Duden ‒ Das große Wörterbuch der deutschen Sprache
offen
ọf|fen [mittelhochdeutsch offen, althochdeutsch offan, verwandt mit 1"auf"]:1. a) so beschaffen, dass jemand, etwas heraus- oder hineingelangen kann; nicht geschlossen; geöffnet:
eine offene Tür;
aus dem offenen Fenster schauen;
bei offenem Fenster schlafen;
mit offenem Mund atmen;
mit offenen Augen unter Wasser schwimmen;
eine offene Flasche;
die Zimmertür war einen Spaltbreit offen;
die Tür muss offen bleiben;
ein Fenster, die Tür offen lassen;
lass die Gartentür bitte offen!;
[jemandem] die Haustür, die Wagentür offen halten;
lass bitte den Kühlschrank nicht so lange offen stehen!;
sie hatte die Augen offen;
der Mund ist ihr vor Staunen offen geblieben, stand ihr vor Staunen offen;
die Bahnschranken sind offen (hochgezogen);
ihre Bluse war am Hals offen (nicht zugeknöpft);
sein Hemd stand am Hals offen (war nicht bis zum Kragen zugeknöpft);
lass die Weinflasche nicht offen auf dem Tisch stehen, sonst verfliegt die Blume;
das Buch lag offen (aufgeschlagen) vor ihm;
sie legte eine Münze in die offene Hand des Bettlers;
eine offene Narbe (Narbe, bei der die Wundränder [noch] nicht zusammengeheilt sind);
offene ([noch] nicht verschorfte) Wunden;
offene Beine (Beine mit nur sehr schlecht heilenden Ödemen);
Ü mit offenen Augen (blindlings) ins Verderben rennen;
mit offenen Augen, Sinnen (aufmerksam beobachtend) durch die Welt, durchs Leben gehen;
halte die Augen offen! (beobachte alles aufmerksam!);
Seit der jüngsten Ölpreiskrise stehen in der Bundesrepublik Kachelöfen und offene Kamine wieder hoch im Kurs (MM 25. 7. 79, 1);
Stand irgendwo ein Fensterladen offen (Ransmayr, Welt 219);
Frau Schock bewegte sich immer noch nicht, selbst ihre Lider blieben offen (Ossowski, Flatter 192);
Toll sah er aus – nichts auf dem Kopf, den Mantel offen (Plievier, Stalingrad 169);
das seidige blonde Haar trug Antje auch heute offen (nicht zusammengebunden; Bastian, Brut 85);
offen für/gegenüber etwas, gegenüber jemandem sein (bestimmten Dingen gegenüber aufgeschlossen, zugänglich sein, gegenüber jemandem aufgeschlossen sein: für Probleme, gegenüber Problemen von Minderheiten offen sein);
b) nicht ab-, zugeschlossen, nicht verschlossen:
ein offener (nicht zugeklebter) Umschlag;
ich habe den Briefumschlag offen gelassen (nicht zugeklebt);
der Schrank ist, bleibt offen;
bei uns ist immer alles offen (wird nichts abgeschlossen);
dieser Laden hat/ist auch sonntags offen (hat auch am Sonntag geöffnet);
eine Gaststätte auch am Feiertag offen halten;
eine offene Anstalt (Heil- oder Strafanstalt, deren Insassen sich in einem bestimmten Rahmen frei bewegen dürfen);
offener Vollzug (Jargon; Form des Strafvollzugs, bei der der Häftling tagsüber einer geregelten Beschäftigung außerhalb der Haftanstalt nachgeht und abends dorthin zurückkehrt);
er hat ein offenes Haus (ist sehr gastfrei);
meine Tür ist immer für dich offen (du kannst zu mir kommen, wann du willst);
sich einen Ausweg, den Rückzug offen halten;
sich alle Wege offen lassen;
alle Möglichkeiten stehen dir offen;
nach ihrem olympischen Sieg standen der jungen Sportlerin alle Türen offen;
die Stadtbibliotheken, die öffentlichen Anlagen stehen allen Bürgern offen (stehen zu ihrer Verfügung);
Wenn Partner, die in einer offenen (in sexueller Hinsicht nicht an den einen Partner gebundenen) Partnerschaft leben (Kelly, Um Hoffnung 174);
eine Politik, die den Wandel zur offenen Gesellschaft (Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen den Klassen fließend sind u. für den Einzelnen kein Hindernis darstellen) wagt (Börsenblatt 16, 1968, 1136);
ein echter Kompromiss, der alle Möglichkeiten offen lässt (Dönhoff, Ära 185);
c) nicht bedeckt; nicht ab-, zugedeckt:
an einem offenen (nicht zugeschütteten) Grab stehen;
ein offener Wagen (Wagen ohne Verdeck);
sie trägt offene Schuhe (Sandalen oder Sandaletten);
Immer weniger Luftleitungen werden hinter Verkleidungen versteckt. Offen geführte Luftleitungen müssen … ästhetischen Ansprüchen genügen (CCI 13, 1998, 43);
Trostlos hatte es für August Kühn ausgesehen, wie die ihren Hausrat auf den offenen Pferdewagen geschichtet hatten (Kühn, Zeit 138).
2. a) durch kein Hindernis versperrt; frei [zugänglich]:
offenes (nicht zugefrorenes) Fahrwasser;
die klare Winterluft gewährte einen offenen Ausblick ins Tal;
das Zelt war an der Seite offen;
aufs offene Meer, auf die offene See hinausfahren (so weit hinausfahren, dass vom Festland nichts mehr gesehen wird);
sie gelangten auf offenes Gelände (ohne dichten Bewuchs oder Häuser, Zäune o. Ä.);
die Heere trafen in offener Feldschlacht aufeinander (standen sich auf freiem Feld in fester Schlachtordnung gegenüber);
die Pässe in den Alpen sind wieder offen (schneefrei und wieder befahrbar);
die Jagd ist offen (Jägersprache; nach dem Ende der Schonzeit wieder freigegeben);
Ü nach allen Seiten hin offen (an keine Weltanschauung oder [politische] Interessengruppe gebunden);
Sie gingen durch offene Säulengänge (Brecht, Geschichten 133);
Einmal platzt ihm ein Reifen auf offener Strecke (ziemlich weit von einer Ortschaft entfernt; Frisch, Gantenbein 371);
b) (von sportlichen Wettbewerben) durch keine speziellen Vorbehalte, Grenzen o. Ä. eingeschränkt, eingeengt:
ein offener Wettbewerb;
bei den offenen französischen Meisterschaften;
die Teilnahme an der Meisterschaft ist für Amateure und Berufssportler offen;
c) nicht in sich zusammenhängend, nicht 1"geschlossen" (1 b):
eine offene Bauweise;
Geschwindigkeitsbeschränkung in offenen Ortschaften.
3. a) (von [alkoholischen] Flüssigkeiten) nicht in Flaschen abgefüllt; nicht in einer Flasche serviert:
offener Wein;
Janda setzt sich ins nächste Wirtshaus und bestellt ein offenes Bier (Zenker, Froschfest 69);
b) (österreichisch, sonst landschaftlich) nicht abgepackt; lose:
Zucker offen verkaufen.
4. a) [noch] nicht entschieden; ungewiss:
es bleiben noch viele offene Fragen;
ein Kampf mit offenem Ausgang;
die Meisterschaft war bis zum Schluss offen;
die Antwort auf meine Frage ist noch offen;
du hast dir die Entscheidung darüber, eine Antwort darauf offen gehalten (vorbehalten);
sie hat sich offen gehalten, doch noch Anzeige zu erstatten;
sie hat offen gelassen, ob sie kommt oder nicht;
es sollte jedem offen stehen (freistehen), den Beruf zu wählen, den er für den geeigneten hält;
Im Schlusskampf lieferte John eine offene Partie (Saarbr. Zeitung 7. 12. 79, 8);
Offen allerdings sei, ob die kommunistischen Parteien Westeuropas Prozessbeobachter entsenden können (Augsburger Allgemeine 13./14. 5. 78, XI);
dass wir uns die Möglichkeit des Einsatzes eines Hochtemperaturreaktors offen halten wollen (Saarbr. Zeitung 29./30. 12. 79, 3);
b) [noch] nicht bezahlt; [noch] nicht erledigt:
eine offene Rechnung;
auf Ihrem Konto stehen noch 1 000 Euro offen (sind noch nicht bezahlt);
in der Bilanz sind noch einige Posten offen (noch nicht [genau] aufgeführt);
c) nicht besetzt; ↑ "frei" (4 a):
offene Stellen, Arbeitsplätze;
bei uns ist noch eine Position offen;
eine frei gewordene Arbeitsstelle offen lassen;
im Handwerk stehen noch viele Lehrstellen offen (sind noch nicht besetzt);
ich lasse diese Zeile, Reihe, Spalte [in dem Formular] offen (fülle sie nicht aus);
tragen Sie Ihren Namen bitte in das offen gelassene (nicht ausgefüllte, frei gelassene) Feld ein.
5. a) (in Bezug auf seine Gefühle o. Ä.) nichts verbergend, freimütig [geäußert]; aufrichtig:
ein offenes Wort, Bekenntnis, Gespräch;
offene Kritik;
sie hat ein offenes Gesicht;
sei offen zu mir!;
etwas offen bekennen, zugeben, eingestehen;
offen seine Meinung sagen;
offen gesagt, ich bin müde;
sich ganz offen über etwas unterhalten;
er hat etwas Offenes in seinem Wesen (wirkt vertrauenerweckend);
Gerda hatte immer noch ihr altes, offenes Lächeln (Remarque, Obelisk 177);
Vielleicht trauten sich seine Verwandten nicht einmal hier, offen über alles zu reden (Kühn, Zeit 436);
die amerikanische und die deutsche Regierung müssten offener miteinander sprechen (W. Brandt, Begegnungen 35);
b) klar und deutlich zutage tretend und so für jeden erkennbar; unverhohlen:
offener Protest wurde laut;
offene Feindschaft;
eine offene Kampfansage;
zum offenen Widerstand, zur offenen Meuterei aufrufen;
Ursachen, Zusammenhänge offen legen (Amtssprache; klar und deutlich darlegen);
es liegt doch offen auf der Hand, dass sie lügt;
seine Abneigung offen zeigen;
er drohte ihm offen mit Schlägen;
etwas offen zur Schau stellen, tragen;
Im Januar 1936 kommt es zum offenen … Konflikt zwischen Tochter und Vater (Reich-Ranicki, Th. Mann 185);
Anlässlich des aktuellen Falles eines offen homosexuell lebenden Pfarrers (Wiedemann, Liebe 97);
Überhaupt ging ihr schon seit langem die offen gezeigte Zuneigung ihres Mannes ab (Kühn, Zeit 434);
c) vor den Augen der Öffentlichkeit; nicht geheim:
sie wurde in offener Abstimmung gewählt;
offen abstimmen;
jemanden in offenem Kampf (in fairem Kampf Mann gegen Mann) besiegen;
offene Wertung (Sport; Wertung, bei der bekannt wird, wie der einzelne Kampfrichter gewertet hat);
die Bebauungspläne werden ab Juni im Rathaus offen liegen (Amtssprache; zur Einsichtnahme, Ansicht ausliegen);
Zugleich müssen die Parteien ihre Finanzen offen legen (Freie Presse 3. 1. 90, 4);
Leute wurden auf offener Straße (vor den Augen aller sich auf der Straße befindenden Leute) verhaftet (Hilsenrath, Nacht 505).
6. (Sport, besonders Ballspiele) nicht genügend auf ↑ "Deckung" (2 a, 6 a) achtend und so dem Gegner die Möglichkeit zum erfolgreichen Gegenangriff gebend:
ein offenes System spielen;
die Abwehr spielte zu offen und musste so zwei Gegentreffer hinnehmen.
7. (Sprachwissenschaft)
a) (von Vokalen) mit weit geöffnetem Mund und weniger gewölbtem Zungenrücken gesprochen:
ein offenes E, O;
b) (von Silben) mit einem Vokal endend.
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