Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Kind
Kind n \
1. Kind aus der Ampulle = aus künstlicher Befruchtung stammendes Kind. 1960 ff.
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2. Kind im Brunnen = Unglück, das nicht rückgängig gemacht werden kann; unaufhaltsame Entwicklung. Teilstück der Redewendung »das Kind ist in den Brunnen gefallen« (= das Unglück ist bereits geschehen, und erst danach wird der Brunnen geschlossen). 1900 ff.
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3. Kinder Floras = Blumen. Der Ausdruck wirkt heute als lächerlich gestelzte Poetisiererei. 1920 ff.
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4. Kind Gottes: gemütliche Anrede, gern auf die Einfältigkeit des Angeredeten bezüglich. Verweltlicht aus der Auffassung von der Vaterschaft Gottes und der Kindschaft aller Christusgläubigen. »Kinder Gottes« nennen sich auch die Juden, weil sie sich als das auserwählte Volk Gottes betrachten. Seit dem späten 19. Jh.
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5. Kind Gottes in der Hutschachtel = einfältiger Mensch. Erweiterung des Vorhergehenden, vielleicht beeinflußt von der biblischen Geschichte von Mose, der als Säugling zu seinem Schutz in einem Binsenkörbchen ausgesetzt wurde (2. Mose 2,3 ff.). 1870 ff.
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6. Kind aus dem Kühlschrank = aus künstlicher Befruchtung hervorgegangenes Kind.1960 ff.
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7. Kind vom Meter = künstlich gezeugtes Kind. Das Sperma ist käuflich wie Stoff, der meterweise verkauft wird. 1955 ff.
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8. Kind nach Null acht fünfzehn = künstlich gezeugtes Kind. » Null acht fünfzehn« meint das Einheitsverfahren. 1955 ff.
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9. Kind aus der Retorte = durch künstliche Besamung entstandenes Kind. 1960 ff.
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10. ausgetragenes Kind = pfiffiger Mensch. Er ist also keine Frühgeburt; Frühgeburten können geistige Schäden aufweisen. 1870 ff.
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11. behendes Kind = Soldat, der sich und seinen Kameraden Sonderzuteilungen u. ä. zu beschaffen weiß. »Behende« ist von der Leichtfüßigkeit zur geistigen Beweglichkeit weiterentwickelt. Sold 1914 ff.
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12. dankbares Kind = williges Mädchen. 1960 ff.
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13. flottes Kind = gutaussehendes Mädchen. flott. Schül 1965 ff.
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14. gebranntes Kind = Mensch mit schlechten Lebenserfahrungen. Fußt auf dem Sprichwort »ein gebranntes Kind scheut das Feuer«. 1920 ff.
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15. gesundes Kind = aufgeweckte Person. Sie ist im vollen Besitz der Geisteskräfte. 19. Jh.
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16. Kind goldenes (nicht: goldenes Kind) = naive, geistesbeschränkte Person. »Golden« ist ironisch gemeint. Ziv und sold 1914 ff.
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17. halbes Kind = kleines Glas Bier. Berlin 1960 ff.
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18. kein Kind und kein Rind = ohne Verwandtschaft; ohne Nachkommen; ohne Habe. Dem bäuerlichen Lebenskreis entlehnt. 1900 ff.
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19. kleines Kind = Gerichtsvollzieher. Wie ein kleines Kind will er alles haben, was er sieht. Berlin 1920 ff.
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20. kluges Kind = kluger (vermeintlich kluger) Mensch. Seit dem 19. Jh.
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21. rundes Kind = vollbusiges Mädchen. 1920 ff.
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22. schnelles Kind = (vermeintlich) kluger, anstelliger Mensch. Kind 11. 1920 ff.
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23. totgeborenes Kind = von Anbeginn aussichtsloses Unternehmen; unmöglich durchführbares Vorhaben. Seit dem 19. Jh.
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24. mit Kind und Kegel = mit der ganzen Familie. »Kegel« nannte man im späten Mittelalter das unehe-
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liche Kind, den Bastard. 1400 ff.
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25. unschuldig wie ein neugeborenes Kind = zu Unrecht beschuldigt. 1920 ff.
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26. das Kind abbestellen = eine Abtreibung vornehmen. Gegenwort » bestellen 1«. 1950 ff.
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27. das Kind abstellen = den schreienden Säugling beruhigen. Technisierung: man stellt ein Rundfunkgerät, einen Pfeifenkessel o.ä. ab. 1950 ff.
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27 a. einer ein Kind anhängen = eine weibliche Person schwängern. 1900 ff.
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28. jm ein Kind anhängen = jn wahrheitswidrig als Vater benennen. anhängen 1. 1900 ff.
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29. ein Kind meldet sich an = die Frau ist schwanger. Das Kind meldet sich an wie ein Besuch. 1900 ff.
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30. ich werde das Kind schon aufziehen = ich werde die Sache erledigen. Hergenommen von der Versicherung, man werde sich des verwaisten Kindes annehmen. 1920 ff.
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31. das Kind mit dem Bade ausschütten = das Gute mit dem Schlechten verwerfen; übereilt handeln. Leitet sich seit 1500 her von der Handlungsweise eines Narren: er dreht die Badebütte um, aber vergißt, vorher das Kind herauszunehmen.
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32. einem Kind ausweichen = den Geschlechtsverkehr vorzeitig beenden; mit Präservativ beischlafen. 1950 ff.
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33. ein Kind bauen = ein Kind zeugen. bauen 1. Spätestens seit dem 19. Jh.
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34. sich zu einem Kind bekennen = a) eine Tat eingestehen. Bezieht sich eigentlich auf die Anerkennung der Vaterschaft. Sold in beiden Weltkriegen. – b) etw auf sich nehmen, um die Kameraden vor Bestrafung zu schützen. Sold in beiden Weltkriegen.
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35. sich freuen wie ein Kind = ungetrübt froh sein; arglos sich freuen. Seit dem 19. Jh.
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36. dem Kind die Brust geben = ein Glas Alkohol zu sich nehmen. Scherzhaft übernommen vom Stillen eines Kindes. 1910 ff.
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37. dem Kind einen Namen geben = einer Sache den Anschein von Richtigkeit geben. Bezieht sich ursprünglich auf die Annahme eines unehelichen Kindes an Vaters Statt. 1800 ff.
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38. das Kind muß einen Namen haben = die Sache muß irgendeine Bezeichnung haben, wenn auch nur als Vorwand. 1800 ff.
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39. nicht Kind noch Kegel haben = kinderlos, allein-
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stehend sein. Zu »Kegel« Kind 24. 1500 ff.
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40. ein Kind am Bein haben = für ein (uneheliches) Kind sorgen müssen. Bein 33. Seit dem 19. Jh.
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41. vom Kind kommen – heftig erschrecken. Meint eigentlich »zur Frühgeburt kommen«. 1920 ff.
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42. zu etw kommen wie das Kind zu Prügeln = zufällig, unbeabsichtigt zu etw kommen. Hergenommen vom Kind, das man im Zorn voreilig schlägt. 1950 ff.
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43. ein Kind kriegen = sehr entsetzt sein; sich sehr wundern; heftigen Ärger empfinden. Auch in der Ausrufform »ich kriege ein Kind!«. Hergenommen von dem Entsetzen, das eine Ledige empfindet, wenn sie zum ersten Mal merkt, daß sie Mutter wird. Seit dem 19. Jh.
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44. ein Kind von Lumpen (von Puppenlappen) kriegen = sich sehr wundern; höchst überrascht sein; sich heftig ärgern. Eine Puppe aus Tuchresten gab es früher als Scherzgeschenk für den Bräutigam bei der Hochzeit, auch als Grabbeigabe für eine Wöchnerin. »Kinder von Lumpen machen« hieß soviel wie »kinderlos verheiratet sein«. Seit dem 19. Jh.
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45. daß unsere Kind lange Hälse kriegen!: scherzhafter Trinkspruch. 1910 ff.
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45 a. weißt du, wie man doofe Kinder kriegt?: Frage an einen Dummen. Bei Verneinung der Frage rät man: »Frag' mal deine Eltern!« Schül 1970 ff.
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46. dieses Kind hat nie gelebt = dieser Vorschlag ist völlig undurchführbar, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Vgl Kind 23. 1956 ff.
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47. das Kind liegt im Brunnen = die Sache ist gescheitert; die Sache ist nicht mehr zu retten. Kind 2. 1900 ff.
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48. ein Kind machen = ein Kind zeugen. Spätestens seit dem 15. Jh.
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49. einer ein Kind machen = schwängern. 1500 ff.
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50. ich mache mit einem Schlag aus dir zwei schulpflichtige Kinder!: Drohrede. BSD 1965 ff.
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51. das macht der Liebe kein Kind = das spielt keine allzu große Rolle; das ist ungefährlich; darauf kann man sich getrost einlassen. Hergenommen vom nichtvollendeten Geschlechtsverkehr. 19. Jh.
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52. das macht der Sache kein Kind = das verschlimmert (vergrößert) die Angelegenheit nicht. 1900 ff.
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53. sich ein Kind machen lassen = Schwangerschaft anstreben; sich nach der Mutterschaft sehnen. 1500 (?) ff.
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54. geh nach Haus, deine Mutter will die Kinder nachzählen!: Ausdruck der Abweisung. 1900 ff.
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55. das Kind an die Brust nehmen = a) vernünftig, energisch handeln. Gemeint ist wohl, daß man den schreienden Säugling auf die natürlichste Art von der Welt beruhigt. 1900 ff. – b) aus der Flasche trinken; die Flasche Alkohol kreisen lassen. Vgl Brust 13. 1900 ff.
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56. sich das Kind nicht von der Brust nehmen lassen = sich nicht übertölpeln, einschüchtern lassen. Gemeint ist, daß die Mutter sich nicht vom Stillen abbringen lassen soll. 1914 ff.
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57. das Kind beim rechten Namen nennen = eine Sache unumwunden bezeichnen; für etw keine ausweichende Bezeichnung suchen. Als geflügeltes Wort bekannt geworden durch Goethes »Faust I«; aber schon im 17. Jh. geläufig. Vgl franz »nommer les choses par leur nom«.
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58. jm ein Kind in den Bauch reden = auf jn anhaltend einreden; jn zu beschwatzen suchen. Leitet sich her von dem bei Hans Sachs vorkommenden Motiv vom dummen Bauern, dem man sagte, er sei schwanger, bis er es glaubte. Seit dem 19. Jh.
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59. sich ein Kind in den Bauch reden = sich irrtüm-
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lich für schwanger halten. Seit dem 19. Jh.
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60. wie sag' ich's meinem Kinde? = wie sage ich es dir am geschicktesten? Wohl hergenommen vom Titel einer Schrift über die geschlechtliche Aufklärung des Kindes durch die Eltern. 1900 ff.
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61. dem Kind die Ohren (be)säumen = mit einer Schwangeren koitieren. Gemeint ist soviel wie »Überflüssiges tun«. 19. Jh.
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62. wir werden das (auch: dem) Kind schon schaukeln = wir werden (ich werde) die Sache meistern, wunschgemäß erledigen. Beruhigende Redewendung an eine Mutter, daß man während ihrer Abwesenheit auf das Kind achtgeben werde. Seit dem späten 19. Jh.
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62 a. kein Kind von Langeweile sein = temperamentvoll sein, sich zu beschäftigen wissen. 1970 ff.
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63. kein Kind von (der) Traurigkeit sein = lebensfroh sein. 1955 ff.
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64. ein Kind ohne Kopf ist zeitlebens ein Krüppel (oft mit dem Zusatz: und nie paßt ihm ein Strohhut): Ausdruck der Bestätigung. Seit dem ausgehenden 19. Jh.
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65. dasitzen (dastehen) wie das Kind vorm (beim) Dreck = hilflos sitzen (stehen); sich unbeholfen aufführen. Dreck meint hier die Exkremente. 1800 ff.
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66. wer so etwas sagt, macht auch kleine Kinder tot: Ausdruck gutmütiger Entrüstung über die Äußerung eines anderen. 1965 ff.
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67. dieses Kind lasse ich mir nicht unterschieben = diese Bezichtigung weise ich zurück; an der in Rede stehenden Handlung habe ich keinen Anteil. Übertragen von der Kindesunterschiebung. 1900 ff.
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68. das Kind versaufen (vertrinken) = an einem Taufschmaus teilnehmen. Entwickelt nach dem Muster von Fell 31. Seit dem 19. Jh.
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69. jm ein Kind wegmachen = eine Abtreibung vornehmen. Seit dem 19. Jh.
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70. sich ein Kind wegmachen lassen = sich einer Abtreibung unterziehen. Seit dem 19. Jh.
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71. erst den Kind ern die Stöcke wegnehmen = den Gegnern zunächst die Trümpfe abfordern. Kartenspielerspr. 1900 ff.
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72. kluge Kinder werden nicht alt: Zuruf an einen Besserwisser, um ihn zum Schweigen zu bringen. 1900 ff.
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