Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Zeit
, Zeitlichkeit Ein bis zur Gegenwart einflußreiches Nachdenken über menschliche Zeit u. Zeitlichkeit ergab sich aus einer Auseinandersetzung in der antiken griech. Philosophie: Während Platon († 347 v.Chr.) das Zeitliche nur als das uneigentliche Seiende ansah u. ihm das Ziel der Menschheitsgeschichte so als die Aufhebung von Zeit in der Ewigkeit erscheinen mußte, ging sein Schüler Aristoteles († 322 v.Chr.) von der Beobachtung u. Messung der Bewegung aus u. verstand unter Zeit die Zahl der Bewegung nach dem Früher u. Später, so daß nur das Bewußtsein die Erfahrung von Zeit machen kann. Nur ein mit Geist begabtes Seiendes kann das Jetzt als Übergang vom Noch-nicht zum Nicht-mehr erfahren (Gegenwart). Von diesem Ansatz aus dachte die abendländische Philosophie von Augustinus († 430) über I. Kant († 1804) bis ins 20. Jh. über die Zeit nach. Bedeutsam ist die Unterscheidung von Zeit als meßbarer Abfolge u. erlebter Zeit bei H. Bergson († 1941), die in differenzierter Form bei E. Husserl († 1938) u. M. Heidegger († 1976) wiederkehrt. Neuestens wurde vorgeschlagen, die Zeit in drei Dimensionen zu betrachten: Die endogene Zeit des unmittelbaren inneren Erlebens (die frühere mythisch-zyklische Zeit, die moderne rational-lineare Zeit u. die ”zeitenthobene“ mystische Zeit); die exogene Zeit (Naturzeit wie Tag u. Nacht, Jahreszeiten, u. die soziale Zeit wie Arbeits-Zeit u. Frei-Zeit oder auch Kirchenjahr); die transzendente Zeit (religiöse Zeiterfahrung mystischer oder prophetischer Art, epiphane Zeit der Gotteserfahrungen). – Eine Theologie, die sich auf das gedankliche Erbe einläßt, versteht Zeit als die Art u. Weise, wie die endliche Freiheit des Menschen wird. Sie kommt von einem echten Anfang her, über den sie nicht verfügt (echt heißt: sie hat einen Anfang, sie hat ihn jedoch nicht gehabt). Sie realisiert dann entscheidend u. wählend die Wirklichkeit, die ihr als Möglichkeit vorgegeben war, u. gelangt zu einem echten, unwiderruflichen Ende als verfügte Vollendung. Die Zeit dieses menschlichen Seienden ist daher nicht das bloße aneinandergereihte Verschiedene, sondern das Hintereinander von ”Momenten“, die die Phasen eines Geschehens, eine Zeitgestalt, bilden. Das menschliche Bewußtsein ist in die erfahrene Zeit eingefangen u. kann sie nicht durch Hinzufügung anderer, fremder Momente erklären, wie das in den theol. Spekulationen über die Ewigkeit versucht wurde. Ein echter Begriff der Ewigkeit, wie er in der Offenbarung von Gottes Ewigkeit u. der menschlichen Teilhabe daran im ewigen Leben gegeben ist, ergibt sich nicht dadurch, daß die Zeit als endlos weiterlaufend gedacht wird, denn dann bliebe die Zeit einfach Zeit. Er ergibt sich auch nicht dadurch, daß die Zeit einfach verneint wird, denn wäre es überhaupt sinnvoll, ein ”Existierendes minus Zeit“ zu denken? Auszugehen hätte die Theologie von einer Reflexion darüber, daß die menschliche Freiheit ”eigentlich“ als Frucht der Zeit Endgültigkeit will, u. daß diese Endgültigkeit in diesem Wollen schon in der Zeit erfahren wird. In der Sicht des Glaubens ”produziert“ die menschliche Zeit nicht die Vergangenheit, sondern durch sie wird das Endgültige. Die Zeit ist daher die positive Art u. Weise, wie die Kreatur an der Ewigkeit Gottes teilhat. Die Zeitgestalt, mit der sich Biologie, Physik, Medizin u. andere Naturwissenschaften befassen u. mit ihren Methoden überhaupt nur befassen können, erscheint von da her als depotenzierteWeise der ”inneren Zeit“ der geistigpersonalen Freiheitsgeschichte.
, Zeitlichkeit Ein bis zur Gegenwart einflußreiches Nachdenken über menschliche Zeit u. Zeitlichkeit ergab sich aus einer Auseinandersetzung in der antiken griech. Philosophie: Während Platon († 347 v.Chr.) das Zeitliche nur als das uneigentliche Seiende ansah u. ihm das Ziel der Menschheitsgeschichte so als die Aufhebung von Zeit in der Ewigkeit erscheinen mußte, ging sein Schüler Aristoteles († 322 v.Chr.) von der Beobachtung u. Messung der Bewegung aus u. verstand unter Zeit die Zahl der Bewegung nach dem Früher u. Später, so daß nur das Bewußtsein die Erfahrung von Zeit machen kann. Nur ein mit Geist begabtes Seiendes kann das Jetzt als Übergang vom Noch-nicht zum Nicht-mehr erfahren (Gegenwart). Von diesem Ansatz aus dachte die abendländische Philosophie von Augustinus († 430) über I. Kant († 1804) bis ins 20. Jh. über die Zeit nach. Bedeutsam ist die Unterscheidung von Zeit als meßbarer Abfolge u. erlebter Zeit bei H. Bergson († 1941), die in differenzierter Form bei E. Husserl († 1938) u. M. Heidegger († 1976) wiederkehrt. Neuestens wurde vorgeschlagen, die Zeit in drei Dimensionen zu betrachten: Die endogene Zeit des unmittelbaren inneren Erlebens (die frühere mythisch-zyklische Zeit, die moderne rational-lineare Zeit u. die ”zeitenthobene“ mystische Zeit); die exogene Zeit (Naturzeit wie Tag u. Nacht, Jahreszeiten, u. die soziale Zeit wie Arbeits-Zeit u. Frei-Zeit oder auch Kirchenjahr); die transzendente Zeit (religiöse Zeiterfahrung mystischer oder prophetischer Art, epiphane Zeit der Gotteserfahrungen). – Eine Theologie, die sich auf das gedankliche Erbe einläßt, versteht Zeit als die Art u. Weise, wie die endliche Freiheit des Menschen wird. Sie kommt von einem echten Anfang her, über den sie nicht verfügt (echt heißt: sie hat einen Anfang, sie hat ihn jedoch nicht gehabt). Sie realisiert dann entscheidend u. wählend die Wirklichkeit, die ihr als Möglichkeit vorgegeben war, u. gelangt zu einem echten, unwiderruflichen Ende als verfügte Vollendung. Die Zeit dieses menschlichen Seienden ist daher nicht das bloße aneinandergereihte Verschiedene, sondern das Hintereinander von ”Momenten“, die die Phasen eines Geschehens, eine Zeitgestalt, bilden. Das menschliche Bewußtsein ist in die erfahrene Zeit eingefangen u. kann sie nicht durch Hinzufügung anderer, fremder Momente erklären, wie das in den theol. Spekulationen über die Ewigkeit versucht wurde. Ein echter Begriff der Ewigkeit, wie er in der Offenbarung von Gottes Ewigkeit u. der menschlichen Teilhabe daran im ewigen Leben gegeben ist, ergibt sich nicht dadurch, daß die Zeit als endlos weiterlaufend gedacht wird, denn dann bliebe die Zeit einfach Zeit. Er ergibt sich auch nicht dadurch, daß die Zeit einfach verneint wird, denn wäre es überhaupt sinnvoll, ein ”Existierendes minus Zeit“ zu denken? Auszugehen hätte die Theologie von einer Reflexion darüber, daß die menschliche Freiheit ”eigentlich“ als Frucht der Zeit Endgültigkeit will, u. daß diese Endgültigkeit in diesem Wollen schon in der Zeit erfahren wird. In der Sicht des Glaubens ”produziert“ die menschliche Zeit nicht die Vergangenheit, sondern durch sie wird das Endgültige. Die Zeit ist daher die positive Art u. Weise, wie die Kreatur an der Ewigkeit Gottes teilhat. Die Zeitgestalt, mit der sich Biologie, Physik, Medizin u. andere Naturwissenschaften befassen u. mit ihren Methoden überhaupt nur befassen können, erscheint von da her als depotenzierteWeise der ”inneren Zeit“ der geistigpersonalen Freiheitsgeschichte.