Duden ‒ Das große Wörterbuch der deutschen Sprache
Zunge
Zụn|ge, die; -, -n [mittelhochdeutsch zunge, althochdeutsch zunga, Herkunft ungeklärt]:1. besonders dem Schmecken und der Hervorbringung von Lauten (beim Menschen besonders dem Sprechen) dienendes und an der Nahrungsaufnahme, am Kauen und am Schlucken beteiligtes, am Boden der Mundhöhle befindliches, oft sehr bewegliches, mit Schleimhaut bedecktes, muskulöses Organ der meisten Wirbeltiere und des Menschen:
eine belegte, pelzige Zunge;
mir klebt [vor Durst] die Zunge am Gaumen;
jemandem die Zunge herausstrecken;
zeig mal deine Zunge!;
ich habe mir die Zunge verbrannt;
der Hund lässt die Zunge aus dem Maul hängen;
der Pfeffer brennt auf der Zunge;
das Fleisch zergeht auf der Zunge (emotional; ist äußerst zart);
ich habe mir auf die Zunge gebissen;
sie schnalzte mit der Zunge;
er stößt mit der Zunge an (umgangssprachlich; er lispelt);
Ü sie hat eine spitze, scharfe, lose, böse o. ä. Zunge (sie neigt zu spitzen, scharfen usw. Äußerungen, Bemerkungen);
er hat eine glatte Zunge (gehoben; er ist ein Schmeichler [und Heuchler]);
er hat eine falsche Zunge (gehoben; ist ein Lügner);
bei dem Namen bricht man sich die Zunge ab/verrenkt man sich die Zunge (umgangssprachlich; er ist sehr schwer auszusprechen);
sie spricht mit doppelter/gespaltener Zunge (gehoben; sie ist unaufrichtig, doppelzüngig);
er hat eine schwere Zunge (gehoben; hat [infolge übermäßigen Alkoholgenusses] sichtlich Schwierigkeiten beim Artikulieren);
eine feine, verwöhnte Zunge (gehoben; einen feinen, verwöhnten Geschmack) haben;
ihm hing die Zunge aus dem Hals (umgangssprachlich; er war sehr durstig);
nach dem Rennen hing mir die Zunge aus dem Hals (umgangssprachlich; war ich ganz außer Atem);
nach und nach lösten sich die Zungen (gehoben; wurde man redseliger);
mit [heraus]hängender Zunge (umgangssprachlich; ganz außer Atem) auf dem Bahnsteig ankommen;
sie ließ den Namen auf der Zunge zergehen (sprach ihn genüsslich aus);
Das Kind … schrieb mit kratzender Füllfeder, wobei seine Zunge zwischen den Lippen hervorleckte (Handke, Frau 8);
Die Graupen schmeckten so widerwärtig, dass er nur wenige Löffel über die Zunge brachte (essen, schlucken konnte; Loest, Pistole 113);
Da redet der Papst mit gespaltener Zunge (Stern, Mann 219);
es nutzt nichts, … wie leblos hier zu hocken mit gelähmter Zunge (völlig sprachlos, nicht in der Lage zu reden) ohne die simpelste Erwiderung (Kronauer, Bogenschütze 310);
böse Zungen (boshafte Menschen, Lästerer: Böse Zungen werden nun von ausgleichender Gerechtigkeit sprechen [Kicker 6, 1982, 36]);
seine Zunge hüten/im Zaum halten/zügeln (vorsichtig in seinen Äußerungen sein);
seine Zunge an etwas wetzen (abwertend; sich über etwas in gehässiger Weise auslassen: Einige Leute gab es immer, die sich an solchen Geschichten noch lüstern die Zunge wetzten [Bastian, Brut 147]);
sich die Zunge verbrennen (seltener; 1"Mund" [1 a]);
jemandem die Zunge lösen (jemanden zum Sprechen, Reden bringen: der Wein hat ihm die Zunge gelöst; die Folter wird ihm schon die Zunge lösen);
sich eher/lieber die Zunge abbeißen [als etwas zu sagen] (unter keinen Umständen bereit sein, eine bestimmte Information preiszugeben);
sich auf die Zunge beißen (an sich halten, um etwas Bestimmtes nicht zu sagen: Gustl biss sich auf die Zunge Sonst wäre ihm herausgefahren: »Sie wären damit bestimmt auch nicht zufrieden …« [Kühn, Zeit 207]);
jemandem auf der Zunge liegen/schweben (1. jemandem beinahe, aber doch nicht wirklich wieder einfallen: der Name liegt mir auf der Zunge. 2. beinahe von jemandem ausgesprochen, geäußert werden: ich habe es nicht gesagt, obwohl es mir auch die ganze Zeit auf der Zunge lag; der letzte … murmelte vor sich hin, um … den einzigen Namen nicht aussprechen zu müssen, der allen auf der Zunge lag [Ransmayr, Welt 276]);
etwas auf der Zunge haben (1. das Gefühl haben, etwas Bestimmtes müsse einem im nächsten Moment wieder einfallen: ich habe den Namen auf der Zunge. 2. nahe daran sein, etwas Bestimmtes auszusprechen, zu äußern: ich hatte schon eine entsprechende Bemerkung auf der Zunge);
jemandem auf der Zunge brennen (jemanden heftig drängen, etwas zu sagen, zu äußern: es brannte mir auf der Zunge, ihm das zu sagen);
jemandem leicht/glatt, schwer o. ä. von der Zunge gehen (von jemandem ganz leicht, nur schwer ausgesprochen, geäußert werden können: es ist immer wieder erstaunlich, wie glatt ihm solche Lügen von der Zunge gehen; Es geht dem Beamten schwer von der Zunge: Er soll sich von seiner Familie verabschieden … Haftbefehl [Spoerl, Maulkorb 124]).
2. (Zoologie) (bei den Mundgliedmaßen der Insekten) paariger Anhang der Unterlippe.
3. (Musik) (bei der Orgel, beim Harmonium, bei bestimmten Blasinstrumenten) dünnes, längliches Plättchen aus Metall, Schilfrohr o. Ä., das in einem Luftstrom schwingt und dadurch einen Ton erzeugt:
durchschlagende oder freie Zungen;
aufschlagende Zungen.
4. (bei bestimmten Waagen) Zeiger.
5. (Technik) länglicher, keilförmig sich verjüngender, beweglicher Teil einer Weiche.
6. (an Schnürschuhen) zungenförmiger mittlerer Teil des vorderen Oberleders, Obermaterials, über dem die seitlichen Teile durch den Schnürsenkel zusammengezogen werden; Lasche.
7. (Zoologie) zur Familie der Seezungen gehörender Plattfisch; Seezunge.
8. etwas, was in seiner Form an eine Zunge (1) erinnert:
die Blütenblätter mancher Pflanzen heißen Zungen;
der Gletscher läuft in einer langen Zunge aus;
Unter uns … Sümpfe … dazwischen Zungen von Land (Frisch, Homo 20);
Da seh ich durch die Zungen der Flammen … eine Gestalt stehen (Imog, Wurliblume 222).
9. Fleisch von Zungen (1) (besonders vom Kalb oder Rind) als Gericht:
ein Stück gepökelte, geräucherte Zunge;
Zunge in Madeira.
10. (gehoben) Sprache:
so weit die deutsche Zunge klingt (überall, wo man Deutsch spricht);
… tritt er, verschiedener Zungen mächtig, gern als amüsante Plaudertasche vor sein Auditorium (Spiegel 42, 1983, 261);
Eggly … referiert als Kommissionsberichterstatter französischer Zunge (als Französisch sprechender Kommissionsberichterstatter; NZZ 21. 12. 86, 25);
in Zungen reden (gehoben, oft scherzhaft; sich [hastig, überstürzt, erregt, verwirrt o. ä. und daher] akustisch wie inhaltlich unverständlich äußern; mit diesem Ausdruck wird im Neuen Testament an verschiedenen Stellen das ekstatische Reden besonders in den Versammlungen der christlichen Urgemeinde bezeichnet: Markus 16, 17; Apostelgeschichte 2, 4; 10, 46; 19, 6; 1. Korinther 14, 2 ff.; im griechischen Urtext: glo̅̓ssais laleĩn: beruhige dich erst einmal, du redest in Zungen);
etwas mit tausend Zungen predigen (gehoben; auf etwas nachdrücklich hinweisen).
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