Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
Haut
Haut f \
1. Mensch. In mhd Zeit ein Scheltwort, im 17./18. Jh. in vertraulicher Rede gemildert zu einer anerkennenden Bezeichnung. Vorwiegend oberd .
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2. Soldatenliebchen. Rotw 1862 ff.
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3. junges Mädchen; weiblicher Teenager. Halbw 1955 ff.
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4. Prostituierte. Österr 19. Jh.
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5. Haut voll Flöh = die oberen Zehntausend; die Generalität. Scherzhaft eingedeutscht aus franz »haute volée = vornehme Leute«. Seit dem späten 19. Jh., vorwiegend oberd .
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6. anständige Haut = zuverlässiger, charaktervoller Mensch. 1930 ff.
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7. arme Haut = bedauernswerter Mensch; Mensch, der hart arbeiten muß. Seit dem 17. Jh., oberd .
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8. brave Haut = redlicher Mensch. Seit dem 19. Jh.
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9. dufte Haut = nettes Mädchen. Haut 3; dufte 1. Halbw 1955 ff.
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10. dünne Haut = Hochempfindlichkeit eines Menschen. Gegensatz: »dickes Fell«. 1920 ff.
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11. ehrliche Haut = aufrichtiger, ehrlicher, redlicher Mensch; Mensch, der infolge seiner Redlichkeit leicht übertölpelt werden kann. Seit dem 17. Jh.
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12. faule Haut = arbeitsträger Mensch. Seit dem 19. Jh.
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13. gute Haut = gutmütiger, umgänglicher, hilfsbereiter Mensch. 1800 ff.
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14. lustige Haut = lustiger Mensch; Spaßmacher. Seit dem 19. Jh.
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15. schlechte Haut = unzuverlässiger, nicht vertrauenswürdiger, niederträchtiger Mensch. Österr 1900 ff.
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16. spitze Haut = nettes junges Mädchen. Haut 3. »Spitz« spielt vielleicht auf die spitze Form der Brüste an; von da erweitert zur Charakterisierung der enganliegenden Kleidung. Halbw nach 1950.
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17. steile Haut = reizendes, eindrucksvolles Mädchen. Haut 3; steil. Halbw nach 1950.
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18. treue Haut = treuer, anhänglicher Mensch. Seit dem 19. Jh.
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19. vertrocknete Haut = langweiliger Mensch. »Der Saft ist raus.« 1900 ff.
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20. viel Haut (eine Menge Haut) = spärliche Bekleidung. 1950 ff.
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21. zweite Haut = a) Büstenhalter, Mieder, Slip; weibliche Unterkleidung; Trikot; Badeanzug. 1960 ff. – b) enganliegender Anzug für Ski-Abfahrtsläufer. 1974 ff.
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22. mit Haut und Haar = völlig; ohne Rest. Geht zurück auf Raubtiere, die ihre Beute mit Haut und Haar verschlingen; doch vgl die im 16. Jh. geläufige Redensart »jn zu Haut und Haar strafen = jn auspeitschen und kahlscheren«. Seit dem 17. Jh.
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23. mit Haut und Haaren = nackt. 1960 ff.
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24. in die Haut hinein = bis ins Innerste; durchaus (man schämt sich in die Haut hinein). Gemeint ist, daß nicht bloß die Oberfläche berührt wird. 1800 ff.
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25. mit der Haut bekleidet = nackt. Scherzhaft gilt auch die Haut als Kleid. Spätestens seit 1900.
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26. auf die Haut gearbeitet = a) enganliegend (von Kleidungsstücken gesagt). 1955 ff. – b) räumlich beengt; wenig Bewegungsfreiheit lassend. 1960 ff.
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27. nur mit der Haut kostümiert = unbekleidet. Haut 25. 1960 ff.
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28. jn bis auf die Haut ausfragen = jn gründlich aus-
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fragen. Man entblößt ihn mit den Fragen. 1930 ff.
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29. es brennt ihm auf die Haut = es berührt ihn sehr. 1950 ff.
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29 a. die Haut in Sicherheit bringen = das eigene Leben retten. Spätestens seit 1914.
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30. jm die Haut demolieren = deflorieren. Haut = Jungfernhäutchen. 1900 ff.
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31. das dringt unter die Haut = das bleibt nicht ohne nachhaltigen Eindruck; das wird sehr leicht verstanden. Es bleibt nicht auf der Oberfläche. Vgl Haut 39. 1935 ff.
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32. eine straffe Haut drummen (»drammen« ausgesprochen) = am Schlagzeug (auf der Trommel) sein Bestes geben, ein Könner sein. Haut = Trommelfell. »Drummen« geht zurück auf engl »to drum = trommeln, klopfen, pochen«. Halbw nach 1950.
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33. aus der Haut fahren = die Fassung verlieren; aufbrausen. Zusammenhängend mit dem Werwolfglauben, der Mensch könne seine Haut verlassen und in einen Wolfskörper schlüpfen. Heute meist als Vergröberung des sinngleichen Ausdrucks »außer sich geraten« aufgefaßt. 1500 ff. Vgl engl »to jump out of one's skin«.
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34. es ist, um aus der Haut zu fahren und sich danebenzusetzen!: Ausdruck des Unmuts, der Verzweiflung. Vgl das Vorhergehende. 1870 ff.
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35. aus Haut und Knochen fahren = sehr wütend sein. Verstärkung von Haut 33. 1939 ff.
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36. in die Haut fahren = sich nach einem Wutausbruch beruhigen. Scherzhafte Wendung. 1870 ff.
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37. jn mit Haut und Haar fressen = jn rücksichtslos drillen. Haut 22. Sold 1914(?)ff.
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38. etw mit Haut und Haar(en) fressen = etw gründlich, unvergeßlich in sich aufnehmen, begreifen. Haut 22. 1920 ff.
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39. es geht unter die Haut = es wird tief empfunden; es wirkt nachhaltig. Vgl Haut 31. Zusammenhängend mit subkutaner Einspritzung. Vgl die (ältere) engl Wendung »that gets under your skin«. 1935 ff.
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40. jm unter die Haut greifen = jds Schwächen bloßlegen; jn entlarven. 1950 ff.
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41. eine dicke Haut haben = ohne Feinempfinden sein; viel Widerwärtiges aushalten können. Analog zu »ein dickes Fell haben«. Seit dem 19. Jh.
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42. eine dünne Haut haben = hochempfindlich sein; keine Kraftnatur sein. 1920 ff.
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43. neun Häute haben = zäh, widerstandsfähig sein. Von der Katze sagt man, sie habe neun Leben. 1800 ff.
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44. jm einen auf die Haut hetzen = a) jn durch einen anderen bedrängen (erpressen) lassen. Vom Jagdhund hergenommen, der auf das Wild gehetzt wird. 1850 ff. – b) jn durch einen Gedungenen verprügeln lassen. 1850 ff.
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45. dir juckt wohl die Haut? = du willst wohl Schläge haben? Jucken = reizen. Fell. Seit dem 19. Jh.
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46. eine dicke Haut kriegen = unempfindlich werden; sich nicht alles zu Herzen nehmen. Haut 41. Seit dem 19. Jh.
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47. sich auf die Haut legen = sich schlafen legen. 1935 ff.
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48. sich auf die faule Haut legen = sich dem Müßiggang hingeben. Fußt auf der irrtümlichen Ansicht der Humanisten, daß die alten Germanen sich untätig auf Bärenhäuten räkelten. Seit dem 18. Jh.
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49. auf der faulen Haut liegen = nichts tun; nichts leisten. Vgl das Vorhergehende. 1700 ff.
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50. ihm platzt die Haut = er verliert die Beherrschung; er braust auf. Der Zornige atmet schneller,
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die Zornesader schwillt: man hat das Gefühl, die Haut werde einem zu eng. Man gerät »außer sich«. 1940 ff.
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51. nicht aus seiner Haut rauskönnen = seine Eigenart nicht verleugnen können; seinen Standpunkt beibehalten. Aus den älteren Redewendungen »die alte Haut ausziehen« und »aus der alten Haut kriechen« ergibt sich als entfernter Niederschlag die Verwandtschaft mit dem bibelsprachlichen Ausdruck »den alten Adam ausziehen« und »den neuen Adam anziehen«. Seit dem 19. Jh.
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52. jm etw unter die Haut reiben = jm ernste Vorhaltungen machen. Haut 31. 1971 ff.
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53. seine Haut retten = sein Leben retten; sich in Sicherheit bringen. Gleichbed im 16. Jh. »die Haut davonbringen«. 1900 ff.
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54. Haut und Knochen riskieren = sich dem Gedränge aussetzen. Man kann Hautabschürfungen und sogar Knochenbrüche davontragen. 1950 ff.
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55. jm auf die Haut rücken = sich jm in geschlechtlicher Absicht nähern. 1935 ff.
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56. es scheuert auf der Haut = es geht einem nahe, macht einem innerlich zu schaffen. Vom Wundreiben übertragen auf eine schmerzende seelische Wunde. 1935 ff.
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57. in die Haut eines anderen schlüpfen = Schauspieler sein. 1920 ff.
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58. sich etw nicht aus der Haut schneiden können = etw unmöglich herbeischaffen können. 1900 ff.
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59. die Haut schonen = a) arbeitsträge sein. 1910 ff. – b) sich der Gefahr (Verantwortung) entziehen. Sold 1914 ff.
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60. ihm ist nicht wohl in seiner Haut (er fühlt sich in seiner Haut nicht wohl) = ihm ist seine Lage unbehaglich; er fühlt sich beklommen; er hat Gewissensbisse; er hat Bedenken. Seit dem späten 18. Jh.
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61. nur noch Haut und Knochen (Bein) sein = abgemagert sein. Der Betreffende ist wenig mehr als ein Gerippe. 1600 ff. Vgl gleichbed franz »n'avoir que la peau et les os«.
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62. ihm ist die Haut zu kurz = er läßt Darmwinde entweichen. Vgl Joachim Ringelnatz: »Dem ist die Haut zu kurz. Wenn er die Augen schließt, öffnet sich sein Arschloch«. 1900 ff.
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62 a. es sitzt ihm unter der Haut = er steht noch völlig unter dem Eindruck des Erlebnisses, der Nachricht. Vgl Haut 31. 1950 ff.
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63. einen Mann die Haut spüren lassen = mit einem
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Mann in Geschlechtsverkehr treten. Haut 55. 1935 ff.
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64. in keiner guten Haut stecken = leicht kränkeln; sich unwohl fühlen. Seit dem 17. Jh.
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65. in Ihrer Haut möchte ich mal stecken (und seien es auch nur ein paar Zentimeter): anzügliche Redewendung an eine anziehende weibliche Person. Anspielung auf den Koitus. 1930 ff.
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66. nicht in jds Haut stecken mögen = nicht in jds Lage sein mögen. 1700 ff. Vgl franz »ne pas vouloir être dans la peau de quelqu'un«.
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67. Haut tragen = dekolletiert sein; unbekleidet sein; keine Strümpfe tragen. 1950 ff.
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68. seine Haut zu Markte tragen = a) sich einer Gefahr aussetzen; die unangenehmen Folgen einer Sache tragen müssen. Meint eigentlich, daß einer die Häute geschlachteter Tiere als Bußgeld o. ä. abliefert; wer gar seine eigene Haut zu Markte trägt, muß damit rechnen, daß man sie ihm abzieht, daß man ihn schindet. Seit dem 17. Jh. Vgl franz »faire bon marché de sa peau«. – b) Callgirl, Prostituierte sein; Striptease vorführen; spärlich bekleidet auftreten; sich nackt zur Schau stellen. Aus dem Vorhergehenden in wörtlichem Sinn gegen 1955/1960 aufgekommen.
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69. die Haut in großen Stücken zu Markte tragen = tiefdekolletiert sein. 1955 ff.
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69 a. die Haut teuer verkaufen (so teuer wie möglich verkaufen) = dem Gegner den Sieg nicht leicht machen. 1960 ff.
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70. die Haut versaufen = nach der Beerdigung Gastwirtschaften aufsuchen; sich an einem Leichenschmaus beteiligen. Analog zu Fell 31. 1500 ff.
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71. jn mit Haut und Haar verschlingen = jn moralisch (körperlich) erledigen. Haut 22. Sold 1935 ff.
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72. sich Haut an Haut verstehen = ineinander verliebt sein; kosen; koitieren. Vgl Haut 55. 1964 ff.
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73. die Haut vollkriegen = Prügel erhalten. 1900 ff.
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74. jm die Haut vollschlagen = jn verprügeln. 1800 ff.
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75. sich seiner Haut wehren = seine Handlungsweise tapfer vertreten; sich gegen Übergriffe (ungerechtfertigte Vorhaltungen, Verleumdungen usw.) zur Wehr setzen. Eigentlich auf den Kampf bezogen, heute auf geistige Selbstbehauptung. 1600 ff.
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76. viel Haut zeigen = spärlich bekleidet sein; stark dekolletiert sein. 1955 ff.
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77. in die Haut zurückkommen = sich nach einer Aufregung beruhigen. Gegenausdruck »aus der Haut fahren«. Scherzhafte Redensart; vgl Haut 36. 1870 ff.
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