Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Kartoffel
Kartoffel f \
1. Taschenuhr. Wegen der Kugelform der früheren und der Kartoffelscheibenform der heutigen Uhren. Seit dem 19. Jh.
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2. Loch im Fuß des Strumpfes. Zehen oder Ferse nehmen sich in dem Loch wie eine geschälte Kartoffel aus. Hat jemand ein Loch im Fuß des Strumpfes, fragt man »hast du Kartoffeln gepflanzt?« oder man sagt »die Kartoffel guckt heraus« oder »die Kartoffeln sind reif« oder »die Kartoffeln blühen«. Vgl engl »potato- hole«. 1900 ff.
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3. plumpe Nase. Kartoffelnase, Knolle 1, Knollennase. Seit dem 19. Jh.
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4. großartige Sache. Die Bezeichnung soll 1936 während der Olympischen Spiele in Berlin bei Südamerikanern aufgekommen sein: den Reisessern sei die Kartoffel als der kennzeichnende Ausdruck des deutschen Wesens im guten Sinn erschienen.
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5. minderwertiger Fußball. Er hat keine Rundform. Schül 1950 ff.
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6. Eierhandgranate. Wegen der Formähnlichkeit. Sold in beiden Weltkriegen.
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7. kleine Werfermine, Werfergranate. Sold in beiden Weltkriegen.
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8. unansehnliches Mädchen. Gemeint ist wohl das gedrungene und plumpe. 1920 ff.
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9. Kartoffeln in Uniform (mit Montur) – Pellkartoffeln. 1800 ff.
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10. auf Rand genähte Kartoffeln – dünne gebratene Kartoffelscheiben mit einem schmalen braunen Rand. 1920 ff.
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11. häßliche Kartoffel = gedrungener Mensch. 1920 ff.
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12. heiße Kartoffel = heikle Sache; Mensch, dem nicht zu trauen ist. 1950 ff.
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13. kaputte Kartoffel = häßliches Mädchen. »Kaputt = entzwei« spielt an auf den Mangel (Verlust) an Reizen. Halbw 1960 ff.
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14. Kartoffeln abgießen (abschütten) – harnen. Man entfernt das überflüssige Wasser. 1850 ff.
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15. die Kartoffeln von unten ansehen (von unten wachsen sehen) = im Grab liegen. Entpathetisierung. Seit dem späten 19. Jh.
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16. eine heiße Kartoffel aufpicken = ein heikles Thema anschneiden. 1950 ff.
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17. aussehen wie eine ausgequetschte Kartoffel = eingefallene Wangen haben; hager im Gesicht sein; faltig, wie ausgedörrt aussehen. BSD 1965 ff.
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18. etw fallen lassen wie eine heiße Kartoffel = eine Sache kurz, überschnell abtun; sich auf eine Sache nicht weiter einlassen. Übernommen nach 1950 aus engl »to drop something like a hot potato«.
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19. jn fallen lassen wie eine heiße Kartoffel = den Umgang mit jm plötzlich abbrechen. Vgl das Vorhergehende. 1950 ff.
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20. wo man die Kartoffeln mit dem Lasso fängt = in einer Gegend, wo nur Dumme wohnen. Halbw 1960 ff.
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21. Kartoffeln gehören in den Keller, nicht aber auf den Tisch: Redewendung, wenn einer bei Tisch auf die angereichten Kartoffeln verzichtet. Die Redensart klingt den einen wie ein Stück konservativen Widerstands von Süddeutschen, die Mehl- und Teigwaren bevorzugen; andere meinen, Kartoffeln seien nur (vor allem) als Beigabe geschätzt, wofern das Fleisch in entsprechend größerer Menge vorhanden sei. 1930 ff.
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22. da werden die Kartoffeln in der Toilette (o. ä.) gewaschen: da lebt man in größter Armut. Scheint auf einen Ostfriesenwitz zurückzugehen: man wäscht die
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Kartoffeln in dem im Abortbecken stehenden Wasser. BSD 1970 ff.
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23. wenn wir dich nicht hätten und keine kleinen Kartoffeln, müßten wir dauernd große essen: Ausdruck ironischen Lobs. 1920 ff.
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24. Kartoffeln haben = Glück haben. Kartoffeln sind willkommener als Steckrüben. Wer im »Steckrübenwinter« des Ersten Weltkriegs über Kartoffeln verfügte, galt als glücklicher und beneidenswerter Mensch. 1917/18 ff.
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25. die größten Kartoffeln haben = sehr einflußreich sein. Ironische Redensart; denn das Sprichwort weiß: »der dümmste Bauer hat die größten Kartoffeln«. Spätestens seit 1900.
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25 a. eine heiße Kartoffel in die Hand nehmen = sich eines sehr heiklen Themas annehmen. 1950 ff.
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26. hast du Kartoffel gepflanzt?: Frage an einen, der im Fußstück des Strumpfes ein Loch hat. Kartoffel 2. 1900 ff.
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27. Kartoffel polieren = sich mit unnützen Dingen beschäftigen; seine Zeit mit Nichtigkeiten vertun. Seit dem späten 19. Jh.
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28. jn (etw) rumreichen (weiterreichen) wie eine heiße Kartoffel = eine mißliebige Sache an einen anderen
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abgeben; eine Entscheidung verschieben, hinauszögern. 1950 ff.
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29. ihm sind die Kartoffeln verhagelt = er hat einen bösen Mißerfolg erlitten. Aus der Landwirtschaft hergenommen. 1900 ff.
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