 ff.
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96. die Luft wird dick = Verstimmung kommt auf. Luft 6 a. 1930 ff.
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97. um ihn wird die Luft dünn – enttäuscht wendet man sich von ihm ab. 1950 ff.
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98. jn in der Luft zerfetzen = a) jn lynchen. 1920 ff.- b) jn vernichtend kritisieren; jm Böses zufügen. Seit dem 19. Jh.
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99. etw in der Luft zerpflücken = etw als unwahr aufdecken. Übernommen vom Blättchenzupfen (Liebesorakel). 1950 ff.
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100. etw in der Luft zerreißen = etw nicht anerkennen; etw ausmerzen. Man zerreißt es wie ein Stück Papier. 1955 ff.
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101. jn in der Luft zerreißen = jm Böses zufügen; jn seelisch zutiefst verletzen; jn vernichtend kritisieren. 1850 ff.
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102. hier kann man die Luft mit dem Messer zerschneiden = hier ist die Zimmerluft verbraucht und voller Tabakswolken. Luft 4. 1900 ff.
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